L 15 V 40/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 V 1/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 V 40/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 01.09.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten zum wiederholten Male um die Anerkennung u.a. eines Lungenleidens als Schädigungsfolge (SF) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bzw. um die Rücknahme früherer Ablehnungsbescheide nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X).

I.

Der am ...1922 geborene Kläger beantragte am 12.05.1947 aufgrund einer Granatsplitterverletzung und des Verlustes des linken Fußes eine Rente als Körperbeschädigter. Wegen "Absetzung des linken Beines im Oberschenkel" erhielt er zunächst mit Bescheid des Versorgungsamtes Karlsbad vom 20.03.1945 Versehrtengeld nach Stufe III, dann von der KB-Abteilung der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schwaben mit Bescheid nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) vom 28.07.1949 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. ab dem 01.02.1947. Während seines Aufenthaltes in der sowjetisch besetzten Zone bzw. der späteren DDR beantragte er ebenfalls Versorgung und gab als weitere SF zusätzlich Kopfschmerzen, Atembeschwerden und eine Gehbehinderung an. Die aus drei Ärzten bestehende Ärztekommission stellte am 19.09.1949 als SF den Verlust des linken Beines, einen Streifschuss am linken Scheitelbein sowie einen Lungensteckschuss rechts (fraglich) fest, worauf der Kläger vom Sozialversicherungsamt Sachsen mit Bescheid vom 02.01.1950 für die Zeit vom 01.05.1949 bis 30.06.1956 eine Kriegsinvalidenrente bezog.

Nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland stellte der zuständige Sachbearbeiter beim Versorgungsamt Augsburg am 27.11.1956 in einem Aktenvermerk u.a. fest, die behauptete Kopfverwundung bzw. die zwei Lungensplitter seien nicht nachgewiesen; im Bescheid des Versorgungsamtes Karlsbad sei weder über eine Anerkennung noch Ablehnung etwas vermerkt, lediglich im Gutachten des Beratungsärztlichen Dienstes der Sozialversicherungskasse Riesa (SVK). Mit Bescheid vom 09.04.1958 stellte der Beklagte als SF "Teilverlust des linken Oberschenkels; Narbe rechte Brustseite" fest und bewertete unter Bezugnahme auf das versorgungsärztliche Gutachten des Dr.L ... vom 20.12.1957 die MdE weiterhin mit 70 v.H.; diesem Gutachten zufolge bestand für eine Stecksplitterverletzung der Lunge kein Hinweis; die Schwerhörigkeit rechts sei auf eine 1953 durchgemachte Mittelohreiterung zurückzuführen.

Im anschließenden Widerspruchs- und Klageverfahren machte der Kläger erfolglos eine Lungen-Tbc als Schädigungsfolge geltend, die letztlich mit Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 09.04. 1959 (Az.: KB.964/1958) abgelehnt wurde.

Einen Leidensverschlimmerungsantrag des Klägers vom September 1961 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.02.1962 ab; hierbei stützte er sich im Wesentlichen auf die versorgungsärztlichen Gutachten der Dres. S ... und O ... (HNO) vom 09.11. 1961, wonach in den anerkannten SF keine Befundänderung eingetreten sei und eine beiderseitige Innenohrschädigung (im Sinne der Verschlimmerung) keine messbare MdE bedinge.

Einen weiteren Leidensverschlimmerungsantrag des Klägers vom April 1965 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23.01.1968 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.05.1968 ab; die hiergegen erhobene Klage zum Sozialgericht Augsburg nahm der Kläger am 13.10.1971 zurück (Az.: S 10 V 272/68).

Mit Bescheid vom 24.09.1968 erhöhte der Beklagte die MdE unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit ab 01.01.1964 auf 80 v.H.

