L 2 U 69/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 158/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 U 69/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24.09.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Verkehrsunfall vom 30.10.1995 als Arbeitsunfall (Wegeunfall) durch Gewährung einer Verletztenrente zu entschädigen ist.

Der im Juli 1955 geborene Kläger war von 1994 bis 1997 als Wachmann im Sicherheitsgewerbe bei der Beklagten unfallversichert. Am 30.10.1995 hatte er von 19:00 abends bis 07:00 Uhr am darauffolgenden Morgen für seinen Arbeitgeber ein Munitionsdepot (Objekt Tappen) zu bewachen. Er behauptet, er sei zunächst davon ausgegangen, er habe dienstfrei und müsse das Haus nicht mehr verlassen; deshalb habe er am Nachmittag des 30.10.1995 erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen; bei einem zufälligen Blick auf seinen Dienstplan habe er dann bemerkt, dass er entgegen dieser Annahme doch Dienst hatte, und sei dann gleich mit seinem Pkw zu seiner Arbeitsstelle gefahren. Auf dem Weg von seiner Wohnung in K ... dorthin verunglückte er gegen 18:30 Uhr auf der Landstraße L ... bei E ..., als er bei einem Überholmanöver in einer leichten, langgezogenen Linkskurve nicht erkannte, dass ihm in einer entgegenkommenden Fahrzeugkolonne ein Fahrzeug mit ausladendem Tandemhänger entgegenkam. Mit diesem steiß er mit seinem Pkw zusammen und kam von der Straße ab. Hierbei zog er sich Verletzungen - insbesondere eine schwere Verletzung der rechten Hand - zu. Die wegen des Verdachts der Trunkenheit veranlasste Blutalkoholbestimmung ergab eine Blutalkoholkonzentration (BAK) im Mittelwert von 1,39 o/oo. Bei seinem Hausarzt Dr. Sch ..., den er am folgenden Tag wegen anhaltender Schmerzen aufsuchte, gab er an, er sei auf dem Weg im Nebel mit einem entgegen kommenden Pkw kollidiert, der einen Hänger gehabt habe.

In ihrer Anklageschrift vom 01.03.1996 ging die Staatsanwaltschaft(StA) Detmold von folgendem Sachverhalt aus: Trotz zuvor in erheblichen Mengen getrunkenen Alkohols befuhr der Angeschuldigte gegen 18:25 Uhr mit seinem Pkw [ ...] die L ... aus Richtung B ... kommend in Richtung B ...: In Folge alkoholbedingter Fehleinschätzung überholte er in E ...- U ... bei Station 2.400 in einer leichten, langgezogenen Linkskurve den bis zu diesem Zeitpunkt vor ihm fahrenden Pkw des Zeugen M ..., obwohl ihm auf der Gegenfahrspur die Pkw´s der Zeugen R ...(R.), W ... und D ...(D.) entgegenkamen, die sich aufgrund des Überholmanövers genötigt sahen, auf den rechten Mehrzweckstreifen auszuweichen, um einen Zusammenstoß zu verhindern.

Während es dem Zeugen D. noch gelang, mit seinem Pkw auf den Seitenstreifen zu fahren, behielt der Anhänger seine Richtung zunächst weiter bei, so dass es zum Zusammenstoß mit dem Pkw des Angeschuldigten kam.

Gegenüber der Beklagten gab der Kläger an, er habe kein genaues Erinnerungsvermögen an den Unfallhergang; er meine noch überholt zu haben, als der entgegenkommende Hänger gegen die Seite seiner Tür geschlagen sei; anschließend sei er die Böschung heruntergerutscht. Nach Beiziehung und Auswertung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten (Ermittlungsstand Februar 1996) lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab: Versicherungsschutz bestehe nicht, da bei absoluter Fahruntüchtigkeit ein typisches alkoholbedingtes Verhalten zum Unfall geführt habe (Bescheid vom 13.03.1996; Widerspruchsbescheid vom 15.05.1996).

Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Der Kläger wurde im Strafverfahren wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Folge Trunkenheit (§ 315 Abs. 1 Nr. 1 a Strafgesetzbuch (StGB)) zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen (à DM 35,00) verurteilt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen (Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 23.07.1996).

