L 15 U 181/95

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 U 67/94
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 181/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27. Juni 1995 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Entschädigungsleistungen wegen eines Unfalls.

Die 1935 geborene Klägerin ist bei der W. A. Zeitung als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 25.11.1991 begab sie sich während der Arbeitszeit in die Betriebskantine, um dort ein Frühstück zu kaufen und damit zum Arbeitsplatz zurückzukehren. Nachdem sie das Frühstück erworben und sich zum Verlassen der Kantine umgedreht hatte, rutschte sie auf einem auf dem Boden liegenden Tomatenstück aus und fiel auf die linke Hüfte. Der Durchgangsarzt diagnostizierte eine mediale Schenkelhalsfraktur links.

Durch Bescheid vom 15.03.1994 lehnte die Beklagte eine Entschädigung ab mit der Begründung, der Aufenthalt in der Kantine stehe grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz. Der Unfall sei auch nicht durch eine betriebsspezifische Gefahr verursacht worden. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin im wesentlichen geltend, sie habe sich nach der Entgegennahme des Frühstücks auf dem Weg von der Kantine zur Arbeitsstelle befunden. Dieser Weg sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung versichert. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.1994 wies die Beklagte den Rechtsbehelf als unbegründet zurück, weil der Unfall sich noch innerhalb der Kantine und damit außerhalb des versicherten Bereichs ereignet habe.

Am 25.04.1994 hat die Klägerin Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, es habe sich bei dem Kantinenboden um einen glatten Kunststoffboden gehandelt.

Mit Urteil vom 27.06.1995 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und dies vornehmlich damit begründet, daß Wege innerhalb des Kantinenbereichs grundsätzlich unversichert seien. Die am Boden liegende Tomate habe zudem keine betriebsspezifische Gefahrenquelle dargestellt. Das gelte auch für den glatten Kunststoffboden.

Gegen dieses am 06.07.1995 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.07.1995 eingelegte Berufung. Die Klägerin weist zusätzlich darauf hin, die Einnahme des Frühstücks habe dem Erhalt ihrer Arbeitskraft gedient.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.06.1995 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15.03.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.1994 zu verurteilen, das Ereignis vom 25.11.1991 als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die Klägerin hat am 25.11.1991 entgegen ihrer Auffassung keinen Arbeitsunfall erlitten. Ihr Sturz ereignete sich nicht bei einer versicherten Tätigkeit im Sinne des § 548 RV0, weil der Kantinenaufenthalt nicht in dem hierzu erforderlichen inneren Zusammenhang mit der Beschäftigung der Klägerin stand, er vielmehr überwiegend nicht versicherten persönlichen Zwecken diente.

Der Einkauf von Lebensmitteln ist ebenso wie die Essenseinnahme während der Arbeitsschicht grundsätzlich eine eigenwirtschaftliche Verrichtung (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 481 c ff. mit zahlreichen Nachweisen). Der private Charakter entfällt nicht deshalb, weil die Klägerin die Nahrungsmittel zum alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz gekauft hatte und die Einnahme des Frühstücks auch dem Erhalt ihrer Arbeitskraft und der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit an diesem Tag förderlich war. Denn ein solcher Sachverhalt läßt die Eigenwirtschaftlichkeit der Besorgung nicht in den Hintergrund treten, sondern führt lediglich dazu, daß der Weg zur Einkaufsstätte versicherungsrechtlich geschützt ist (vgl. BSG SozR 2200 § 550 Nrn. 28 und 54).

Besonderheiten, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten, liegen im Falle der Klägerin nicht vor. So ist z.B. ein Versicherungsschutz bei der Nahrungsaufnahme oder der Beschaffung von Lebensmitteln anzunehmen, wenn besondere betriebliche Umstände, etwa eine körperlich stark beanspruchende Tätigkeit, die Essenseinnahme beeinflussen und damit einen so engen Kausalzusammenhang zwischen dem Essen und der betrieblichen Tätigkeit begründen, daß das Moment der Eigenwirtschaftlichkeit zurücktritt (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nrn. 20; 73; 82; Brackmann, a.a.0., S. 481 mit weiteren Nachweisen). Derartige Umstände fehlen hier. Unerheblich ist insbesondere, daß sich der Unfall der Klägerin in einer Werkskantine ereignete (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 20). Gegenüber der eigenwirtschaftlichen Handlungstendenz kommt dem Interesse des Arbeitgebers, seinen Arbeitnehmern die Essenseinnahme in der betriebseigenen Kantine zu ermöglichen, um damit eine Zeitersparnis, eine Schonung der Arbeitskraft und eine sinnvolle Pausengestaltung zu ermöglichen, nur eine untergeordnete Bedeutung zu (BSG USK 82 217).

