L 5 AR 28/02 RJ

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 763/99
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 AR 28/02 RJ
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Ablehnung des Vorsitzenden der 4. Kammer des Sozialgerichts München, Richter am Sozialgericht J. , wegen Besorgnis der Befangenheit ist unbegründet.

Gründe:

I.

Der Kläger und Antragsteller, selbständiger Handwerker, führt vor der 4. Kammer des Sozialgerichts München - SG - (Vorsitzender: Richter am Sozialgericht - RiSG - J.) gegen die Beklagte einen Rechtsstreit wegen der Befreiung von der Handwerkerversicherungspflicht (Bescheid vom 04.02.1999/Widerspruchsbescheid vom 30.03.1999). Streitig ist, ob ein entsprechender Antrag des Klägers rechtzeitig bis zum 31.12.1998 bei der Beklagten eingegangen ist bzw. ob die Beklagte dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewähren müssen (Klageschrift vom 23.04.1999/Schriftsatz vom 31.10.2001).

Nach Sachstandsanfragen des Klägers vom 22.10.1999, 12.04.2000 und 07.11.2000 hat das SG in öffentlicher Sitzung am 25.09.2001 die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen und die mündliche Verhandlung vertagt.

Mit Beweisanordnung vom 06.12.2001, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12.12.2001 zugestellt, hat RiSG J. weiteren Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 22.01.2002, 11.45 Uhr, bestimmt und das persönliche Erscheinen des Klägers sowie die Ladung der Sachbearbeiterin H. W. als Zeugin angeordnet.

Am 22.01.2002 gegen 11.50 Uhr hat eine Mitarbeiterin der Anwaltskanzlei H. bei der Geschäftsstelle des SG telefonisch mitgeteilt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers ca. zehn Minuten später zur Verhandlung kommen werde.

Ausweislich der Niederschrift vom 22.01.2002 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt H. , der Urkundsbeamtin des SG um 11.45 Uhr in Abwesenheit des Kammervorsitzenden - dieser hatte die Sitzung gerade in einer anderen Sache kurz unterbrochen - mitgeteilt, er könne nicht länger warten, die Vertagung des Termins beantragt und sich zusammen mit dem Kläger aus dem Sitzungssaal entfernt, obwohl ihm der Vorsitzende auf dem Flur noch erklärt hatte, dass der Termin nicht aufgehoben werde. Die Niederschrift enthält ferner einen Hinweis des Kammervorsitzenden auf § 192 SGG n.F.

Mit Beschlüssen vom 22.01.2002 hat das SG die mündliche Verhandlung erneut vertagt und gegen den Kläger ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 EUR wegen Nichterscheinens zum Termin festgesetzt.

