L 2 U 384/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 208/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 384/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Vorschrift des § 580 Abs.3 Nr.1 RVO darf bis zum 01.01.1997 noch Anwendung finden. Sie verstößt nicht gegen das Willkürverbot.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.09.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ...1960 geborene Kläger, Altenpfleger, erlitt am 16.09.1994 einen Unfall beim Fällen eines Baumes für einen Freund. Dabei zog er sich eine Fraktur des vierten Lendenwirbelkörpers zu. Aus einer stationären Behandlung vom 18.10.1994 bis 29.11.1994 in der Reha-Klinik Saulgau wurde der Kläger als arbeitsunfähig entlassen. Im Entlassungsbericht vom 14.12.1994 wird ausgeführt, dass 12 Wochen nach OP-Datum ein Arbeitsversuch unternommen werden könne. Ideal wäre die innerbetriebliche Umsetzung für leichtere Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen und Stehen oder die Umschulung und Weiterbildung des Klägers, z.B. zum Heimleiter. Am 29.03.1995 stellte der Kläger Antrag auf Gewährung von Berufsförderung beim Arbeitsamt Memmingen. Er könne nicht mehr ständig laufen und schwer heben. In einem Bericht vom 28.04. 1995 führt der ärztlichen Direktor des Klinikums der Unviversität Ulm, Prof.Dr ... aus, beim Kläger liege ein Zustand nach LWK 4-Fraktur und 3-Etagen-Thrombose links vor. Eine berufliche Rehabilitation werde für dringend erforderlich gehalten. Mit Schreiben vom 09.08.1995 bewilligte der Beklagte Reha-Maßnahmen in Form eines Techniker-Vorkurses. Die Maßnahme beginne am 12.09.1995 und ende voraussichtlich im Februar 1996.

In einem Bericht vom 14.09.1995 führt Prof.Dr ... aus, beim Kläger handle es sich jetzt um einen Endzustand. Die Behandlung sei abgeschlossen. Die MdE betrage 20 v.H. Es werde eine Umschulungsmaßnahme vorgeschlagen. Hebende und tragende Tätigkeiten solle der Kläger nicht mehr durchführen. Am 14.12.1995 berichtete der Berufshelfer ... über einen Besuch im Berufsförderungswerk Eckert in Regenstauf am 07. und 08.12.1995, der Kläger habe am 12.09.1995 eine Ausbildung zum Bautechniker (Hochbau) nach Techniker-Vorkurs begonnen. Ausbildungsende sei am 13.02.1998. Der Beklagte holte ein Gutachten des Arztes für Chirurgie Dr ... vom 04.02.1997 ein, der als Unfallfolgen eine LWK-4 Fraktur mit Spondylodese zweier Bewegungssegmente L3/4 und L4/5 sowie einen Zustand nach Unterschenkel-Dreietagen Thrombose annahm und die Minderung der Erwerbsfähigkeit vom 30.08.1997 bis 22.01.1997 mit 20 v.H. und ab 23.01.1997 bis 23.01.1998 mit 10 v.H. einschätzte. Weiter holte der Beklagte ein neurologisches Zusatzgutachten des Neurologen Dr ... vom 11.06.1997 ein, der wegen eines chronischen unfallbedingten L5-Syndroms die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 10 v.H. schätzte. In der Stellungnahme vom 08.07.1997 nahm Dr ... eine Gesamt MdE von 20 v.H. an. Nach Einholung eines gefäßchirurgisch-angiologischen Gutachtens vom 02.10.1997, in welchem der Direktor des Klinikums der Universität Ulm Prof.Dr ... die MdE auf seinem Gebiet mit 15% einstufte, schätzte Dr ... die Gesamt MdE ab 01.01. 