Im Mai 1974 beantragte der Kläger eine Erhöhung seiner Versorgung, weil sich durch die jahrelange Überbelastung als Folge der Amputation an seinem rechten Fuß ein Senk-Spreizfuß gebil- Rückenschmerzen, bereite. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21.12.1977, gestützt auf das ärztliche Gutachten des Orthopäden Ma ... vom 07.12.1977, ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren behauptete der Kläger, der Lungenfacharzt Dr.G ... habe am 25.10.1965 die MdE bezüglich der Lunge mit 30 v.H. eingeschätzt; weitere Kriegsleiden seien die 1974 durchgeführte Operation einer Labyrinthfistel am rechten Ohr wegen Schwerhörigkeit, ein Senk-Spreizfuß und erhebliche Rückenschmerzen. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.1978 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Die hiergegen erhobene Klage mit dem Begehren einer Rente nach einer MdE um 90 v.H. wies das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 26.06.1978 ab (Az.: S 10 V 112/78).

Die hiergegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers, die er mit seinen schlechten Stumpfverhältnissen begründete, wurde mit Urteil vom 16.10.1980, gestützt auf die eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr.H ... vom 21.04.1980 und des HNO-Arztes Dr.R ... vom 08.05.1980, zurückgewiesen (Az.: L 15 V 274/78).

Aufgrund des Verschlimmerungsantrages des Klägers vom 26.11. 1980 stellte der Beklagte im Widerspruchsverfahren mit Abhilfebescheid vom 22.07.1982 als SF im Sinne der Entstehung mit einer MdE von 90 v.H. ab dem 01.11.1980 fest: "Teilverlust des linken Oberschenkels, Neuromknoten, Weichteilsplitter, Narbe rechte Brustkorbseite". Hierbei stützte er sich im Wesentlichen auf das chirurgische Gutachten des Dr.Sch ... vom 07.05.1982, der wegen der Verschlimmerung (am Stumpf ein Neuromknoten sowie Blutumlaufstörungen) eine MdE von 80 v.H. vorschlug.

II.

Mit seinem erneuten Antrag vom 06.10.1996 machte der Kläger wiederum ein Lungenleiden, Ohrenleiden und Abnutzungsbeschwerden am rechten Bein geltend. Mit Bescheid vom 23.04.1997 lehnte der Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 22.07.1982 nach § 44 SGB X ab; gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr.B ... vom 07.04.1997 begründete er diese Ablehnung im Wesentlichen mit den früheren Ablehnungen, die sich nicht als unrichtig erwiesen hätten (Urteile des Bayer. LSG vom 17.10. 1980 und 25.07.1996 - Ohrenleiden, Beschwerden rechtes Bein -, des Sozialgerichts Augsburg vom 09.04.1959 - Lungen-Tbc - und Bescheid des Beklagten vom 23.01.1968 - Lunge -, 19.08.1981 und 22.07.1982 - Hüft- und Kniegelenksarthrose rechtes Bein -). Mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.1997 wies der Beklagte den anschließenden Widerspruch zurück; zwar liege beim Kläger eine chronische Emphysembronchitis mit deutlich fibrocirrhotischen Lungenveränderungen bei Zustand nach Lungen-Tbc 1958 vor, diese sei jedoch nicht auf eine Schädigung zurückzuführen; bei den Durchleuchtungen in den Jahren 1946 bis 1956 sei keine Tbc festgestellt worden, erst im Dezember 1957 sei eine cavernöse Lungen-Tbc entdeckt worden; eine Lungenverletzung während des Krieges sei nicht nachgewiesen; auf das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 09.04.1959 werde verwiesen; im Übrigen habe der Kläger bezüglich des Ohrenleidens selbst angegeben, dieses sei erst Anfang der 50-er Jahre aufgetreten; dies spreche gegen die Annahme, es sei auf eine Detonation während des Krieges zurückzuführen, denn dann hätte diese Gesundheitsstörung früher auftreten müssen.

Die hiergegen zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 01.09.1999 unter Hinweis auf die zutreffende Begründung der angefochtenen Bescheide abgewiesen.

