L 2 U 9/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 U 219/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 9/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 08. Dezember 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit Nr. 70 der Liste der Berufskrankheiten der DDR und die Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der am ... geborene Kläger absolvierte vom 17.09.1951 bis zum 31.12.1953 eine Lehre als Schuhfacharbeiter bei der Schuhfabrik E ... Vom 1.1.1954 bis zum 25.07.1955 arbeitete er als Zwicker im Lehrbetrieb. Vom 01.10.1955 bis zum 23.10.1957 war er Angehöriger der kasernierten Volkspolizei. Ferner war er vom 04.11.1957 bis zum 31.12.1989 als sog. "Zwicker" bzw. Schuhfacharbeiter bei der Schuhfabrik E ... beschäftigt, vom 01.01.1990 bis 31.12.1990 als Endkontrolleur und vom 01.01.1991 bis zum 30.09.1991 wiederum als Schuhfacharbeiter, jeweils im Lehrbetrieb. Die Arbeitsaufgabe zum 30.09.1991 erfolgte wegen Absatzschwierigkeiten des Betriebes.

Der Kläger leidet unter osteochondrotischen Veränderungen im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule. Vom 06.05.1993 bis 18.05.1993 war er wegen der Diagnose-Nr. 724 (Erkrankungen des Rückens) arbeitsunfähig geschrieben.

Bereits am 4.10.1992 hatte er gegenüber der Verwaltungsberufsgenossenschaft die Zahlung einer "Berufsrente" mit der Begründung beantragt, von 1951 bis 1991 habe er in der Schuhfabrik "K ..." in E ... in Schichten gearbeitet. Durch den ständigen Lärm, Staub und Klebegeruch habe er sich einen gesundheitlichen Schaden zugezogen. Wegen Hals-, Schluck- und Atembeschwerden sei er behandelt worden. Zur Zeit sei er wegen Ohrensausens und Hörbeschwerden in ärztlicher Betreuung. Nach jahrelanger Behandlung sei eine Besserung nicht mehr zu erwarten.

Nachdem er erstmals in einem Brief vom 30.12.1996 an die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft sein Rückenleiden erwähnte ("Weiterhin muß ich Ihnen mitteilen, daß durch mein jahrelanges Arbeiten an der Zwickmaschine meine Bandscheiben sehr in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Ich habe heute noch große Beschwerden damit"), leitete diese den Antrag an die Beklagte weiter.

Zur Aufklärung des Sachverhalts in arbeitstechnischer Hinsicht holte die Beklagte eine Expositionsanalyse ihres Technischen Referates, Abteilung Prävention, ein. Dieses gelangte in seiner Stellungnahme vom 08.12.1997 zu der Beurteilung, dass der Kläger von 1951 bis 1991 in der Schuhfabrik E ... in den Arbeitsbereichen Vorheften, Kappen, Flügelheften, Seitenzwicken und Kontrolle beschäftigt gewesen sei. Er habe hierbei keine schweren Lasten gehoben oder getragen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit Nr. 70 der Liste der Berufskrankheiten der ehemaligen DDR seien daher nicht gegeben.

Frau Dipl.-Med. G ..., Gewerbeärztin beim Sächsischen L ... für A ... und A ...in C ..., gelangte in ihrer Stellungnahme vom 20.01.1998 zu der Beurteilung, dass beim Kläger keine ausreichende haftungsbegründende Kausalität für eine Berufskrankheit Nr. 70 der Liste der Berufskrankheiten / DDR vorliege. Eine haftungsausfüllende Kausalität sei ebenfalls nicht gegeben. Das Betroffensein auch der Hals- und Brustwirbelsäule spreche gegen eine beruflich bedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule.

