L 7 AS 1782/21 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 920/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1782/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 10.11.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Detmold, das den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf einen höheren Lohnkostenzuschuss nach § 16i SGB II abgelehnt hat.

Der Antragsteller verwaltet in Warburg eigene Immobilien. Am 23.08.2021 stellte er beim Antragsgegner einen Antrag auf einen Lohnkostenzuschuss zur Teilhabe am Arbeitsmarkt nach § 16i SGB II für Herrn O C, den er als „Facility Manager/ Maler“ einstellen wolle. Herr C bezog zu diesem Zeitpunkt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Antragsteller gab an, dass sich die Entlohnung nicht nach einem Tarifvertrag oder nach einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung richte. Er orientiere sich aber an dem Tariflohn für Maler und Lackierer, derzeit 13,50 €/ Stunde. In dem vom Antragsteller unterzeichneten Antragsformular findet sich der Hinweis, dass sich der Zuschuss nach dem gesetzlichen Mindestlohn richte. Nur, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines Tarifvertrags oder nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zur Zahlung eines Arbeitsentgelts verpflichtet sei, bemesse sich der Zuschuss auf Grundlage des zu zahlenden Arbeitsentgelts.

Mit E-Mail des Antragsgegners vom 24.08.2021 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass sein „Antrag auf Förderung des geplanten Beschäftigungsverhältnisses (…) positiv entschieden worden“ sei. Er könne den geplanten Arbeitsvertrag mit Herrn C abschließen. In der Folgezeit legte der Antragsteller einen Arbeitsvertrag zwischen ihm und Herrn C vom 26.08.2021 vor. Darin war das Beschäftigungsverhältnis (Immobilienverwaltung und Instandhaltung) zwischen dem Antragsteller und Herrn C ab dem 01.09.2021 zu einem Stundenlohn von 13,50 € und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden vereinbart.

Mit Bescheid vom 06.09.2021 bewilligte der Antragsgegner dem Antragssteller einen Lohnkostenzuschuss für den Arbeitnehmer O C iHv monatlich 2.056,32 € für September bis Dezember 2021, von 2.103,44 für Januar bis Juni 2022, von 2.238,39 € für Juli 2022 bis August 2023, von 2.014,55 € für September 2023 bis August 2024, von 1.790,71 € für September 2024 bis August 2025 und von 1.566,87 € für September 2025 bis August 2026.

Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein. Der Lohnkostenzuschuss sei zu niedrig, weil als Lohnstundensatz nur der Mindestlohn und nicht der ortsübliche Tariflohn gezahlt werde. Herr C sei zwar nicht ausschließlich mit Malerarbeiten beschäftigt, jedoch sei der Malertarifvertrag im Allgemeinen für Hausmeisterdienste heranzuziehen. Herr C habe lange Zeit in dem Gewerk gearbeitet und seine Lehre fast abgeschlossen. Mit einem Mindestlohn von 10 € könne er niemanden zur Arbeit motivieren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2021 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers als unbegründet zurück. Er habe sich an die Vorgaben nach § 16i SGB II gehalten. Die Bemessung des Lohnzuschusses nach Tarif entsprechend § 16i Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II komme nicht in Betracht, wenn lediglich iS einer Teilbezugnahme unter Ausschluss anderer Tarifnormen das Arbeitsentgelt an den Tarifvertrag gekoppelt wird. Nachdem der Antragsteller fernmündlich mitgeteilt hatte, den Widerspruchsbescheid nicht erhalten zu haben, wurde ihm dieser im Oktober 2021 förmlich zugestellt.

Am 13.10.2021 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Kassel einen „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung“ gestellt. Der Antragsschrift war eine „Begründung der Klage“ beigefügt. Er sei fehlerhaft beraten worden und deswegen davon ausgegangen, Bemessungsgrundlage des Lohnkostenzuschusses sei der tatsächliche Arbeitslohn. Er habe dem Antragsgegner im Rahmen der Fördergespräche mitgeteilt, dass er seinen Mitarbeitern immer mehr als Mindestlohn zahle. Mit „Verwaltungsakt“ vom 24.08.2021 sei ihm auch positiv beschieden worden, dass eine Förderung auf Basis des tatsächlichen Stundenlohns erfolgen werde; dies sei ihm auch fernmündlich zugesichert worden. Diese Förderung stehe ihm nach den gesetzlichen Vorgaben auch zu, weil in dem Arbeitsvertrag ausdrücklich auf die Tarifentlohnung Bezug genommen werde. Bei den massiven sozialen Problemen des Herrn C sei eine Lohnbezuschussung auf Basis des Mindestlohns nicht ausreichend. Somit sei dringend „Klage“ geboten, da ihm ein finanzieller Schaden entstehe und Herrn C im Falle der Kündigung Obdachlosigkeit, Mittellosigkeit etc. drohe.

