L 11 AL 179/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 Al 106/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 179/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25. Februar 1997 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist Arbeitslosengeld (Alg) streitig; im Kern geht der Streit um die Erfüllung der Anwartschaftszeit durch einen Ehegattenarbeitsvertrag.

Die 1937 geborene Klägerin stellte am 04.01.1996 einen Antrag auf Alg. Sie gab an, vom 24.02.1989 bis zum 31.12.1995 als Bürogehilfin bei ihrem Ehemann beschäftigt gewesen zu sein. Das Beschäftigungsverhältnis habe beendet werden müssen, weil der Ehemann seine Tätigkeit zum 31.12.1995 aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe. Aus der beigereichten Bescheinigung der Barmer Ersatzkasse vom 29.11.1995 ist ersichtlich, dass der Ehemann der Klägerin ab 01.12.1994 arbeitsunfähig erkrankt war und ab 01.01.1995 Krankengeld erhielt. Er betrieb einen Einzelhandel für Wasseraufbereitungs- und Schwimmbadtechnik. Ein Geschäftslokal bestand nicht. Die Klägerin erledigte nach ihren Angaben einfache Büroarbeiten, hielt den Büroraum in Ordnung, verteilte Prospekte und lieferte Waren mit dem Pkw aus.

Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 24.02.1989 hatte die Klägerin zunächst ein monatliches Brutto-Entgelt von 470,00 DM und eine wöchentliche Arbeitszeit von 16 Stunden. Für die Zeit ab 01.01.1993 wurde ihr von dem Ehemann ein monatlicher Verdienst von 678,00 DM, für 1994 ein monatlicher Verdienst von 711,00 DM und für 1995 zunächst ein monatlicher Verdienst von 750,00 DM (bei 82 Arbeitsstunden/Monat) und ab 01.08.1995 bis zum Ausscheiden ein monatlicher Verdienst von 1.008,00 DM (bei 84 Arbeitsstunden/Monat) bescheinigt.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Alg und Alhi mit Bescheid vom 16.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.02.1996 ab. Ein beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis in der Anwartschaftszeit vom 01.01.1993 bis zum 31.12.1995 habe nicht bestanden. Denn ein angemessenes tarifliches oder ortsübliches Arbeitsentgelt sei nicht gezahlt worden. Das ortsübliche tarifliche Entgelt für die unterste Tarifgruppe im Einzelhandel habe 1995 monatlich 2.697,00 DM bei 38,5 Stunden pro Woche betragen.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und vorgetragen: Ihr Ehemann habe das Geschäft allein betrieben. Zur Geschäftsaufgabe sei es kurzfristig gekommen. Warum ihr Gehalt auf 1.008,00 DM erhöht worden sei, sei ihr nicht mehr erinnerlich, auch nicht, ob der Arbeitsvertrag vom 24.02.1989 geändert worden sei. Sie habe hauptsächlich Prospekte zusammengestellt und Telefonarbeiten erledigt. Im Laufe der Jahre habe die Arbeit erheblich zugenommen.

Der Ehemann der Klägerin hat als Zeuge ausgesagt: Er habe das Geschäft kurzfristig wegen Krankheit aufgeben müssen. Die Klägerin habe allein die Arbeiten im Büro erledigt und zwar Briefe geschrieben, telefoniert, auch gereinigt und Prospekte ausgefahren. Sie habe keine Buchführung oder höhere Büroaufgaben erledigt. Zur Gehaltserhöhung auf 1.008,00 DM sei es wegen der guten Geschäftsentwicklung und wegen einer Auskunft der Krankenkasse gekommen. Er könne nicht genau sagen, ob ein neuer schriftlicher Arbeitsvertrag nach 1989 geschlossen wurde. Die Arbeitszeit sei jedoch auf etwa 19 Stunden pro Woche erhöht worden.

