L 2 KN 87/02 U

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 40/02 U
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KN 87/02 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.04.2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung weiterer Verletztenrente für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.05.1996 in Höhe von 14.207, 94 Euro.

Der am 30.01.1940 geborene Kläger erlitt am 24.02.1960 als Berglehrling/Lehrhauer - Endziel der Ausbildung Grubensteiger - unter Tage einen offenen Speichenbruch links. Die Beklagte gewährte Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. (Bescheide vom 12.06.1961, 20.06.1962 und 14.04.1966 unter Aufhebung des Bescheides 26.11.1963). Den Jahresarbeitsverdienst (JAV) setzte sie wegen Vollendung des 21. Lebensjahres nach § 565 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) ab 01.02.1961 auf den Leistungslohn eines Hauers fest (DM 7.566,--; Bescheid vom 12.10.1961 unter Änderung des Bescheides vom 12.06.1961). Sie fand von Mai 1986 bis Ende Mai 1996 die Rente zum Erwerb von Grundbesitz zur Hälfte ab (Bescheid vom 14.04.1986). Der Kläger begehrte implizit Überprüfung des JAV (Schreiben vom 07.03.1997), da er wegen der Folgen des Arbeitsunfalls sein Berufsziel nicht habe verwirklichen können. Die Beklagte stellte den JAV mit 15.076,- DM zum 01.04.1963 fest, nahm die Bescheide vom 12.10.1961 und 14.04.1986 insoweit zurück und gewährte höhere Rentenzahlungen ab 01.01.1993 (Bescheid vom 02.04.1998; zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 08.04.1999). Der sich anschließende Rechtsstreit (Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen, S 6 KN 115/99 U) endete durch Vergleich (26.06.2001; LSG NRW, L 2 KN 251/00 U)). Danach hatte die Beklagte von einem JAV von 16.348,-- DM zum 01.01.1964 auszugehen, diesen auch um die Änderungen durch das 7. und 8. Rentenanpassungsgestz zu dynamisieren und dem Kläger auf dieser Grundlage Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab 01.01.1993 nebst gesetzlicher Verzinsung zu gewähren. Die Beklagte berechnete die Rente zur Ausführung des Vergleichs neu (Bescheid vom 20.08.2001). Bei der Abrechnung berücksichtigte sie für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.05.1996 zum einen den jeweils gezahlten hälftigen monatlichen Rentenzahlbetrag und zum anderen als zu zahlenden monatlichen Betrag jeweils den aufgrund des Vergleichs rechnerisch ermittelten hälftigen monatlichen Rentenzahlbetrag. Für die Zeiträume ab 01.06.1996 brachte sie so dann jeweils den vollen monatlichen Rentenzahlbetrag in Ansatz. Gegen den mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen und an den Kläger und seine Prozessbevollmächtigten übersandten Bescheid wurde kein Widerspruch erhoben.

Am 02.11.2001 beantragte der Kläger, den Bescheid vom 20.08.2001 zu überprü fen. Für die Zeit bis 31.05.1996 sei zur Unrecht jeweils nur der hälftige monatliche Zahlbetrag in Ansatz gebracht worden. Die Beklagte lehnte den Antrag ab und wies den Widerspruch zurück (Bescheide vom 15.01. und 05.02.2002).

Zur Begründung seiner Klage zum SG Gelsenkirchen hat der Kläger seine Rechtsauffassung wiederholt und Zahlung von weiteren 14.207,94 Euro für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.05.1996 begehrt.

Die Beklagte hat die angefochtenen Entscheidungen verteidigt.

Das SG die Klage aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung abgewiesen (Urteil vom 26.04.2002).

