L 18 V 25/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 V 43/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 25/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.07.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger eine Pflegezulage nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.

Bei dem am 1923 geborenen Kläger sind mit Bescheid des Beklagten vom 07.11.1974 als Schädigungsfolgen iS der Entstehung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vH anerkannt: 1. Grundgelenksnaher Verlust des 3. bis 5. Fingers und Teilverlust des 1./2. Fingers der linken Hand sowie Endglieddeformierungen des 3./4. Fingers der rechten Hand 2. nach Erfrierung Verlust des rechten Vorfußes sowie Teilverlust aller Zehen des linken Fußes im Bereich der Grundglieder nach Erfrierung.

Der Beklagte lehnte einen Antrag des Klägers vom 17.04.1998 auf Gewährung von Pflegezulage nach Beiziehung eines Pflegegutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 31.07.1998 und Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme mit Bescheid vom 28.09.1998 ab. Den Widerspruch des Klägers wies er nach Beiziehung eines weiteren Pflegegutachtens vom 08.10.1998 mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.1999 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat der vom Sozialgericht (SG) Nürnberg mit Aktenlagegutachten vom 02.02.2000 gehörte Dr.F.O. die Hilflosigkeit des Klägers überwiegend auf versorgungsfremde Hirndurchblutungsstörungen und wiederholt erlittene Schlaganfälle zurückgeführt. Das SG ist Dr.F.O. gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 06.07.2000 abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, er benötige zur Fortbewegung einen Gehstock, den er mit der (noch voll gebrauchsfähigen) rechten Hand führe. Im Falle eines drohenden Sturzes habe er keine Hand mehr zu Absicherung bzw Abwendung des Sturzes. Er könne sich somit nicht allein fortbewegen, da die Gefahr eines Sturzes wegen der umfangreichen Schädigungsfolgen im Bereich der Füße stets gegenwärtig sei.

Der Senat hat das Gutachten des MDK vom 02.05.2001 beigezogen, das nunmehr die Voraussetzungen für die Gewährung der Pflegestufe I der Pflegeversicherung bejahte. Der Beklagte hat im Hinblick auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr.K.P. vom 30.11.2001 daran festgehalten, dass die Schädigungsfolgen keine wesentliche Ursache für die Pflegebedürftigkeit des Klägers darstellten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg vom 06.07.2000 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.11.1999 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen der Pflegezulage auf den Antrag vom 17.04.1998 hin zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.07.2000 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Beschädigtenakten und die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Archivakte des Bayer. Oberversicherungsamts Nürnberg IV 19053/52, die Archivakten des SG Nürnberg S/V 716/57, S 11/V 243/71, S 4/V 124/74, S 7/V 0061/87 und S 9 P 49/99, die Archivakte des Bayer. Landessozialgerichts (BayLSG) L 7 P 18/00 sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Pflegezulage.

Gemäß § 35 Abs 1 Sätze 1 und 2 BVG wird eine Pflegezulage der Stufe I monatlich gezahlt, solange der Beschädigte infolge der Schädigung hilflos ist. Hilflos iS des Satzes 1 ist der Beschädigte, wenn er für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf.

Die Hilflosigkeit muss durch die Folgen der Schädigung verursacht sein. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie ausschließlich oder überwiegend auf eine Schädigungsfolge zurückzuführen ist. Es genügt, dass für den Eintritt der Hilflosigkeit die Schädigungsfolgen eine annähernd gleichwertige Bedeutung gegenüber anderen Gesundheitsstörungen haben (Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz -AHP- 1996 S 199 Abs 3).

