L 18 VS 16/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 VS 71/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 VS 16/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Nachweis der unzweifelhaften Unrichtigkeit eines als
Wehrdienstbeschädigung im Wege der Kannversorgung anerkannten Morbus Bechterew
Leidens (Fortführung BSG SozR 1300 § 45 Nr 41)
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.07.2000 wird in Ziffer II. dahingehend abgeändert, dass der Beklagte verurteilt wird, die Gesundheitsstörung Morbus Bechterew als Kannversorgung im Sinne der Entstehung anzuerkennen und Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 60 vH zu gewähren.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob beim Kläger ein Morbus Bechterew (MB) als Wehrdienstbeschädigung (WDB) im Sinne der Entstehung anzuerkennen und Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vH zu gewähren ist.

Der am ...1944 geborene Kläger war vom 07.01.1963 bis 30.09.1993 Soldat der Bundeswehr. Mit WDB-Blatt vom 05.05.1989 machte er geltend, seine seit ca 15 Jahren bestehende Erkrankung an MB habe einen erheblich ungünstigeren Verlauf genommen, weil die Ärzte der Beigeladenen diese erst am 18.11.1988 diagnostiziert hätten. Die Beigeladene lehnte nach Einholung einer Stellungnahme des Oberfeldarztes K ... vom 13.12.1989 die Gewährung eines Ausgleichs mit Bescheid vom 19.02.1990 mit der Begründung ab, die Erkrankung MB erreiche keinen Grad der MdE von wenigstens 25 vH. Auf die Beschwerde des Klägers holte die Beigeladene ein Gutachten des Prof.Dr.M.Sch ... von der Rheuma-Einheit der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 03.12.1990 ein. Dieser bejahte die Gewährung einer Kannversorgung wegen einer bis 1987 eher milde verlaufenen, seit 1987 aber deutlich progredienten Spondylitis ankylosans. Daraufhin anerkannte die Beigeladene mit Beschwerdebescheid vom 22.05.1991 einen MB als WDB und gewährte Ausgleich nach einer MdE um 40 vH für die Zeit vom 01.11.1988 bis 28.02.1990 und nach einer MdE um 60 vH ab 01.03.1990.

Einen Antrag auf Beschädigtenversorgung vom 26.05.1993 lehnte der Beklagte nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 17.01.1996 mit der Begründung ab, die Gesundheitsstörung MB sei unzweifelhaft nicht Folge einer WDB und die Beigeladene habe die Kannversorgung nach § 81 Abs 6 Satz 2 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) zu Unrecht anerkannt. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.07.1996).

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Kläger die Anerkennung der Erkrankung MB als WDB ab 01.10.1993 und Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 60 vH begehrt. Das SG hat Befundunterlagen des Klägers beigezogen und ein Gutachten des Internisten Dr.H.M ... nach Aktenlage gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 19.03.1998/ 13.05.1999 eingeholt. Dieser hat die Auffassung vertreten, die Anerkennung des MB im Jahr 1991 sei insoweit zweifelsfrei unrichtig gewesen, als sie in keinem Fall mit Wahrscheinlichkeit durch eine dienstliche Schädigung verursacht worden sei und ebenso die medizinischen Voraussetzungen einer Kannversorgung nicht vorgelegen hätten bzw auch jetzt nicht vorlägen. Bei unverändertem Wortlaut der anerkannten Gesundheitsstörung MB und einer Anerkennung iSd Verschlimmerung betrage der Verschlimmerungsanteil ab Oktober 1993 30 vH. Diesem Vorschlag hat sich der Chirurg und Versorgungsarzt Dr.K.P ... angeschlossen (Stellungnahme vom 17.04.1998). Der gemäß § 109 SGG nach Aktenlage gehörte Dr.A.Pi ... (Krankenhaus M ...) hingegen hat in seinem Gutachten vom 09.12.1998 unter Berufung auf Prof.Dr.D ... (Paris) den militärischen Dienst genügen lassen, um einen MB iSd Entstehung oder der Verschlimmerung auszulösen. Er hat die Erkrankung mit einer MdE um 50 bis 60 vH ab Oktober 1993 bewertet.

Ein Teilanerkenntnis des Beklagten, mit Wirkung ab 01.10.1993 einen MB iSd Verschlimmerung als WDB mit einer MdE um 30 vH anzuerkennen, hat der Kläger nicht angenommen.