Mit Beschluss vom 19.10.2021 hat das Sozialgericht Kassel die Sache nach Anhörung der Beteiligten an das Sozialgericht Detmold verwiesen.

Am 01.11.2021 kündigte der Antragsteller an, dass er das Beschäftigungsverhältnis zu Herrn C zum 01.11.2021 kündigen werde. Mit Schreiben vom 16.11.2021 legte der Antragsteller einen Änderungsvertrag vom 27.09.2021, rückwirkend zum 01.09.2021 vor, wonach der in der Anlage beigefügte Tarifvertrag für den Arbeitsvertrag gelte. Der Stundensatz verblieb unverändert bei 13,50 €. Die Förderhöhe müsse jetzt auf den vereinbarten Tarifvertrag angepasst werden.

Mit Beschluss vom 10.11.2021 hat das Sozialgericht Detmold den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller habe bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, weil nach summarischer Prüfung die Förderung auf Basis des gesetzlichen Mindestlohns nicht zu beanstanden sei und eine anderslautende schriftliche Zusicherung der Höhe nach nicht vorliege.

Gegen den ihm am 12.11.2021 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 16.11.2021 Beschwerde eingelegt und für die Beschwerdebegründung eine Fristverlängerung von sechs Wochen beantragt. Nachdem der Senat auf die fehlende Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit hingewiesen und dem Antragsteller eine Frist von 10 Tagen zur Begründung der Beschwerde gesetzt hatte, hat der Antragsteller sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und sinngemäß erklärt, dass er seinen Eilantrag für erledigt erkläre, wenn er „das normale Klageverfahren noch führen“ könne „und dieses nicht verjährt“ sei wegen der „Klagefrist von 4 Wochen“. Er beantrage hilfsweise auch, das Verfahren an das Sozialgericht zurückzuverweisen, um ein ordentliches Verfahren durchzuführen. Er habe mit Herrn C vereinbart, dass der Tarifvertrag Maler zum Arbeitsvertrag zähle. Herr C bekomme schon die ganze Zeit den entsprechenden Lohn ausbezahlt, obwohl „er bei weitem nicht in der Lage ist die Gegenleistung zu erbringen“. Den Hinweis auf die Änderung des Arbeitsvertrages habe er „zur Genehmigung“ an die Antragsgegnerin geschickt. Er hoffe, dass man gemeinsam ins neue Jahr starten könne. Ausweislich einer dem Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin zu entnehmenden E-Mail vom 13.12.2021 hat er die Auffassung vertreten, der ursprüngliche Arbeitsvertrag trete erst mit Genehmigung durch die Antragsgegnerin außer Kraft und der neue sodann rückwirkend zum 01.09.2021 in Kraft. Dies hätten beide Vertragsparteien so gewollt.

Der Antragsgegner hat hierauf mitgeteilt, dass ein Klageverfahren beim Sozialgericht nicht anhängig und Herr C das Arbeitsverhältnis mit dem Antragsteller zum 31.12.2021 „fristlos“ gekündigt habe. Die Antragsgegnerin hat auch eine E-Mail des Antragstellers vom 27.12.2021 vorgelegt, in der dieser ausführt, ihm sei zugesichert worden, dass „der Mann“ nichts koste, er sei „auch nichts wert“. Der Antragsteller habe – insoweit existiert auch ein Gesprächsvermerk vom 03.01.2021 – per Mail vom 06.01.2022 mitgeteilt, dass er Herrn C „sehr gerne weiter beschäftigen“ würde. Die Maßnahme sei aus seiner Sicht nicht beendet und er sei gerne bereit die Kündigung zu ignorieren. Der Mitarbeiter C werde von ihm „dringendst benötigt“. Er sei bereit, die Kündigung zu ignorieren und die „Maßnahme“ fortzusetzen, obwohl Herr C in den letzten zwei Wochen keine
40-Stunden-Woche geschafft habe und fast jede Mittags- und Frühstückspause nach Hause gegangen sei. Ihm reiche es schon, wenn Mitarbeiter immer da seien und ihre einfachsten Arbeiten erledigten.

Abschließend hat der Antragsteller auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, das Verfahren sei für die Zukunft irrelevant, da Herr C gekündigt habe. Er sehe die Eilbedürftigkeit ebenfalls nicht mehr und nehme, falls möglich, „die Eile aus dem Verfahren (…) zurück“. Er bitte nochmal um Mitteilung, ob der normale Klageweg fristwahrend durch dieses Eilverfahren noch offen sei.

