L 18 V 48/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 V 74/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 48/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.07.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des am 02.10.1999 verstorbenen Versorgungsberechtigten (VB) H.R. Anspruch auf eine höhere Versorgungsrente und Pflegezulage nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.

Bei dem am 1923 geborenen VB waren zuletzt mit Bescheid vom 04.08.1981 als Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 90 vH ab 01.01.1977 anerkannt:

1. Teilverlust des rechten Beines im mittleren Oberschenkel drittel mit ungünstigen Stumpfverhältnissen nach Schussbruch
2. Gebrauchsminderung des linken Beines durch Hornschwielenbildung im Bereich der Ferse nach Dekubitus, Nageldeformierung und Bewegungseinschränkung der Großzehe nach Erfrierung so wie Narbenbildung und Stecksplitter im Oberschenkel- und Gesäßbereich
3. Beugeversteifung des rechten Zeigefingermittelgelenkes nach verheiltem Schussbruch, Stecksplitter in der rechten Ellen bogenbeuge, Verwundungsnarbe am linken Unteram sowie Wund liegenarben über dem Kreuzbein.

Am 21.12.1995 beantragte der VB die Neufeststellung seiner Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Rente nach einer MdE in Höhe von 100 vH sowie einer Pflegezulage. Der Beklagte ließ den VB chirurgisch (Gutachten Dr.G. vom 20.05.1997) und internistisch (Gutachten Dr.B. vom 01.04.1997) untersuchen und lehnte eine Neufeststellung mit Bescheid vom 11.06.1997 ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.10.1997).

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der VB beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 11.06.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 10.10.1997 und des gerichtlichen Teilvergleiches vom 29.07.1999 abzuändern, eine Leidensverschlimmerung in den anerkannten Schädigungsfolgen anzuerkennen und die Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule, der Schultergelenke, des Kniegelenkes links, eine verstärkte Hornhautbildung an beiden Ellenbogengelenken und Schleimhautüberlastung im Bereich beider Ellenbogengelenke als weitere Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung anzuerkennen, des Weiteren im Sinne der Entstehung, hilfsweise im Sinne der Verschlimmerung ein infrarenales Bauchaortenaneurysma anzuerkennen und den Beklagten zu verurteilen, unter Berücksichtigung des gerichtlichen Teilvergleichs vom 29.07.1999 und der beantragten weiteren Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 100 vH ab Dezember 1995 zu gewähren, sowie ihm mit Wirkung ab Dezember 1995 Pflegezulage gemäß § 35 BVG zu gewähren.

Das SG hat Sachverständigengutachten auf orthopädischem (Gutachten Dr.D. vom 24.02.1999) und internistischem Gebiet (Gutachten Dr.M. vom 24.03.1999) eingeholt. Dr.D. hat vorgeschlagen, als weitere Schädigungsfolge im Sinne einer Verschlimmerung "Arthrose beider Daumensattelgelenke und beider Handgelenke, verstärkte Hornhautbildungen und Schleimhautüberlastung im Bereich beider Ellenbogen" anzuerkennen. Die Teil-MdE für diese Schädigungsfolge hat er mit unter 10 vH bewertet. Hinsichtlich der geltend gemachten Beschwerden im Bereich des linken Kniegelenkes, der Phantombeschwerden, der Schulterge- lenksbeschwerden, der Wirbelsäulenbeschwerden und der Ekzeme am linken Unterschenkel hat er keinen ursächlichen Zusammenhang mit den anerkannten Schädigungsfolgen gesehen. Dr.M. ist in seinem Gutachten zu der Beurteilung gekommen, dass als weitere Schädigungsfolge "Arthrose beider Daumensattelgelenke und beider Handgelenke, verstärkte Hornhautbildungen und Schleimhautüberlastung im Bereich beider Ellenbogen" anerkannt werden sollte. Abweichend von Dr.D. hat Dr.M. die Auffassung vertreten, diese Schädigungsfolge sei im Sinne der Entstehung anzuerkennen und bedinge eine Teil-MdE um 10 vH. Dr.M. hat das Bauchaortenaneurysma nicht als Schädigungsfolge bewertet und den VB nicht als hilflos im Sinne des BVG erachtet. Die Gesamt-MdE hat Dr.M. mit 91 bis 94 vH beziffert. Der Beklagte hat im Wege eines Teilvergleichs "degenerative Veränderungen der Hand- und Daumensattelgelenke beidseits" im Sinne der Entstehung - ohne Änderung der Gesamt-MdE - anerkannt. Das weitere Angebot des Beklagten, eine "verstärkte Hornhautbildung an beiden Ellenbogengelenken" im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen, hat der VB nicht angenommen.

Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 29.07.1999 unter Abänderung des Bescheides vom 11.06.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 10.10.1997 und des gerichtlichen Teilvergleichs vom 29.07.1999 gemäß seinem Teilanerkenntnis vom 29.07.1997 verurteilt, mit Wirkung ab Dezember 1995 als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung "verstärkte Hornhautbildung an beiden Ellenbogengelenken" anzuerkennen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat die verstärkte Hornhautbildung in beiden Ellenbogengelenken wegen einer generellen dermatologischen Überempfindlichkeit des VB lediglich als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung und nicht im Sinne der Entstehung anerkannt. Eine Schleimhautüberlastung im Bereich beider Ellenbogen hat es als weitere Schädigungsfolge nicht anerkannt, da eine Schleimbeutelentzündung nur vorübergehend aufgetreten war. Auch in den bereits anerkannten Schädigungsfolgen hat das SG keine Leidensverschlimmerung festgestellt. Die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, der Schultergelenke und des linken Kniegelenkes hat es nicht auf den Teilverlust des rechten Beines zurückgeführt. Ebenso hat es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Beinamputation und dem im November 1997 diagnostizierten Bauchaortenaneurysma verneint. Die Gesamt-MdE für die mit Bescheid vom 04.08.1981 festgestellten Schädigungsfolgen und die weiteren (nunmehr) anerkannten Schädigungsfolgen "4. degenerative Veränderungen der Hand- und Daumensattelgelenke beidseits, 5. verstärkte Hornhautbildung an beiden Ellenbogengelenken" hat es weiterhin mit 90 vH eingestuft. Die Voraussetzungen für eine Pflegezulage gemäß § 35 BVG hat es verneint.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des VB Berufung eingelegt. Der Senat hat von dem PD Dr.P. ein gefäßchirurgisches Gutachten nach Aktenlage vom 13.02.2002 eingeholt. Dieser ist nach dem jetzigen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erfahrungen und Erkenntnisse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen, dass es sich beim VB um ein arteriosklerotisch bedingtes infrarenales Aortenaneurysma handelt, dessen Entstehung auf schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen zurückzuführen ist.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des SG Nürnberg vom 29.07.1999 abzuändern
2. den Bescheid vom 11.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10.10.1997 und des gerichtlichen Teilvergleichs vom 29.07.1999 abzuändern
3. den Beklagten zu verurteilen, auf den Antrag vom 21.12.1995 hin eine eingetretene Leidensverschlimmerung in den anerkannten Schädigungsfolgen anzuerkennen und die Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule, der Schultergelenke, des Kniegelenkes links, eine verstärkte Hornhautbildung an beiden Ellenbogengelenken und eine Schleimhautüberlastung im Bereich beider Ellenbogenge lenke als weitere Schädigungsfolgen im Sinne der Entste hung anzuerkennen
4. den Beklagten außerdem zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung, hilfsweise im Sinne der Verschlimmerung, ein infrarenales Bauchaorten aneurysma anzuerkennen
5. den Beklagten zu verurteilen, unter Berücksichtigung des gerichtlichen Teilvergleichs vom 29.07.1999 und der in Ziffer 3 und 4 beantragten weiteren Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 100 vH ab Dezember 1995 zu gewähren
6. den Beklagten zu verurteilen, dem VB mit Wirkung ab Dezember 1995 Pflegezulage gemäß § 35 BVG bis zu seinem Tod zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 29.07.1999 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Beschädigtenakten und die Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz, SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Die Ehefrau des verstorbenen VB führt den Rechtsstreit als Sonderrechtsnachfolgerin fort (§ 56 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, § 239 Zivilprozessordnung iVm § 202 SGG).

Der Senat weist die Berufung der Klägerin aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des SG zurück, sodass es insoweit keiner weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe bedarf (§ 153 Abs 2 SGG). Eine Verschlimmerung der bereits anerkannten Schädigungsfolgen ist nicht eingetreten und eine Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen kommt nicht in Betracht. Durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 14.02.2001 in SozR 3-3100 § 31 Nr 5) ist nunmehr geklärt, dass Anspruch auf Rente eines Erwerbsunfähigen nur derjenige hat, dessen Erwerbsfähigkeit um mindestens 95 vH gemindert ist. Der Sachverständige Dr.M. - dem der Senat insoweit folgt - hat die Gesamt-MdE des VB aber lediglich auf 91 bis 94 vH geschätzt. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage gemäß § 35 BVG liegen nicht vor.

Das SG hat im Ergebnis zu Recht die Anerkennung eines Bauchaortenaneurysmas als weitere Schädigungsfolge abgelehnt. Zwar trifft es nicht zu, dass in der medizinischen Wissenschaft keine Ungewissheit über die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs besteht und ist eventuell eine Kannversorgung bei einem Bauchaortenaneurysma nach kriegsbedingter Oberschenkelamputation zu gewähren (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 07.02.2001 Az: L 18 V 28/98, Sgb 11/2001). Jedoch hat der Sachverständige PD Dr.P. beim VB mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein arteriosklerotisch bedingtes infrarenales Aortenaneurysma diagnostiziert, dessen Entstehung auf schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen zurückzuführen ist. Die Angiographien des VB zeigten nach einem Zeitintervall von mehr als 30 Jahren zwar ein infrarenal lokalisiertes Aortenaneurysma mit deutlicher Engstellung der zuführenden Arterien auf der amputierten Seite. Es fehlten jedoch für die Kausalität die erforderliche Lateralisation der infrarenalen Aorta zur amputierten Seite und die axiale Einstellung der terminalen Aorta auf die offenen kontralaterialen Beckenarterien. Beim VB lag auf gefäßchirurgischem Gebiet lediglich eine Engstellung der Beckenarterien auf der rechten Seite als Kriegsschädigung im Sinne einer Verschlimmerung vor. Diese hat jedoch nicht zu wesentlichen klinischen Symptomen geführt, wie zB Stumpfnekrose oder Beschwerden im Sinne einer Claudicatio intermittens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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