Mit seiner Berufung vom 15.09.1999 verfolgte der Kläger sein Begehren auf Anerkennung der Abnutzungsbeschwerden am rechten Bein, des Ohrenleidens und des Lungenleidens als SF weiter. Zur Prozessgeschichten und beruflichem und familiärem Werdegang vor und kündigte im Schriftsatz vom 24.01.2000 an, um Opferentschädigung einzugeben, damit er seine Versorgungsrente aus der DDR erhalte. Im Schreiben seines Bevollmächtigten vom 05.07.2000 wurde angemerkt, entgegen dem Gutachten des Dr.Ma ..., das sehr ausführlich und kompetent erhoben zu sein scheine und entgegen dem Röntgenbefund von Dr.L ... vom 20.12.1957 sei von Seiten des Beklagten bzw. der von ihm herangezogenen Ärzte ständig behauptet worden, es handele sich um Erkrankungen bereits aus der Jugendzeit; die 1957 festgestellten Kalkeinlagerungen sprächen für eine ältere, bislang inaktive Tbc, die auch bei den früheren Untersuchungen nicht auffallen musste oder zumindest nicht zu einer Überwachung führen musste; insbesondere an die Untersuchungsmethoden und -einrichtungen der Nachkriegszeit könnten wohl keine sehr hohen Anforderungen gestellt werden, was die Diagnose Sicherheit betreffe; nicht nachvollziehbar sei, dass gerade die sehr dichten Kalkeinlagerungen, die auf Bl.206 Rs. der Versorgungsakten unter Punkt 2 erwähnt würden, plötzlich auf Prozesse zurückzuführen sein sollten , die in der Jugend abgelaufen wären; wenn dies so wäre, hätten diese Einlagerungen schon bei allen früheren Untersuchungen entdeckt werden müssen; seien diese erheblichen Merkmale unentdeckt geblieben, spreche dies dafür, dass hier ein erheblicher Unsicherheitsfaktor bestehe, der sich zugunsten des Klägers auswirken müsse, da alle späteren Gutachten darauf aufbauten, dass vor 1957 keine Tbc vorgelegen habe, was nach diesen Befunden keinesfalls so sein könne. Er beantragte, ein Gutachten einzuholen, durch das das Alter der damals festgestellten Herde genau bestimmt werde; seiner Ansicht nach müssten diese Herde damals 14 Jahre alt gewesen sein, was nach der Beschreibung gut zutreffen könne.

Im Erwiderungsschreiben vom 10.08.2000 wies der Beklagte, gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr.Lo ... vom 09.08.2000 darauf hin, auf das Gutachten des Dr.Ma ... vom 17.07.1986 sei die HNO-Ärztin Dr.J ... am 21.07.1988 bereits ausführlich und überzeugend eingegangen; davon ausgehend werde die Schwerhörigkeit nicht als SF angesehen; was die Ausführung zur Tbc angehe, so widerspreche sich der Klägervertreter selbst, indem er zuerst vortrage, die Tbc habe bei früheren Untersuchungen nicht auffallen oder zumindest nicht zu einer Überwachung führen müssen und etwas später behaupte, die Einlagerungen hätten schon bei allen früheren Untersuchungen entdeckt werden müssen, wenn sie auf Prozesse, die in der Jugend abgelaufen seien, zurückzuführen seien; im Übrigen sei es nur natürlich, dass im Röntgenbefund vom 20.12.1957 ältere spezifische Herde entdeckt worden seien, da die Lungentuberkulose bereits 1953 vorgelegen habe und auch entdeckt worden sei; eine genaue Bestimmung des Alters der älteren spezifischen Herde dürfte nach versorgungsärztlicher Einschätzung kaum möglich sein; abgesehen davon sei darauf hinzuweisen, dass ein die Tuberkulose auslösendes schädigendes Ereignis nicht nachgewiesen sei, wie das Sozialgericht Augsburg bereits in seinem Urteil vom 09.04.1959 ausgeführt habe; im Übrigen sei die Infektion durch das Verbringen einer Nacht in einem Bett neben dem Bett eines Tbc-Kranken sehr unwahrscheinlich.