Am 12.03.1998 erließ die Beklagte einen ablehnenden Bescheid, den sie auf die Stellungnahme ihres Technischen Referates zur Exposition und die gewerbeärztliche Stellungnahme von Frau Dipl.-Med. G ... stützte.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 28.03.1998. Darin bat er um Begutachtung durch einen kompetenten Facharzt. Ferner reichte er Unterlagen von Dipl.-Med. Z ..., Fachärztin für Allgemeinmedizin in E ..., und Dr. F ..., Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin und Chirotherapie in F ..., ein. In ihrem Befundbericht vom 15. 05. l998 diagnostizierte Dipl.-Med. Z ... beim Kläger ein Cervikobrachialsyndrom , Dorsolumbalgie bei Osteochondrose und Spondylarthrose sowie Gonarthrose und Arthrose des rechten Schultergelenkes. Im Befundbericht vom 06.04.1998 stellte Dr. F ... beim Kläger osteochondrotische Veränderungen an allen drei Bereichen der Wirbelsäule (Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule) fest. Am 30. 06. 1998 erließ die Beklagte einen ablehnenden Widerspruchsbescheid, den sie im wesentlichen auf die im Ausgangsbescheid genannten Gründe stützte.

Am 21.07.1998 hat der Kläger mündlich zu Protokoll des Sozialgerichts Chemnitz (SG) Klage erhoben. Seine behandelnden Ärzte seien der Auffassung, dass bei ihm eine Berufskrankheit der Wirbelsäule vorliege. Er habe 40 Jahre lang an einer Maschine gestanden, an der er einseitige körperliche Arbeiten habe verrichten müssen.

Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 08.12.1998 ausgeführt, dass er während seiner Tätigkeit in der Schuhfabrik E ... Leisten vom Band in die Maschine gehoben habe.

Mit Urteil vom 8. Dezember 1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 12.03.1998 und der Widerspruchsbescheid vom 30.06.1998 seien rechtmäßig. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. der Vollrente zu, weil bei ihm eine Berufskrankheit Nr. 70 der Liste der Berufskrankheiten/DDR nicht gegeben sei.

Die beim Kläger vorliegenden Wirbelsäulenbeschwerden stellten keine Berufskrankheit nach § 221 Satz 1 Arbeitsgesetzbuch der DDR i.V.m. Nr. 70 der Anlage zur 1. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten - Liste der Berufskrankheiten - vom 21.04.1981 (BKVO/DDR, GBl. I, Nr. 12, S. 139) dar. Das Berufskrankheitenrecht der DDR sei anzuwenden. Berufskrankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten seien und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Berufskrankheiten der Sozialversicherung gewesen seien, gälten gemäß § 215 Abs. 1 SGB VII i.V.m. § 1150 Abs. 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) als Berufskrankheiten im Sinne des 3. Buches der RVO.

Für die bis zum 01.01.1992 eingetretenen Fälle gelte das Recht der DDR nach Artikel 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet I Abschn. III Nr. 4 sowie Anlage II, Kapitel VIII, Sachgebiet I, Abschn. III Nr. 4 und 5 des Einigungsvertrages vom 03.08.1990, BGBl. II S. 889, weiter. Entscheidend für die Abgrenzung sei der Zeitpunkt des Ereignisses, d.h. bei Berufskrankheiten sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem sie ausgelöst worden bzw. eingetreten seien (Hinweis auf Ricke, in Kasseler Kommentar, § 1150 RVO, Rdnr. 2 - sogenanntes Versicherungsfallprinzip).

Da bei einer berufsbedingten Wirbelsäulenerkrankung der Zwang zur krankheitsbedingten Aufgabe der schädigenden Tätigkeit zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gehöre, sei darauf abzustellen, wann der Kläger die schädigende Tätigkeit aufgegeben habe. Dies sei zum 30. September 1991, mithin vor dem 01.01.1992 geschehen, deshalb sei DDR-Recht anzuwenden.

Bei der Berufskrankheit Nr. 70 BKVO/DDR handle es sich um Verschleißkrankheiten der Wirbelsäule (Bandscheiben, Wirbelkörperabschlussplatten, Wirbelfortsätze, Bänder, kleine Wirbelgelenke) durch langjährige mechanische Überbelastung, wobei als Voraussetzungen erhebliche Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates mit Aufgabe der schädigenden Tätigkeit genannt seien.

