L 2 U 20/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 21/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 20/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erleidet ein Versicherter anlässlich eines Kuraufenthalts einen Unfall während er seine zu Besuch weilende Ehefrau zum Auto zurückbringt, so steht er auch dann nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn der Besuch der Ehefrau ärztlich erwünscht war. Das Begleiten der Ehefrau wird vom Schutzbereich des Gesetzes nicht erfasst.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26.11.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ...1948 geborene Kläger zog sich am Sonntag, dem 01.10.1995 gegen 18.3o Uhr während eines Kuraufenthalts im Kurhotel Centurio in Bad Gögging, Vertragshaus der LVA-Schwaben, einen Fersenbeintrümmerbruch zu, als er von einem Treppenabsatz sprang und so drei Treppenstufen auf einmal nehmen wollte. Der Unfall ereignete sich, als der Kläger seine Ehefrau zum Pkw begleitete.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12.08.1997 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Versicherungsschutz könne nur dann vorliegen, wenn das Begleiten der Ehefrau ein wesentliches der Heilbehandlung dienliches Moment der stationären Behandlung gewesen sei. Alltägliche eigenwirtschaftliche Tätigkeiten, zu denen auch das Wegbringen bzw. Begleiten von Besuchern zählen würde, folgten vornehmlich privaten Interessen des Versicherten und würden deshalb vom Versicherungschutz nicht erfasst.

Mit Widerspruch vom 25.08.1997 legte der Kläger zwei Atteste des Leitenden Arztes des Kurhotels Centurio, Dr ..., vor, dass der Besuch der Ehepartner ein den Kurerfolg stabilisierender Faktor sei. Der Unfall sei deshalb nicht als Privatangelegenheit anzusehen. Weiter wies der Kläger auf die Möglichkeit des Vorliegens einer versicherten gemischten Tätigkeit hin, die sowohl eigenwirtschaftlichen Zwecken als auch unternehmerischen Interessen diene. Das Begleiten eines Familienangehörigen könne unter den bereits mehrfach vom Bundessozialgericht entschiedenen Sachverhalt des Spaziergangs während einer Kurmaßnahme subsumiert werden. Dabei sei es ausreichend, dass der Kläger von seinem Standpunkt aus der Auffassung habe sein können, die Tätigkeit sei geeignet, seiner stationären Behandlung zu dienen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.1997 zurück. Eine versicherte gemischte Tätigkeit liege nicht vor, da der betriebliche Zweck nur gelegentlich der ansonsten aus privaten Gründen vorgenommenen Handlung, also nur als Nebenzweck, miterledigt worden sei.

Mit der Klage vom 14.01.1998 hat der Kläger eingewandt, Dr ... könne bestätigen, dass im Rahmen der Kurmaßnahme regelmäßige Spaziergänge eine ärztliche Verordnung darstellten und der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Kurgäste dienten.

Mit Urteil vom 26.11.1998 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Besuch der Ehefrau sei zwar kurärztlicherseits erwünscht gewesen. Dies könne jedoch nicht dazu führen, dass jede Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Besuch unter Versicherungsschutz falle. Bei dem Begleiten zum Auto handele es sich um eine Geste der Höflichkeit, nicht um eine der stationären Behandlung dienenden Verrichtung.

Mit der Berufung am 18.01.1999 wendet der Kläger ein, zu Unrecht sei der Sturz vom 01.10.1995 nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Der Besuch seiner Frau sei angesichts seiner psychischen Verfassung dringend erforderlich gewesen, da sonst der Kurerfolg gefährdet gewesen wäre. Das Begleiten zum Pkw nach einem ärztlich erwünschten Besuch stehe unter Versicherungsschutz. Es habe sich eine mit dem Kuraufenthalt verbundene Gefahr manifestiert.

der Kläger stellt den Antrag,

das Urteil des SG Augsburg vom 26.11.1998 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11.08.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 01.10.1995 als Arbeitsunfall anzuerkennen und für dessen Folgen die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Augsburg vom 26.11.1998 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sachlich jedoch unbegründet.

Die Entscheidung des Rechtsstreits richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der streitige Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 01.01. 1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII i.V.m. § 580 RVO).

Der Kläger hat am 01.10.1995 keinen Arbeitsunfall erlitten. Gemäß § 548 Abs.1 Satz 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Der Kläger gehörte während der stationären Kurmaßnahme dem versicherten Personenkreis gemäß § 539 Abs.1 Nr.17a RVO an. Nach dieser Vorschrift sind Personen gegen Arbeitsunfall versichert, denen u.a. von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung stationäre Behandlung im Sinne von § 559 RVO gewährt wird. Unter stationärer Behandlung versteht das Gesetz Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder einer Kur- oder Spezialeinrichtung (§ 559 RVO).