Diesem Einwand entgegnete der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Schriftsatz vom 27.08.2000, der angebliche Widerspruch sei nur scheinbarer Natur; wenn es Primärprozesse in der Jugend gegeben hätte, hätten diese aufgrund der lange zurückliegenden Zeit starke Einlagerungen von dichtem kalkigem Material aufweisen und schon bei früheren Untersuchungen irgendwann dokumentiert werden müssen, auch schon vor der Einberufung zum Wehrdienst oder in späteren Untersuchungen mit schlechten Nachkriegsgeräten; da ein solcher Befund niemals erhoben worden sei, seien alle diesbezüglichen Ausführungen des Beklagten zu Zeiten vor der Einberufung reine Spekulation; rein vorsorglich beantrage er wiederum ein medizinisches Sachverständigengutachten.

Mit Schriftsatz vom 26.09.2000 widersprach der Beklagte dieser medizinischen Auffassung unter Vorlage der versorgungsärztli- Musterung könne sinnvollerweise nicht abgestellt werden, hierüber lägen keine Unterlagen vor; auch könne keineswegs gesagt werden, dass eine anlässlich der Musterung festgestellte Tuberkulose zur Untauglichkeit geführt hätte oder überhaupt dokumentiert worden wäre; im Übrigen sei der Kläger ausweislich seines selbst verfassten Lebenslaufes bereits 1939 gemustert und bis zu seiner Einziehung 1943 im Kohlebergbau tätig gewesen; wenn er sich beispielsweise die Primärinfektion während der Zeit dieser risikogeneigten Tätigkeit zugezogen hätte, hätte das natürlich nicht schon bei der Musterung festgestellt werden können; auch das Argument, eine vor der Wehrdienstzeit entstandene Tbc hätte bei den nach Kriegsende durchgeführten Untersuchungen stets entdeckt werden müssen, nicht aber eine während der Wehrdienstzeit entstandene, überzeuge nicht; es erscheine nicht sehr wahrscheinlich, dass eine z.B. 1942 oder Anfang 1943 entstandene Tbc in den Jahren nach dem Krieg bereits wesentlich stärkere Einlagerungen verursacht hätte, als eine zwischen 1943 und 1945 entstandene, zumal der Verlauf einer Tbc generell sehr variabel sei, worauf bereits in den versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 20.09. und 09.08.2000 hingewiesen worden sei; dass bis 1954 von ärztlicher Seite her das Alter der Tuberkulose auf etwa zehn Jahre geschätzt worden sei, sei in den Versorgungsakten nicht dokumentiert; im Übrigen beweise dies gar nichts, weil der Kläger erst im Februar 1943 eingezogen wurde, und somit eine Tuberkulose, die er sich 1942 oder im Januar 1943 zugezogen hätte, im Jahre 1954 ebenso "etwa zehn Jahre" alt gewesen wäre wie eine 1945 entstandene; dass der Kläger eine Nacht in einem Lazarett neben einem Lungentuberkulosekranken verbracht habe, sei nicht belegt; er habe dies erstmalig in diesem Verfahren, über 50 Jahre nach Kriegsende vorgebracht; anlässlich des in den 50-er Jahren geführten Rechtsstreites um die Lungenschädigung sei davon beispielsweise nicht die Rede gewesen; es sei fraglich, ob diese Angabe nach § 15 KOV-VFG glaubhaft erscheine; im Übrigen sei es nicht unbestritten, dass sei; belastende Faktoren, die zu der Tuberkulose geführt haben könnten, bestanden auch noch nach dem Krieg.

