L 13 B 275/01 RA PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 RA 254/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 B 275/01 RA PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 24.08.2001 aufgehoben.
II. Der Klägerin wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht München ab 04.09.2000 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt P. B. beigeordnet.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beanspruchen kann.

Die am 1947 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war als Hilfsarbeiterin, Verkäuferin, Hausmeisterin, Maschinenführerin, Laborhilfskraft und zuletzt als Schwesternhelferin beschäftigt. Die Zeit vom 26.11.1969 bis 30.06.1993 ist bis auf vier Monate im Jahr 1978 lückenlos mit Pflichtbeiträgen und Anrechnungszeiten belegt. Erwerbstätig war die Klägerin zuletzt im Januar 1992, danach lag Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitslosigkeit vor. Für die Zeit vom 22.01.1992 bis 30.06.1993 sind Pflichtbeiträge geleistet. Vom 01.10.1994 bis 07.12.1994 und vom 14.04.1997 bis 25.09.1999 war die Klägerin arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug.

Die LVA Niederbayern-Oberpfalz hatte der Klägerin am 13.10.1992 einen Versicherungsverlauf erteilt. Darin war vermerkt: "Eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit wird gezahlt, wenn in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit mindestens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen belegt sind. Bei der Ermittlung der fünf Jahre werden bestimmte Zeiten nicht mitgezählt und verlängern somit diesen Zeitraum. Seit Januar 1984 gezahlte feiwillige Beiträge können ebenfalls zur Erfüllung der Voraussetzungen führen." Auf der Rückseite dieses Versicherungsverlaufs finden sich Bearbeitungsvermerke ("zA") vom 13.01.1993, 26.01.1994 und 09.02.1995.

Ein von der Klägerin am 19.01.1996 gestellter Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit war ohne Erfolg geblieben. Die Klägerin war für fähig erachtet worden, leichte Arbeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig zu verrichten (Gutachten der Dres P. vom 04.11.1997 und F. vom 23.02.1998). Die Klage war nach Hinweis durch den Vorsitzenden wegen des Fehlens von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit zurückgenommen worden. Die Klägerin focht die Rücknahme der Klage an. Im Rahmen der folgenden mündlichen Verhandlung verpflichtete sich die Beklagte unter Zugrundelegung eines Antrags vom 28.05.1998 das Vorliegen von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit unter Berücksichtigung des Heilverfahrens-Entlassungsberichts vom 04.11.1999 (Leistungsvermögen halb- bis untervollschichtig) zu überprüfen.

Mit Bescheid vom 26.07.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2000 wurde der Rentenantrag erneut abgelehnt, da die Klägerin nicht berufs- oder erwerbsunfähig sei. Mit der beim Sozialgericht München am 06.03.2000 erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Mit Beschluss vom 17.04.2000 wurde der Klägerin hinsichtlich der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt. Die Beklagte teilte auf Anfrage des Sozialgerichts mit, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nur bei einem Leistungsfall bis zum 31.07.1995 erfüllt.

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 23.08.2000 verpflichtete sich die Beklagte zu klären, ob seit Juli 1993 rentenrechtliche Zeiten bestünden. Der von der AOK Bayern, Direktion München, übersandten Mitglieder- und Leistungskarte ist eine Mitgliedschaft bis 14.10.1991 (Abmeldung 23.10.1991) zu entnehmen. Das Arbeitsamt München bestätigte eine Arbeitslosmeldung vom 01.10.1994 bis 07.12.1994 und 14.04.1997 bis 25.09.1999 ohne Leistungsbezug. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.11.2000 die Anerkennung der Zeit vom 01.07.1993 bis 19.10.2000 ab.

Am 04.09.2000 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Am 06.11.2000 ging beim Sozialgericht die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein. Danach hat die Klägerin außer einer Witwenrente in Höhe von 838,64 DM (netto 774,07 DM) keine Einkünfte und Vermögen. Die Mietkosten belaufen sich auf 250,00 DM (Erklärung vom 19.04.2001). Am 22.11.2000 wurde die Beiordnung von Rechtsanwalt P. B. beantragt.

Mit Beschluss vom 24.08.2001 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Es verneinte eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nur bei einem Leistungsfall vor Juli 1995 erfüllt. Aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme im vorangegangenen Klageverfahren folge aber, dass die Klägerin zu dieser Zeit weder berufs- noch erwerbsunfähig gewesen sei.