 

II.

Die Beschwerde ist statthaft. Gegenstand des Verfahrens ist die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung höherer Lohnkostenzuschüsse (mindestens) im Zeitraum vom 01.09.2021 bis zum 31.12.2021. Da die streitige Differenz je Stunde 3,90 € ausmacht, errechnet sich eine streitige Summe von etwa (3,90 € x 42 Wochenstunden x ca. 18 Wochen =) rund 2.948,40 €, sodass der Beschwerdewert nach §§ 172 Abs. 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG erreicht ist. Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist aber unbegründet.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen
(§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.09.2017 -
L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER). Gemessen hieran hat der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs dürfte nicht entgegenstehen, dass kein Klageverfahren bei dem Sozialgericht anhängig ist, sodass der Bescheid vom 06.09.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2021 in Bestandskraft erwachsen und damit bindend (§ 77 SGG) geworden ist. Der Antragsteller hat im Rahmen seines Eilantrags und innerhalb der Klagefrist (§ 87 Abs. 2 SGG) eine „Klagebegründung“ eingereicht und die „Klage“ für geboten erachtet. Der Senat versteht das Vorbringen des anwaltlich unvertretenen Antragstellers (meistbegünstigend) so, dass er im Oktober 2021 (zumindest auch) Klage erheben wollte. Der Kläger ist insoweit gehalten, bei dem Sozialgericht die Vergabe eines gerichtlichen Klageaktenzeichens und ggf. Wiedereinsetzung zu beantragen. Dies kann der Senat im Ergebnis dahinstehen lassen.

Nach summarischer Prüfung scheidet ein Anspruch auf höhere Lohnkostenzuschüsse für die Zeit bis zum 31.08.2021 ersichtlich aus. Zwar kann der Arbeitgeber diese geltend machen (vgl. Harks in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 16i <Stand: 28.06.2021>, Rn. 18, 20), jedoch liegen die Voraussetzungen einer höheren Entgeltbemessung mangels das Arbeitsverhältnis betreffender Tarifgebundenheit bzw. Tariforientierung (vgl. hierzu Gagel/Kohte, 83. EL August 2021, SGB II § 16i Rn. 26) nicht vor (vgl. zur grundsätzlichen Bemessung nach dem Mindestlohngesetz auch: Harks in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 16i <Stand: 28.06.2021>, Rn. 50). Nach dem Vortrag des Antragstellers ist der ursprüngliche Arbeitsvertrag auch noch über den 31.08.2021 hinaus in Kraft, weil der am 16.11.2021 übersandte Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag nach dem Willen der Vertragsparteien von einer Genehmigung der Antragsgegnerin abhängen sollte. Ein unterschriebener „Änderungsvertrag“ ist – soweit ersichtlich – bisher nicht aktenkundig geworden. Insoweit vermag der Senat auch ein „rückwirkendes“ Wirksamwerden des Arbeitsvertrages nicht nachzuvollziehen. Weiter ist – selbst bei Annahme einer Tarifgebundenheit bzw. –orientierung („durch oder aufgrund Tarifvertrag“) – tarifvertraglich für den Arbeitnehmer C ein Anspruch auf einen Stundenlohn von 13,50 € nicht nachvollziehbar. Denn er wäre dann als ungelernter Arbeitnehmer und nicht als Geselle einzustufen mit einem Stundenlohn von 11,40 €. Nach alledem erscheint ein Anordnungsanspruch derzeit insgesamt ausgeschlossen bzw. zweifelhaft.

Jedenfalls hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat weder dargelegt, noch ist dies sonst ersichtlich, dass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar oder möglich ist. Gerade, weil das Beschäftigungsverhältnis zwischenzeitlich – auch nach seinem Bekunden - beendet wurde, geht es nur noch um die Lohnkostendifferenz für die Monate September bis Dezember 2021, sodass keine besondere Eilbedürftigkeit gegeben ist. Dies hat der Antragsteller zuletzt mit Schriftsatz vom 26.01.2022 selbst eingeräumt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Der Umstand, dass nur der Arbeitgeber als Leistungsempfänger nach § 16i SGB II in Betracht kommt, führt dazu, dass das sozialgerichtliche Verfahren um den Zuschuss für ihn nach § 183 Satz 1 gerichtskostenfrei ist (vgl. BSG Urteil vom 22.09.2004 – B 11 AL 33/03 R; Harks in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 16i <Stand: 28.06.2021>, Rn. 20). 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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