L 18 B 139/00 SB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SB 717/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 B 139/00 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.03.2000 aufgehoben. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des sozialgerichtlichen Verfahrens zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist noch die Erstattung außergerichtlicher Kosten streitig.

Gegenstand des zugrundeliegenden Hauptsacheverfahrens war die Höhe des beim Kläger festzusetzenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) gewesen. Der Beklagte hatte es mit Bescheid vom 20.05.1999 abgelehnt, beim Kläger Behinderungen nach dem SchwbG festzustellen, weil diese keinen GdB von wenigstens 20 erreichten. Im Widerspruchsverfahren begehrte der Kläger die Feststellung eines GdB von 50 und regte an, ihn umfassend fachlich begutachten zu lassen. Der Beklagte half nach versorgungsärztlicher Auswertung von Behandlungsunterlagen des Klägers dem Widerspruch teilweise ab und stellte die Behinderungen mit einem GdB von 20 mit Teilabhilfebescheid vom 12.07.1999 wie folgt fest: 1. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden (Einzel-GdB 10) 2. Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Einzel-GdB 20) 3. Psychovegetative Störungen (Einzel-GdB 10) 4. Senk-Spreizfuß beidseits (Einzel-GdB 10) 5. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10) 6. Zwölffingerdarmgeschwürsleiden (Einzel-GdB 10) Den Widerspruch im Übrigen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.1999 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger weiterhin die Feststellung eines GdB von 50 begehrt und erneut angeregt, eine umfassende fachärztliche Begutachtung durchzuführen. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und den Kläger von Dr ... terminsärztlich untersuchen lassen (Gutachten vom 24.03.2000). Dr ... hat die Behinderungen "Psychovegetative Störungen, Cephalgien, Anpassungsstörung" ab 3/99 mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet und als weitere Behinderungen mit jeweiligen Einzel-GdB-Werten von 10 "Diabetes mellitus" und "Hepatopathie, Gallenblasenfunktionsstörung" aufgeführt. In einem in der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2000 geschlossenen Vergleich hat sich der Beklagte bereit erklärt, die Behinderungen des Klägers unter Anerkennung eines Gesamt-GdB von 30 mit Wirkung ab 01.03.2000 (entsprechend dem Vorschlag des Dr ...) festzustellen. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten haben die Beteiligten in das Ermessen des Gerichts gestellt.

Das SG hat mit Beschluss vom 24.03.2000 entschieden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind. Zur Begründung hat es ausgeführt, die frühestens im Dezember 1999 eingetretene Verschlimmerung der Behinderung "Psychovegetative Störungen" sei erstmals durch den Befundbericht des behandelnden Nervenarztes Dr ... vom 10.03.2000 objektiviert worden. Die mit der Klage angegriffenen Bescheide des Beklagten seien mithin zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen. Zur GdB-Erhöhung wäre es auch ohne die Klageerhebung gekommen, wenn der Kläger nach der Verschlimmerung seiner Behinderungsleiden beim Beklagten einen Antrag auf Erhöhung des Gesamt-GdB gestellt hätte. Das für den Kläger erreichte Prozessergebnis trete demgegenüber in kostenrechtlicher Hinsicht in den Hintergrund.

Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des SG Nürnberg vom 24.03.2000 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten.

Er vertritt die Auffassung, eine hälftige Kostenerstattung sei angebracht, da ein wechselseitiges Nachgeben der Beteiligten vorliege und der Ausgang des Verfahrens völlig offen gewesen sei.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte und die Gerichtsakten beider Rechtzüge Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des so- zialgerichtlichen Verfahrens zur Hälfte zu erstatten.

Die Beteiligten haben bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs die Regelung des § 195 SGG ausgeschlossen, wonach jeder Beteiligte, wird der Rechtsstreit durch gerichtlichen Vergleich erledigt und keine Bestimmung über die Kosten getroffen, seine Kosten selbst trägt. § 195 SGG gilt nicht, wenn die Beteiligten - wie vorliegend - die Geltung ausschließen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6.Auflage, § 195 RdNr 3 a). Die Beteiligten haben wegen der Kosten im gerichtlichen Vergleich die Entscheidung des Gerichts beantragt.

Wird der Rechtsstreit auf andere Weise als durch Urteil beendet, ist nach § 193 Abs 1 Halbs 2 SGG auf Antrag durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Das Gericht trifft seine Entscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Verfahrensergebnisses sowie der Gründe für seine Einleitung und Erledigung. Der vermutliche Ausgang des Verfahrens ist anhand des bisherigen Sach- und Streitstandes summarisch festzustellen (BSG SozR Nrn 3, 4 und 7 zu § 193 SGG).

Der medizinische Sachverhalt war durch das Gutachten des Sachverständigen Dr ... nicht hinreichend aufgeklärt. Dem Kläger darf aber kostenrechtlich kein Nachteil entstehen, wenn er bei (noch) nicht hinreichend geklärtem medizinischen Sachverhalt den Rechtsstreit im Wege des Vergleichs beendet.