Nach den Empfehlungen zur Einleitung und Durchführung der Begutachtung bei Verdacht auf berufsbedingte Verschleißkrankheiten der Wirbelsäule (BK 70) , herausgegeben vom Zentralinstitut für Arbeitsmedizin der DDR - Obergutachtenkommission Berufskrankheiten -, müssten für die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 70 folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Der Nachweis der arbeitsbedingten Über-/Fehlbelastung des geschädigten Wirbelsäulenabschnittes, ferner die krankheitsbedingte Aufgabe der schädigenden Tätigkeit (bereits erfolgt oder bevorstehend) und schließlich das Vorliegen eines Krankheitskomplexes mit erheblicher Funktionseinschränkung im exponierten Wirbelsäulenabschnitt.

Eine arbeitsbedingte Über-/Fehlbelastung liege vor, wenn der Versicherte mindestens zehn Jahre lang regelmäßig Lasten von mehr als 25 kg bewegt, d. h. wiederholt angehoben und abgesetzt oder er eine Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung verrichtet habe (Zentralinstitut für Arbeitsmedizin der DDR - Obergutachtenkommission Berufskrankheiten -, a.a.O.).

Der Kläger habe keine Hebe- bzw. Trageleistungen von mehr als 25 kg erbracht; vielmehr lediglich Schuhleisten bei der Herstellung von Schuhen vom Band und diese in die Maschine gehoben. Da ein Schuh regelmäßig weniger als 1 kg wiege, sei ein regelmäßiges Heben und Tragen schwerer Lasten nicht gegeben.

Zur Frage, wann eine Tätigkeit in arbeitsbedingter Fehl-/ Zwangshaltung, d. h. in extremer Rumpfbeugehaltung, vorliege, enthielten die Empfehlungen des Zentralinstitutes für Arbeitsmedizin der DDR, Obergutachtenkommission Berufskrankheiten, zur Einleitung und Durchführung der Begutachtung bei Verdacht auf berufsbedingte Verschleißerkrankungen der Wirbelsäule (BK 70) keine Ausführungen. Zur Auslegung, wann eine solche anzunehmen sei, sei daher das Merkblatt für die ärztliche Begutachtung zur Berufskrankheit Nr. 2108 der Berufskrankheiten-Verordnung (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit, BArbBl. 3/93 S. 50) heranzuziehen. Danach sei unter Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung eine Arbeit in Arbeitsräumen zu verstehen, die niedriger als 100 cm seien und damit eine ständig gebeugte Körperhaltung erzwängen. Solche Arbeitsplätze existierten teilweise im untertägigen Bergbau. Weiterhin seien unter extremer Rumpfbeugehaltung Arbeiten zu verstehen, bei denen der Oberkörper aus der aufrechten Haltung um mehr als 90 Grad gebeugt werde, beispielsweise bei Stahlbetonarbeitern im Hochbau. Derartige Tätigkeiten habe der Kläger nicht verrichtet.

Ferner habe beim Kläger kein Zwang zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit aufgrund des Wirbelsäulenleidens bestanden. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.04.1997 - 8 R KnU 1/96 - müsse der Zwang zum Berufswechsel als Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit objektiv gegeben sein. Der Kläger habe die Tätigkeit in der Schuhfabrik E ... gemäß seinem Schriftsatz vom 16.11.1998 aufgrund von Absatzschwierigkeiten des Betriebes und nicht wegen seiner Wirbelsäulenprobleme aufgegeben. Aufgrund der Tatsache, dass er lediglich vom 06.05. bis 18.05.1993 - ersichtlich aus seinem SV-Ausweis - wegen der Diagnose Nr. 724 (Erkrankungen des Rückens) arbeitsunfähig gewesen sei, lasse sich ein objektiv vorliegender Zwang zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit wegen der Wirbelsäulenprobleme nicht annehmen.

