L 15 U 274/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 230/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 274/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 01.09.1997 geändert. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 05.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.1996 verurteilt, den Bescheid vom 12.11.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.1993 zurückzunehmen und der Klägerin Hinterbliebenenleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Klägerin ist die Witwe des am 11.11.1941 geborenen und am 06.09.1989 gestorbenen Versicherten ... Dieser hatte vom 01.04.1956 bis 15.01.1962 als Kfz-Mechaniker in einer Volkswagen-Vertragswerkstatt und anschließend bis Ende April 1974, unterbrochen durch 18 Monate Wehrdienst, ebenfalls als Kfz-Mechaniker in einer Brotfabrik in Herne gearbeitet.

Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Maschinenbau- und Kleineisenindustrie-Berufsgenossenschaft lagen bei der Tätigkeit des Versicherten in der VW-Vertragswerkstatt die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Entstehung einer durch Asbestfeinstäube verursachten Berufskrankheit (BK) vor (Bericht vom 01.12.1989). Dies wurde von der Beklagten auch in Bezug auf die Arbeit als Kfz-Mechaniker in der Brotfabrik angenommen.

Bei der in der Folgezeit ausgeübten Tätigkeit als Fernmeldemonteur war der Versicherte mit der Montage und Inbetriebnahme von Lautsprechern und Wechselsprechanlagen in verschiedenen Bereichen der Schwer- und Grundindustrie sowie der chemischen Industrie beschäftigt. Nach Auskunft der ... GmbH & Co. KG in ... vom 14.06.1989 arbeitete er nicht mit asbesthaltigen Geräten oder Hilfsmitteln. Nach den Ermittlungen des Unfallverhütungsdienstes der Beklagten bestand bei der Monteurtätigkeit, z. B. beim Bohren von Löchern in asbesthaltige Wände und Decken, die Möglichkeit, Asbestfasern einzuatmen. Außerdem habe der Versicherte möglicher weise auch neben Rohrisolierern gearbeitet, bei deren Arbeit der Isolierstoff Asbest zersägt worden sei. Über Häufigkeit und Dauer dieser Asbeststaubexposition des Versicherten konnten nähere Feststellungen nicht getroffen werden (Bericht vom 07.09.1989).

Während einer stationären Behandlung in der Medizinischen Klinik des ...Hospitals in ... vom 08.03. bis 14.04.1989 wurde bei dem Versicherten ein kleinzelliges Bronchialkarzinom festgestellt, das bereits weit fortgeschritten war. Diagnostiziert wurden ferner eine Pleurakarzinose mit großem Pleuraerguss rechts, ein Zustand nach Pleurodese, eine Lebermetastase, ein Verdacht auf Nebennierenmetastase, eine ausgeprägte Knochenmarksmetastasierung, eine Rekurrensparese und ein Mundsoor. Nach stationärer Durchführung von sechs Chemotherapiezyklen starb der Versicherte am 06.09.1989 an den Folgen des metastasierenden Bronchialkarzinoms.

Prof. Dr ..., Direktor des Instituts für Pathologie der Berufsgenossenschaftlichen Krankenanstalten ... in ..., führte mikroskopische Untersuchungen und eine Lungenstaubanalyse durch. Dabei wurden in einer Probe zwei Asbestkörper und vier freie Asbestfasern und in der zweiten Probe keine Asbestkörper und vier freie Asbestfasern auf dem Filter zurückgewonnen. In seinem pathologischen Gutachten vom 27.10.1989 kam Prof. Dr ... zu dem Ergebnis, Anhaltspunkte für eine BK nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) seien nicht zu gewinnen, da asbestassoziierte Lungenveränderungen i.S. einer Asbestose oder einer Minimalasbestose nicht vorhanden seien und die Lungenstaubanalyse keine Hinweise für eine vergleichsweise vermehrte Asbestbelastung der Lungen ergeben habe. Prof. Dr ..., Institut für Pathologie der ...Universität ..., führte die Obduktion durch und erstattete am 29.05.1990 ein Zusammenhangsgutachten. Er meinte, aufgrund der histologischen Befunde sei bei dem Versicherten von einer Minimalasbestose auszugehen. Nach dem Ergebnis der elementanalytischen Untersuchung der Staubpartikel, die im topographischen Zusammenhang mit geringgradigen Fibrosierungen stünden, durch Untersuchungen im Rasterelektronenmikroskop mit Einsatz der energiedispersiven Röntgenmikroanalyse seien diese Staubteilchen als Asbestfragmente zu identifizieren. Obwohl die teilweise sehr geringen fibrotischen Lungenveränderungen noch nicht dem Ausmaß entsprächen, wie sie üblicherweise für eine Minimalasbestose gefordert würden, habe im Falle des Versicherten nach seiner Überzeugung die nachgewiesene Asbestbelastung eine wesentliche teilursächliche Bedeutung für die Entstehung des Bronchialkarzinoms. Diesem Ergebnis stimmte der Staatliche Gewerbearzt am 07.09.1990 zu.