Das SG Würzburg hat mit Urteil vom 25.02.1997 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe nicht in einem beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu ihrem Ehemann gestanden. Dagegen spreche ihre Entlohnung. Die Klägerin habe für einfache Büroarbeiten ab 01.08.1995 1.008,00 DM monatlich bei einer Arbeitszeit vom 19,4 Stunden erhalten. Nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel in Bayern, gültig ab 01.07.1995, sei bei der angegebenen Arbeit ein Entgelt von 1.394,00 DM brutto zu zahlen. Damit sei eine 25-prozentige Unterschreitung des Tarifgehaltes gegeben. Mit ihrem zuvor bezogenen Arbeitsentgelt habe die Klägerin gerade noch die Hälfte des Tariflohnes erreicht. Kein familienfremder Dritter wäre für dieses Entgelt tätig geworden. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass bei der Klägerin nur eine kurzzeitige Beschäftigung vorgelegen habe. Im Arbeitsvertrag vom 14.02.1989 seien 16 Wochenstunden vereinbart gewesen. Die Klägerin habe sich in der mündlichen Verhandlung nicht erinnern können, ob dieser Arbeitsvertrag bezüglich der Arbeitszeit überhaupt geändert worden sei. Die diesbezüglichen anderen Angaben des Ehemannes seien nicht glaubwürdig.

Gegen das am 23.04.1997 der Klägerin zugestellte Urteil vom 25.02.1997 hat diese am 23.05.1997 Berufung eingelegt.

Die Klägerin trägt vor: Sie habe für einfache Büro- und Hilfsdienste ein ortsüblich angemessenes Entgelt erhalten. Sozialversicherungsbeiträge seien zur Barmer Ersatzkasse abgeführt worden. Die Arbeitszeit sei ab 01.01.1993 geändert worden. Ein entsprechender schriftlicher Arbeitsvertrag vom 03.02.1993 sei zwischenzeitlich aufgefunden worden. Nach diesem war ein Monatsentgelt von 678,00 DM bei 84 Stunden pro Monat vereinbart.

Auf den Hinweis der Beklagten, dass der für den Arbeitsvertrag vom 02.02.1993 benutzte Vordruck erst ab 25.08.1994 im Handel gewesen sei, räumte die Klägerin ein, dass man den Arbeitsvertrag nachträglich schriftlich fixiert habe.

Die Beklagte wies weiter darauf hin, dass der Ehemann der Klägerin seit 01.12.1994 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Dazu trug die Klägerin vor, es sei nicht voraussehbar gewesen, dass der Betrieb wegen Erwerbsunfähigkeit ihres Ehemannes aufgegeben werden müsse.

Im Termin vom 25.01.2000 trug die Klägerin ergänzend vor: Eine wesentliche Tätigkeit im Betrieb ihres Ehemanns sei der Telefondienst mit den telefonischen Vereinbarungen von Vorführterminen für die Dampfreinigungsgeräte in Gaststätten, Metzgereien und Bäckerein gewesen. Ihr Mann habe bis zu seiner Erkrankung täglich zwei bis drei Vorführtermine gehabt, danach nicht mehr. Im Jahre 1995 seien praktisch keine Dampfreinigungsgeräte mehr verkauft worden, im Jahr zuvor etwa zehn bis zwölf Stück pro Monat. Dennoch seien auch im Jahre 1995 noch Arbeiten für sie angefallen, insbesondere hätten Reklamationen bzw Reparaturen und Nachlieferungsaufträge von Bürsten und Stangen bearbeitet werden müssen. Bis zu 20 km Entfernung habe sie die Teile selbst zu den Kunden gefahren. Sie habe Montag bis Freitag durchschnittlich zwei Stunden Telefondienst gemacht. Sie könne nicht sagen, welchen Zeitumfang ihre Arbeiten durchschnittlich gehabt hätten. Das Gehalt sei ihr bar ausgezahlt worden.

Die Klägerin beantragt

Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 25.02.1997 und des Bescheides der Beklagten vom 16.01.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.1996 sowie Verurteilung der Beklagten auf Gewährung von Alg ab 04.01.1996.

Die Beklagte stellt Antrag auf Zurückweisung der Berufung.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.

