L 10 KR 51/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 92/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 51/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 16/21 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.11.2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand:

Streitig ist im vorliegenden Verfahren die Höhe der Beiträge zur landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab dem 01.01.2019.

Der 1963 geborene Kläger ist als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten gesetzlich kranken- und pflegeversichert. Mit Bescheid vom 03.01.2019 setzte die Beklagte für das Jahr 2019 auf Grundlage eines korrigierten Flächenwertes von 69.383,33 € und der Beitragsklasse 14 die monatlichen Beiträge zur Krankenversicherung auf 455,89 € und zur Pflegeversicherung auf 86,35 € (Beitrag für kinderlose Mitglieder) fest.

Mit dem hiergegen am 08.01.2019 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, es liege eine überoperationale Erhöhung der Beiträge vor (Krankenkasse +14 %, Gesamtbeitrag +17,2 %). Das Berechnungsverfahren bedürfe einer Überarbeitung und Neugestaltung.

Mit Bescheid vom 14.02.2019 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Beiträge würden nach dem Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft gemäß § 40 Abs 1 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte in der Fassung vom 04.04.2017 (KVLG 1989) nach Beitragsklassen festgesetzt. Die Satzung bestimme die Beitragsklassen für die versicherungspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmer nach dem Wirtschaftswert, dem Arbeitsbedarf oder einem „anderen angemessenen Maßstab“. Bei Anwendung eines „anderen angemessenen Maßstabes“ bestimme die Satzung gemäß § 40 Abs 5 KVLG 1989 das Verfahren. In der landwirtschaftlichen Krankenversicherung werde zur Bestimmung der Beitragsklassen als „anderer angemessener Maßstab“ der von der Vertreterversammlung beschlossene korrigierte Flächenwert angewandt (§ 131 Abs 1 der Satzung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) vom 09.01.2013 in der Fassung des 22. Nachtrags vom 14.11.2018). Mit diesem Beitragsmaßstab solle die Ertragskraft bzw die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebes auf Grundlage der bewirtschafteten Flächen abgebildet werden. Die ermittelte Ertragskraft bestimme die Beitragseinstufung. Die von der Vertreterversammlung beschlossenen Satzungsbestimmungen seien von der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Bundesversicherungsamt, genehmigt worden. Dadurch sei dokumentiert, dass die Vertreterversammlung Beitragsregelungen geschaffen habe, die der Gesetzeslage entsprächen. Die fiktive Ermittlung des Einkommens aus der Land- und Forstwirtschaft beruhe auch auf einer verfassungsmäßig zulässigen Pauschalierung. Selbst wenn der tatsächlich zu erzielende Gewinn im Einzelfall nicht nur unerheblich von dem ermittelten Einkommen abweiche, sei dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere liege hier kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 des Grundgesetzes (GG) vor, denn die SVLFG habe durch diese Gewinnermittlung eine verwaltungsökonomische und sachgerechte Methode zur Feststellung des fiktiven Arbeitseinkommens getroffen.

