L 15 V 21/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 9 V 18/93
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 V 21/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Anforderungen an die rückwirkende Neuberechnung der
einkommensabhängigen Leistungen einschließlich Rückforderung des
Überzahlungsbetrages (hier: wegen unzutreffender Verneinung des Erhalts von
Bausparzinsen im Einkommensfragebogen).
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 29.11.1996 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 26.01.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.03. 1993 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist es streitbefangen, ob der Beklagte die einkommensabhängigen Leistungen der zwischen dem 08.12. und 10.12.1997 verstorbenen ... (K.) ab 01.01.1984 zu Recht neu berechnet und die festgestellte Überzahlung in Höhe von DM 5.026,- zurückgefordert hat.

K. hat nach ihrem am 19.05.1946 verstorbenen Ehemann Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bezogen (Grundrente lt. Bescheid vom 28.11.1952; Ausgleichsrente lt. Bescheid vom 30.06.1969; Schadensausgleich lt. Bescheid vom 05.08.1970). Mit Bescheid vom 19.09.1983 gewährte ihr der Beklagte eine Kapitalabfindung in Höhe von DM 30.024,- zum Zwecke der Auffüllung eines Bausparvertrages, die er an die Bausparkasse Wüstenrot überwies. In den folgenden Einkommensfragebögen vom 07.02.1984, vom 24.07.1986, vom 06.02.1989 und vom November 1989 verneinte K. jeweils den Erhalt von Bausparzinsen. Im Einkommensfragebogen vom 24.07.1986 gab sie allerdings an, nunmehr Eigentümerin eines Einfamilienhauses mit einem Einheitswert von DM 7.400,- zu sein. Im Einkommensfragebogen vom November 1991 gab sie erstmals an, DM 1.207,97 an Zinsen aus ihren Bausparverträgen erhalten zu haben. Im Anschluß daran forderte der Beklagte ihre Kontoauszüge der Bausparkasse Wüstenrot an und stellte fest, die hieraus erzielten Zinsen hätten ab 01.01.1984 über dem Freibetrag gelegen und seien damit anrechenbares Einkommen. Nach Anhörung der Klägerin nahm er daraufhin mit Bescheid vom 26.01.1993 seine Bewilligungsbescheide mit Wirkung ab 01.01. 1984 zurück und rechnete die Bausparzinsen der K. sowohl auf die Ausgleichsrente als auf den Schadensausgleich rückwirkend an. Er stützte sich dabei auf die §§ 45 und 48 des Sozialgesetzbuchs - Zehntes Buch - (SGB X) und stellte fest, die Klägerin habe den insgesamt zuviel gezahlten Betrag in Höhe von DM 5.026,- nach § 50 SGB X zu erstatten.

In ihrem Widerspruch hiergegen brachte die K. vor, sie habe die Anrechenbarkeit der Zinseinkünfte nicht gekannt und ihr hätten diese Einkünfte auch nicht tatsächlich zur Verfügung gestanden. Sie genieße daher Vertrauensschutz, so daß eine rückwirkende Anrechnung nicht gerechtfertigt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.1993 wies der Beklagte dieses Vorbringen als unbehelflich zurück.

In ihrer Klage zum dagegen angerufenen Sozialgericht Landshut hat K. im wesentlichen vorgebracht, die Anrechnung von Zinsen aus einer Kapitalabfindung sei unzulässig und der Beklagte habe zudem die Jahresfrist aus § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X versäumt, weil er keine Nachforschungen über die Höhe der Zinseinkünfte angestellt habe.

Mit Urteil vom 29. November 1996 hat das Sozialgericht die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten insoweit aufgehoben, als eine Zinsanrechnung von Januar 1984 bis Februar 1993 vorgenommen worden sei. In den Urteilsgründen ist es davon ausgegangen, daß die Anrechnung von Zinseinkünften auf die einkommensabhängigen Leistungen zwar zulässig sei, der Beklagte jedoch die Jahresfrist nach § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X versäumt habe. Der Beklagte hätte aufgrund der gewährten Kapitalabfindung nämlich wissen müssen, daß die K. Bausparzinsen erziele, was für den Fristbeginn ausreiche. Auch eine schuldhafte Unkenntnis des Beklagten reiche im übrigen aus, die Frist in Lauf zu setzen, so daß eine rückwirkende Neuberechnung unzulässig sei.

Seine dagegen eingelegte Berufung hat der Beklagte im wesentlichen damit begründet, daß er erst mit Eingang des Einkommensfragebogens am 27.01.1992 Kenntnis von Zinseinkünften erlangt habe und mit Eingang der Kontoauszüge der Bausparkasse am 24.02.1992 von deren Höhe. Erst ab Februar 1992 habe daher die Jahresfrist des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X zu laufen begonnen, so daß der Bescheid vom 26.01.1993 noch innerhalb dieser Frist ergangen sei. Ein bloßes "Erkennenkönnen" reiche nicht aus, die Frist in Gang zu setzen und der Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, über die Einkommensfragebögen hinaus weitere Nachforschungen anzustellen. In diesen Einkommensfragebögen habe die K. jedoch den Bezug von Bausparzinsen stets verneint, so daß ihr auch kein Vertrauensschutz zustehe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lanshut vom 29.11.1996 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 26.01.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.03.1993 abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 29.11.1996 zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Versorgungsakten des Beklagten sowie die Akte des vorangegangenen Sreitverfahrens vor dem Sozialgericht Landshut. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den gesamten übrigen Inhalt diese Akten sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft; einer Zulassung der Berufung nach § 144 Abs.1 Satz 1 SGG i.d.F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.01.1993 hat es im Hinblick auf Satz 2 dieser Vorschrift nicht bedurft. Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG), damit insgesamt zulässig und erweist sich auch als begründet.