Die Klägerin legte am 04.10.2001 gegen den am 06.09.2001 zugestellten Beschluss Beschwerde ein, der das Sozialgericht nicht abhalf.

II.

Gemäß §§ 172, 173, 73a Sozialgerichtsgesetz - SGG -, § 127 Abs.2 Satz 2 Zivilprozessordnung - ZPO - form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Das Erstgericht hat eine Abhilfe abgelehnt (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist auch begründet. Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder - verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§§ 73a Abs.1 Satz 1 SGG, 114 ZPO). Ist eine Vertretung durch Anwälte - wie vorliegend im sozialgerichtlichen Verfahren - nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Anwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs.2 Satz 1 ZPO).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes liegen hier vor.

Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin die Kosten der Prozessführung auch nicht teilweise oder nur in Raten aufbringen kann. Nach § 115 Abs.1 Satz 1 ZPO hat die Partei ihr Einkommen einzusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geldwert oder Geldeswert (§ 115 Abs.1 Satz 2 ZPO). Das Einkommen der Klägerin beläuft sich auf 774,07 DM Witwenrente (netto) ab 01.07.2000. Weitere Einkünfte bezieht die Klägerin nicht. Ausgehend von diesem Einkommen ist die Klägerin nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung selbst zu tragen. Denn von dem genannten Betrag sind gemäß § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.2 ZPO für die Partei 64 v.H. des Grundbetrages nach § 79 Abs.1 Nr.1, 82 des Bundessozialhilfegesetzes, der im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe gilt, abzusetzen. Gemäß Bekanntmachung vom 07.06.2000 (Bundesgesetzblatt I S.815) beläuft sich der vom 01.07.2000 an für die Partei maßgebende Betrag auf 676,00 DM. Darüber hinaus sind in Abzug zu bringen die Kosten der Unterkunft und Heizung, soweit sie nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu den Lebensverhältnissen der Partei stehen (§ 115 Abs.1 Satz 3 Nr.3 ZPO). Dies ist bei der Klägerin ein Betrag von 250,00 DM, der nicht unangemessen erscheint. Dem Einkommen der Klägerin in Höhe von 774,07 DM stehen abzusetzende Beträge in Höhe von 926,00 DM gegenüber, sodass auch eine Ratenzahlung für die Klägerin nicht in Betracht kommt.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint auch weder mutwillig noch kann die hinreichende Erfolgsaussicht verneint werden. Maßgebend für die Frage der Erfolgsaussicht ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch; im Falle der Verzögerung durch das Gericht der Zeitpunkt der Entscheidungsreife bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf (Thomas/Putzo, ZPO mit GVG, 21. Auflage, § 119 Rdnr.4). Der Antrag der Klägerin auf Prozesskostenhilfe war am 04.09.2000 gestellt worden, am 06.11.2000 ging unter Beifügung einer Rentenanpassungsmitteilung eine Erklärung der Klägerin über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 01.11.2000 ein. Die vom Sozialgericht angeforderte Ergänzung erreichte das Gericht im April 2001. Im Ergebnis kommt es im Fall der Klägerin allerdings nicht darauf an, ob die Erfolgsaussicht nach September oder November 2000, April 2001 oder August 2001 zu beurteilen ist, da sie selbst bei Beschlussfassung durch das Sozialgericht noch gegeben war.