Im April 1998 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Entschädigung wegen der Folgen des Unfalls vom 30.10.1995. Er meinte, es habe sich bei dem Unfall um einen entschädigungspflichtigen Wegeunfall gehandelt. Zu dem Unfall sei es bei einem ganz normalen Überholmanöver gekommen. Er sei dabei durch das Abblendlicht eines entgegenkommenden Fahrzeugs geblendet worden, so dass er den Anhänger nicht habe erkennen können. Einem nüchternen Kraftfahrer wäre in der Situation das Gleiche passiert. Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit sei nicht wesentliche Ursache für den Unfall gewesen. Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides vom 13.03.1996 ab: Die nunmehr nachgeschobene Begründung, es sei wegen einer Blendung durch ein entgegenkommendes Fahrzeug zu dem Unfall gekommen, stelle eine reine Schutzbehauptung dar (Bescheid vom 10.06.1998; Widerspruchsbescheid vom 15.07.1998).

Dagegen hat der Kläger mit seiner Klage zum Sozialgericht (SG) Detmold vorgetragen, er sei von einem entgegenkommenden Fahrzeug mit der Lichthupe angeblinkt worden und habe sich nicht erklären können, was der Fahrer damit gemeint habe. Der Unfall wäre einem nüchternen Fahrer gleichermaßen passiert. Die Beweislast dafür, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit wesentliche Unfallursache gewesen sei, liege bei der Beklagten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.1998 zu verpflichten, den Bescheid vom 13.03.1996 aufzuheben und ihm aus Anlass seines Unfall vom 30.10.1995 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, ein Rücknahmetatbestand im Sinne des § 44 SGB X liege nicht vor. Nach der Erfahrung des täglichen Lebens hätte der Kläger nüchtern von einem derartigen rücksichtslosen Überholvorgang Abstand genommen. Allein das grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verhalten sei die Ursache für den Unfall gewesen. In Fällen der Verurteilung nach § 315 c StGB werde der betriebliche Zusammenhang immer gelöst.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, weil die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit wesentliche Unfallursache gewesen sei (Urteil vom 24.09.2001).

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Ausführungen im sozialgerichtlichen Urteil seien nicht überzeugend. Hinsichtlich der behaupteten Blendwirkung bestehe kein Anlass, an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24.09.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 10.06. und 15.07.1998 zu verurteilen, den Bescheid vom 13.03.1996 zurückzunehmen und wegen des Unfalls vom 30.10.1995 Verletztenrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die absolute Fahruntüchtigkeit in Folge des Alkoholgenusses sei wesentliche Unfallursache.

Der Senat hat die Strafakten von der StA Detmold beigezogen und eine Auskunft des Deutschen Wetteramts E ... eingeholt. Darin wird zusammenfassend ausgeführt, dass zum Unfallzeitpunkt unter Berücksichtigung der untergegangenen Sonne sowie der Bewölkung sehr wahrscheinlich Helligkeitsverhältnisse wie in der Nachtdunkelheit vorlagen (Gutachten vom 04.07.2002).

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Strafakten der StA Detmold Bezug; sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, weil der Kläger durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert ist, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 13.03.1995 und Gewährung der begehrten Verletztenrente besteht nicht, § 44 Abs. 1 SGB X.

Die frühere Ablehnung war rechtmäßig. Zu Recht ist die Beklagte im Rahmen ihrer erneuten Sachprüfung unter Auswertung der Strafakten und unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens des Klägers erneut zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dem Verkehrsunfall vom 30.10.1995 nicht um einen entschädigungspflichtigen Wegeunfall handelt und deshalb der geltend gemachte Anspruch auf Verletztenrente nicht besteht.

Die rechtliche Beurteilung richtet sich hier noch nach dem früheren, vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) maßgeblichen Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO),weil der als Arbeitsunfall geltend gemachte Unfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist, § 212 SGB VII, Art. 36 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG).