1997 mit 30 v.H. ein. Mit Bescheid vom 13.01.1998 gewährte der Beklagte dem Kläger für die Folgen des Unfalls ab 01.01.1997 eine Verletztenrente in Höhe von 30 v.H. der Vollrente und machte dazu geltend, aufgrund des Unfallversicherungseinordnungsgesetzes sei ab diesen Zeitpunkt Rente neben Übergangsgeld zu gewähren. Mit Schreiben vom 09.0.1998 teilte der Beklagte dem Kläger mit, am 13.02.1998 ende die Maßnahme der beruflichen Rehabilitation. Der Anspruch auf das bisher gezahlte Übergangsgeld ende mit Ablauf dieses Tages. Mit Widerspruch vom 16.02.1998 machte der Kläger geltend, die Verletztenrente stehe ihm nicht erst ab 01.01.1997 sondern gemäß § 580 Abs.2 RVO mit dem Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinn der Krankenversicherung zu. Dass er im Rahmen der Umschulungsmaßnahme Übergangsgeld bezogen habe, stehe der Gewährung von Verletztenrente nicht entgegen, da diese im Gegensatz zum Übergangsgeld nicht den Verdienstausgleich zum Inhalt habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.1998 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er machte geltend, erst nach den gesetzlichen Vorschriften des seit 01.01.1997 geltenden Sozialgesetzbuches VII bestehe für Versicherte mit einer rentenberechtigenden MdE, die in Folge des Versicherungsfalls an einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme teilnähmen, trotz des Übergangsgeldbezugs bereits ein Anspruch auf Rente. Da die Rente erst nach dem In-Kraft-Treten des SGB VII erstmals festgesetzt werden könne, seien somit nach Maßgabe des Unfallversicherungseinordnungsgesetzes (§ 214 Abs.3 SGB VII) ab dem 01.01. 1997 die Voraussetzungen für die Gewährung von Verletztenrente erfüllt. Auf den Zeitpunkt des Endes der Verletztengeldzahlung (hier 11.09.1995) habe nicht abgestellt werden können, da für die Zeit vor dem 01.01.1997 die gesetzliche Vorschrift des § 72 SGB VII noch nicht in Kraft gewesen sei. Mit der dagegen erhobenen Klage beantragte der Kläger Gewährung von Verletztenrente ab Wegfall der Arbeitsunfähigkeit, spätestens jedoch ab 12.09.1995. Da es sich bei der Rente nicht um eine Lohnersatzleistung handle, stehe einem Nebeneinander von Verletztenrente und Übergangsgeld nichts im Wege. Die Regelung des § 580 Abs.3 Nr.1 RVO halte er für verfassungswidrig. Die Verletztenrente diene dem Ausgleich des abstrakten Schadens im Erwerbseinkommen und auch dem Ersatz immaterieller Schäden. Daraus ergebe sich, dass die im Gesetz enthaltene "Entweder-Oder-Regelung" nicht zutreffen könne. Es werde angeregt die Angelegenheit seitens des Gerichts einer verfassungsrechtlichen Klärung zuzuführen. Dass seine Ansicht nicht abwegig sei, zeige der Umstand, dass der Gesetzgeber im neuen SGB VII eine entsprechende Regelung getroffen habe. Es liege ein eklatanter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Artikel 3 Grundgesetz vor.

Mit Urteil vom 08.09.1999 hat das Sozialgericht Augsburg die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass nach dem neuen im SGB VII niedergelegten Recht Übergangsgeld und Rente nebeneinander zu zahlen sind. Es hat sich dabei auf die Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache 13/2204, S.93) bezogen. Dies bedeute jedoch nicht, dass der Gleichheitssatz erfordern würde, die geänderte gesetzliche Regelung auf Fälle auszudehnen, in denen vor dem 01.01.1997 Übergangsgeld bezogen worden sei. Der Gesetzgeber habe das Übergangsrecht in § 212 f. SGB VII geregelt. Er habe davon abgesehen, § 72 SGB VII mit einer Rückwirkungsklausel für die Zeit vor dem 01.01.1997 zu versehen. Stichtagsregelungen verstießen grundsätzlich nicht gegen das Grundgesetz. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein Vorbringen im Wesentlichen wiederholt.

