L 15 U 241/96

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 U 46/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 241/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 RU 8/97
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherungsschutz eines Studenten bei Abgabe einer Hausarbeit.
Begibt sich ein Student von seiner Wohnung zum Postamt, um dort zur Wahrung der ihm von der Universität gesetzten Abgabefrist eine studienplanmäßige Übungshausarbeit aufzugeben, so steht er auf diesem Weg unter Unfallversicherungsschutz.
Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger bei einem Verkehrsunfall unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.

Der am 13.12.1972 geborene Kläger studiert Rechtswissenschaften an der Universität K. und wohnt in W. Am 04.08.1995 verunglückte er an seinem Wohnort mit einem Leichtkraftroller, als er sich auf dem direkten Weg von seiner Wohnung zur Post befand, um dort eine studienplanmäßig vorgeschriebene Universitäts-Hausarbeit aufzugeben, die er an diesem Tag fertiggestellt hatte. Die Hausarbeit mußte spätestens am 04.08.1995 entweder bei der Universität in K. abgegeben, oder mit der Post abgesandt werden, wobei das Datum des Poststempels maßgeblich war. Bei dem Unfall zog sich der Kläger nach dem ärztlichen Entlassungsbericht des Kreiskrankenhauses M. in W. unter anderem große Unterkelschnittverletzungen sowie eine subtotale Ruptur des hinteren Kreuzbandes links zu.

Mit Bescheid vom 24.11.1995 lehnte das beklagte Land eine Entschädigung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte es aus, die Fertigung der Hausarbeit im privaten Bereich stehe nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weil die Tätigkeit außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule verrichtet werde. Bei dem Weg zur Post zwecks Abgabe der Hausarbeit handele es sich um eine ausstrahlende Maßnahme, die im Zusammenhang mit dieser Hausarbeit stehe und deshalb ebenfalls nicht versichert sei.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, wenn die Hochschule die Abgabe der Hausarbeit so organisiere, daß diese entweder in der Hochschule abgegeben oder aber bei der Post aufgegeben werden könne, so müßten beide Varianten unfallversicherungsrechtlich gleich behandelt werden und unter Versicherungsschutz stehen. Dies folge aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Gegen den den Rechtsbehelf zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 22.02.1996 hat der Kläger Klage erhoben. Diese ist vom Sozialgericht Aachen mit Urteil vom 04.09.1996 abgewiesen worden. Zur Begründung hat das Sozialgericht im wesentlichen ausgeführt, das Verbringen der Hausarbeit zur Post stehe als ausstrahlende Maßnahme der Fertigung im häuslichen Bereich ebenfalls nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Zudem seien gemäß § 550 RVO nur solche Unfälle versichert, die sich auf einem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit ereigneten. Der Kläger habe sich aber gerade nicht auf dem Weg zur Universität befunden. Die seitens der Universität eingeräumte Möglichkeit, die Hausarbeit per Post zu übersenden, könne nicht zu einer Erweiterung des Versicherungsschutzes führen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers.

Er ist weiterhin der Auffassung, einen Arbeitsunfall erlitten zu haben und meint, da der unfallbringende Weg nicht der Anfertigung der Hausarbeit, sondern deren Abgabe gedient habe, liege keine ausstrahlende Maßnahme vor. Hätte er die Arbeit persönlich zur Universität gebracht und dabei den Unfall erlitten, wäre es ein versicherter Wegeunfall gewesen. Wenn er statt dessen von der ihm eingeräumten Wahlmöglichkeit Gebrauch gemacht habe, sich des Postweges zu bedienen, dürfe nichts anderes gelten, zumal er als nicht in Köln wohnender Student nur so die Bearbeitungsfrist voll habe ausschöpfen können.

Der Kläger beantragt,

Das beklagte Land beantragt,

Es hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten und auf die Gerichtsakten Bezug genommen. Der Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Die vom Kläger im Berufungsverfahren mit der Anfechtungsklage verbundene Feststellungsklage ist gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig. Mangels Ermittlungen des beklagten Landes hinsichtlich der verbliebenen Verletzungen und der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit darf er sich gegenüber dieser Körperschaft des öffentlichen Rechts mit einer Feststellungsklage anstelle einer Leistungsklage begnügen (vergl. BSG, Urteil vom 30.05.1988, Az. 2 RU 55/87 mit weiteren Nachweisen).

