L 18 V 51/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 V 29/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 51/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Ablehnung einer Neufeststellung wegen mangelnder Mitwirkung, wenn
bei rechtlich zutreffender Sachbehandlung über den Anspruch nach Aktenlage
hätte entschieden werden müssen.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.03.1997 und der Bescheid des Beklagten vom 29.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.04.1996 aufgehoben.
II. Im übrigen wird die Berufung als unzulässig verworfen.
III. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu 2/3 zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob beim Kläger weitere Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anzuerkennen sind und ihm Rente nach einer MdE um 30 v.H. zusteht.

Bei dem am ...1925 geborenen Kläger sind mit Bescheid vom 22.12.1955 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 02.02.1956 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von unter 25 v.H. als Schädigungsfolgen nach dem BVG anerkannt:

1. Reizlose Splitternarbe an der linken Halsseite
2. Örtliche Durchblutungsstörungen an der rechten Ohrmuschel durch Kälteeinwirkung

Zu 1.: Im Sinne der Entstehung
Zu 2.: Im Sinne der Verschlimmerung.

Hiergegen eingelegte Rechtsmittel, mit denen der Kläger die Anerkennung von weiteren Schädigungsfolgen erreichen wollte, blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.03.1957 , Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 30.08.1960 , Beschluss des Bundessozialgerichts vom 26.10.1960 (10 RV 1243/60)).

Am 27.09.1995 stellte der Kläger erneut Antrag auf Versorgung und begehrte die Feststellung einer Kriegsopferrente wegen Gelenkrheuma, Hepatitis und Erfrierungen 1. - 2. Grades an Ohren, Händen und Füßen "nach Lazarettunterlagen". Der Kläger lehnte es im folgenden wiederholt ab, sich einer vom Beklagten vorgesehenen versorgungsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 15.01.1996 unter Fristsetzung bis 16.02.1996 auf, zuzusichern, einer Aufforderung zu einer versorgungsärztlichen Untersuchung Folge zu leisten. Er wies darauf hin, daß nach Ablauf der Frist eine Entscheidung nach § 66 Sozialgesetzbuch (SGB) I erfolgen würde.

Mit Bescheid vom 29.01.1996 versagte der Beklagte Leistungen nach dem BVG mangels Mitwirkung des Klägers gem. § 66 Abs. 1 SGB I. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.04.1996).

Im anschließenden Klageverfahren vor dem SG Würzburg hat der Kläger die Gewährung einer "Kriegsopferrente nach Lazarettunterlagen" weiterverfolgt. Das SG hat eine Kopie vom Index des ehemaligen Kriegslazaretts 1/637 mot des Bundessozialamtes Wien, Niederösterreich Burgenland, Zentralarchiv, beigezogen. Der Kläger hat auf eine Anfrage des SG, ob er mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden sei, mitgeteilt, daß er an der mündlichen Verhandlung aus gesundheitlichen Günden derzeit nicht teilnehmen könne.

Der Beklagte hat sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Das SG hat ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Klage mit Urteil vom 13.03.1997 abgewiesen und die Auffassung vertreten, der Beklagte habe die Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers zu Recht versagt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und weiterhin die Anerkennung der im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Kriegsleiden unter Zugrundelegung von Lazarettunterlagen begehrt, welche angeblich schon seit Anfang der 50er Jahre verschwunden sind. Der Senat hat den Internisten Prof. Dr. H ... nach Aktenlage gehört (Gutachten vom 26.01.1998). Dieser hat aufgrund der vorhandenen Unterlagen aus dem Jahr 1955 und 1957 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine cardialen Folgen eines rheumatischen Fiebers bzw. des im Jahr 1943 erlittenen akuten Gelenkrheumatismus feststellen können. Auch die vom Kläger vorgetragene Versteifung der Mittelgelenke der kleinen Finger beiderseits hat er nicht in Zusammenhang mit dem Geschehen des akuten Gelenkrheumatismus gebracht. Ob sich eine chronische Hepatitis im Gefolge der im Jahr 1944 erlittenen akuten Hepatitis entwickelt hat, vermochte er ohne Blutuntersuchung nicht festzustellen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

festzustellen, daß ihm nach seinen österreichischen Lazarettunterlagen eine Rente nach einer MdE in Höhe von 30 v.H. zusteht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.03.1997 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Beschädigtenakte des Beklagten, die Archivakten des SG Würzburg S 6 Lw 45/85, S 4/Ar 69/86, S 3 Ar 279/83, S 2/U 156/79, S 6 U 68/77 UL, S 8 U 123/72 UL, S 11 Vs 447/96, S 10/Vs 156/77, S 9/V 1031/82, KOV 283/1956, die Archivakten des Bayer. Landessozialgerichts L 10/V 109/83, L 7/B 82/78, L 4 Lw 12/87, L 12/Vs 23/77 und die Gerichtsakten der 1. und 2. Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig und begründet, soweit der Kläger die Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 13.03.1997 und der Bescheide des Beklagten vom 19.01.1996 und 22.04.1996 begehrt. Soweit der Kläger die Verurteilung des Beklagten zu einer Rente nach einer MdE um 30 v.H. verlangt, ist die Berufung unzulässig, da der Beklagte eine Entscheidung über die beantragte Neufeststellung bislang nicht getroffen hat.