Nach §§ 580 Abs. 1, 581 Abs. 1 RVO erhält der Verletzte eine Rente, wenn die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit über die dreizehnte Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert, solange infolge des Arbeitsunfalls seine Erwerbsfähigkeit um mindestens ein Fünftel gemindert ist. Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543-545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach § 550 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall wesentlich herbeigeführt hat (vgl. zuletzt Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 10.10.2002, Aktenzeichen (Az) B 2 U 6/02 R auf S 5 und Az B 2 U 8/02 R auf S 8 des amtlichen Umdrucks). Allerdings hat der Gesetzgeber nicht schlechthin jeden Weg unter Versicherungsschutz gestellt, der zur Arbeitsstätte hinführt oder von ihr aus begonnen wird. Vielmehr ist nach § 550 Abs. 1 RVO darüber hinaus erforderlich, dass der Weg mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängt, also ein innerer (sachlicher) Zusammen hang zwischen dieser und dem Weg besteht. Dieser innere Zusammenhang liegt vor, wenn der Weg wesentlich dazu dient, die versicherte Tätigkeit aufzunehmen oder nach ihrer Beendigung die Wohnung oder einen dritten Ort zu erreichen. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zur welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten betrieblichen Tätigkeit bzw. - wie hier - zum Weg zur Arbeitsstätte gehört (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr. 70; BSG SozR 2200 § 550 Nrn 1 und 14 und zuletzt BSG, Urteil vom 04.06.2002 - B 2 U 11/01 R = SozR 3-2700 § 8 Nr 10). Daran fehlt es etwa dann, wenn der Versicherte den Weg zur Arbeitsstelle für zum Erreichen dieses Zieles nicht dienliche Zwecke nutzen will (vgl BSG SozR 3 - 2200 § 550 Nr 21 mwN). Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird; fehlt es an einem solchen inneren Zusammenhang, scheidet ein Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf der selben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2200 § 550 Nrn 21,16 und 4 mwN; Urteil vom 17.02.1998 - B 2 U 1/97 R - = USK 98 50; SozR 3-2700 § 8 Nr 10). Für die tatsächlichen Grundlagen des Vorliegens einer versicherten Tätigkeit muss der volle Beweis erbracht werden, das Vorhandensein versicherter Tätigkeit muss also sicher feststehen (vgl BSG 58, 76, 77 = SozR 2200 § 558 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84 mwN), während für die - außerdem erforderliche - kausale Verknüpfung zwischen ihr und dem Unfall (die haftungsbegründende Kausalität) hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt (vgl BSGE 58, 80, 82 = SozR 2200 § 555 a Nr 1 mwN; BSG, Urteil vom 19.12.2000, Az B 2 U 45/99 R) = SozR 3-2200 § 550 Nr 21 und zuletzt SozR 3-2700 § 8 Nr 10).