Der Senat hat den Ehemann der Klägerin im Termin vom 25.01.2000 erneut als Zeugen vernommen. Auf die Zeugnisniederschrift und die Ausführungen der Klägerin zu Protokoll wird verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten (Stammnr 324034) und des SG Würzburg verwiesen. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Die Statthaftigkeit ergibt sich aus der unbegrenzten Dauer des beantragten Alg (§ 144 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die Berufung ist nicht begründet. Eine wesentliche Voraussetzung für das Alg, nämlich die Erfüllung der Anwartschaftszeit (§§ 100, 104 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-), ist nicht nachgewiesen.

Die Rechtsprechung hat sich schon häufig mit der hier aufgeworfenen Problematik der sog Ehegattenbeschäftigung befasst. In einer Entscheidung des 7.Senats vom 12.09.1996 (Die Beiträge, 1997, S 234 (238)) hat das Bundessozialgericht (BSG) noch einmal herausgestellt, dass auch für die Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses unter Ehegatten die allgemeinen Grundsätze, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses entwickelt haben, zu beachten sind. "Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses steht dabei grundsätzlich nicht entgegen, dass die Abhängigkeit unter Ehegatten im Allgemeinen weniger stark ausgeprägt und das Weisungsrecht möglicherweise mit gewissen Einschränkungen ausgeübt wird" (BSG aaO). Die Grenzen zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nicht versicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund familienhafter Zusammengehörigkeit sind nur unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu ziehen, der Höhe des Entgelts kommt dabei lediglich Indizwirkung zu (BSG aaO).

Der Senat zieht es aufgrund der detaillierten Aussagen der Klägerin und ihres als Zeugen vernommenen Ehemannes nicht in Zweifel, dass die Klägerin im Betrieb ihres Ehemannes beschäftigt war.

Der Anspruch der Klägerin auf Alg scheitert jedoch daran, dass sich der Senat nicht davon überzeugen konnte, dass die Klägerin bei ihrem Ehemann eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung ausgeübt hat und somit die Anwartschaftszeit erfüllen konnte. Die Erfüllung der Anwartschaftszeit setzt voraus, dass in den letzten drei Jahren der Beschäftigung mindestens an 360 Kalendertagen eine mindestens 18-stündige Wochenarbeitszeit bestanden hat (§ 104 Abs 1, 2, 3 AFG).

Der ursprüngliche Arbeitsvertrag vom 24.02.1989 sah eine kurzzeitige, wöchentliche Arbeitszeit von 16 Stunden vor. Die Klägerin hat nicht vorgetragen und dafür gibt es auch keine Anhaltspunkte, dass sie zunächst erheblich mehr als die vereinbarte Stundenzahl im Betrieb ihres Ehemannes gearbeitet hat. Für ihre Behauptung, dass sich die Arbeit im Betrieb ihres Ehemannes ab 1993 auf etwa 19 Stunden pro Woche (84 pro Monat) ausgeweitet habe, gibt es keine überzeugenden Belege.

Zunächst ist festzuhalten: Aus der Natur der Sache (vgl § 102 Abs 1 AFG), dh aus der von der Klägerin übernommenen Arbeit, ergibt sich nicht, dass die Klägerin dafür innerhalb der letzten drei Jahre ihrer Beschäftigung für wenigstens 360 Kalendertage regelmäßig mindestens 18 Stunden pro Woche gearbeitet hat. Denn die Arbeit war die gleiche geblieben, sie war weiterhin zu unbestimmt und zu variabel, als dass man daraus auf eine höhere Wochenbeschäftigungszeit schließen könnte.

Die Klägerin hat ihre Behauptung über eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung mit einem vom 23.02.1993 datierten Arbeitsvertrag urkundlich beweisen wollen. Die Beklagte hat diesen Versuch eines Urkundsbeweises als Manipulation aufgedeckt.

