L 7 B 213/99 P

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 P 44/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 B 213/99 P
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 26.04.1999 dahin abgeändert, dass der Klägerin zwei Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten aus dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (S 2 P 44/98) sowie aus diesem Beschwerdeverfahren auferlegt werden. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die am ... 1921 geborene Klägerin und Beschwerdegegnerin forderte von der Beklagten und Beschwerdeführerin, bei welcher sie im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach privatem Recht versichert ist, Versicherungsleistungen. In diesem Verfahren benannte die Klägerin u.a. zwei Nachbarinnen und zugleich Pflegekräfte als Zeuginnen für den erforderlichen Pflegeaufwand. Nachdem diese ihr offenbar signalisiert hatten, dass sie zu einem Auftreten vor Gericht nicht bereit seien, nachdem das Gericht indes allein des Wunsches der Klägerin wegen auf die Einvernahme dieser Zeuginnen schon wegen der Verpflichtung zur Ermittlung der relevanten Tatsachen von Amts wegen nicht verzichten wollte, nahm die Klägerin kurzerhand ihre Klage zurück.

Mit Schriftsatz vom 15.03.1999 beantragten die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in diesem Rechtsstreit aufzuerlegen. Zur Begründung wiesen sie u.a. darauf hin, dass die Klägerin bereits ein Jahr zuvor eine gleichartige Klage erhoben und dann ebenfalls wieder zurückgenommen habe; auch dort war die Beklagte durch einen Rechtsanwalt vertreten.

Mit Beschluss vom 26.04.1999 wies das Sozialgericht den Antrag der Beklagten auf Auferlegung ihrer Kosten auf die Klagepartei zurück; zwar sei die Klage bei summarischer Prüfung nicht als aussichtsreich anzusehen gewesen, doch komme der Klägerin hier die Sondervorschrift des § 193 Abs. 4 SGG zugute. Zwar seien im Bereich des sozialgerichtlichen Verfahrens dann, wenn beide Beteiligte natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts seien, grundsätzlich je nach Verfahrensausgang die Kosten beider Parteien nach § 193 Abs. 1 erstattungsfähig, da die Vorschrift des § 193 Abs. 4 insoweit nicht eingreife. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der privat Pflegeversicherten mit den Versicherten der sozialen Pflegeversicherung könne aber - ähnlich wie bei der Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Frage der gerichtlichen Zuständigkeit in Streitigkeiten aus der privaten Pflegeversicherung (Beschluss vom 08.08. 1996, 3 Bs 1/96) - ein Anspruch auf Kostenerstattung für die Träger der privaten Pflegeversicherung gegenüber ihren Versicherten nicht in Frage kommen; wenn die Versicherten der privaten Pflegeversicherung im Gegensatz zu den Mitgliedern der gesetzlichen Pflegeversicherung damit rechnen müßten, die außergerichtlichen Kosten der Träger der privaten Pflegeversicherung zu tragen, sei ein gleicher Rechtsschutz nicht gegeben.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten, der das Erstgericht nicht abgeholfen hat. Zur Begründung gibt sie an, für eine entsprechende Anwendung des § 193 Abs. 4 SGG sei hier kein Raum. Die Klägerin hat demgegenüber vortragen lassen, sie halte § 193 Abs. 4 für verfassungswidrig.

Zur Ergänzung der Sachdarstellung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Der Beklagten und Beschwerdeführerin steht Kostenerstattung zu, jedoch nicht in vollem Umfang (§§ 193, 202 SGG, 91 ZPO). Angesichts der bereits im früheren Verfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (S 2 P 63/97) gutachterlich dargestellten Befunde über die Klägerin (vgl. das Gutachten des Dr ... vom 22.11.1997) namentlich im Bereich des Bewegungsapparates kann nach den Erfahrungen des Senats nicht uneingeschränkt von der Erfolglosigkeit des Klageverfahrens ausgegangen werden; die Klägerin ist daher im Rahmen des von § 193 Abs. 1 SGG eingeräumten Ermessens von der geforderten Kostentragung zu einem Drittel freizustellen. Das Privileg des § 193 Abs. 4 SGG ist jedoch entgegen der Meinung der Klägerin auf sie nicht anwendbar.

Dass der Wortlaut dieser Vorschrift nicht dazu führt, dass die Klägerin keine Kosten zu erstatten habe, ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Begründung.

Aber auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) ergibt sich nichts anderes. Denn aus diesem Gesichtspunkt kann nicht hergeleitet werden, dass sämtliche Rechtsbeziehungen in der gesetzlichen Sozialversicherung einerseits und in den Fällen von privater Versicherung sozialer Bedürfnisse andererseits gleich auszugestalten seien.

Der Gleichheitsgrundsatz ist hier schon seinen Voraussetzungen nach nicht anzuwenden. Denn dazu wäre es erforderlich, dass zwei Sachverhalte in ihren wesentlichen Aspekten als gleichartig anzusehen seien. Dies trifft auf die private Pflegeversicherung einerseits und die gesetzliche Pflegeversicherung andererseits aber nicht zu.