Die Gründe für die Einleitung und Erledigung des Rechtsstreits sprechen in eindeutiger Weise dafür, den Beklagten mit der hälftigen Kostentragung zu belasten. Die Auffassung des SG, die ursprüngliche Entscheidung des Beklagten sei wegen der frühestens im Dezember 1999 eingetretenen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes zutreffend gewesen, ist unter Berücksichtigung der Feststellungen des von ihm gehörten Sachverständigen Dr ... für den Senat nicht nachvollziehbar. Dr ... hat nämlich in sein Gutachten vom 24.03.2000 eine Verschlimmerung der psychovegetativen Störungen mit einem GdB von 20 ab 3/99 angenommen. Er hat dennoch den Gesamt-GdB von 2/99 bis 2/2000 mit 20 und erst anschließend mit 30 angenommen, ohne den Zeitpunkt für diese Einschätzung näher zu begründen. Da die erstmals von ihm mit einem GdB von jeweils 10 festgestellten Behinderungen "Diabetes melitus" und "Hepatopathie, Gallenblasenfunktionsstörung" nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) 1996 S 35 nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, kann für die Annahme einer Leidensverschlimmerung nur die Behinderung "Psychovegetative Störungen" herangezogen werden. Es ist daher in keiner Weise nachvollziehbar, worauf Dr ... eine Erhöhung des GdB ab 3/2000 stützt. Soweit das SG aus den Angaben im Befundbericht des Dr ... folgert, eine Verschlimmerung der Behinderung "Psychovegetative Störung" sei frühestens 4 Wochen vor der ersten Untersuchung durch Dr ... am 07.01.2000 aufgetreten, hat es diese Schlussfolgerung ohne Zuziehung eines kompetenten ärztlichen Sachverständigen getroffen und ohne selbst über die erforderlichen Fachkenntnisse zu verfügen. Die Auffassung des SG kann daher nicht zur Begründung für die getroffene Kostenentscheidung herangezogen werden. Insbesondere hat das SG nicht gewürdigt, dass der Kläger nach den Befunden des Dr ... am 07.01.2000 unter einer Depression gelitten hat. Ermittlungen, ob und seit wann eine Depression beim Kläger bestanden hat, hat das SG nicht angestellt. Die Erfolgsaussicht der Klage auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft war daher zur Zeit des Vergleichsabschlusses wegen der zu diesem Zeitpunkt unzureichenden Sachaufklärung (unschlüssiges Gutachten des Sachverständigen Dr ... und unzureichende Sachaufklärung durch das SG) völlig offen.

Abgesehen davon, ist es für die Kostenentscheidung des SG nicht maßgebend, was geschehen wäre, hätte der Kläger kein gerichtliches Verfahren anhängig gemacht. Bei der Kostenerstattung dürfen nämlich nur Umstände berücksichtigt werden, die das abgeschlossene gerichtliche Verfahren selbst betreffen. Ist in diesem Verfahren auf Grund der Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen ein Sachverhalt bekannt geworden, durch den die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den vom Kläger erhobenen Anspruch von einem späteren Zeitpunkt als dem ursprünglich angenommenen erfüllt werden, und hat der Kläger insoweit in der Hauptsache Erfolg gehabt, beruht dieser Teilerfolg letztlich auf dem von ihm eingeleiteten gerichtlichen Verfahren. Dann kann aber nicht die Rede davon sein, der Kläger habe für eine unbegründete Klage Anlass gegeben (ebenso LSG Niedersachsen, Breithaupt 1984 S 634). Die Belastung des Klägers mit den vollen außergerichtlichen Kosten würde sich als eine unzulässige Sanktion für ein zulässiges prozessuales Verhalten darstellen (BayLSG, Breithaupt 1986 S 365 und 1998 S 454). Dass der Anspruch des Klägers erst zu einem späteren Zeitpunkt gegeben war, führt grundsätzlich nicht zu der Schlussfolgerung, die Klage sei ohne Anlass erhoben worden. Zwischen den Beteiligten war nämlich die Höhe des GdB streitig, also eine Feststellung mit Dauerwirkung. Die ablehnende Verwaltungsentscheidung des Beklagten betraf somit unter anderem auch einen in der Zukunft liegenden Zeitraum, auf den sich das Klagebegehren erstreckte. Bei derartigen Verpflichtungs- oder Feststellungsklagen hat das Gericht grundsätzlich die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 54 RdNr 34). Zur Zeit der Klageerhebung konnte der Kläger jedoch noch nicht beurteilen, von welchem Zeitpunkt an sein Anspruch, evtl. nach Beweisaufnahme, feststellbar sein oder wann eine wesentliche Änderung im Sachverhalt zu seinen Gunsten eintreten werde, insbesondere in den Grundlagen für die medizinische Beurteilung. Daher darf man ihm auch nicht nachträglich in Kenntnis des Verfahrensergebnisses entgegenhalten, er hätte die Klage zunächst unterlassen und erst später einen Neufeststellungsantrag bei der Verwaltung stellen sollen. Vor allem kann man vorliegend nicht unterstellen, der Beklagte hätte sodann eine Änderung der maßgeblichen Verhältnisse von sich aus und ohne nachfolgendes Gerichtsverfahren in der selben Weise anerkannt, wie er es nach der Beweisaufnahme durch das SG getan hat (so BayLSG, Beschluss vom 07.11.1990, Az L 15 B 169/89 Vs und BayLSG, Beschluss vom 15.03.2000, Az L 18 B 20/00 SB)

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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