Gegen den Ordnungsgeldbeschluss hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 06.02.2002 beim SG Beschwerde eingelegt. Mit Schreiben vom gleichen Tag hat er - im Namen des Klägers - RiSG J. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt: Der Richter habe nach Einreichung einer Klage vom 23.04.1999 am 25.09.2001, also etwa zwei Jahre und fünf Monate später, den ersten Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt; nach ca. vier Monaten "sei es ihm gelungen", einen weiteren Termin auf den 22.01. 2002, 11.45 Uhr, anzusetzen. Der Kläger sei pünktlich um 11.45 Uhr erschienen. Er selbst - der Bevollmächtigte - habe sich aufgrund eines anderen Termins etwas verspätet und sein voraussichtlich verspätetes Erscheinen bei Gericht fernmündlich ankündigen lassen. Tatsächlich sei er gegen 12.00 Uhr beim SG eingetroffen. Im Sitzungssaal - eine andere Sache sei gerade unterbrochen gewesen - habe er anhand der Tagesordnung festgestellt, dass vor dem auf 11.45 Uhr anberaumten Beweisaufnahmetermin noch zwei weitere Rechtsstreitigkeiten hätten verhandelt werden sollen. Da aufgrund der momentanen Verzögerung an einen Aufruf des Rechtsstreits des Klägers, zumindest aber an ein Ende der Verhandlung vor 13.00 Uhr nicht zu denken gewesen sei, habe er die Urkundsbeamtin gebeten, dem Kammervorsitzenden mitzuteilen, dass er - der Bevollmächtigte - wegen einer weiteren Terminswahrnehmung um 13.00 Uhr nicht warten könne und aus diesem Grunde eine Terminsverlegung beantrage. Nachdem er dem Kläger auf eine entsprechende Frage bestätigt habe, dass auch er - der Kläger - nicht warten müsse, hätten beide den Saal verlassen. Im Treppenhaus habe er - gegen 12.15 Uhr - RiSG J. , der gerade auf dem Weg in den Sitzungssaal gewesen sei, von dem Antrag auf Terminsverlegung in Kenntnis gesetzt. Der Kammervorsitzende habe daraufhin entgegnet, dass er nicht beabsichtige, den Termin zu verlegen, zumal eine Beweisaufnahme vorgesehen sei. Konsequenzen aufgrund der Abwesenheit habe er weder dem Kläger noch ihm - dem Bevollmächtigten - angekündigt, obwohl er gesehen habe, dass beide im Begriff gewesen seien, das Gerichtsgebäude zu verlassen. Unter diesen Umständen entferne sich die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 500,00 EUR gegen den Kläger so weit vom Üblichen, dass diese Verfahrensweise als völlig unangemessen zu bezeichnen sei und nicht pflichtgemäßem richterlichen Ermessen entspreche. Die Tatsache, dass RiSG J. den Höchstbetrag eines Ordnungsgeldes festgesetzt habe, zeige, dass er jedes Augenmaß verloren habe und es ihm offenkundig nur um eine Bestrafung des Klägers gehe. Dass der abgelehnte Richter in dieser Situation auf § 192 SGG verweise, "schlage dem Fass den Boden aus".

RiSG J. hat sich zu dem Ablehnungsgesuch am 25.02.2002 dienstlich geäußert. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dazu am 03.04.2002 Stellung genommen.

II.

Für die Entscheidung über Gesuche, mit welchen Richter der Sozialgerichtsbarkeit abgelehnt werden, ist das Landessozialgericht zuständig (§ 60 Abs.1 S.2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Das zulässige Ablehnungsgesuch erweist sich als unbegründet.

Nach § 60 SGG i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, welcher geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§§ 60 Abs.1 S.1 SGG, 42 Abs.2 ZPO). Dies ist nur dann der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 35, 171, 172; NJW 1999, 132, 133). Das Misstrauen muss aus der Sicht eines ruhig und vernünftig denkenden Prozessbeteiligten verständlich sein (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage, S.186/14). Es kommt weder darauf an, ob die Befürchtung eines Prozessbeteiligten, der Richter sei ihm gegenüber voreingenommen, begründet ist, noch auf die subjektive Meinung des abgelehnten Richters, ob er befangen sei oder nicht (vgl. BVerfG, a.a.O.; Zöller-Vollkommer, ZPO, 21. Auflage, § 42 Rdnr.9). Der Gesetzgeber hat durch die Möglichkeit der Richterablehnung nämlich nicht nur eine tatsächlich parteiliche Rechtspflege verhindern, sondern darüber hinaus auch schon den für einen Prozessbeteiligten nach den Umständen naheliegenden oder doch verständlichen Argwohn vermeiden wollen, der Richter werde nicht unparteilich entscheiden.

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der Kläger keinen Anlass, die Unvoreingenommenheit und objektive Einstellung des RiSG J. in Zweifel zu ziehen. Die von ihm zur Stützung des Ablehnungsgesuchs angesprochene bisherige Verfahrensdauer ist nicht geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters aufkommen zu lassen.