In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten nach Aktenlage vom 07.03.1991 kam Prof. Dr ..., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der ...- Universität ... zu dem Ergebnis, dass aufgrund der beruflichen Arbeitsexposition die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung des Bronchialkarzinoms des Versicherten als BK nach Nr. 4104 vorlägen, wenn man die Fibrosierung in Nachbarschaft der (rasterelektronenmikroskopisch nachgewiesenen) Asbestpartikel als Brückensymptom analog einer Minimalasbestose ansehe. Auch liege es im Ermessen der Beklagten, das Bronchialkarzinom des Versicherten nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu entschädigen.

Am 05.07.1991 erstattete Prof. Dr ..., Pathologisches Institut ..., für die Beklagte ein weiteres Aktengutachten. Darin führte er aus, es sei unrichtig, wenn unterstellt werde, dass es Lungenfibrosen vom Typ einer Asbestose gebe, die keine lichtmikroskopisch nachweisbaren Asbestkörperchen mehr enthielten. Die Asbestose sei international und auch in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pathologie als Lungenfibrose mit dem lichtmikroskopischen Nachweis von Asbestkörperchen definiert. Die ser Nachweis liege aber hier nach dem Urteil mehrerer Pathologen eindeutig nicht vor. Mithin handele es sich bei dem Bronchialkarzinom des Versicherten nicht um eine BK. Die mitgeteilten Ergebnisse einer energiedispersiven Röntgenmikroanalyse seien auch nicht geeignet, um zur Anwendung der sog. Öffnungsklausel des § 551 Abs. 2 RVO zu gelangen. Sie seien zwar interessant und bereichernd, aber lediglich an einem Einzelfall erhoben worden. Die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO komme ernsthaft erst dann in Betracht, wenn bei entsprechender Fallzahl Bronchialkarzinome nach Asbestexposition nur mit diesem Befund (d. h. ohne Asbestose und asbestbedingte Pleuraveränderungen) offenkundig häufiger gefunden würden. Entsprechende epidemiologische Untersuchungen seien jedoch offensichtlich bislang nicht erarbeitet worden.

Mit Bescheid vom 12.11.1991 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, weil bei dem Versicherten eine BK nach Nr. 4101 nicht vorgelegen habe. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie machte geltend, dass aufgrund der Fibrosierung von Prof. Dr ... und Prof. Dr ... die Anerkennung einer BK nach Nr. 4104 oder die Entschädigung wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO vorgeschlagen worden sei. Außerdem sei auch von einer Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Faserjahren auszugehen.

Nachdem der TAD unter Berücksichtigung von Expositionszeiten von April 1956 bis September 1963 und von April 1965 bis April 1989 eine Asbestfaserstaubdosis von 9,5 Faserjahren errechnet hatte (Bericht vom 29.03.1993), wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.1993 zurück.

Klage, Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 05.09.1994 - S 10 U 169/93 - und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29.03.1995 - L 17 U 215/94 -, Beschluss des Bundessozialgerichts - BSG - vom 18.09.1995 - 2 BU 117/95 -).

Im Februar 1996 beantragte die Klägerin eine Überprüfung ihres Anspruchs auf Hinterbliebenenleistungen gemäß § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 05.03.1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nr. 4104 zu Lebzeiten des Versicherten und die Gewährung von Leistungen ab. Den dagegen gerichteten Rechtsbehelf der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.1996 zurück. Gleichzeitig lehnte sie darin eine Rücknahme des Bescheides vom 12.11.1991 ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 27.08.1996 Klage erhoben, mit der sie ihre Ansprüche auf Lebzeitenrente wegen einer BK nach Nr. 4104 sowie auf Rücknahme des Bescheides vom 12.11.1991 und Gewährung von Hinterbliebenenleistungen weiterverfolgt hat. Sie hat sich auf die Ausführungen von Prof. Dr ... und Prof. Dr ... bezogen und außerdem die Richtigkeit der nach Abschluss des früheren Gerichtsverfahrens durchgeführten Faserjahrberechnung des Unfallverhütungsdienstes der Beklagten, der ausgehend von einer doppelt so hohen Asbestfaserkonzentration bei Bremsreparaturen an Lkw s 14,79 Jahre ermittelt hatte, bezweifelt. In dem von der Beklagten im Klageverfahren vorgelegten Bericht vom 20.12.1996 hat ihr Unfallverhütungsdienst einen Maximalwert von 18 Faserjahren angenommen.