Die Klage ist auch begründet. Die Gesundheitsstörungen, die sich der Kläger am 04.08.1995 durch den Verkehrsunfall zugezogen hat, sind Folgen eines Arbeitsunfalls, nämlich eines Unfalls "bei" seiner nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 d RVO versicherten Hochschulausbildung (§ 548 Abs. 1 Satz 1 RVO).

Studierende an Hochschulen sind allerdings nicht schlechthin bei allen studienbezogenen Verrichtungen versichert. Das ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut, demzufolge der Versicherungsschutz "während der Aus- und Fortbildung" besteht. Insofern ist der Schutzbereich für Studenten ähnlich wie bei Schülern allgemeinbildender Schulen (§ 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO) enger als in der gewerblichen Unfallversicherung (vgl. BSG, Urteil vom 04.07.1995 - 2 RU 45/94 - mit weiteren Nachweisen). Er erfaßt indessen nicht nur die eigentliche Teilnahme an Vorlesungsveranstaltungen, sondern auch das Aufsuchen anderer Hochschuleinrichtungen zu Studienzwecken, wie z.B. den Besuch von Universitätsbibliotheken, Seminaren und Instituten (BSG, Urteil vom 26.09.1996 - 2 RU 12/96), wohingegen etwa das Anfertigen von Hausarbeiten in privater Umgebung ebenso wie die Erledigung von Schulaufgaben zu Hause (vgl. BSG SozR 2200 § 549 Nr. 2) dem Versicherungsschutz nicht unterliegt (so für Diplomarbeiten: BSGE 44, 100 = SozR 2200 § 539 Nr. 36; BSGE 73, 5 = SozR 3-2200 § 539 Nr. 26). Zur Abgrenzung der unversicherten privaten Sphäre des Studenten vom geschützten Bereich kommt es nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung im jeweiligen Einzelfall darauf an, ob die zum Unfall führende Tätigkeit dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule zuzurechnen ist oder nicht (BSG a.a.O.). Hiernach läßt sich aber ein Versicherungsschutz des Klägers auf dem unfallbringenden Weg zum Postamt nicht verneinen.

Der Ansicht des Sozialgerichts, die Beförderung der Hausarbeit zur Post sei eine mit ihrer Anfertigung zusammenhängende "ausstrahlende Maßnahme" und deshalb wie diese unversichert, kann nicht gefolgt werden. Sie verkennt, daß dieser Weg zeitlich erst nach der Fertigstellung der Arbeit eingesetzt und auch räumlich außerhalb der ungeschützten Privatsphäre begonnen hat, er daher versicherungsrechtlich gesondert zu beurteilen ist. Da sich der Kläger mit der fertigen Übungsarbeit nicht zu einer Einrichtung der Universität in Köln begeben wollte, sondern zu einem Postamt in W., greift zwar die Fiktion des § 550 Abs. 1 RVO nicht ein. Er befand sich im Zeitpunkt des Unfalls jedoch auf einem der Hochschulausbildung wesentlich dienenden, dem Besuch einer geschützten Lehrveranstaltung gleichstehenden Betriebsweg (vgl. dazu BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 1). Das ergibt sich einmal daraus, daß die Abgabe der schriftlichen Arbeit zur Erlangung des Übungsscheins erforderlich war und dieser wiederum zu den zwingenden Zulassungsvoraussetzungen für die erste juristische Staatsprüfung gehörte (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 JAG). Zum anderen durfte der Kläger die Arbeit nicht zu beliebiger Zeit abliefern, er mußte vielmehr die ihm von der Universität gesetzte Frist einhalten, die am Unfalltag endete und vom Kläger nur gewahrt werden konnte durch rechtzeitige Vorlage bei der Universität selbst oder durch Aufgabe der Arbeit zur Post. Diese vom Kläger zu beachtenden Förmlichkeiten stellen organisatorische Maßnahmen der Hochschule dar, die dazu bestimmt sind, einen geordneten Ablauf der praktischen Übung zu gewährleisten und es auch den außerhalb K. wohnenden Teilnehmern zu ermöglichen, die Bearbeitungszeit voll auszuschöpfen. Insofern war der Kläger auf seiner Fahrt zur Post eingebunden in den universitären Ausbildungsbetrieb, so daß der zum Unfall führende Wege ebenso dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule zuzurechnen ist wie etwa das Abholen eines Übungsscheins an der Ausgabestelle des einschlägigen Instituts, das gleichfalls als Verrichtung einer versicherten Tätigkeit des Studenten angesehen wird (vgl. BSG, Urteil vom 04.07.1995 - 2 RU 45/94).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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