Der Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf Neufeststellung zu Unrecht wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers abgelehnt. Bei rechtlich zutreffender Sachbehandlung hätte über den Anspruch nach Aktenlage entschieden werden müssen.

Streitgegenständlich ist die Entscheidung des Beklagten, die vom Kläger beantragte Neufeststellung wegen mangelnder Mitwirkung zu versagen. Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung und die Leistung erforderlich sind (§ 62 SGB I). Der Leistungsträger kann gem. § 66 Abs. 1 SGB I ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird.

Entgegen der Auffassung des Beklagten war eine ärztliche Untersuchung des Klägers für die Entscheidung nicht erforderlich. Es fehlt daher vorliegend schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Versagung gem. § 66 Abs. 1 SGB I, so daß es auf die Frage, ob die Versagung des Beklagten ermessensfehlerhaft ist, nicht ankommt. Wie das vom Senat eingeholte Gutachten des Prof. Dr. H ... zeigt, war zur Feststellung des Versorgungsanspruches, soweit er das geltend gemachte Leiden "Gelenkrheuma" betraf, eine versorgungsärztliche Untersuchung des Klägers nicht erforderlich. Der Sachverständige konnte nämlich bereits nach Aktenlage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, daß keine cardialen Folgen des rheumatischen Fiebers bzw. des akuten Gelenkrheumatismus aus dem Jahr 1943 beim Kläger vorliegen. Auch die Versteifung der Mittelgelenke des kleinen Fingers beidseits steht nach den Feststellungen des Sachverständigen mit dem Geschehen des akuten Gelenkrheumatismus nicht in Zusammenhang. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht, die nicht zu einer erheblichen Erschwerung der Aufklärung führt, bleibt aber ohne Konsequenzen. Dies gilt auch dann, wenn durch die Verletzung der Mitwirkungspflicht eine gewisse Erschwerung eintritt (Myrozinsky, SGB I, 2. Auflage, § 66, RdNr. 11).

Auch soweit der Kläger die Feststellung von Folgen der im Krieg erlittenen Hepatitis geltend macht, erscheint eine versorgungsärztliche Begutachtung nicht zwingend erforderlich. Prof. Dr. H ... hält zunächst die Bestimmung der Blutwerte des Klägers für ausreichend, um dem Grunde nach festzustellen, ob ein Anspruch des Klägers besteht. Dementsprechend hätte der Beklagte vor einer Ablehnung der Feststellung wegen mangelnder Mitwirkung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit versuchen müssen, sich die Blutwerte auf andere Art und Weise zu beschaffen (z.B. durch den Hausarzt oder im Einverständnis mit dem Kläger im Wege der Amtshilfe durch das Gesundheitsamt vor Ort oder durch einen anderen vor Ort beauftragten Arzt). Schließlich hätte es einer Ablehnung gem. § 66 SGB I selbst dann nicht bedurft, wenn eine Sachaufklärung dieser Art durch den Beklagten nicht zum Erfolg geführt hätte. Der Beklagte hätte bei einer Ablehnung der Neufeststellung insoweit den Grundsatz der objektiven Beweislast anführen können. Danach gilt, daß jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 103 RdNr. 19a).

Soweit der Kläger eine Verurteilung des Beklagten zur Feststellung von Schädigungsfolgen und Zahlung einer Rente begehrt, war die Berufung als unzulässig zu verwerfen, da es insoweit an einer Verwaltungsentscheidung des Beklagten mangelt. Diese wird vom Beklagten nunmehr (nach weiteren Ermittlungen) zu treffen sein.

Das Urteil des Sozialgerichts konnte auch deshalb keinen Bestand haben, weil es an einem wesentlichen Mangel des Verfahrens leidet. Es hätte nicht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden dürfen, da der Kläger hierzu sein Einverständnis nicht erklärt hatte (vgl. aaO § 129 RdNr. 2a). Der Kläger hatte dem Sozialgericht auf seine Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren besteht, lediglich mitgeteilt, daß er an der mündlichen Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen derzeit nicht teilnehmen könne. Gleichwohl kommt eine Zurückverweisung gem. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht in Betracht, da das Urteil des SG bereits aus anderen Rechtsgründen aufzuheben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision i.S.d. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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