Zur Begründung seiner Berufung vertritt der Kläger die Auffassung, den auf grund der Neuberechnung nach dem Vergleich vom 26.06.2001 in Ansatz gebrachten hälftigen monatlichen Rentenzahlbeträgen für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.05.1996 seien zur Verrechnung nicht die von der Beklagten gegenübergestellten hälftigen monatlichen Rentenzahlbeträge in Ansatz zu bringen, sondern die sich aus dem Abfindungsbescheid vom 14.04.1986 rechnerisch ergebenden hälftigen monatlichen Rentenzahlbeträge.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.04.2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 15.01. und 05.02.2002 zu verurteilen, den Bescheid vom 20.08.2001 teilweise aufzuheben und für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.05.1996 weitere Euro 14.207, 94 nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Anspruch auf Zahlung weiterer Verletztenrente für die Zeit vom 01.01.1993 bis zum 31.05.1996 hat der Kläger nicht. Nach § 44 Abs. 4 10. Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 20.08.2001 insoweit ausgeschlossen. Zwar erlaubt die Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, unanfechtbar gewordene nicht begünstigende Verwatlungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 44 Abs. 4 SGB X läßt aber nur zu, Sozialleistungen wie die Verletztenrente längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme zu erbringen (S.1). Dabei wird der Zeitraum der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (S.2). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkende Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (S.3). Aufgrund dieser materiell-rechtlichen Anspruchsbeschränkung (vgl. Schroeder-Printzen/Wiesner SGB X § 44 Rdnr. 19, m.w.N.) wäre im Falle rückwirkender Gewährung weiterer Verletztenrente dies nur für den nicht vom Berufungsantrag umfassten Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.12.2000 möglich (Antrag vom 02.11.2001). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll wegen des Unterhaltscharakters laufender Sozialleistungen verhindert werden, dass diese für einen längeren Zeitraum als 4 Jahre nachgezahlt werden (BT-Drucks 8/2034, S. 34). Die materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung der Ausschlussregelung des § 44 Abs. 4 SGB X ist von Amts wegen zu beachten und verfassungsrechtlich unbedenklich (BSG SozR 1300 § 44 Nr. 23). Danach hat der Gesetzgeber mit der Regelung einen Konflikt zwischen dem Interesse einerseits des Versicherten an einer vollständigen Erbringung der ihm ggfs. zur Unrecht vorenthaltenen Sozialleistung und andererseits der Solidargemeinschaft der Versicherten an einer Erhaltung der Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Versicherungsträgers und damit einhergehend an einer möglichst geringen Belastung mit Ausgaben für Leistungen für zurückliegende Zeiträume lösen müssen. Bei der Lösung dieses Interessenkonfliktes hat er den ausgeprägten sozialen Bezug und die bedeutsame soziale Funktion von Rentenansprüchen berücksichtigen dürfen und müssen. Das schließt es aus, einseitig das Interesse des Versicherten an der Erfüllung seiner Rentenansprüche auf weiter zurückliegende Zeiträume als ausschlaggebend zu bewerten und darüber hinaus die Interessen der Versichertengemeinschaft daran zu vernachlässigen, dass die Ausgaben des Leistungsträgers zur Erfüllung rückständiger Leistungen in vertretbarem Umfang gering gehalten werden und dadurch annährend kalkulierbar bleiben. Die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X ist demnach im Kontext mit § 45 SBG I (Verjährung von Ansprüchen auf Sozialleistungen) und § 25 SGB IV (Verjährung von Ansprüchen auf Beiträge) zu sehen. Danach verjähren Ansprüche sowohl auf Sozialleistungen als auch auf Beiträge im allgemeinen in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres ihrer Entstehung bzw. ihrer Fälligkeit. Der Gesetzgeber hat durch die Wahl eines einheitlichen Jahreszeitraumes auch in § 44 Abs. 4 SGB X zum Ausdruck gebracht, dass gleichermaßen zu Lasten, wie aber auch zu Gunsten des Versicherten Rechte und Pflichten aus dem Sozialleistungsverhältnis nach Ablauf einer solchen Zeitspanne nicht mehr sollen geltend gemacht werden kön nen. Dies stellt eine in sich ausgewogene Gesamtregelung dar, innerhalb derer die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X eine den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende und damit zulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz ist. Ungeachtet dessen, dass unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 28.09.1999, Az.: B 2 U 32/98 R, SozR 3-2200 § 506 RVO Nr. 1) sowie von Sinn und Zweck der Abfindungsregelung, den abgefundenen Teil im allseitigen Interesse außer Streit zu stellen, alles dafür spricht, dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 20.08.2001 rechtmäßig entschieden hat, besteht wegen des Ablaufs der Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X von vorn herein kein Überprüfungsanspruch mehr (BSG, Beschl. vom 26.10.1994, Az.: 8 BH (KN) 1/94, SoR 3-6610 Art. 5 Abk Marokko SozSich; Urteil vom 06.03.1999, Az.: 9b RAr 7/90 SozR 3-1300 § 44 SGB X Nr. 1; ebenso BVerfG, Buchholz 436.36 § 17 BAföG Nr. 15).

Andere Rechtsgrundlagen stehen dem Kläger nicht zur Verfügung, um den bestandskräftigen Bescheid vom 20.08.2001 zu überprüfen. Auch dies hat der Senat eingehend erörtert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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