An 27.02.2019 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Aachen (SG) erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, in der fiktiven Ermittlung des Einkommens aus Land- und Forstwirtschaft anhand des korrigierten Flächenwertes liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG. Die geltenden Grundlagen zur Beitragsbemessung entsprächen nicht mehr dem aktuellen Stand. Die Beitragsbemessung richte sich nach 20 Beitragsklassen, wobei die höchste Beitragsklasse von einem korrigierten Flächenwert von 97.200,01 € ausgehe. Dies bedeute, dass für deutlich größere Flächen, mit denen sicherlich auch ein deutlich höherer Ertrag erzielt werde, eine Verbeitragung auch lediglich nach der Beitragsklasse 20 erfolge. Hierin liege eine Ungleichbehandlung. Für Landwirte mit einem geringeren korrigierten Flächenwert würden die Beiträge zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung exakt berechnet, während Landwirte mit deutlich größeren Flächen und sicherlich daraus resultierendem höheren Ertrag lediglich nach der Beitragsklasse 20 vorbeitragt würden. Dies sei nicht mehr zeitgemäß, da die durchschnittliche Hektarzahl der landwirtschaftlichen Flächen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen sei. Der Grundsatz der solidarischen Finanzierung sei unter Berücksichtigung von lediglich 20 Beitragsklassen nicht gewahrt. Im Übrigen könne von einer bundesweiten Beitragsgerechtigkeit keine Rede sein, da sowohl die Flächenwerte als auch die korrigierten Flächenwerte anhand von Faktoren errechnet würden, die von der jeweiligen Betriebssitzgemeinde abhängig seien. Hieraus resultierten erhebliche örtliche Unterschiede. Außerdem würden innerhalb einer Betriebssitzgemeinde die Flächenwerte und korrigierten Flächenwerte anhand des durchschnittlichen Hektarwertes der Betriebssitzgemeinde sowie anhand des Beziehungswertes errechnet. Auch insofern könne von Beitragsgerechtigkeit nicht die Rede sein. Nach den derzeit bestehenden Regelungen werde in keiner Weise nach der entsprechenden Bewirtschaftung differenziert. Bei der Berechnung des Flächenwerts sei der Multiplikator für sämtliche bewirtschafteten Flächen identisch, gleichgültig, ob Grünland bewirtschaftet werde oder ob Zuckerrüben oder gar Intensivgemüse angebaut würden. Auch bei der Zuordnung der Beziehungswerte der „Verordnung zur Ermittlung des Arbeitseinkommens aus der Land- und Forstwirtschaft“ (AELV) erfolge keinerlei Differenzierung zwischen den einzelnen Unternehmensarten. Es werde im Übrigen lediglich das erzielbare und nicht das tatsächlich erzielte Einkommen zugrunde gelegt. Auch hieraus resultiere ein maßgeblicher Unterschied zur gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ihre Satzungsregelungen würden nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere Art 3 GG, verstoßen. Der Gesetzgeber habe der Selbstverwaltung hinsichtlich des in der Satzung festzulegenden Beitragsmaßstabes Regelungen vorgegeben. In § 40 Abs 1 und 2 KVLG 1989 sei ua festgelegt, wie viele Beitragsklassen vorgesehen seien und wie hoch der Beitrag der höchsten Beitragsklasse sein dürfe. Diese gesetzlichen Regelungen seien in ihrer Satzung umgesetzt worden. Nicht nur bei der Bemessung des Beitrags für landwirtschaftliche Unternehmer gebe es einen Höchstbeitrag. Vielmehr ergebe sich auch in der allgemeinen Krankenversicherung durch die Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 223 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ein Höchstbeitrag für dort Versicherte. Der für die Beitragsbemessung relevante korrigierte Flächenwert, über welchen eine Zuordnung in eine der 20 Beitragsklassen erfolge, ergebe sich, indem der Flächenwert mit dem entsprechenden Beziehungswert der AELV multipliziert werde. Der Flächenwert berechne sich bei landwirtschaftlich genutzter Fläche aus dem Produkt des durchschnittlichen Hektarwertes der Gemeinde, in der das Unternehmen seinen Betriebssitz habe und der Gesamtfläche des Unternehmens. Der durchschnittliche Hektarwert der Gemeinde spiegele die regionale Ertragskraft von landwirtschaftlichen Flächen wieder. Hierdurch werde die Beitragsgerechtigkeit entgegen der Auffassung des Klägers gesteigert, da andernfalls Landwirte mit ertragreichen Böden im Vergleich zu den Landwirten mit weniger ertragreichen Böden bei der Beitragsbemessung bessergestellt würden, da sich deren bessere Ertragslage nicht im zu zahlenden Krankenkassenbeitrag wiederfinden würde. Auch die angebaute Kulturart werde bei der Beitragsbemessung berücksichtigt, indem der ermittelte Flächenwert bei bestimmten Sonderkulturen, die im Vergleich zur herkömmlichen Landwirtschaft besonders ertragreich seien, mit einem Multiplikator zu vervielfältigen sei. Der korrigierte Flächenwert ergebe sich, indem der Flächenwert (ggf nach Vervielfältigung mit den Multiplikatoren) mit dem entsprechenden Beziehungswert der AELV multipliziert werde. Hierdurch werde der Bezug zu dem tatsächlich erzielbaren Einkommen hergestellt. Die Beziehungswerte würden auf dem Testbetriebsnetz der Bundesregierung basieren und damit auf Grundlage der Buchführungsergebnisse von über 11.000 Testbetrieben berechnet. Er drücke damit das Verhältnis zwischen Wirtschaftswert (Derivat des Flächenwerts) und dem Gewinn der Testbetriebe aus. Der Beitragsmaßstab des korrigierten Flächenwerts sei in ständiger Rechtsprechung für rechtmäßig befunden worden.