Die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens belastet alle Prozessbeteiligten gleichermaßen und begründet für sich genommen keinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Richter stehe der einen oder anderen Partei nicht mit der gebotenen Neutralität und Unbefangenheit gegenüber. Dies gilt auch dann, wenn die antragstellende Partei ein besonderes Interesse an einer beschleunigten Sachentscheidung hat und ihr der seit Verfahrensbeginn verstrichene Zeitraum unerklärlich lang erscheint (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1998, 1052). Es ist vielmehr Sache des Gerichts, nach seinem Ermessen darüber zu befinden, in welcher Weise das Verfahren in dem Zeitraum von der Klageerhebung bis zur Entscheidung zu fördern ist (vgl. OVG Münster, NJW 1993, 2259). Dementsprechend hat der Gesetzgeber einen Ablehnungsgrund der Verfahrensverzögerung nicht in die Befangenheitsvorschriften aufgenommen und inzwischen selbst für das schiedsgerichtliche Verfahren den Ablehnungsgrund der ungebührlichen Verzögerung im Gegensatz zu der früheren Regelung des § 1032 Abs.2 ZPO in der ab 01.01.1998 geltenden Fassung durch Art.1 Nr.6 des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22.12.1997 (BGBl.1997 I S.3224) nicht mehr normiert.

Es kommt daher grundsätzlich auch nicht darauf an, ob die bisherige Dauer des Verfahrens auf vom Ablehnenden für überflüssig gehaltenen Maßnahmen des Richters oder auf schlichter Untätigkeit beruht. Die Entscheidung über Art und Weise der Prozessförderung und insbesondere über die für die Sachentscheidung erforderlichen tatsächlichen Grundlagen und das bei ihrer Ermittlung einzuhaltende Verfahren hat der Richter in eigener Verantwortung zu treffen; das Ablehnungsrecht gibt den Parteien keine Handhabe, ihre abweichenden Vorstellungen durchzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn das zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufene Gericht die rechtlichen oder tatsächlichen Wertungen des abgelehnten Richters nicht teilt; zu einer Korrektur ist allein das in der Hauptsache zuständige Rechtsmittelgericht berufen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Die Besorgnis der Befangenheit lässt sich daher aus einer als ungewöhnlich angesehenen Verfahrensdauer nur dann begründen, wenn die verfahrensleitenden Handlungen oder Unterlassungen des mit der Sache befassten Richters unter Berücksichtigung aller Umstände objektiv als schlechthin unvertretbar erscheinen und sich subjektiv aus der Sicht des Ablehnenden deshalb der Anschein der Willkür und der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 22.05.2000, L 5 AR 77/00 RJ; OLG Oldenburg, FamRZ 1992, 192, 193 m.w.N.; OVG Münster, a.a.O.; OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 46; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 42 Rdnr.24; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Auflage, § 42 Rdnr.52, Stichwort "Untätigkeit").

Von einer willkürlichen Verfahrensverzögerung kann im vorliegenden Fall indessen - nicht zuletzt bei Berücksichtigung der den Beteiligten bekannten, die Grenze der Zumutbarkeit bei Weitem überschreitenden Geschäftsbelastung der Sozialgerichte - keinesfalls die Rede sein.

Das Festhalten am Termin vom 22.01.2002 rechtfertigt ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters.

Das Interesse an einer raschen und zügigen Verfahrensabwicklung und an der Vermeidung unnötiger zusätzlicher Belastungen für alle Verfahrensbeteiligten gebietet es, Terminsverlegungen möglichst zu vermeiden. Das gilt insbesondere dann, wenn die Beteiligten zu einem Termin bereits geladen sind. Die Ablehnung des Antrags auf Verlegung eines Termins bietet mithin grundsätzlich keinen Anlass, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln. Es müssen vielmehr besondere Umstände des Einzelfalles hinzukommen, wenn bei vernünftiger Betrachtung vom Standpunkt des Ablehnenden aus Anlass für die Befürchtung bestehen soll, der Richter stehe der Sache nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BayObLG, MDR 1986, 416). Solche besonderen Umstände sind auch in diesem Zusammenhang nur anzunehmen, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters den Anschein von Willkür erweckt und sich der dadurch betroffenen Partei der Eindruck einer sach- widrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt (vgl. OLG Zweibrücken, MDR 1999, 113; OLG Koblenz, MDR 1991, 448).