Allerdings besteht Versicherungsschutz nicht während der gesamten Dauer der stationären Behandlung. Wie z.B. auch bei einem Unfall am Arbeitsplatz ein innerer Zusammenhang zwischen Unfallereignis und betrieblicher Tätigkeit gegeben sein muss, damit ein Arbeitsunfall anerkannt werden kann, besteht Unfallversicherungsschutz während eines Kuraufenthalts immer nur dann, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfall und der stationären Heilbehandlung vorliegt, der es rechtfertigt, das betroffene Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Ein nur zeitlicher oder örtlicher Bezug des unfallbringenden Verhaltens zu der versicherten Tätigkeit genügt nicht (BSGE 63, 273, 274; BSG SozR 2200 § 548 Nr.28; BSG-Urteil vom 30. Juni 1999 - B 2 U 28/98/2; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, 12. Aufl., § 2 Rdnr.719).

Eine in innerem ursächlichen Zusammenhang mit einem Beschäftigungsverhältnis stehende Tätigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass sie dem Unternehmen dienlich ist. Dieser Rechtsgedanke gilt auch bei § 539 Abs.1 Nr.17a RVO. Dies bedeutet, dass eine Tätigkeit in innerem ursächlichen Zusammenhang mit der stationären Behandlung steht, wenn sie dieser Behandlung dienlich ist (BSG SozR 2200 § 539 Nr.48; BSG SozR 2200 § 539 Nr.84; BSG USK 86166; BSG Urteil vom 30. Juni 1999 - B 2 U 28/98 R).

Das Begleiten der Ehefrau des Klägers anlässlich deren Besuchs war der Heilbehandlung nicht dienlich in diesem Sinne. Der Schutzbereich des Gesetzes erfasst grundsätzlich die ärztliche geleitete und damit im Wesentlichen fremdbestimmte Kurorganisation, in die der Kläger als Teilnehmer der Rehabilitationsmaßnahme eingegliedert ist, auch insoweit, als sie funktionell über die Räumlichkeiten der Kurklinik hinausreicht. Dies gilt für ärztlich angeordnete oder überwachte Veranstaltungen, die die Heilbehandlung ergänzen, aber auch für nicht ärztlich verordnete Betätigungen, die der stationären Behandlung dienlich sind, sofern die unfallbringende Tätigkeit funktional wesentlich auf die stationäre Behandlung bezogen ist. Der erforderliche innere Zusammenhang ist dabei aber nur dann gegeben, wenn die einzelne zum Unfall führende Verrichtung wesentlich auf den Zweck der stationären Behandlung ausgerichtet ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Rehabilitationszweck gegenüber dem privaten Interesse der Freizeitgestaltung deutlich in den Hintergrund tritt und nicht mehr wesentlich für die zum Unfall führende Verrichtung ist (BSGE 59, 291; BSG SozR 3-2200 § 539 RVO Nr.2).

Unerheblich ist, ob der Besuch der Ehefrau überwiegend privaten Motiven entsprang oder eher der Heilbehandlung diente. Denn entscheidend ist immer die Bewertung der konkreten Tätigkeit, die zum Unfall geführt hat. Versichert kann immer nur die einzelne Tätigkeit, die zu dem unfallbringenden Ereignis führte, sein, hier also das Begleiten der Ehefrau zum Pkw, nicht aber ein äußerer umfassender Anlass oder Rahmen, wie der Besuch der Ehefrau. Allein der Hinweis des behandelnden Arztes Dr ..., dass der Besuch und der Aufenthalt der Ehepartner als für das Kurergebnis wünschenswerter Faktor gesehen würde, genügt nicht, um die hier in Frage stehende konkrete Tätigkeit als für die Heilbehandlung zweckgerichtet zu qualifizieren. Im Übrigen wird eine solche allgemeine Anregung im Regelfall in keinem vergleichbaren Kurhotel fehlen.