Mit Urteil vom 21.11.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Beiträge aus der Tätigkeit des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer im angegriffenen Bescheid rechtmäßig festgesetzt. Gemäß § 39 Abs 1 S 1 Nr 1 KVLG 1989 richtet sich bei versicherungspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmen die Beitragsbemessung – abgesehen von hier nicht maßgeblichen Fallgruppen – nach dem Einkommen aus Land und Forstwirtschaft. Hierfür würden nach § 40 Abs 1 S 1 bis 5 KVLG 1989 insgesamt 20 beitragsmäßig aufsteigend gestaffelte Beitragsklassen „nach dem Wirtschaftswert, dem Arbeitsbedarf oder einem anderen angemessenen Maßstab“ in der Satzung der Krankenkasse festgesetzt. Die durch den Kläger geforderte Erhöhung der Anzahl der Beitragsklassen sei der Beklagten und auch dem Gericht aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung untersagt. Es verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art 3 Abs 1 GG, wenn die Krankenkassen hierdurch verpflichtet werden, Beiträge nicht nach dem tatsächlich erzielten Einkommen des landwirtschaftlichen Unternehmers zu bemessen, sondern nach abstrakten Werten zur Bemessung der Ertragskraft des Betriebes, dh dem Wirtschaftswert, dem Arbeitsbedarf oder einem anderen Wert. Mit § 40 Abs 1 S 2 KVLG 1989 sei die grundlegende und zulässige Entscheidung des Gesetzgebers verbunden, dass für die Beitragsbemessung in der Krankenversicherung der Landwirte nicht das tatsächlich individuell erzielte Einkommen zugrunde zu legen ist, sondern die abstrakte Ertragskraft des Unternehmens.

Die Regelung zur Beitragsbemessung nach der abstrakten Ertragskraft der Betriebe der landwirtschaftlichen Unternehmer habe die Beklagte in ihrer Satzung umgesetzt, indem zur Bestimmung der Beitragsklasse als „anderer angemessener Maßstab“ der von der Vertreterversammlung beschlossene korrigierte Flächenwert angewandt wird (§ 131 Abs 1 der Satzung der SVLFG vom 09.01.2013 in der Fassung des Nachtrags vom 14.11.2018). Diese Satzungsbestimmungen verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Die Herstellung von Beitragsgerechtigkeit sei zwar ein legitimes gesetzgeberisches Ziel, jedoch sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet, hierbei ein Optimum anzustreben. Damit sei die Beklagte auch nicht verpflichtet, den zweckmäßigsten, vernünftigsten oder gerechtesten Beitragsbemessungsmaßstab zu ermitteln. Vielmehr bestehe ein erheblicher – schon in der gesetzlichen Regelung angelegter – Gestaltungsspielraum der Beklagten, der nur durch höherrangiges Recht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art 3 Abs 1 GG begrenzt sei. Ein derartiger Verstoß sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht erkennbar. Abhängig von Größe und Art der bewirtschafteten Flächen und weiterer Faktoren (insbesondere dem Beziehungswert der AELV) werde der – korrigierte – Flächenwert der Beitragstabelle der Beklagten zugeordnet. Der Maßstab „korrigierter Flächenwert“ sei gerechtfertigt und nicht willkürlich. Der Beitragsgestaltung im KVLG 1989 mit der Untergliederung in Beitragsklassen wohne eine Pauschalierung inne. Bei einer den Bedürfnissen einer Massenverwaltung entsprechenden typisierenden Regelung seien gewisse Härten und Ungerechtigkeiten durch die Pauschalierung hinzunehmen.