Mit Urteil vom 01.09.1997 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 15.09.1997 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung, die die Klägerin im Verlauf des Verfahrens auf den Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen beschränkt hat. Sie trägt vor: Der Versicherte habe in den Jahren 1962 bis 1974 mit einem Kollegen Asbestbeläge bearbeitet. Wenn zwei Arbeitskollegen gleichzeitig nebeneinander Asbestbeläge bearbeiteten, verdoppele sich die Anzahl der Asbestfasern. Außerdem verweist sie auf das Urteil des Senats vom 13.05.1997 - L 15 U 55/93 -.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 01. September 1997 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 05.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.1996 zu verurteilen, den Bescheid vom 12.11.1991 und den Widerspruchsbescheid vom 11.06.1993 zurückzunehmen und ihr Hinterbliebenenleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist weiterhin der Ansicht, dass die Voraussetzungen einer BK nach Nr. 4104 nicht gegeben seien.

Die Beklagte hat auf Anforderung des Berufungsgerichts eine erneute Faserjahrberechnung vorgelegt. In ihrem Bericht vom 14.07.1998 ist ihre Präventionsabteilung zu dem Ergebnis gelangt, dass insgesamt 19,58 Faserjahre festzustellen seien. Anschließend ist Prof. Dr ..., Ärztlicher Direktor der ...klinik in ..., als Sachverständiger gehört worden. Er hat in seinem Gutachten vom 22.12.1998 gemeint, das Bronchialkarzinom des Versicherten sei nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung von Asbestfaserstaub zurückzuführen. Weder radiologisch noch bei der Obduktion hätten sich Pleuraplaques, ein diffuses malignes Pleuramesotheliom, eine Pleurafibrose oder eine Asbestose gefunden. Der zunächst von Prof. Dr ... geäußerte vage Verdacht auf das Vorliegen einer Minimalasbestose habe ausgeschlossen werden können, da sich in direkter örtlicher Beziehung zur geringgradig ausgeprägten Lungenfibrosierung keine Asbestkörperchen gefunden hätten und bei der Veraschungsuntersuchung eine niedrige Asbestkörperchenkonzentration wie in der Normalbevölkerung nachgewiesen worden sei, die um rund zwei bis drei Zehnerpotenzen unterhalb jener Konzentration gelegen habe, die üblicherweise bei Patienten mit Minimalasbestose gefunden würden. Sodann ist Prof. Dr ... mit der Erstattung einer ergänzenden Stellungnahme und der Durchführung einer Raster-Transmissions-Elektronenmikroskopie des bei Prof. Dr ... asservierten Lungengewebes beauftragt worden. Diese Untersuchung konnte von ihm nicht vorgenommen werden, weil die Originalpräparate bei ihm nicht eingetroffen sind und ihm die von Prof. Dr ... übersandten Reserveschnitte für eine raster-transmissions-elektronenmikroskopische Untersuchung des Asbestfaserstaubgehaltes nicht ausreichten. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.11.1999 hat Prof. Dr ... ausgeführt: Aufgrund der Sonderstellung des Weißasbests infolge seiner mangelnden Beständigkeit in Körper von Mensch und Tier, d. h. des sog. "Fahrerfluchtphänomens" , könne der Befund von zwei Asbestkörpern bei der staubanalytischen Untersuchung keinesfalls als Ausschlusskriterium angesehen werden. Die mikroskopischen Zählergebnisse seien wegen ihrer mangelnden Sensitivität nach Weißasbest-Einwirkung am Arbeitsplatz nachgewiesenermaßen nicht in der Lage, haftungsbegründende Beweise auf der Grundlage klinisch-arbeitsmedizinisch-anamnestischer sicherheitstechnischer Ermittlungen oder pathologisch-histologischer Hinweise auf eine Minimalasbestose in Form von Fibrosierungsbezirken in räumlicher Anordnung zu Asbestfasern in der menschlichen Lunge außer Kraft zu setzen. Nach seiner Erfahrung reiche eine kumulative Dosis von 19,58 (Weißasbest-)Faserjahren durchaus aus, um die nach Autopsie festgestellte starke Verstaubung mit geringgradiger "peribronchovasaler Fibrosierung" bzw. die von Prof. Dr ... in der Umgebung der Asbestpartikel beschriebenen kleinen Fibrosierungsherde plausibel zu erklären.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die ebenfalls vorliegenden Vorprozessakten des Sozialgerichts Gelsenkirchen Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 12.11.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.1993 und auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar gworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte hat in dem bindend gewordenen Bescheid vom 12.11.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.1993 zu Unrecht Hinterbliebenenleistungen abgelehnt. Der Klägerin stehen solche Leistungen zu, weil der Versicherte an einer BK nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV in der vorliegend maßgeblichen Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 18.12.1992 (BGBl. I 2343) gestorben ist (§ 589 Abs. 1 RVO, die hier auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VII - am 01.01.1997 weiterhin anzuwenden ist, vgl. § 212 SGB VII, Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG -). Bei dem zum Tode des Versicherten führenden Leiden handelt es sich um einen "Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)".