Auch soweit die Klägerin ihre Behauptungen durch das Zeugnis ihres Ehemannes belegen wollte, konnte ihr der Senat nicht folgen. Die Zeugenaussagen des Ehemannes sind - soweit sie die gearbeitete Stundenzahl der Ehefrau betreffen - nicht glaubhaft. Die Arbeitszeit der Klägerin soll (wegen der guten Geschäftsentwicklung) auf etwa 19 Stunden erhöht worden sein. Dabei hat der Zeuge den Arbeitsanfall innerhalb der letzten drei Jahre der Beschäftigung - auf die es hier ankommt - nicht näher differenzieren können. Im Termin vor dem Senat am 25.01.2000 hat er dann bezeugt, seine Ehefrau habe durchschnittlich wöchentlich ca 15 bis 18 Stunden gearbeitet. Diese Aussage ist kein Beleg für eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung, auch wenn man "bis 18 Stunden pro Woche" als "bis einschließlich 18 Stunden pro Woche" verstehen wollte. Denn damit ist eine regelmäßige Mindeststundenzahl von 18 Stunden pro Woche nicht beschrieben. Der Zeuge hat dann allerdings in dem genannten Termin zusätzlich betont, dass die Klägerin 1995 mehr als vorher gearbeitet habe. "1995 können es 20 bis 25 Stunden wöchentlich gewesen sein". Diese Aussage steht im Widerspruch zu der Zeugenaussage im ersten Zeugentermin und zu seinen Angaben in seiner Arbeitsbescheinigung. In der Arbeitsbescheinigung hatte er als Arbeitszeit der Klägerin im Juli 1995 monatlich 82 Stunden (82 x 3: 13 = 18,9) und in den Monaten August bis einschließlich Dezember 1995 monatlich 84 Stunden (84 x 3: 13 = 19,4) angegeben, das sind erheblich weniger als 20 bis 25 Stunden pro Woche.

Soweit man die Behauptung des Zeugen darauf reduziert, die Ehefrau habe 1995 erheblich mehr gearbeitet als zuvor, überzeugt dies ebenfalls nicht. Denn die Aussage harmoniert nicht mit den Aussagen des Zeugen und der Klägerin zu ihrer konkreten Arbeit im Jahre 1995. Der Zeuge hat in seiner Zeugeneinvernahme am 25.01.2000 dargestellt, dass eine wesentliche Tätigkeit seiner Ehefrau in seinem Betrieb ihr Telefondienst mit der Vereinbarung von Vorstellungsterminen für seinen Dampfreinigerverkauf gewesen sei. Diese Tätigkeit wurde jedoch 1995 überflüssig. Denn der Kläger war 1995 arbeitsunfähig erkrankt und bezog Krankengeld. 1995 sind praktisch keine Geräte mehr verkauft worden und die Vereinbarung von Vorstellungsterminen hatte damit ihr Ende. Das bedeutet, dass diese wesentliche Arbeit 1995 weitgehend weggefallen ist. Es ist deshalb nicht glaubhaft, dass die Klägerin seit 1995 wesentlich mehr als vorher gearbeitet hat.

Die hohe Bezahlung im Jahr 1995 ist kein Indiz für tatsächlich mehr geleistete Arbeit. Der Zeuge hat insofern glaubhaft ausgesagt, dass er angesichts der Höhe seines Krankengeldes von ca 5.000 DM monatlich eine höhere Lohnleistung für seine Ehefrau erbringen konnte. Dies erklärt die Entgelterhöhung ausreichend.

Es lässt sich auch im Übrigen kein überzeugender Anhaltspunkt dafür gewinnen, dass die Klägerin im letzten Jahr ihrer Beschäftigung zusätzliche Arbeiten, die sie zuvor nicht auch schon ausgeführt hatte, übernommen hat oder dass die bisher ausgeübte Arbeit aus anderen Gründen in einem wesentlich größeren Umfange angefallen ist. Die Klägerin hat eine Ausweitung ihrer Tätigkeit 1995 auch nicht substantiiert behauptet.

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass die Klägerin den Nachweis für eine mehr als kurzzeitige Tätigkeit nicht hat führen können. Ihre Berufung erweist sich als unbegründet. Sie war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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