Der korrigierte Flächenwert errechne sich aus der Vervielfältigung des durchschnittlichen Hektarwertes in der Gemeinde, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, sowie seiner Gesamtfläche mit den sogenannten Beziehungswerten. Zutreffend habe die Beklagte insofern ausgeführt, dass der durchschnittliche Hektarwert der Gemeinde die regionale Ertragskraft von landwirtschaftlichen Flächen wiederspiegele und hierdurch die Beitragsgerechtigkeit entgegen der Auffassung des Klägers gesteigert werde. Wären die durchschnittliche Hektarwerte aller Gemeinden bundesweit gleich, würden die Landwirte mit ertragreichen Böden im Vergleich zu denen mit weniger ertragreichen Böden beitragsrechtlich besser gestellt, weil sich deren bessere Ertragslage nicht im zu zahlenden Beitrag wiederfinden würde. Darüber hinaus werde bei der Beitragsbemessung auch berücksichtigt, welche Kulturart angebaut werde, indem der ermittelte Flächenwert bei bestimmten Sonderkulturen, die im Vergleich zur herkömmlichen Landwirtschaft besonders ertragreich seien, mit einem Multiplikator zu vervielfältigen ist. Der korrigierte Flächenwert ergebe sich, indem der Flächenwert (ggf nach Vervielfältigung mit den Multiplikatoren) mit den entsprechenden Beziehungswerten der AELV multipliziert werde. Diese Beziehungswerte ergäben sich aus dem Wirtschaftswert und dem fünfjährigen Durchschnitt der Gewinne der für den Agrarbericht der Bundesregierung ausgewerteten landwirtschaftlichen Testbetriebe. Die Einkommensermittlung nach Beziehungswerten sei sachgerecht. Der Gesetzgeber dürfe insoweit pauschalieren und typisieren, weil die Einkommensermittlung ein aufwändiges Massengeschäft sei, dass die Kassen nicht bewältigen könnten, wenn sie nicht auf die in der AELV enthaltenen statistisch ermittelten Beziehungswerten zurückgreifen könnten. Die Daten aus den Anlagen zur AELV beruhten auf repräsentativen Stichproben mit einer ausreichenden Zahl von Testbetrieben und einer anerkannten mathematischen Berechnungsmethode, bei der „Ausreißerergebnisse“ ausgeschlossen würden. Der Gesetzgeber habe sich für eine Ermittlungsmethode entschieden, die ein taugliches Mittel zur Klärung der finanziellen Leistungsfähigkeit darstelle.

Formelle Fehler des zugrunde liegenden Satzungsrechts seien weder dargelegt worden noch ersichtlich. Die Berechnung der Beiträge zur Pflegeversicherung beruhe auf § 55 Abs 5 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) iVm § 148 der Satzung der SVLFG. Anhaltspunkte dafür, dass die konkrete Beitragsbemessung fehlerhaft sei, seien nicht vorgetragen oder ersichtlich.