Die Klägerin befand sich im Zeitpunkt des Unfalls auch nicht auf einem gemäß § 548 RV0 versicherten Betriebsweg. Zwar erstreckt sich der Versicherungsschutz auf Wegen vom 0rt der Tätigkeit zu der Stelle, an der der Einkauf der Lebensmittel stattfindet und zurück auch auf Wege innerhalb der Betriebsstätte (SozR 2200 § 548 Nr. 97). Die Klägerin war jedoch, als sie ihren Einkauf bereits abgeschlossen und sich umgewandt hatte, um an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, noch nicht wieder auf einem solchen geschützten Weg. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG endet und beginnt dieser Weg nämlich mit dem Durchschreiten der Außentür des Geschäfts, der Gaststätte, Kantine o.ä. Einrichtungen (BSG USK 88 20 mit weiteren Nachweisen). Wege innerhalb des 0rtes, an dem die Nahrung aufgenommen oder gekauft wird, sind hingegen unversichert (a.A. KassKomm-Ricke § 548 RV0 Rdnr. 50). Die Grenzziehung richtet sich damit nach objektiv räumlichen Kriterien, wie dies auch in anderen Bereichen, etwa bei der Beurteilung von Wegeunfällen gemäß § 550 RV0, der Fall ist. Eine solche Abgrenzung entspricht dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und einer möglichst einheitlichen Behandlung (vgl. BSG USK 73 105). Die Außentür der zum Einkauf aufgesuchten Räumlichkeit bildet auch dann die Grenze des Versicherungsschutzes, wenn der Kauf in einer betriebseigenen Kantine vorgenommen wird. Denn es gibt keinen sachlichen Grund, Versicherte, die eine Werkskantine besuchen, besserzustellen als Beschäftigte, die sich zur Lebensmittelbesorgung in eine Einrichtung außerhalb der Betriebsstätte begeben. Die Beziehungen dieser Wege zu dem Betrieb sind in beiden Fällen qualitativ identisch (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 97); deshalb verbietet es sich, den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit jeweils unterschiedlich zu bewerten.

Die Voraussetzungen, unter denen im Einzelfall auch bei einer privaten Verrichtung Versicherungsschutz besteht, sind hier ebenfalls nicht erfüllt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt ein derartiger Ausnahmefall vor, wenn eine besondere Betriebsgefahr auf den Versicherten im räumlich-zeitlichen Bereich seines Arbeitsplatzes einwirkt, ohne daß die private Tätigkeit wesentlich zur Bedrohung durch die Betriebsgefahr beigetragen hat (BSG SozR 3 2200 § 548 Nr. 22). In einer solchen Situation befand sich die Klägerin indessen nicht. Der Senat pflichtet dem Sozialgericht darin bei, daß weder die am Boden liegende Tomate noch der glatte Kunststoffboden eine betriebsspezifische Gefahrenquelle darstellt; denn beide Gefahren gingen nicht von der Betriebsstätte, sondern von der Kantine aus. Mit dem Betreiben und der Inanspruchnahme der Kantine verbundene Umstände können der betrieblichen Sphäre nicht zugeordnet werden. Dementsprechend hat auch das BSG einen durch Pfirsichsaft verunreinigten Kantinenboden nicht als besondere betriebsspezifische Gefahrenquelle, vielmehr im Gegenteil ausdrücklich als Risiko angesehen, mit dem bei Essensausgaben allgemein zu rechnen sei (BSG USK 82 217). Auch diese Einschränkung folgt aus dem Gebot der Gleichbehandlung mit Unfällen bei Aufenthalten und auf Wegen in Gaststätten, Lokalen, Lebensmittelläden und ähnlichen Einrichtungen außerhalb des Betriebsgeländes, die dem Beschäftigungsbetrieb nicht zugerechnet werden und vom Unfallversicherungsschutz ausgenommen sind (vgl. BSG USK 88 20 sowie Urteile des erkennenden Senats L 15 U 96/94 vom 21.06.1994 und L 15 U 33/95 vom 29.08.1995). Es wäre wie bei der eigentlichen Essenseinnahme und der Abgrenzung des Betriebsweges ein Wertungswiderspruch, würde man in den sich aus dem Besuch der Werkskantine für den Versicherten ergebenden Risiken allein wegen ihrer Betriebsnähe und der damit auch für das Unternehmen verbundenen Vorteile ein den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit begründendes Merkmal sehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist zuzulassen, weil der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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