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage lagen zur Überzeugung des Senats weder zum Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 1998 noch zu einem späteren Zeitpunkt vor. Aus dem Gutachten nach Aktenlage des Dr.F.O. vom 02.02.2002 und den Pflegegutachten des MDK vom 31.07.1998, 08.10.1998 und 02.05.2001, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, ergibt sich in nachvollziehbarer Weise, dass die Schädigungsfolgen für den Eintritt der Hilflosigkeit keine auch nur annähernd gleichwertige Bedeutung haben. So haben bis Mai 2001 schon die Voraussetzungen für die Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung (Sozialgesetzbuch -SGB- XI) nach der Pflegestufe I - unabhängig von der Ursache der Leiden - nicht bestanden, wie sich aus dem rechtskräftigen Urteil des SG Nürnberg vom 13.03.2001 (Az: S 9 P 49/99) ergibt. Der Kläger hatte die Berufung gegen dieses Urteil vor dem BayLSG am 09.11.2000 zurückgenommen, nachdem der dortige Senat ihn darauf hingewiesen hatte, dass sein Hilfebedarf allein im Bereich der Grundpflege nicht die erforderlichen 45 Minuten täglich erreicht. Zur Grundpflege nach dem SGB XI gehören - wie auch in § 35 BVG gefordert - die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens im Bereich der Körperpflege (vgl § 15 Abs 3 SGB XI). Schon der für die Grundpflege erforderliche Zeitaufwand von weniger als 45 Minuten macht deutlich, dass auch nicht annähernd gleichwertig im Zusammenwirken mit den Schädigungsfolgen eine Pflegebedürftigkeit iS des § 35 BVG begründet werden kann. Nach § 35 BVG muss der Umfang des Pflegebedarfs erheblich sein (vgl AHP Nr 21 Abs 4).

Hieran fehlt es vorliegend. So war bei der Untersuchung durch Dr.F.O. beim Kläger eine Beweglichkeit der oberen und unteren Extremitäten vorhanden, die es ihm ermöglichte, in seinem eigenen häuslichen Bereich noch weitgehend selbstständig Verrichtungen vorzunehmen. So war es ihm möglich, sich in der Wohnung - wenngleich unter Einschränkungen - noch selbstständig zu bewegen und die oberen Extremitäten zeigten keine höhergradigen Bewegungs- und Funktionseinschränkungen, auch der Nacken- und Schürzengriff waren noch vollständig möglich. Daraus ergibt sich schlüssig, dass im Bereich der Körperpflege dem Kläger wesentliche Verrichtungen im täglichen Ablauf entweder selber noch möglich waren oder lediglich einer Teilhilfe bedurften. Auch bei der Darm- und Blasenentleerung benötigte der Kläger grundsätzlich keine Hilfe und es war in der Vergangenheit zu unwillkürlichem Harnabgang nur selten gekommen. Der Kläger war auch in seinem häuslichen Bereich ausreichend orientiert.

Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen nicht zur Begründung der Hilflosigkeit (zB Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, notwendige Begleitung bei Reisen und Spaziergängen, Hilfe im Straßenverkehr - so AHP Nr 21 S 37). Auch müssen Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (zB im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) außer Betracht bleiben (aaO).

Der erkennende Senat lässt es dahingestellt, ob für die Annahme von Hilflosigkeit ein schädigungsbedingter Hilfebedarf von wenigstens zwei Stunden vorliegen muss (so Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vom 3./4.11.1999, Punkt 2.1.1). Jedenfalls liegt nach Auffassung des Senats keine Hilflosigkeit iS des § 35 BVG vor, wenn - so wie im Recht der sozialen Pflegeversicherung - die Grundpflege (vgl § 14 Abs 4 Nnr 1-3 SGB XI: Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität) nicht wenigstens einen Zeitaufwand von 45 Minuten erfordert.

Aber auch ab Mai 2001, dem Zeitpunkt der Bejahung der Voraussetzungen der Pflegestufe I nach der sozialen Pflegeversicherung liegen die Voraussetzungen für eine Pflegezulage nach dem BVG nicht vor. Die Hilflosigkeit des Klägers ist nämlich nicht überwiegend und auch nicht annähernd gleichwertig auf die anerkannten Schädigungsfolgen zurückzuführen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des MDK vom 02.05.2001 und aus der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr.K.P. vom 30.11.2001, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet. Danach besteht beim Kläger neben den anerkannten Schädigungsfolgen schädigungsunabhängig ein Zustand nach Apoplex mit Hirnleistungsstörungen und Seitenschwäche links sowie ein Diabetes mellitus mit Polyneuropathie. Zwar benötigt der Kläger jetzt beim Waschen und Kleiden, Ernähren und Ausscheiden eine zusätzliche Fremdhilfe, diese ist aber nicht wenigstens gleichwertig durch die anerkannten Schädigungsfolgen bedingt. Die schädigungsbedingten Behinderungen der linken Hand haben kein Ausmaß der Funktionseinbuße zur Folge, das zumindest annähernd gleichwertig im Zusammenwirken mit den schädigungsfremden Behinderungen einen erheblichen Pflegeaufwand erforderlich machen würde. Die Nicht-Schädigungsfolgen haben sich erkennbar verschlimmert, wohingegen die Schädigungsfolgen sich in ihrem Ausmaß nicht verändert haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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