Aber auch eine der stationären Behandlung dienliche Tätigkeit und damit ein innerer Zusammenhang zwischen Rehabilitationszweck und der Begleitung der Ehefrau kann nicht angenommen werden. Ein ärztlich angeordneter oder dem Behandlungserfolg dienlicher Spaziergang ist hier nicht gegeben. Nach ständiger Rechtsprechung sind vom Versicherungsschutz normale, bei Gesunden wie bei Rehabilitanden übliche Verrichtungen des Alltags, z.B. Ausflüge und ähnliche Unternehmungen ausgeschlossen, sofern sie mindestens der Freizeitgestaltung, der eigenen Unterhaltung, der Zerstreuung oder Anregung dienen und nicht in erheblicher Weise nach ihrer Eigenart auf den Kurzweck ausgerichtet sind (BSG SozR § 539 Nr.48 und 84; USK 78131). Der Besuch der Ehefrau und das Zurücklegen des Weges zum Pkw können hier keine andere rechtliche Bewertung erfahren. In der Widerspruchsbegründung, auf die in der Klageschrift Bezug genommen wird, wird darauf hingewiesen, dass Dr ... bestätigen könne, dass regelmäßige Spaziergänge eine ärztliche Verordnung darstellten. Darauf kommt es aber nicht an. Denn die Begleitung der Ehefrau vom Kurhotel zum Pkw war als übliche Aufmerksamkeit zwischen Ehepartnern privat motiviert und hatte nicht die Qualität eines ärztlich verordneten Spaziergangs.

Zwar erfasst § 539 Abs.1 Nr.17a RVO auch eigenwirtschaftliche Verrichtungen während der stationären Behandlung, wenn für den Unfall besondere, gerade mit dem Aufenthalt in der fremden Umgebung verbundene Gefahrenmomente wirksam gewesen sind, die sich aus der Einrichtung des Krankenhauses oder Kurheimes ergeben (BSG Urteil vom 30. Juni 1999 - B 2 U 28/98 R). Solche besonderen Risiken sind hier aber nicht ersichtlich. Im Gegenteil hat der Kläger die Gefahr durch das Springen von einem Treppenabsatz selbst gesetzt.

Auch wenn unterstellt wird, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls der Ansicht war, das Begleiten der Ehefrau diene auch dem Behandlungszweck, kann ein Arbeitsunfall nicht anerkannt werden. Denn der Versicherungsschutz kann nicht allein durch subjektive Ansichten über seine Voraussetzungen und entsprechendes Verhalten begründet werden. Es genügt nicht, dass der Versicherte von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, die Tätigkeit sei geeignet, seiner stationären Behandlung zu dienen. Zusätzlich muss diese subjektive Meinung in dem objektiv gegebenen Verhalten eine ausreichende Stütze finden. Bloße subjektive Einstellungen vermögen die objektiv erforderliche Zuordnung eines Geschehens zum geschützten Risikobereich nicht zu ersetzen (BSG SozR 3-2200, § 539 Nr.2; BSG SozR 2200 § 539 Nr.84; BSG SozR 2200 § 539 Nr.115; BSG Urteil vom 30. Juni 1999 - B 2 U 28/98 R; Krasney in Festschrift für Giller, S.481, 488).

Selbst wenn der Kläger der Meinung gewesen sein sollte, sein Verhalten diene der stationären Behandlung, so findet diese subjektive Meinung in den objektiven Gegebenheiten keine ausreichende Grundlage. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den Sachverhalten der Urteile des BSG vom 27.06.1978, 2 RU 30/78, vom 31.10.1978, 2 RU 50/78 und vom 15.08.1979, 2 RU 50/79. In den diesen Urteilen zugrunde liegenden Fällen konnte der Kläger davon ausgehen, dass ein Spaziergang wesentlich zumindest auch der stationären Behandlung dienen würde. Dies trifft aber auf die Begleitung der Ehefrau nicht zu. Der Zweck der Begleitung hatte eben keinen Bezug zur stationären Heilbehandlung. Der Kläger hatte sich, unbeeinflusst von Rehabilitationsbelangen, einer rein persönlichen Tätigkeit gewidmet.

Ebensowenig lag eine versicherte gemischte Tätigkeit vor. Gemischte Tätigkeiten stehen unter Versicherungsschutz, wenn sie nach Inhalt und Bedeutung wesentlich auch versicherten Zwecken dienen (BSG 20, 215). Eine versicherte gemischte Tätigkeit setzt aber voraus, dass für den Kläger wesentlich auch die Handlungstendenz gewesen ist, dem betrieblichen Zweck, im vorliegenden Fall dem Rehabilitationszweck, zu dienen (vgl. O.E. Krasney in: Schulin HS-UV § 8 Rdnr.49). Dies war aber nicht der Fall. Das Motiv für die Begleitung der Ehefrau war privat geprägt. Aber auch wenn der Kläger einen Behandlungszweck verfolgt haben sollte, so könnte dieser allenfalls nur als nach den Grundsätzen zur gemischten Tätigkeit unbeachtlicher Nebenzweck gewertet werden. Denn der Kläger hätte seine Ehefrau nicht zum Pkw begleitet, wenn das private bzw. partnerschaftliche Motiv entfallen wäre (vgl. BSG 20, 219; BSG SozR 2200 § 550 Nr.62; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.19; B. Schulin in Schulin HS-HV § 30 Rdnr.30).

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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