Die Fahrt des Klägers stand zwar nach diesen Grundsätzen noch in einem inneren Zusammenhang mit dem geschützten betrieblichen Weg, der Unfall war indes wesentlich allein auf die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit (Synonymer Begriff in Anlehnung an den Wortlaut von §§ 315c, 316 StGB: absolute Fahrunsicherheit; vgl Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben. Strafgesetzbuch. Kommentar. 26. Aufl. München 2001, § 316 RdNrn 5, 8ff mwN einerseits und Tröndle/Fischer. Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen. Kommentar, 50. Aufl. München 2001, RdNrn.4ff zu § 316 andererseits) zurückzuführen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger die Fahrt im Zustand alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit zurückgelegt hat. Das bedeutet, dass er unabhängig von sonstigen Beweiszeichen ( also i.S. einer unwiderleglichen Vermutung) fahruntüchtig war, weil bei ihm eine BAK von mindestens 1,1 o/oo vorlag (vgl. BSG Urteil vom 25.11.1992, Az 2 RU 40/91 = HV INFO 1993, 305ff in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28.06.1990, BGHSt 37, 89, 94; BSG Urteil vom 23.09.1997, Az 2 RU 40/96 = SGb 1998, 600ff = HV INFO 97, 2841ff). Dieser Zustand führt aber nicht dazu, dass von vorne herein der wertend zu bestimmende innere Zusammenhang entfällt. Der Senat versteht die neuere Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 19.12.2000 und 04.06.2002, SozR 3-2200 § 550 Nr 20 und SozR 3-2700 § 8 Nr 10) nicht dahingehend, dass bei Fahrten im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit wegen von vorneherein fehlender Betriebsdienlichkeit der innere Zusammenhang entfällt. Denn die Handlungstendenz ist in solchen Fällen nicht von vorneherein auf einen betriebsfremden Zweck gerichtet, sondern im Regelfall noch von dem - natürlichen - Willen getragen, das Ziel des geschützten Weges - hier: den Ort der Tätigkeit - zu erreichen (so wohl auch: BSG, Urteil vom 23.09.1997, Az 2 RU 40/96 S 3f des amtlichen Umdrucks). Der Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit wird nach Auffassung des Senats in solchen Fällen erst dann gelöst, wenn der Betreffende zu einem ernstlichen, dem versicherten Bereich dienenden Verhalten überhaupt nicht mehr in der Lage ist (sog. Leistungsausfall; vgl Hauck in: Weiss/Gagel(Hrsg). Handbuch des Arbeits- und Sozialrechts. Systematische Darstellung. Stand Januar 2003. § 22 A. Die Unfallrenten. RdNr. 70 S 37 mwN). Dafür sind vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich. Damit befand sich der Kläger, auch wenn er die Fahrt bereits im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit angetreten hatte, noch auf einem grundsätzlich versicherten Weg. Einer Vertiefung dieser Überlegungen bedarf es indes nicht, weil es jedenfalls an der haftungsbegründenden Kausalität zwischen dem Zurücklegen des geschützten Weges und dem konkreten zum Unfall führenden Geschehen (hier der Einleitung und Durchführung des gefährlichen Überholvorgangs) fehlt. Denn die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit ist die allein wesentliche Ursache für dieses zum Unfall führende Verhalten geworden. Dabei mag dahinstehen, ob hier zur Illustration auf die gelegentlich angeführte Rechtsfigur der sog. selbstgeschaffenen Gefahr zurückzugreifen ist (vgl BSGE 42, 129, 133 = SozR 2200 § 548 Nr 22; 64, 159, 162 = SozR 2200 § 548 Nr 93; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 21 und SozR 3-2700 § 8 Nr 10; ablehnend Hauck, aaO., RdNr 7 S 6 Fn 6 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (seit dem Urteil vom 30.06.1960 = BSGE 12, 242, 245 = NJW 1960, 1636: BSGE 18, 101 = SozR Nr 58 zu § 542 RVO; BSGE 38, 127; 45, 285, 286; 48, 228, 229; Urteile vom 31.03.1981, Az 2 BU 73/79, und 25.01.1983, Az 2 RU 35/82; BSGE 59, 193, 195f; Urteil vom 25.09.1992, Az 2 RU 40/91 = HV INFO 1993, 305ff; Beschluss vom 02.03.1993, Az 2 BU 214/92; Urteil vom 23.09.1997, Az 2 RU 40/96 = SGb 98, 600ff) schließt alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung aus, wenn sie die betrieblichen Umstände derart in den Hintergrund drängt, dass sie als rechtlich (also allein) wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist (Brackmann/Krasney/ Burchardt/Wiester. Handbuch der Sozialversicherung Bd 3. Gesetzliche Unfallversicherung. 12. Aufl. § 8 RdNr 345 mwN). Damit wird der Gefährlichkeit des Alkohols als berauschendes Mittel und den damit im Straßenverkehr verbundenen Auswirkungen Rechnung getragen. Das allgemeine Risiko der Teilnahme am Straßenverkehr wird nämlich durch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit erheblich vergrößert. Der Anlass für den Konsum ist dabei unerheblich. Auch Alkoholkonsum aus verständlichen oder nachvollziehbaren Gründen lässt den Versicherungsschutz entfallen (BSGE 59, 193, 196).

Soweit sich die Beklagte zur Ablehnung der Entschädigung auf das verbotswidrige Verhalten des Klägers und seine rechtskräftige Verurteilung nach § 315 c StGB beruft, rechtfertigt dies allein allerdings nicht die Ablehnung. Zwar hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts im Falle eines zu einem Unfall führenden grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Überholmanövers entschieden, eine Verurteilung nach § 315c Abs 1 Nr 2 schließe Zweifel daran, dass das Verhalten auf überwiegend privaten Zwecken beruht habe, aus, weil rücksichtsloses Verhalten nicht nur auf eigennützigen, sondern darüber hinaus auf den Versicherungsschutz ausschließenden eigensüchtigen Motiven beruhe. Fälle der Verurteilung wegen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit nach § 315c Abs 1 Nr 1 StGB seien von diesem Ausschluss gleichermaßen betroffen (Urteil vom 11.10.1994, Az 9 RV 8/94 = BSGE 75, 180ff. = SozR3-2200 § 81 Nr 12). Die Gleichsetzung dieser Fallgestaltungen hat der für die gesetzliche Unfallversicherung zuständige 2. Senat des BSG jedoch mit guten Gründen abgelehnt (BSG Urteil vom 19.12.2000, Az B 2 U 45/99 R = SozR3-2200 § 550 Nr 21 und Urteil vom 04.06.2002, Az B 2 U 11/01 R = SozR 3-2700 § 8 Nr 10). Nach dieser Rechtsprechung schließen waghalsige Überholmanöver, die zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger oder vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c Abs 1 Nr 2 StGB führen, nach der Systematik der Vorschriften im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung den Versicherungsschutz nicht grundsätzlich aus. Vielmehr ist auch in solchen Fällen davon auszugehen, dass durch ein solches Überholmanöver der innere Zusammenhang zur Zurücklegung des Betriebsweges nicht unterbrochen ist (BSG a.a.O.). Aus diesen Entscheidungen kann der Kläger für seinen Standpunkt (etwa im Sinne eines Analogieschlusses) gleichwohl nichts herleiten. Denn das BSG hat ausdrücklich betont, dass in Fällen alkoholbedingter Fahrtüchtigkeit etwas anderes gelte, weil das Fahren in diesem Zustand von vorne herein nicht betrieblichen Zwecken zu dienen bestimmt sei. Auf solche Fallgestaltungen bezog sich die Abweichung des 2. Senats vom Urteil des 9. Senats daher von vorneherein nicht.