In der mündlichen Verhandlung nahm der Kläger hinsichtlich des als SF geltend gemachten Ohrenleidens und der Abnutzungserscheinungen des rechten Beines sowie der Wirbelsäule die Berufung gegen den angefochtenen Gerichtsbescheid zurück.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 01.09. 1999 sowie den Bescheid vom 23.04.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1997 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 22.07.1982 sowie die einschlägigen früheren Bescheide zurückzunehmen und als weitere Schädigungsfolge "Zustand nach Lungen-Tbc mit Leistungseinschränkungen der Lunge" anzuerkennen und Versorgung nach einer MdE von 100 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 01.09.1999 zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen wurden die Versorgungs- und Schwerbehindertenakten des Klägers beim Amt für Versorgung und Familienförderung Augsburg, die Akten des Sozialgerichts Augsburg, Az.: KB. 964/1958, S 10 V 272/68, S 10 V 62 und 63/73, S 10 V 112/78, S 8 Vs 115/84, S 10 Vs 172/86, S 10 V 175/86, S 10 V 26/93 und S 11 V 1/98 sowie die Akten des Bayer. Landessozialgerichts, Az.: L 15 V 68/87 und L 15 V 76/93.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren des Beklagten und des Sozialgerichts wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und § 543 der Zivilprozessordnung auf den angeführten Beweismittel, hinsichtlich des Sachverhalts im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Berufungsakten nach § 136 Abs.2 SGG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers (§§ 143 ff., 151 SGG) ist nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 01.09.1999 und der ihm zugrunde liegende Bescheid des Beklagten vom 23.04.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1997 sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 44 SGB X auf Rücknahme des bereits vom Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 09.04.1959 (Az.: KB.964/58) bestätigten Bescheides vom 09.04.1958 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.10.1958 und der danach ergangenen weiteren Bescheide, mit denen die Anerkennung eines Lungenleidens als SF nach dem BVG abgelehnt wurde. Insbesondere sind keine neuen Tatsachen oder konkreten Anhaltspunkte behauptet oder erwiesen, welche die Erteilung eines neuen, den Kläger begünstigenden Bescheides, rechtfertigen könnten.

Die Überprüfung des bisher abgelehnten Lungenleidens des Klägers im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Bescheides vom 09.04.1958 und der nachfolgenden Ablehnungsbescheide weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist (§ 44 Abs.1 SGB X). Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch darauf, dass diese Verwaltungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden; ebenso scheidet eine Rücknahme für die Zukunft aus. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass die Lungenkrankheit des Klägers durch Einwirkungen des Wehrdienstes oder unmittelbare Kriegseinwirkungen verursacht worden ist.

So hat bereits das Sozialgericht Augsburg im Urteil vom 09.04. 1959 darauf hingewiesen, dass der ärztliche Sachverständige Dr.D ... - ebenso wie alle früheren Gutachter - keinen Stecksplitter in der Lunge feststellen konnte; sonstige Anzeichen einer abgelaufenen Lungenverwundung seien ebenfalls nicht vorhanden gewesen. Wenn der Kläger in dem nunmehr anhängigen Berufungsverfahren erstmals vorträgt, eine Nacht in einem Bett neben dem Bett eines Lungentuberkulosekranken verbracht und sich dadurch möglicherweise infiziert zu haben, so ist dieses Vorbringen durch nichts belegt. Insbesondere hat er in dem Verfahren vor dem Sozialgericht Augsburg aus dem Jahre 1958 bzw. in Anträgen auf Versorgung aus der Zeit nach Kriegsende nie diese Begründung gebracht; auch in den vielen Rechtsstreiten danach war davon nie die Rede. Abgesehen davon, dass Dr.Lo ... in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.09.2000 eine derartige Infektion für unwahrscheinlich erachtet, hält der Senat diese Angabe im Rahmen des § 15 KOV-VFG nicht für glaubhaft (vgl. hierzu BSG, 13.12.1994, 9/9a RV 9/92 = SozR 3-3100 § 5 Nr.2); im Übrigen bezieht sich der Kläger in der Schilderung seiner Lebensgeschichte vom 24.01.2000 auf Seite 7 auf einen Sanitäter im Lazarett, der ihm von dem Tuberkulosekranken und dessen Versterben berichtet habe; Angaben über die Person des Sanitäters, den an Tbc angeblich Verstorbenen oder über behandelnde Ärzte kann er nicht machen, obwohl seine Lebensgeschichte sonst zum Teil umfangreiche Details enthält.