Gegen das am 30.12.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.01.2020 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem Klageverfahren und trägt ergänzend vor, in seiner Betriebssitzgemeinde würden bereits landwirtschaftliche Unternehmer mit einer Fläche von 84,19 ha in die höchste Beitragsklasse eingestuft. Dies sei nicht gerecht. Es sei allgemein bekannt, dass mittlerweile sehr viele Landwirte Betriebe mit weit über 84 ha bewirtschaften. Die Regelungen zur Beitragsbemessung seien vor dem Hintergrund des landwirtschaftlichen Strukturwandels nicht zu rechtfertigen. Die Anzahl der Betriebe sinke, während die durchschnittliche Flächenausstattung je Betrieb steige. Die jährliche Abnahmerate landwirtschaftlicher Betriebe habe zwischen 2013 und 2016 1,1 % jährlich betragen. Die durchschnittliche Flächenausstattung sei von 56 ha im Jahr 2010 auf  rund 61 ha im Jahr 2016 gestiegen. 2016 seien rund 36.500 Betriebe in die Kategorie von 100 ha und mehr gefallen. Diese hätten gemeinsam rund 59 % der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland bewirtschaftet. Die durchschnittliche Größe landwirtschaftlicher Betriebe liege in einigen Bundesländern weit über der Schwelle von 84 ha. Vor diesem Hintergrund sei es nicht gerechtfertigt, den Höchstbeitrag bereits ab einem korrigierten Flächenwert von 97.200,01 € zu zahlen. Dementsprechend sei es auch nicht mehr sachlich zu rechtfertigen, dass der Kläger mit einem korrigierten Flächenwert ab 64.801 € mit einer Fläche von knapp 60 ha bereits in die Beitragsklasse 14 eingestuft werde. Sein Beitrag betrage bereits gut 73 % des Höchstbeitrages. Dies sei im Verhältnis seiner Fläche und seines korrigierten Flächenwertes zu landwirtschaftlichen Unternehmen mit deutlich größeren Flächen und deutlich größerem korrigierten Flächenwert nicht gerechtfertigt, da ein Betrieb mit 185 ha etwa über die dreifache Ertragskraft seines Betriebes verfüge. Die der AELV zugrunde liegenden und zu einer geringeren Ertragskraft führenden Ertragsstudien könnten nicht überprüft werden. Auch würden größere Betriebe heutzutage deutlich von verminderten Einkaufspreisen für Diesel, Dünger und Saatgut profitieren, sodass sich bereits insofern die Annahme einer erheblich erhöhten Ertragskraft rechtfertige. Das SG habe sich in seiner Urteilsbegründung mit den wesentlichen Argumenten des Klägers nicht hinreichend auseinandergesetzt. Ein Vergleich mit der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Krankenversicherung könne nicht überzeugen, da der Kläger pflichtversichert sei. Dem entgegen bestehe in der allgemeinen Krankenversicherung keine Pflichtversicherung, wenn der Verdienst der zu Versichernden über der Beitragsbemessungsgrenze liege. In der gesetzlichen Krankenversicherung für Selbstständige als freiwillig Versicherte würde der Kläger zudem deutlich niedrigere Krankenkassenbeiträge zahlen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.11.2019 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2019 zu verurteilen, die Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung für das Jahr 2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es treffe nicht zu, dass bereits bei einer Flächenausstattung eines landwirtschaftlichen Betriebes iHv 84 ha ein korrigierter Flächenwert von 97.200,01 € und damit die höchste Beitragsklasse erreicht werde. Die Beziehungswerte der AELV ergäben sich aus dem Wirtschaftswert und dem fünfjährigen Durchschnitt der Gewinne der für den Agrarbericht der Bundesregierung ausgewerteten landwirtschaftlichen Testbetriebe. Für ein landwirtschaftliches Unternehmen mit 84 ha und einem durchschnittlichen Hektarwert der Betriebssitzgemeinde iHv 2417,00 DM errechne sich ein Flächenwert iHv 203.028,28 DM ausweislich der AELV 2019 betrage der Beziehungswert für diesen Flächenwert 0,3826687. Somit ergebe sich ein korrigierter Flächenwert iHv 77.692,47 €, der im Jahr 2019 zu einer Einstufung in die Beitragsklasse 16 geführt hätte. Erst bei einer Flächenausstattung von etwa 185 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche würde bei einem durchschnittlichen Hektarwert der Gemeinde iHv 2417,00 DM eine Einstufung in die Beitragsklasse 20 erfolgen. Aufgrund der degressiven Beziehungswerte in der AELV in Bezug auf die Flächenausstattung werde eine große Spanne von landwirtschaftlichen Unternehmen in den verschiedenen Beitragsklassen abgebildet. Erst bei einem überdurchschnittlich hohen Flächenwert erfolge die Einstufung in die höchste Beitragsklasse. Auch treffe es nicht zu, dass ein Betrieb mit 185 ha über die dreifache Ertragskraft eines landwirtschaftlichen Unternehmens mit ca 60 ha verfüge. Vielmehr liege die Ertragskraft ausweislich der Berechnung nach der AELV 2019 lediglich etwa ein Drittel höher. Dies werde durch die Höhe der zu zahlenden Beiträge wiedergespiegelt. Bei der Beitragsbemessung werde durch die Berücksichtigung der unterschiedlichen durchschnittlichen Hektarwerte der Gemeinden Beitragsgerechtigkeit gerade hergestellt, da durch diese die regionale Beschaffenheit – und mithin die regionalen Ertragsmöglichkeiten – in der Beitragsbemessung abgebildet würden. Ein Vergleich mit der allgemeinen Krankenversicherung sei durchaus angebracht. In dieser müssten Versicherte Beiträge nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze zahlen. In der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung stelle die höchste Beitragsklasse die „Beitragsbemessungsgrenze“ dar. Es sei inhaltlich nicht korrekt, soweit der Kläger ausführe, es liege keine Vergleichbarkeit vor, da in der allgemeinen Krankenversicherung keine Pflichtversicherung bestehe, wenn der Verdienst der zu Versichernden über der Beitragsbemessungsgrenze liege. Vielmehr liege das zur Versicherungsfreiheit führende Jahresarbeitsentgelt deutlich über der Beitragsbemessungsgrenze. Auch wäre es nicht rechtens, wenn es keine Beitragsobergrenze geben würde. Zwar herrsche das Solidaritätsprinzip, jedoch müssten Beitrag und Leistungen noch in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.