Bei Gewichtung der zum Unfall vom 30.10.1995 führenden Tatsachen lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass die Einleitung des Überholvorganges sowie das Fortsetzen desselben trotz Aufblendens eines entgegenkommenden Fahrzeuges noch wesentlich von dem Bestreben veranlasst und getragen waren, die Arbeitsstelle "Munitionsdepot" (als Endpunkt des geschützten Weges) zu erreichen. Vielmehr spricht alles dafür, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit den Kläger zu dem waghalsigen, für alle beteiligten Verkehrsteilnehmer lebensgefährlichen Überholmanöver veranlasst hat. Es ist indes nicht erforderlich, eine allein wesentliche Alternativursache festzustellen, weil die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen (hier: für die haftungsbegründende Kausalität) entgegen der Auffassung des Klägers diesem obliegt (vgl Hauck aaO RdNr 70 S 38 oben unter Hinweis auf BSG SozR 2200 § 548 RVO Nr 46). Die objektive Beweislast obliegt demjenigen, der aus einem Sachverhalt Rechte herleiten will: lassen sich die zugrundeliegenden Tatsachen nicht beweisen, wirkt sich diese Beweislosigkeit zu seinem Nachteil aus. Auf die objektive Beweislast ist hier allerdings nicht entscheidend abzustellen, weil der Senat davon überzeugt ist, dass allein die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit wesentliche Ursache für den Unfall war. Dabei ist ohne Bedeutung, ob der Kläger trotz seines Zustands das Aufblenden des entgegenkommenden Fahrzeugs (des Zeugen R.) registriert hat, wie er nun mehr abweichend zu seiner früheren Einlassung behauptet. Hat er es bemerkt, zeugt seine (Nicht-) Reaktion (vgl die Einlassung vor dem SG im Erörterungstermin am 22.06.1999) davon, dass sein Verhalten wesentlich durch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit geprägt war. Denn es ist eine allgemeiner Erfahrung entsprechende offenkundige Tatsache (§§ 202 SGG in Verbindung mit 291 Zivilprozessordnung (ZPO)), dass das Aufblenden im Straßenverkehr jedenfalls in derartigen Situationen Warnfunktion hat und den Adressaten auffordert, sich zur Vermeidung von Gefahren verkehrsgerecht zu verhalten. Hat er es nicht bemerkt, gilt das Gleiche. Ob er es bemerkt hat oder nicht ist damit unerheblich, da das jeweilige Verhalten (entweder das Nicht-bemerken oder das Nicht-darauf-reagieren) in beiden Alternativen durch die absolute Fahruntüchtigkeit nachvollziehbar erklärt wird.