Im Übrigen zeigen die von der Klageseite vorgebrachten Argumente bestenfalls Möglichkeiten einer während des Wehrdienstes erfolgten Tbc-Infektion auf, begründen jedoch nicht die im Versorgungsrecht erforderliche Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlichkeit im versorgungsrechtlichen Sinne liegt vor, wenn unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie der wesentlichen Bedingung sind Ursachen dabei alle Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg oder zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Dabei ist es zur Begründung des Schädigungszusammenhanges genügend, wenn die versorgungsrechtlich relevanten Umstände neben anderen Bedingungen nach ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind. Zu Recht weist deshalb die Versorgungsärztin Dr.Lo ... in ihrer Stellungnahme vom 20.03.2000 darauf hin, Tuberkulose sei früher eine häufige Erkrankung gewesen; wann der offenbar klinisch unbemerkt verlaufene, im Jahre 1953 als wenig ausgedehnte inaktive narbige Veränderung im linken Oberfeld festgehaltene Primärinfekt ablief, sei völlig offen; belegt sei, dass der Kläger vor dem Krieg eine mit Staubbelastung einhergehende Tätigkeit im Bergbau ausübte; geringe inaktive Lungentuberkuloseherde seien sicher kein Ausschlusskriterium vom Kriegsdienst gewesen, geringe indurierte inaktive spezifische Veränderungen wurden und werden zum Teil bei kurzen Lungenbefunden gar nicht erwähnt; beim Kläger hätten nach seinen eigenen Angaben 1946 bei der Aussiedlung und kurz darauf nochmals Lungendurchleuchtungen stattgefunden; 1950 seien alle drei Monate im Rahmen von Werksuntersuchungen Durchleuchtungen vorgenommen worden; bei all diesen Untersuchungen sei kein auffälliger Befund mitgeteilt worden; auch 1954 sei beim Kläger im Rahmen einer dreiwöchigen stationären Beobachtung wegen Bluthustens (DD: Auswurf von im Rachen herabgelaufenem Nasenbluten) keine aktive Lungentuberkulose festgestellt worden, auch nicht bei den häufigen Nachkontrollen bis Juni 1956; erst im August 1954 seien dann Beschwerden, wie allgemeines Unwohlsein, Husten, Auswurf und Gewichtsverlust aufgetreten, im Dezember 1957 sei eine akute kavernöse Lungentuberkulose festgestellt worden; für die Reaktivierung der bis dahin inaktiven Lungentuberkulose könnten sicher nicht mehr Kriegsfolgen verantwortlich gemacht werden. Diese medizinische Beurteilung überzeugt den Senat und ist bislang durch objektive Befunde nicht in Frage gestellt.

Auch die übrigen Argumentationen der Klageseite, insbesondere zum Zeitpunkt der Infektion oder ihres möglichen Erkennens, sind aufgrund des zwischenzeitlich über 50-jährigen Zeitraums und fehlender medizinischer Befunde reine Spekulation; bestenfalls zeigen sie lediglich Möglichkeiten auf und sind damit nicht geeignet, die gutachterlichen Feststellungen in Frage zu stellen. Im Übrigen hat der Beklagte durch Vorlage der verschiedenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Dr.Lo ... im Berufungsverfahren überzeugend die Einwände der Klageseite entkräftet, so dass für den Senat auch unter diesem Gesichtspunkt kein Anlass zu einer weiteren medizinischen Aufklärung des Sachverhaltes von Amts wegen bestand.

Insgesamt hat das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren nichts erbracht, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidungen sprechen könnte, so dass sich die Verwaltung zu Recht auf die Bindungswirkung bisheriger Entscheidungen berufen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (vgl. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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