Mit Bescheid vom 03.01.2020 hat die Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.01.2020 unter Zugrundelegung der Beitragsklasse 15 iHv 484,10 € bzw 84,62 € festgesetzt. Mit Bescheiden vom 02.12.2020 für die Zeit vom 15.05.2020 bis 31.12.2020 sowie vom 18.01.2021 für die Zeit vom 01.01.2020 bis 14.05.2020 hat sie den Bescheid vom 03.01.2020 dahingehend abgeändert, dass sie nunmehr unter Zugrundelegung der Beitragsklasse 14 Beiträge iHv 455,89 € bzw 79,78 € festgesetzt hat. Mit Bescheid vom 09.01.2021 hat die Beklagte die Beiträge für die Zeit ab dem 01.01.2021 unter Zugrundelegung der Beitragsklasse 14 iHv 463,64 € bzw 81,14 € festgesetzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Berichterstatter mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 155 Abs 3 und 4 iVm § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist teils unzulässig und teils unbegründet.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid vom 03.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2019 sowie die Folgebescheide vom 02.12.2020, 18.01.2021 und 09.01.2021, die gemäß §§ 153 Abs 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sind. Über die Folgebescheide entscheidet der Senat auf Klage (vgl Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09.04.2019 – L 11 KR 2679/18 – in juris Rn 23).