Der Kläger beantragt mit Schriftsatz vom 27.09.1999

die Beklagte in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 08.09.1999 und unter Aufhebung des Bescheids vom 13.01.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.1998 zu verurteilen, ihm ab Wegfall der Arbeitsunfähigkeit, spätestens jedoch ab 12.09.1995 Verletztenrente zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.09.1999 zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des Sozialgerichts Augsburg beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 143 f. SGG zulässig, sachlich jedoch nicht begründet. Zu Recht hat der Beklagte dem Kläger erst ab 01.01.1997 Verletztenrente gewährt. Gemäß § 214 Abs.3 SGB VII sind im Fall des Klägers für den Zeitpunkt des Rentenbeginns die Regelungen des SGB VII maßgeblich, da die Verletztenrente nach § 580 Abs.3 Nr.1 RVO erst nach dem In-Kraft-Treten des SGB VII, nämlich mit dem Wegfall des Übergangsgeldes am 13.02.1998 festzusetzen war. Damit gilt grundsätzlich § 72 SGB VII, wonach Renten ab Beendigung des Anspruch auf Verletztengeld zu bezahlen sind und folglich ein Rentenanspruchs auch während einer Maßnahme der beruflichen Rehabilitation besteht. Gleichwohl hat die Beklagte zutreffend den Rentenbeginn bis 01.01.1997 nach der Vorschrift des § 580 Abs.3 Satz 1 RVO festgestellt, da sich die Regelungen des SGB VII in den Übergangsvorschriften der §§ 212 f. keine weitergehende Rückwirkung beigelegt haben. Der Rentenbeginn bestimmt sich mithin für die Zeit vor dem 01.01.1997 nach dem Recht der RVO und im Fall des Klägers nach § 580 Abs.3 Nr.1 RVO. Nach dieser Bestimmung beginnt die Rente, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist, nach dem Tag, an dem die Berufshilfe soweit abgeschlossen ist, dass der Verletzte eine geeignete Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen kann. Dies war beim Kläger erst ab 13.02.1998 der Fall. Nach altem Recht begann die Rente regelmäßig mit dem Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinn der Krankenversicherung (§ 580 Abs.2 RVO). Wenn aber, wie im Fall des Klägers, mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen war, so begann die Rente gemäß § 580 Abs.3 Nr.1 RVO nach dem Tag, an dem die Heilbehandlung oder Berufshilfe soweit abgeschlossen war, dass der Verletzte eine geeignete Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen konnte. Dies war beim Kläger erst ab 13.02. 1998 der Fall. Diese Vorschrift verstößt entgegen der Meinung des Klägers auch nicht deshalb gegen Artikel 3 Grundgesetz, weil Verletzte, die keine Reha benötigen, neben ihrem Einkommen Rente beziehen können, dagegen solche Verletzte die wegen der Verletzungsfolgen auf berufliche Rehabilitation angewiesen sind, neben dem Übergangsgeld keine Rente erhalten. Der Schutzbereich des Artikel 3 Abs.1 Grundgesetz ist betroffen wenn wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz Artikel 3, Anm.5, Leibholz, Rinck, Hesselberger, Grundgesetz Artikel 3, Anm.21). Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, wenn also die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss (Leibholz, Rick, Hesselberger a.a.O.). Er verlangt, dass eine vom Gesetz vorgenommene unterschiedliche Behandlung sich sachbereichsbezogen auf einen vernünftigen oder sonstwie einleuchtenden Grund zurückführen lässt (Leibholz, Rinck, Hesselberger, Artikel 3, Anm.27 mit Hinweis auf Bundesverfassunggerichtsentscheidung 75, 157.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Bestimmung des § 580 Abs.3 Nr.1 RVO als verfassungskonform anzusehen. Die in Frage stehende Fassung beruht auf dem Reha-Angleichungsgesetz vom 07.08.1974. Sie verwirklicht den Grundsatz des § 7 Reha-Angleichungsgesetz, wonach eine Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit erst nach Abschluss der Rehabilitation gewährt werden soll. Mit dem Grundsatz "Reha vor Rente" soll nach der Begründung zu § 7 des Gesetzentwurfes-Bundestags-Drucksache 7/1237, 56/57 das Interesse des Behinderten an der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen gestärkt werden. Es besteht deshalb ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung solcher Verletzter, die ihre Arbeitsfähigkeit wieder erlangt haben zu solchen, die arbeitsunfähig bleiben, weil sie ihre vor dem Unfall ausgeübte Erwerbstätigkeit, wie im Fall des Klägers, nicht mehr aufnehmen können. Zwar hat der Gesetzgeber in § 580 Abs.3 Nr.1 RVO eine Benachteiligung des schwerer Verletzten gegenüber dem Verletzten gesehen, der nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit neben seiner Erwerbstätigkeit eine Verletztenrente bezieht, und er hat deshalb diese Regelung in § 72 SGB VII mit Wirkung vom 01.01.1997 entsprechend geändert, doch genügt der oben angeführte Grund für die ursprüngliche Differenzierung, um ein willkürliches Vorgehen zu verneinen. Die Vorschrift des § 580 Abs.3 Nr.1 RVO darf deshalb bis zum 01.01.1997 noch Anwendung finden. Nach alldem kann die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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