Die Erkrankung an einem Lungenkrebs seit März 1989 ist unstreitig und erwiesen. Das Krebsleiden war entgegen der Meinung der Beklagten aber auch vergesellschaftet mit einer Asbestose, d. h. einer asbestbedingten Lungenfibrose. Dass die Lunge des Versicherten fibrotische Veränderungen aufwies, ergibt sich insbesondere aus dem Gutachten von Prof. Dr ..., der bei der histologischen Untersuchung im Rahmen der Obduktion eine geringgradige peribronchovasale Fibrosierung der Lungen festgestellt hat. Die geringe Ausprägung der fibrotischen Veränderungen, derzufolge sie sich röntgenologisch nicht erfassen ließen, ist ohne Belang, weil eine lediglich histologisch nachweisbare sog. Minimalasbestose als Brückenbefund ausreicht (vgl. das vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebene "Merkblatt für die ärztliche Untersuchung", abgedruckt u. a. bei Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, M 4103, Stand 1999, S. 8a mit Anm. 3).

Der Annahme einer Minimalasbestose steht nicht entgegen, dass in den der Lunge des Versicherten entnommenen Gewebsproben lichtmikroskopisch keine größere Anzahl Asbestkörper gefunden worden ist. Der vom Sozialgericht und dem 17. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in seinem im Vorprozess ergangenen Urteil vom 29.03.1995 (a.a.O.) vertretenen Ansicht, dass die Diagnose einer Minimalasbestose an den histologischen und lichtmikroskopischen Nachweis von ca. 1 000 eiweiß-umhüllten Asbestkörperchen in einem cm3 Lungengewebe gebunden sei, kann nicht beigetreten werden. Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 13.05.1997 - L 15 U 55/93 - (abgedruckt in Breithaupt 1998, 274 = HVBG-Rundschreiben VB 52/98 v. 30.04.1998 = HV-Info 13/1998, 1218 = Zbl. Arbeitsmed. 1998, 159-164 mit Anm. von G. Schäcke) entschieden hat, gehört der Nachweis von Asbestkörpern in den fibrotischen Arealen weder rechtlich zu den unabdingbaren Merkmalen der Asbestose noch ist er in tatsächlicher Hinsicht unverzichtbar. Asbestkörper sind Gebilde, bei denen die Asbestfasern von Eiweißstrukturen segmental umhüllt und damit weitgehend inaktiv sind. Für die Asbestose haben sie keine ursächliche Bedeutung (vgl. "Merkblatt für die ärztliche Untersuchung", a.a.O., S. 8b mit Anm. 3). Auch die auf den exklusiven Beweiswert des lichtmikroskopischen Befundes abstellende Lehrmeinung beruht nicht auf der Einsicht, die Asbestkörper seien für die Fibrose und den Lungenkrebs verantwortlich zu machen. Sie basiert vielmehr auf der Vorstellung, die Asbestkörperzählung mit dem Lichtmikroskop erlaube einen sicheren Rückschluss auf die Asbestexposition und damit auch auf ihre Ursächlichkeit für die Fibrose (vgl. die Nachweise im o. a. Urteil des Senats vom 13.05.1997). Das Abstellen ausschließlich auf die Asbestkörperzahl wäre indessen nur dann berechtigt, wenn sie in jedem Fall den Umfang der beruflichen Asbestexposition verlässlich widerspiegelte. Hiervon kann jedoch angesichts der Erläuterungen von Prof. Dr ... und Prof. Dr ... nicht ausgegangen werden. Prof. Dr ... hat in seinem Gutachten vom 07.03.1991 und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.11.1999 sowie in zahlreichen Veröffentlichungen (vgl. u. a ... u. a. Zbl. Arbeitsmed. 1986, 354 ff; Pathologe 1986, 247 ff.; ASP 1991, 219 ff.) darauf hingewiesen, dass gerade bei der Einwirkung des in Deutschland überwiegend verarbeiteten Weißasbests der fehlende Nachweis einer größeren Anzahl von Asbestfasern und Asbestkörpern kein hinreichendes Ausschlusskriterium sei, weil sich Chrysotilfasern im Laufe der Jahre in der Lunge in Mikrofibrillen aufspalteten, die dann unter dem Lichtmikroskop nicht mehr zu sehen seien (sog. "Fahrerflucht phänomen"). Die fehlende Möglichkeit der lichtmikroskopischen Erfassung der Elementarfibrillen hat auch Prof. Dr ... herausgestellt und damit den Einsatz der energiedispensiven Röntgenmikroanalyse im Rasterelektronenmikroskop bzw. im Transmissions elektronenmikroskop begründet.