Richtige Klageart ist in allen Fällen die (isolierte) Anfechtungsklage, da der Kläger der Auffassung ist, dass er die mit den genannten Bescheiden festgesetzten Beiträge nicht in der festgesetzten Höhe zahlen muss (vgl LSG Baden-Württemberg, aaO). Für das Begehren des Klägers – die Teilaufhebung der verfahrensgegenständlichen Bescheide, soweit mit diesen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aus fiktiven Einnahmen oberhalb der durch ihn tatsächlich erzielten Einkünfte festgesetzt worden sind – ist die Teilanfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 1. Alt SGG)  statthaft (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.02.2020 – L 11 KR 694/17 – in juris Rn 40 mwN). Die darüber hinaus erhobene Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Neuberechnung der Beiträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ist mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig, da der Kläger sein Klageziel bereits durch (Teil-) Anfechtung der streitgegenständlichen Bescheide erreichen kann.

Die insoweit zulässigen Anfechtungsklagen sind jedoch unbegründet. Dass SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide beschweren den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 SGG. Die Beklagte hat die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im Zeitraum ab dem 01.01.2019 in rechtmäßiger Höhe festgestellt.

Zur Begründung nimmt der Senat zunächst nach § 153 Abs 2 SGG auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung, in denen das SG die Sach- und Rechtslage unter zutreffender Würdigung der Rechtsprechung ua von Bundesverfassungs- und Bundessozialgericht zutreffend dargelegt hat, Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung ab.

Ein abweichendes Ergebnis rechtfertigt sich auch nicht aufgrund des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren.

Soweit der Kläger vorträgt, bereits eine bewirtschaftete Fläche von 84 ha führe zur Einstufung in die höchste Beitragsklasse, trifft dies aus den durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 22.06.2020 genannten Gründen nicht zu. Der Senat nimmt insofern auf die nachvollziehbaren Ausführungen der Beklagten Bezug. Danach führt die Bewirtschaftung von 84 ha zu einem korrigierten Flächenwert iHv 77.692,47 €, welcher zu einer Einstufung in der Beitragsklasse 16 führen würde. Erst bei einer Flächenausstattung von etwa 185 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche würde eine Einstufung in der Beitragsklasse 20 erfolgen. Hierdurch wird deutlich, dass eine große Spanne von landwirtschaftlichen Unternehmen in den verschiedenen Beitragsklassen der Satzung der Beklagten abgebildet wird. Weiter wird ersichtlich, dass die Einstufung in die höchste Beitragsklasse erst bei einem – auch unter Berücksichtigung des durch den Kläger dargelegten strukturellen Änderungsprozesses in der Landwirtschaft – überdurchschnittlich hohen Flächenwert erfolgt.

Unzutreffend ist auch die Annahme des Klägers, ein Flächeneinsatz von 185 ha gegenüber einem solchen von 60 ha führe zu einer ca dreifach höheren Ertragsleistung, die in der Beitragsklasse 20 gegenüber der in seinem Falle zugrunde gelegten Beitragsklasse 14 nicht hinreichend abgebildet werde. Der Senat nimmt insofern auf die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 11.01.2021 Bezug, in welchem diese unter Berücksichtigung der Werte der AELV 2019 nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Ertragskraft eines landwirtschaftlichen Unternehmens mit 185 ha Fläche lediglich etwa ein Drittel höher als die Ertragskraft eines landwirtschaftlichen Unternehmens mit ca 60 ha Fläche liegt. Diese Differenz wird durch die Höhe der entsprechend zu zahlenden Beiträge aber angemessen wiedergespiegelt.

Soweit der Kläger hiergegen einwendet, die Ertragsstudien der AELV habe er nicht gefunden, sodass ihre genaue Grundlage nicht überprüft werden könne, führt auch dies zu keinem anderen Ergebnis. Die Beziehungswerte der AELV ergeben sich – worauf das SG ebenfalls zutreffend hingewiesen hat – aus dem Wirtschaftswert und dem fünfjährigen Durchschnitt der Gewinne der für den Agrarbericht der Bundesregierung ausgewerteten landwirtschaftlichen Testbetriebe (vgl § 1 Abs. 1 Nr. 1 AELV 2019). Die Beziehungswerte basieren auf dem Testbetriebenetz der Bundesregierung und werden damit auf Grundlage der Buchführungsergebnisse von über 11.000 Testbetrieben berechnet. Der Beziehungswert drückt das Verhältnis zwischen Wirtschaftswert und dem Gewinn der Testbetriebe aus. Die AELV wird jährlich vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aktualisiert und enthält die Durchschnittswerte der letzten fünf Jahre. Die Beziehungswerte der AELV sind degressiv gestaltet und bringen zum Ausdruck, dass das Einkommen mit der Flächengröße nicht linear steigt.