Für die Zusammenhangsbeurteilung kommt es jedoch hierauf nicht entscheidend an, weil der Kläger sich schon mit der Einleitung des Überholvorgangs aus dem betrieblichen Zusammenhang gelöst hat. Es kann dahinstehen, ob ein im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit herbeigeführter Unfall nach allgemeinen Beweisregeln (Anscheinsbeweis; tatsächliche Vermutung) schon begrifflich (Fahruntüchtigkeit) immer (auch) auf die Wirkung des Alkohols zurückzuführen ist, weil beim Grenzwert von 1,1 o/oo bei jedem Kraftfahrer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von fehlender Fahrtüchtigkeit im Sinne der Lenkung und Beherrschung eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr auszugehen ist (BSG Urteil vom 25.11.1992, Az 2 RU 40/91, S 5f des amtlichen Umdrucks). Jedenfalls ist der Senat in Würdigung der einzelnen Umstände hier der Überzeugung, dass ein solcher wesentlicher Zusammenhang besteht und in seiner Bedeutung die fortbestehenden betrieblichen Zwecke (hier das Erreichen des Munitionsdepots) zurückdrängt, so dass der Kläger keiner Betriebsgefahr erlegen, sondern bei Gelegenheit der Zurücklegung des versicherten Weges verunglückt ist. Als Unfallursache ist das im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit eingeleitete Überholmanöver anzusehen, das die allgemeinen Risiken und Gefahren des Straßenverkehrs wesentlich erhöht und den eingetretenen Schaden letztlich allein verursacht hat. Weitere wesentliche Unfallursachen sind nicht erkennbar. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist beim Fehlen sonstiger Umstände beim Fahren auf einem grundsätzlich geschützten Weg im Zustand der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit ein durch eigenes Fehlverhalten wesentlich herbeigeführter Unfall immer wesentlich auf die absolute Fahruntüchtigkeit zurückzuführen: Wer am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl er dazu nicht mehr in der Lage ist, und einen Unfall verursacht, bei dem wird vermutet, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit, sofern sie typisch für ein solches Fehlverhalten ist, immer auch wesentlich ursächlich für den Unfall geworden ist (vgl BSGE 59, 193, 196). In solchen Fällen kann die haftungsbegründende Kausalität trotz alkoholbedingter wesentlicher Fahruntüchtigkeit nur dann bejaht werden, wenn andere Unfallursachen festgestellt werden können, z. B. grob verkehrswidriges Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer, erhebliche Mängel des Verkehrsweges, unerwartete Verkehrshindernisse oder Ähnliches, die ebenfalls wesentlich sind, weil sie auch bei fahrtüchtigen Verkehrsteilnehmern wahrscheinlich in gleicher Weise zu einem Umfall geführt hätten (vgl BSG aaO und Urteil vom 22.09.1997, Az 2 RU 40/96 = SGb 1998, 600, 602f). Ist das - wie hier - nicht der Fall, wird vermutet, dass sich in dem zum Unfall führenden Verhalten eine typische Gefahr realisiert hat, wie sie alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit innewohnt.

Das Überholverhalten des Klägers war entgegen seiner - bagatellisierenden - Auffassung kein normales Überholmanöver, sondern - auch unabhängig vom Alkoholgenuss - ein verbotswidriges Verhalten, wie es in § 315c Abs 1 Nr 2b StGB mit Strafe bewehrt ist. Denn der Kläger hat bei Nacht in einer unübersichtlichen, lang gezogenen Linkskurve überholt und dadurch (auch) Leib und Leben anderer Menschen und fremde Sachen von bedeutsamem Wert gefährdet. Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der eigenen Einlassung des Klägers, der Feststellungen im Strafverfahren und der Auskunft des Deutschen Wetteramts fest. Insbesondere durch die Inaugenscheinnahme der vom Oberkreisdirektor Detmold - Polizeiinspektion L ... - gefertigten Lichtbilder (Bl 27ff der Strafakten), vermochte sich der Senat einen ausreichenden Eindruck von den Verhältnissen am Unfallort zu verschaffen. Unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse, der Licht- und Witterungsverhältnisse im Unfallzeitpunkt und des Fahrverhaltens aller beteiligten Verkehrsteilnehmer ist das konkrete Verhalten des Klägers wie folgt zu bewerten: Der Kläger hat aufgrund alkoholbedingter Enthemmung eine Gefahr im Straßenverkehr falsch eingeschätzt und zum Überholen in einer Situation angesetzt, in der ein verantwortungsvoller Autofahrer schon im eigenen Interesse von einem solchen Verhalten auch dann Abstand nähme, wenn er durch ein solches Manöver schneller an seinen Zielort gelangte, weil dieser Erfolg in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem damit für alle betroffenen Verkehrsteilnehmer verbundenen Risiko stünde. Kein vernünftiger Verkehrsteilnehmer setzte seine Gesundheit und sein Leben aufs Spiel, um einige Sekunden früher an seinem Arbeitsplatz zu sein. Dieses extreme Missverhältnis von Risiko und Nutzen ist eine typische Erscheinungsform alkoholbedingten Verhaltens, weil durch den Alkoholgenuss die realistische Einschätzung einer Gefahr erschwert und die Risikobereitschaft erhöht wird (vgl. BGHSt 13, 83, 90; Schönke/Schröder/ramer/Sternberg-Lieben aaO, § 315c RdNr 10 und § 316 RdNr 4f).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang steht.
Rechtskraft
Aus
Saved