Das SG hat mit Urteil vom 12.07.2000 den Bescheid vom 17.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.07.1996 aufgehoben und den Beklagten gemäß seinem Teilanerkenntnis verurteilt, ab 01.10.1993 als Folge einer WDB iSd Verschlimmerung "Morbus Bechterew" anzuerkennen und Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 30 vH zu gewähren. Es hat angenommen, die Beigeladene habe unzweifelhaft zu Unrecht die Gesundheitsstörung MB im Rahmen der Kannversorgung als Folge einer WDB iSd Entstehung anerkannt und mit einer MdE um 60 vH bewertet. Es lägen jedoch die Voraussetzungen für die Anerkennung des MB als Folge einer WDB iSd Verschlimmerung vor. Denn aufgrund der erst mit großer zeitlicher Verzögerung im Jahr 1988 erfolgten Diagnosestellung und der erst daraufhin eingeleiteten Bewegungstherapie habe das Leiden beim Kläger einen ungünstigeren Verlauf genommen, als dies bei rechtzeitiger Diagnosestellung wahrscheinlich der Fall gewesen wäre. Spätestens ab 1990 könne nach der Beurteilung des Sachverständigen Dr.M ... die weitere Entwicklung des MB nicht mehr auf eine verspätete Bewegungstherapie zurückgeführt werden.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und Beschädigtenversorgung nach einer MdE von 60 vH wegen eines MB iSd Entstehung, hilfsweise der Verschlimmerung begehrt. Er hat im Hinblick auf das Gutachten des Sachverständigen Dr.A.Pi ... bestritten, dass unzweifelhaft feststehe, dass die Gesundheitsstörung nicht Folge einer Schädigung sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg vom 12.07.2000 abzuändern und die Gesundheitsstörung MB als Kannversorgung iSd Entstehung anzuerkennen und Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 60 vH zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 12.07.2000 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Beschädigtenakte und Schwerbehindertenakte des Beklagten, die WDB Akte und Beschwerdeakte des Beigeladenen und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Weitergewährung von Beschädigtenversorgung in dem von der Beigeladenen festgestellten Umfang.

Ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, erhält gemäß § 80 Satz 1 SVG nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). WDB ist eine gesundheitliche Schädigung, die ua durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG).

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer WDB genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer WDB erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung die Gesundheitsstörung als Folge einer WDB anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden. Eine Anerkennung nach den Sätzen 1 und 2 und hierauf beruhende Verwaltungsakte können mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn unzweifelhaft feststeht, dass die Gesundheitsstörung nicht Folge einer WDB ist; erbrachte Leistungen sind nicht zu erstatten (§ 81 Abs 6 SVG).

Der Bundesminister für Verteidigung führt den Ausgleich für WDB (§ 85 SVG) bei Behörden der Bundeswehrverwaltung durch. Im Übrigen wird der Dritte Teil des SVG von den zur Durchführung des BVG zuständigen Behörden im Auftrag des Bundes durchgeführt (§ 88 Abs 1 Sätze 1 und 2 SVG).

Die bekanntgegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung über das Vorliegen einer Gesundheitsstörung iSd § 81 Abs 6 Satz 2 SVG ist für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich (§ 88 Abs 3 Satz 1 SVG).

Die in § 88 Abs 3 SVG angeordnete Bindung der Versorgungsverwaltung an Entscheidungen der Wehrverwaltungen umfasst auch die für eine Ausgleichsleistung festgestellte MdE (BSG SozR 3-3200 § 88 Nr 2). Der Beklagte ist hieran gebunden, weil nicht unzweifelhaft iSd § 81 Abs 6 Satz 3 SVG feststeht, dass die Gesundheitsstörung MB nicht Folge einer WDB ist.