Ferner mangle es beim Kläger am Vorliegen eines Krankheitskomplexes mit erheblicher Funktionseinschränkung im exponierten Lendenwirbelsäulenabschnitt. Aufgrund der gewerbeärztlichen Stellungnahme von Frau Dipl.-Med. G ... vom 20.01.1998 und der Befundberichte von Dipl.-Med. Z ... vom 15.05.1998 und Dr. F ... vom 06.04.1998 stehe zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass beim Kläger sowohl an der Hals-, als auch der Brust- und der Lendenwirbelsäule osteochondrotische Veränderungen bestünden. Es fehle deshalb am belastungtypischen Schadensbild, d.h. von unten nach oben abnehmende Schäden (Pöhl/Eilebrecht/Hax/Römer, Zusammenhangsbeurteilung bei den bandscheibenbedingten Wirbelsäulenerkrankungen, Die BG 1997, 670, 676). Vielmehr seien beim Kläger gleichmäßig starke Bandscheibenveränderungen über mehrere Wirbelsäulenabschnitte gegeben.

Gegen das am 30.12.1998 zum Zwecke der Zustellung mit Einschreiben zur Post gegebene Urteil hat der Kläger am 20.1.1999 Berufung eingelegt. Er habe bereits im Jahre 1988 seine Tätigkeit als Zwicker aufgegeben, da er sie wegen seines WS-Leidens nicht mehr länger habe ausführen können. Das Zwicken sei in der Schuhindustrie die schwerste Arbeit gewesen, weil der Leisten mit dem Schaft habe "sehr festgehalten" und mit Kraft nach oben an die Zwickmaschine habe gepresst werden müssen. Mit den Belastungen im Bergbau - wie vom SG verglichen - habe dies nichts zu tun. Auch in seinem Beruf sei er dauernden Zwangs- und Fehlhaltungen ausgesetzt gewesen.

In einem Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes vom 3.8.1999 ist die Tätigkeit des Klägers ausführlich beschrieben worden (LSG-Akten Bl. 35 bis 39). Er bestätigt das bisherige Vorbringen des Klägers und hebt hervor, daß die Maschine, an der der Kläger zu arbeiten gehabt habe, ein Produkt noch des 19. Jahrhunderts gewesen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

1. das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 8.12.1998 mit dem Bescheid der Beklagten vom 12.03.1998 und dem Widerspruchs bescheid vom 30.06.1998 aufzuheben,

2. festzustellen, dass seine Wirbelsäulenbeschwerden eine Berufskrankheit nach Nr. 70 der Liste der Berufskrankheiten der ehemaligen DDR darstellen und

3. die Beklagte zu verurteilen, ihm deswegen eine Verletzten rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um minde stens 20 v.H. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Weder lägen die arbeitstechnischen Voraussetzungen vor, noch sei ein Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit aufgrund erheblicher Funktionseinschränkungen der LWS ersichtlich.

Im Erörterungstermin am 19.6.2001 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt. Der Kläger hat einen weiteren Schriftsatz vom 23.10.2001 eingereicht.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 SGG entscheiden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die fristgemäß eingelegte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

Das SG ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Anspruch des Klägers dem Grunde nach noch nach dem Berufskrankheitenrecht der DDR richtet, die hier insoweit maßgebenden gesetzlichen Normen (§ 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO) hat das SG zutreffend genannt. Darauf wird Bezug genommen.

Ohne dass es darauf ankommt, ob den Ausführungen des SG zur Sache in jeder Hinsicht zugestimmt werden kann (fraglich ist insbesondere, dass das Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2108 zur Auslegung von BK 70 [DDR] heranzuziehen sei), weist der Senat auf folgendes hin:

Da es nach dem Wortlaut von Nr. 70 BKVO/DDR nur auf solche Verschleißkrankheiten ankommt, die "durch langjährige mechanische Überbelastungen" verursacht wurden, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, auch die hier geltend gemachte und vom TAD ausführlich beschriebene Tätigkeit des Klägers an einer aus dem vorvorigen Jahrhundert stammenden Maschine als ursächlich anzusehen, auch wenn diese - wie vom Kläger auch nie behauptet - nicht mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten verbunden war. Es findet sich aber dieses Kriterium des langjährigen Hebens und Tragens schwerer Lasten in Nr. 2108 der bundesdeutschen BKV. Obgleich - wie das SG insofern zutreffend festgestellt hat - der Kläger die geltend gemachte belastende Tätigkeit bereits zum 30.9.1991 und damit vor dem 1.1.1992 aufgegeben hatte und deshalb auf diesen Fall noch das Recht der Deutschen Demokratischen Republik anzuwenden ist (die hier maßgebenden Normen hat das SG zutreffend genannt), ist dennoch auf diese Bestimmung zurückzugreifen, weil der Kläger sein WS-Leiden erstmals im Schr. v. 30.12.1996 genannt hat.

Denn das SG hat nicht beachtet, dass für die Beurteilung des Falles darüber hinaus auch noch § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO zu beachten ist. Danach gilt die Regel, daß Berufskrankheiten nach dem Recht der DDR auch als solche nach bundesdeutschem Recht anzusehen sind, dann nicht, wenn die betreffende Krankheit einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden sind und sie nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wäre. Diese Regelung wird hier wirksam.

Das WS-Leiden des Klägers ist erstmals mit Eingang des genannten Schreibens am 2.1.1997 bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, einem zuständigen Unfallversicherungsträger, bekannt geworden, damit nach dem maßgebenden Zeitpunkt. Es kommt deshalb darauf an, ob nach der Liste der Berufskrankheiten, die gem. § 551 Abs. 4 - einer Regelung des Dritten Buches der RVO - erlassen wurde, die vom Kläger geltend gemachte Tätigkeit erfasst wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn nach der einschlägigen - oben bereits genannten - Bestimmung von Nr. 2108 müssen tatsächlich "schwere Lasten" jahrelang gehoben oder getragen worden sein. Genau dies aber hat der Kläger nicht getan. Möglicherweise belastend waren die arbeitstäglich annähernd 2.000 durchzuführenden, mit einer Rumpfdrehung bis 45 Grad verbundenen Greifbewegungen zum auf der linken Seite aufgestellten Schuh-Förderband sowie das meistens in Brusthöhe erfolgende Entgegenpressen der Schuhe (1.000 täglich) gegen den Einschussbolzen, mit denen "Täckse" (kleine Nägel mit einer Länge von 8 bis 12 mm) in die Schuhsohle getrieben wurden. Die Arbeit galt als schwer und war unbeliebt (Bericht S. 1, 3; LSG-Akten Bl. 35, 37). Der Beschreibung lässt sich jedoch nicht entnehmen, daß sie mit einer "extremen Rumpfbeugehaltung" verbunden gewesen wäre. Auch der Hinweis im Bericht: "Bedingt durch die ergonomisch ungünstige Konstruktion der Maschine war eine Zwangshaltung des Kopfes sowie eine leicht nach vorn und links geneigte Körperhaltung zwingend" (S. 3) bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer Zwangshaltung i.S. von Nr. 2108. Nr. 2109 kommt ebenfalls nicht in Betracht, da hierfür eine Zwangshaltung des Kopfes nicht ausreicht, wenn nicht zugleich schwere Lasten auf der Schulter zu tragen gewesen waren. Auch daran fehlt es hier.

Da der Kläger sein WS-Leiden erst nach dem gem. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO maßgebenden Termin des 31. Dezember 1993 geltend gemacht hat, und es deshalb - wie dargelegt - zuerst darauf ankommt, ob die Voraussetzungen einer Anerkennung nach dem Recht der RVO erfüllt sind, was jedoch - wie ebenfalls oben begründet - nicht der Fall ist, kommt es aus Rechtsgründen nicht mehr darauf an, ob tatsächlich nach dem Recht der DDR eine Berufskrankheit anzuerkennen gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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