Nach § 45 Abs.1 SGB X darf ein begünstigender, rechtswidriger Verwaltungsakt auch nach seiner Unanfechtbarkeit unter den Einschränkungen der Abs.2 bis 4 ganz- oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Nach § 45 Abs.2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die er- forderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße ver letzt hat.

Nach § 45 Abs.3 Satz 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn 1. die Voraussetzungen des Abs.2 Satz 3 Nr.2 oder 3 gegeben sind oder 2. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.

Nach § 45 Abs.4 SGB X wird nur in den Fällen des Abs.2 Satz 3 und Abs.3 Satz 2 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muß dies nach § 45 Abs.4 Satz 2 innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Rechtsgrundlage für die Anrechnung von Kapitalerträgen auf die einkommensabhängigen Leistungen ist § 14 Abs.1 der Ausgleichsrentenverordnung i.V.m. § 12 der Berufsschadensausgleichsverordnung und § 1 Abs.3 Ziff.2 der Ausgleichsrentenverordnung.

Auf Vertrauen im Sinne des § 45 Abs.2 Satz 2 hat sich die K. nicht berufen können, da die Leistungsgewährung des Beklagten auf Angaben beruht hat, die K. grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hatte (§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X). In den Einkommensfragebögen vom 07.02.1984, vom 24.07. 1986, vom 06.02.1989 und vom November 1989 hatte sie nämlich jeweils den Bezug von Bausparzinsen ausdrücklich verneint, obwohl ihr die Zinsen regelmäßig gutgeschrieben worden sind. Keine Rolle spielt es dabei, ob ihr diese Erträge zum Lebensunterhalt zur Verfügung gestanden haben oder lediglich auf dem Bausparkonto gutgeschrieben worden sind, da die Frage der Anrechenbarkeit durch den Beklagten zu überprüfen ist und der Versorgungsberechtigte durch seine Unterschrift bestätigt, daß seine Angaben richtig und vollständig sind. Inwieweit der Beklagte noch darüber hinaus weitere Ermittlungen hätte anstellen müssen, ist nicht nachvollziehbar. Dem Sozialgericht kann insoweit nicht gefolgt werden, da allein die Gewährung einer Kapitalabfindung nicht hierzu verpflichtet und die K. im übrigen durch die Vorlage des Einheitswertbescheides vom 11.07.1985 die Verwendung von Bausparguthaben dargetan hat, und damit auch möglicherweise die Verwendung der Kapitalabfindung. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob ein "Kennenmüssen" des Beklagten die Anwendung von § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X ausgeschlossen hätte, da jedenfalls kein Anlaß dafür bestanden hat, weitere Nachforschungen anzustellen. In der Person der K. liegende Umstände, die etwa ein grob fahrlässiges Verschweigen ihrer Bausparzinsen ausschließen würden, sind weder dargetan noch erkennbar.

Da sohin ein Vertrauensschutz nach § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X ausgeschlossen ist, hat der Beklagte seine entsprechenden Bewilligungsbescheide nach § 45 Abs.3 Satz 3 Nr.1 SGB X bis zum Ablauf von 10 Jahren zurücknehmen können.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der Beklagte auch die Jahresfrist des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X nicht versäumt, weil er positive Kenntntis von den Zinserträgen der K. erst mit Eingang der Kontoauszüge der Bausparkasse Wüstenrot am 24.02.1992 erlangt hat. Dies gilt insbesondere deshalb, weil im Hinblick auf den Freibetrag aus § 11 Abs.2 der Ausgleichsrentenverordnung auch die Kenntnis von der Höhe der Zinseinkünfte erforderlich ist und der Bescheid vom 26.01.1993 damit noch innerhalb der Jahresfrist liegt. Wenn das Sozialgericht hierzu die Auffassung vertreten hat, durch eine schuldhafte Unkenntnis des Beklagten von den Zinseinkünften sei die Frist verstrichen gewesen, ist hierzu auf das zum Vertrauensschutz Gesagte zu verweisen und ist insbesondere kein Zeitpunkt erkennbar und vom Sozialgericht dargetan, ab dem die Frist aus § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X etwa zu laufen begonnen haben könnte.

Auch soweit der Beklagte seinen Bescheid zugleich auf § 48 SGB X gestützt hat, ist dies nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift ist bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs.1 Satz 1 SGB X); mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung kann dies jedoch erfolgen, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB X). Auch diese Voraussetzungen liegen im Ergebnis vor, wobei der Beklagte hinreichende Ermessenserwägungen dazu angestellt hat, warum er im vorliegenden Fall eine Korrektur der früheren Bescheide (§ 45 SGB X) für geboten gehalten hat. Die Neufeststellung mit Rückwirkung (§ 48 SGB X) betraf keinen atypischen Fall, so daß insoweit Ermessenserwägungen nicht veranlaßt waren (vgl. BSG SozR 1300 Nr.22 zu § 48 SGB X)

Die angefochtenen Bescheide sind daher im Ergebnis nicht zu beanstanden, so daß auf die Berufung des Beklagten das sozialgerichtliche Urteil aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG sowie dem Umstand, daß die Klage ohne Erfolg geblieben ist.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 udn 2 SGG liegen nicht vor, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch der Senat von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht.
Rechtskraft
Aus
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