Die Einwände des Klägers geben zur Überzeugung des Senats keinen Anlass, an der Richtigkeit der so ermittelten Werte zu zweifeln. Der Senat geht weiter davon aus, dass angesichts der Auswertung der Buchführungsergebnisse von über 11.000 Testbetrieben auch etwaig verminderte Einkaufspreise größerer Betriebe ihren Niederschlag in den ermittelten Werten finden. Konkrete Einwände, die Anlass zu Zweifeln an diesen Werten bieten, hat der Kläger auch nicht erhoben.

Abschließend weist auch der Senat nochmals darauf hin, dass der Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit keineswegs optimal umgesetzt werden musste (vgl BVerfG, Beschluss vom 12.09.2007 – 1 BvR 58/06 – in juris Rn 12) und die Beklagte damit auch keinesfalls verpflichtet war, in ihrer Satzung den zweckmäßigsten, vernünftigsten oder gerechtesten Beitragsmaßstab ermitteln (BSG, Urteil vom 29.02.2012 – B 12 KR 7/10 R – in juris Rn 17). Vielmehr besteht ein erheblicher – schon in der gesetzlichen Regelung angelegter – Gestaltungsspielraum, der nur durch höherrangiges Recht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art 3 Abs 1 GG, nach dem sachliche und plausible Gründe für die jeweilige Ausgestaltung bestehen müssen (vgl BSG, Urteil vom 24.01.1991 – 2 RU 62/89 – in juris Rn 19 mwN), begrenzt war. So hat das Bundesverfassungsgericht für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeführt, dass das Ziel einer individuellen Beitragsgerechtigkeit durch Untergliederung der Gefahrsklassen nur begrenzt erreichbar ist. Die Versicherungsträger sind (gleichwohl) nicht gehindert, den Bedürfnissen einer Massenverwaltung durch Typisierungen Rechnung zu tragen (vgl BVerfG, Beschluss vom 12.09.2007, aaO).

Die Beklagte hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass auch in der allgemeinen Krankenversicherung bei Versicherten, deren Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze aber unter dem zur Versicherungsfreiheit führenden Jahresarbeitsentgelt liegt – analog zur höchsten Beitragsklasse – Beiträge ebenfalls nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben werden. Darüber hinaus liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch in der in § 240 Abs 4 S 1 SGB V getroffenen Regelung, nach der der Mindestbeitrag bei freiwillig Versicherten auch dann nicht unterschritten werden darf, wenn diese nur ein geringeres oder überhaupt kein Einkommen haben, kein Verstoß gegen Art 3 GG (vgl ua BSG, Urteil vom 30.11.2016 – B 12 KR 6/15 R – in juris). Auch das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Mindestbemessung für Beiträge hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger, die freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind, verfassungsgemäß ist (vgl BVerfG, Beschlüsse vom 22.05.2001 – 1 Bvl 4/96 – und vom 04.12.2002 – 1 BvR 597/98 – jeweils in juris). Die genannten Fallkonstellationen verdeutlichen, dass der Grundsatz der Beitragsrechtsgerechtigkeit durch die Bedürfnisse der Massenverwaltung nach einer Typisierung durchbrochen werden kann, ohne dass hierin ein Verstoß gegen Art 3 GG begründet liegt.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein Verstoß gegen höherrangiges Recht nach og vorliegend nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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