Zunächst ist festzustellen, dass der Grundsatz weitgehender Kostenfreiheit im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kein Wesenselement der gesetzlichen Sozialversicherung ist. Schon deshalb ist er nicht wegen des Gleichheitsgrundsatzes auf andere Versicherungsbereiche übertragbar. Zwar ist es wie das Erstgericht meint richtig, dass die Regelung des § 193 Abs. 4 SGG den Zweck hat, für die Mitglieder der gesetzlichen Sozialversicherung das Kostenrisiko im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung gering zu halten. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass dies immer und auch im Falle einer privaten Versicherung sozialer Bedürfnisse gelten müsse. Denn dies, die weitgehende Kostenfreiheit einer Rechtsverfolgung bzw. die Freistellung von dem Risiko, im Unterliegensfalle die Kosten des Gegners tragen zu müssen, kennzeichnet nicht das Wesen der gesetzlichen Sozialversicherung; Situationen, in denen ein derartiges Privileg nicht zum Tagen kommt, sind der gesetzlichen Sozialversicherung nicht von vornherein wesensfremd und können folglich nicht in einen grundlegenden Gegensatz zu ihr gebracht werden. Wäre es anders, müßte man auch die in regelmäßigen Abständen wiederbelebten Gedanken, die Kläger vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in jedem Falle mit dem Ziel einer Entlastung der Gerichte einem gewissen Kostenrisiko auszusetzen, als Verstoß gegen sozialstaatliche Grundprinzipien einstufen. Derartiges ist jedoch soweit ersichtlich bisher nicht vertreten worden. Somit scheitert eine Anwendung des Gleichheitssatzes in dem Sinne, dass auch in der privaten Pflegeversicherung weitgehende Kostenfreiheit gewährleistet werden müsse, schon deshalb, weil dies auch kein Wesenselement der gesetzlichen Sozialversicherung ist.

Des weiteren ist bei der Frage der Anwendbarkeit des § 193 Abs. 4 SGG auf Streitigkeiten aus der privaten Pflegeversicherung auch zu berücksichtigen, dass diese einerseits und die gesetzliche Sozialversicherung andererseits keineswegs als gleichartig angesehen werden können. Sie sind vielmehr insgesamt wesensverschieden; auch dies hindert die Übertragung des Rechtsgedankens des § 193 Abs. 4 SGG auf Streitigkeiten aus der privaten Pflegeversicherung. Denn in der gesetzlichen Sozialversicherung findet Gesetzesvollzug nach den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch hoheitlich organisierte Leistungsträger statt, in der privaten Pflegeversicherung dagegen kommerzielle Geschäftstätigkeit durch privatrechtlich organisierte Unternehmen. Im ersten Fall ist die Erzielung von ökonomischem Gewinn gerade nicht Zweck der Aktivitäten der Leistungsträger; in der privaten Pflegeversicherung, deren Träger zum Teil etwa als Aktiengesellschaften organisiert sind, wird dies dagegen ausdrücklich gefordert. Dies schlägt sich zwar wegen der Garantie der §§ 110 ff. SGB XI nicht unmittelbar im Umfang der von den Trägern der privaten Pflegeversicherung angebotenen Leistungen nieder, hat aber wohl doch zur Folge, dass schon zur Ermöglichung von Konkurrenzfähigkeit an anderer Stelle, also namentlich im organisatorischen Bereich, Kosten gespart werden müssen, um mit niedrigeren Beiträgen Kunden zu werben. Infolgedessen erscheint es beispielsweise denkbar, dass diese unterschiedlichen Strukturen auch unmittelbare Auswirkungen haben auf die Notwendigkeit, sich vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit durch Rechtsanwälte vertreten zu lassen oder darauf verzichten zu können. Denn wenn etwa im Bereich der privaten Pflegeversicherung weniger rechtskundiges Personal beschäftigt wird als im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung, mag dies die Folge haben, dass dadurch zwar einerseits geringere Verwaltungskosten anfallen, dass aber andererseits im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung vermehrt auf Rechtsanwälte zurückgegriffen werden muß; namentlich auch die Frage der Kostenerstattung erscheint daher bei der privaten Pflegeversicherung in einem gänzlich anderen Licht als im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung.

Die hier angegriffene Auswirkung des § 193 Abs. 4 SGG ist auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG). Denn wer Mitglied in der gesetzlichen Sozialversicherung ist, ist nicht gezwungen, in einer privaten Pflegeversicherung versichert zu sein (vgl. §§ 20 ff. SGB XI); wer nicht Mitglied in der gesetzlichen Sozialversicherung ist, kann sich ohnehin nicht auf das Privileg des § 193 Abs. 4 berufen.

Schließlich folgt auch aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 08.08.1996, 3 Bs 1/96) zur gerichtlichen Zuständigkeit in Streitigkeiten aus der privaten Pflegeversicherung nichts anderes. Denn dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch für Streitigkeiten aus der privaten Pflegeversicherung zuständig sind, ergibt sich wie auch der erkennende Senat entschieden hatte ohne weiteres aus dem Gesetz selbst; eine Übertragung der in dieser Entscheidung zum Ausdruck gebrachten Wertung auf Fälle, in denen der Gesetzeswortlaut zu einem anderen Ergebnis führt, ist deshalb nicht geboten.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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