§ 81 Abs 6 Satz 3 SVG stellt eine Spezialregelung dar, die die im Sozialrecht sonst zu beachtende Vorschrift des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verdrängt (BSG SozR 1300 § 45 Nr 41 mwN). Sie ermächtigt dazu, Bescheide über die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen für die Vergangenheit und Zukunft aufzuheben oder sich auf ihre Rechtswidrigkeit zu berufen, wenn sie zweifelsfrei fehlerhaft sind (BSG aaO). Diese Norm setzt somit der Feststellung der Rechtswidrigkeit des entsprechenden Verwaltungsaktes Grenzen. Die besondere Rücknahmebefugnis des § 81 Abs 6 Satz 3 SVG für den Fall einer unzweifelhaft falschen Feststellung der Ursächlichkeit zwischen einer Schädigung und einer Gesundheitsstörung kommt nur dann zur Anwendung, wenn jede, auch fernliegende Möglichkeit, es könne anders sein, ausgeschlossen erscheint (BSG SozR 3100 § 1 Nr 41 mwN und Rohr/Strässer, Kommentar zum BVG, § 1 K 101). Davon kann vorliegend nicht die Rede sein. Sogar wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit des Beschwerdebescheides vom 22.05.1991 spräche, ist damit die Möglichkeit eines durch den Wehrdienst verursachten Leidens nicht vollständig ausgeräumt.

Der Senat geht davon aus, dass die Anerkennung der Gesundheitsstörung MB im Wege der Kannversorgung iSd Entstehung erfolgt ist. Zwar kann dem Beschwerdebescheid vom 22.05.1991 nicht entnommen werden, dass die Beigeladene die Gesundheitsstörung MB im Wege der Kannversorgung iSd Entstehung anerkannt hat, jedoch ergibt sich aus damaligen Verwaltungsabläufen, den medizinischen Unterlagen in der WDB-Akte und der Beschwerdeakte, dass die Beigeladene einen MB iSd Kannversorgung iSd Entstehung anerkannt wissen wollte. Die Gewährung eines Ausgleichs hatte die Beigeladene zunächst mit Bescheid vom 19.02.1990 mit der Begründung abgelehnt, die Gesundheitsstörung MB erreiche keine MdE von wenigstens 25 vH. In der gutachtlichen Stellungnahme des Oberfeldarztes K ... vom 13.12.1989 wurde der Beginn der Bechterew schen Erkrankung in den April 1963 gelegt und - da die Grundausbildung des Klägers bis 31.03.1963 gedauert hatte - im Hinblick auf den "Grundausbildungserlass" die Voraussetzungen für eine Kannversorgung gemäß den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) 1983 S 258, Ziff 139, Abs 2d als erfüllt angesehen. Nachdem der von der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren gehörte Prof.Dr.M.Sch ... (ebenfalls) die Voraussetzungen für eine Kannversorgung bejaht und die MdE hierfür mit 60 vH eingeschätzt hatte, erfolgte die Anerkennung des MB als WDB iSd § 81 SVG.

Während die Gutachten des Prof.M.Sch ... und des Dr.A.Pi ... eine Kannversorgung iSd Entstehung bzw andauernden Verschlimmerung bejahen, wird diese von dem Sachverständigen Dr.M ... und dem Versorgungsarzt Dr.K.P ... nurmehr iSd der einmaligen, abgrenzbaren Verschlimmerung bejaht. Diese medizinische Sachlage lässt den Nachweis der unzweifelhaften Unrichtigkeit nicht zu. Der Kläger war - worauf bereits der Sachverständige Prof.Dr.M.Sch ... hingewiesen hat - während seiner Tätigkeit bei der Bundeswehr über 30 Jahre lang auch wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen - wie klimatischen Einflüssen, Nässe, Kälte und körperlichen Belastungssituationen - ausgesetzt. So ist insbesondere ein vom Kläger als schubauslösend angeschuldigter Leistungsmarsch bei ungünstigen Witterungsbedingungen dokumentiert. Derartige klimatische Belastungen sind in einem Zivilberuf zumindest in gleichem Ausmaß nicht zu finden (vgl Wilke/Sailer, Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar 7.Auflage, § 81 Rdnr 2). Dem Gutachten des Dr.H.M ... und der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr.K.P ... vom 17.04.1998 vermag der Senat nicht zu entnehmen, weshalb eine Anerkennung des MB im Wege der Kannversorgung iSd Entstehung unzweifelhaft unrichtig sein soll. Dieser Nachweis wird in aller Regel auch deshalb schwer zu erbringen sein, weil das Gesetz für Krankheiten, deren Ursache in der medizinischen Wissenschaft allgemein ungewiss ist - wie für den hier streitgegenständlichen MB (vgl AHP Nrn 39, 13 und 140) -, nicht einen Grad der Wahrscheinlichkeit fordert, sondern die (gute) Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs ausreichen lässt (so BSG SozR 3-3200 § 81 Nrn 3 und 13).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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