Das Wort "hinreichender Erfolgsaussicht" kennzeichnet, dass das Gericht sich mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussicht begnügen darf und muss. Der Erfolg braucht nicht gewiss zu sein, er muss aber immerhin nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ist nicht notwendig. Der Standpunkt des Antragsstellers muss zumindest objektiv vertretbar sein (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 51. Auflage, § 114 Rdnr.80, Meyer-Ladewig, SGG, 5. Auflage, § 73a Anm.7 m.w.N.). Sobald eine Beweisaufnahme im Zeitpunkt der Bewilligungsreife auch nur ernsthaft in Betracht kommt, ist die Erfolgsaussicht wegen der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Beweiserhebung zwar nicht stets, aber noch im Allgemeinen hinreichend (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 58. Auflage, § 114 Rdnr.86 m.w.N.). Das Bundessozialgericht hat mit Beschluss vom 17.02.1998 (Az.: B 13 Rj 83/97 R) festgehalten, hinreichende Aussicht auf Erfolg sei zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen abhänge und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen werde. Die Beweisaufnahme muss wenigstens die Möglichkeit des Nachweises eröffnen (vgl. Jens Meyer-Ladewig, SGG, § 73a Rdnr.7 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor. Bis November 2000 ist es bereits deswegen der Fall, da die vom Gericht angeregten Ermittlungen der Beklagten noch nicht abgeschlossen waren; ihr Ausgang noch völlig offen war. Erst am 20.11.2000 waren die Auskünfte der AOK Bayern, Direktion München, und des Arbeitsamtes München sowie der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2000 beim Sozialgericht eingegangen. Aber auch für die Zeit danach ist die hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen. Dem bis jetzt ermittelten Sachverhalt lässt sich nicht entnehmen, ob bei der Klägerin über 26.04.1993 bzw. 30.06.1993 hinaus Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat. Eine konkrete Angabe der Klägerin persönlich, welcher Sachverhalt ab Juni 1993 gegeben war, ist in der Akte nicht festgehalten. Es wird einerseits von Krankheit und andererseits von Arbeitslosigkeit gesprochen. Auch ist nicht nachvollziehbar, bei welcher Krankenkasse die Klägerin nach dem 14.10.1991 versichert war. Die Mitglieder- und Leistungskarte der AOK Bayern, Direktion München, lässt erkennen, dass die Mitgliedschaft zum 14.10.1991 beendet wurde. Die Klägerin war danach erneut vom 15.10.1991 bis 21.01.1992 erwerbstätig; zumindest nach der bis jetzt vorliegenden Mitteilung der AOK Bayern war sie in dieser Zeit nicht bei ihr versichert. Ob die Mitgliedschaft entgegen der Mitglied- und Leistungskarte weiterbestanden hat oder nicht und bei welcher Kasse die Klägerin stattdessen versichert war, ist derzeit nicht klar ersichtlich. Damit sind auch noch nicht sämtliche Ermittlungsmöglichkeiten für den Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit oder auch -losigkeit ausgeschöpft.

Hinzukommt, dass die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs zu prüfen sind. Dabei ist zu klären, ob die Klägerin im Juni 1993 mit Beendigung der Leistungen vom Arbeitsamt über die Notwendigkeit, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu erhalten, belehrt worden ist. Da die Zeit ab 01.01.1984 bis 30.06.1993 lückenlos mit anwartschaftserhaltenden Zeiten belegt ist, stellte sich auch die Frage der Entrichtung freiwilliger Beiträge zur Sicherung der Rentenanwartschaft. Bei der Frage eines Herstellungsanspruchs ist weiter zu berücksichtigen, dass die LVA Niederbayern-Oberpfalz der Klägerin im Jahr 1992 einen Versicherungsverlauf erteilt hat. Ob sie bei damals erfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dazu verpflichtet war, einen konkreteren Hinweis als die im Bescheid enthaltene allgemeine Aufklärung zu geben kann offen bleiben; denn wie sich den Vermerken auf der Rückseite des Blatt 3 des Versicherungsverlaufs entnehmen lässt, war die Beklagte sowohl im Januar 1993 als auch im Januar 1994 und Februar 1995 mit der Akte der Klägerin befasst. Es stellt sich deswegen die Frage, ob für die Beklagte in dieser Zeit konkrete Veranlassung bestanden hat, die Klägerin auf den drohenden Verlust ihrer Anwartschaft hinzuweisen.

Im Rahmen der summarischen Prüfung der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ist dabei nicht entscheidend, ob das Gericht im Ergebnis zu einer weiteren anwartschaftserhaltenden Zeit oder zur Bejahung eines Herstellungsanspruchs kommen wird. Es reicht vielmehr aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ist, wie ausgeführt, nicht notwendig.

Schließlich ist auch im Sinne des § 121 Abs.2 ZPO die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich. Dies kann grundsätzlich nicht allein unter Bezugnahme auf den im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Amtsermittlungsgrundsatz verneint werden (siehe auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.02.1997 - 1 BvR 1640/96 - in SozSich 97, 275). Die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts auch im sozialgerichtlichen Verfahren entspricht vielmehr der Absicht des Gesetzgebers, wie die Vorschrift des § 73a SGG zeigt. Dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und die wirtschaftliche Bedeutung der Streitsache zu berücksichtigen. Die Frage, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ist nicht sachlich und rechtlich einfach gelagert. Auch hat die Streitsache für die Klägerin erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, sodass auch aus diesem Grunde die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

Der Beschluss des Sozialgerichts ist aufzuheben und der Klägerin antragsgemäß Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt P. B. beizuordnen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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