Die wegen der dargestellten Unwägbarkeiten des lichtmikroskopischen Zählbefundes heranzuziehenden übrigen Erkenntnisquellen führen hier dazu, den ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Asbestbelastung des Versicherten und der Fibrose mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Dafür spricht insbesondere das beträchtliche Ausmaß der Exposition. Die Präventionsabteilung der Beklagten hat in ihrer letzten Berechnung vom 14.07.1998 für den Arbeitsplatz des Versicherten eine kumulative Asbestfaserstaub-Dosis von 19,58 Faserjahren ermittelt. Eine solche Dosis reicht nach den Darlegungen von Prof. Dr ... aus, um die von Prof. Dr ... beschriebenen Fibrosierungsherde plausibel zu erklären. Wie sich aus dem Gutachten des Prof. Dr ... ergibt, fanden sich in der Nähe der Fibrosierungsherde interstitiell und in intraalveolären Makrophagen vereinzelt nadelförmige, schwach eisenpositive Staubpartikel. Die systematische Untersuchung der Staubablagerungen im Rasterelektronenmikroskop mit Einsatz der energie dispersiven Röntgenmikroanalyse ergab eine unterschiedliche elementare Zusammensetzung der verschiedenen Staubpartikel, wobei mehrere Staubteilchen ein Spektrum wie bei Asbest zeigten. In Anbetracht des Ausmaßes der Exposition sowie des topographischen Zusammenhangs zwischen der geringgradigen Fibrosierung und den Prof. Dr ... zufolge als Asbestfragmente zu identifizierenden Staubteilchen geht der Senat mit Prof. Dr ... und Prof. Dr ... davon aus, dass die Einwirkung von Asbest wesentlich ursächlich zu einer fibrosierenden Lugenreaktion geführt hat und mithin der Brückenbefund einer (Minimal)-Asbestose anzunehmen ist. Damit wird gleichzeitig die Kausalität zwischen der Asbestose und dem Lungenkrebs des Versicherten unterstellt. Den an der Entstehung der Fibrose und des Karzinoms vermutlich mitbeteiligten Rauchgewohnheiten des Versicherten kommt angesichts des Hinweises von Prof. Dr ... und Prof. Dr ..., dass die Zigarettenrauchinhalation und die zusätzliche Einwirkung von Asbestfaserstaub zu einer multiplikativen Steigerung des Krebsrisikos führten, allenfalls der Wert einer wesentlichen mitwirkenden Teilursache, nicht aber der Rang einer für das Krankheitsbild des Versicherten rechtlich allein wesentlichen Ursache zu.

Die Gutachten von Prof. Dr ..., Prof. Dr ... und Prof. Dr ..., die eine Minimalasbestose wegen des fehlenden lichtmikroskopischen Nachweises von Asbestkörpern verneinen, sind nicht geeignet, eine andere Beurteilung herbeizuführen. Denn der negative lichtmikroskopische Befund steht aus den dargelegten Gründen der Annahme einer Minimalasbestose nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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