Davon kann hier nicht die Rede sein. Das schon deshalb nicht, weil im Termin die Zeugin H. W. gehört werden sollte, deren Aussage zur Sachverhaltsaufklärung möglicherweise entscheidend hätte beitragen können. Die prozessökonomisch sinnvolle Aufrechterhaltung eines Termins, um - in Anwesenheit aller Beteiligter - eine der Sachverhaltsaufklärung dienende Zeugeneinvernahme durchzuführen, kann aber nicht als rechtlich relevante Benachteiligung eines Beteiligten (hier des Klägers) bewertet werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers nach Erhalt der Ladung zum Termin vom 22.01.2002 am 12.12.2001 das SG zu keiner Zeit von einer weiteren Terminswahrnehmung um 13.00 Uhr und einer eventuellen zeitlichen Kollision mit dem Verfahren des Klägers unterrichtet hat, um gegebenenfalls einen früheren Beginn der mündlichen Verhandlung zu erreichen, so dass RiSG J. von der Dringlichkeit der Terminswahrnehmung um 13.00 Uhr nicht überzeugt zu sein brauchte. Unter befangenheitsrechtlichen Gesichtspunkten ist das Festhalten des Richters an dem vorgesehenen Termin jedenfalls nicht zu beanstanden.

Begründet sonach - wie dargetan - die Nichtverlegung der mündlichen Verhandlung nicht die Besorgnis der Befangenheit, so kann auch die Verhängung eines Ordnungsgeldes als einer gesetzlich zur Verfügung gestellten Sanktion für unentschuldigtes Fernbleiben im Termin trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Kammervorsitzenden aufkommen lassen; auch nicht im Hinblick auf die Höhe des Ordnungsgeldes. Gleiches gilt für den Hinweis auf § 192 SGG n.F. in der Sitzungsniederschrift vom 22.01.2002.

Die Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist im Übrigen - was die Klägerseite nicht genügend beachtet - kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen oder gegen vermeintlich fehlerhafte Verfahrenshandlungen eines Richters bzw. eines Gerichts zu wehren, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür (vgl. BAG, MDR 1993, 383; BayObLG, MDR 1988, 1063; OLG Zweibrücken, MDR 1982, 940; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 42 Rdnr.28; Münchener Kommentar-Feiber, ZPO, § 42 Rdnrn.28, 30). Von einer auf Willkür beruhenden Rechtsauffassung bzw. Verfahrenshandlung kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken schlechterdings nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BAG, a.a.O.; BayObLG, a.a.O.; OLG Zweibrücken, a.a.O.). Objektive Anhaltspunkte hierfür vermag der Senat dem vorliegenden Sachverhalt nicht zu entnehmen und werden von dem Kläger auch nicht vorgebracht. Der geeignete Weg, um sich gegen vermeintlich unrichtige Entscheidungen zu wehren, ist vielmehr die Einlegung eines Rechtsmittels. Hiervon hat der Kläger auch Gebrauch gemacht und gegen den Ordnungsgeldbeschluss Beschwerde eingelegt. Sollte RiSG J. der Beschwerde nicht abhelfen, dann ist der zuständige Senat des Bayer. Landessozialgerichts allein aufgerufen, die formal- und materiell-rechtliche Richtigkeit des Beschlusses zu überprüfen.

Der Antrag des Klägers war daher nach allem als unbegründet zurückzuweisen.

Die Entscheidung ist kostenfrei (§ 183 SGG) und endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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