L 8 BA 161/20 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 BA 49/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 161/20 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.9.2020 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 314.803,36 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 23.9.2020 ist nicht begründet. Das SG hat den (erneuten) Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 39 BA 204/18 anhängigen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7.3.2017 in Gestalt der Bescheide vom 22.9.2017 und 19.2.2018 und des Widerspruchsbescheides vom 7.6.2018 sowie des Bescheides vom 9.1.2019 zu Recht als unzulässig abgelehnt.

Dem nochmalig gestellten Eilantrag der Antragstellerin steht die materielle Rechtskraft des Beschlusses des SG Köln vom 8.12.2017 – S 8 R 1508/17 ER, die mit der Zustellung des Senatsbeschlusses vom 14.6.2019 – L 8 BA 12/18 B ER eingetreten ist, entgegen. Zeitlich nachfolgende neue Tatsachen oder eine veränderte Rechtslage, die eine andere Beurteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts rechtfertigen (vgl. zu diesen Voraussetzungen Senatsbeschl. v. 8.7.2020 – L 8 BA 72/20 ER – juris Rn. 12 ff. m.w.N.; Beschl. v. 6.4.2020 – L 8 BA 22/20 B ER – juris Rn. 4), sind nicht ersichtlich und von der Antragstellerin auch weder schlüssig vorgetragen noch gem. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht. Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für die Antragstellerin durch die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheides liegt weiterhin nicht vor. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Bezug, denen er sich vollinhaltlich anschließt (vgl. § 142 Abs. 2 S. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Soweit sie (wiederholend) geltend macht, eine unbillige Härte bestehe darin, dass sie bei sofortiger Fälligkeit der Forderung Insolvenz anmelden müsse, im Gegenzug aber die Durchsetzung der Forderung aufgrund ihrer Liquiditätsplanung bei einem Abwarten in der Hauptsache nicht weiter gefährdet sei als zurzeit, genügt dies nicht, um zu einem anderen Ergebnis zu gelangen.

Schon der behauptete Eintritt der Insolvenz bei Vollziehung des Beitragsbescheides ist auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin H X vom 11.2.2020, 9.11.2020, 15.12.2020 und 29.1.2021 weder schlüssig vorgetragen noch erst recht nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Dies gilt bereits in verfahrensrechtlicher, aber auch in inhaltlicher Hinsicht.

Zunächst fehlt es bereits an der im Eilverfahren hier erforderlichen eidesstattlichen Versicherung der Steuerberaterin zur Richtigkeit ihrer Erklärungen in Bezug auf die dargelegten tatsächlichen Umstände bzw. an der Vorlage aktualisierter betriebswirtschaftlicher Auswertungen. Ebenso ist lediglich behauptet, nicht aber substantiiert dargetan und belegt, dass – auch aktuell – finanzielle Mittel zur Begleichung der streitigen und fälligen Sozialabgaben nicht von dritter Seite (z.B. Banken oder der Muttergesellschaft) erlangt werden können.

Darüber hinaus lassen die Ausführungen selbst eine klare Darstellung dazu vermissen, dass und aufgrund welcher konkreten Zahlen eine relevante Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin gegenüber dem Senatsbeschluss vom 14.6.2019 eingetreten sein soll. Eine solche ist auch nicht erkennbar.

Die Antragstellerin und ihr Geschäftsführer scheinen der wirtschaftlichen Situation nicht die im Eilverfahren behauptete besondere Schwere beizumessen. Anderenfalls wäre ein Vortrag zu einer erfolgten Reduktion der Bezüge des Geschäftsführers zu erwarten gewesen. Ausweislich der Gewinn- und Verlustrechnung sind diesem für die Zeit vom 1.1. bis 31.12.2019 in den Jahren 2018 und 2019 jeweils 136.800 Euro vergütet worden. Bei einer aus Sicht der Antragstellerin drohenden Insolvenz hätte eine Minderung jedoch nahegelegen, da sich im Fall der Krise der GmbH eine Pflicht des Geschäftsführers, der Herabsetzung seiner Bezüge zuzustimmen, auf Grund seiner Treuepflicht ergeben kann (vgl. Senatsurt. v. 24.10.2018 – L 8 R 617/17 – juris Rn. 107 m.w.N.; BGH Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 88/91 – juris Rn. 16 m.w.N.; Beschl. v. 20.12.1994 – 1 StR 593/94 – juris Rn. 6 m.w.N.; OLG Düsseldorf Urt. v. 2.12.2011 – I-16 U 19/10 – juris Rn. 41 m.w.N.; Kleindiek in Lutter-Hommelhoff, GmbH-Gesetz Kommentar, 20. Aufl. 2020, Anhang zu § 6 R. 34a m.w.N.; Wisskirchen/Kuhn in BeckOK GmbHG, § 35 Rn. 112 m.w.N.; Altmeppen in Roth/Alt­meppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, Rn. 102 m.w.N.; Stephan/Tieves/Jaeger/Steinbrück in Münchener Kommentar GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35 Rn. 324a m.w.N.; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021 § 35 Rn. 141 f.; Lenz in Michalski/Heidin­ger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017 § 35 Rn. 151 m.w.N.: „Notopfer“).

Nach dem aktenkundigen Sachstand stellen sich die gesamten Umstände für die Antragstellerin im jetzigen Zeitpunkt sogar deutlich günstiger dar als bei der letzten Eilentscheidung des Senats im Juni 2019.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen lediglich auf eine drohende Insolvenz bei sofortiger vollständiger Begleichung der Beitragszahlungen abstellt. Eine derartige Vollziehung droht bezogen auf die Beigeladene zu 2) und somit im Hinblick auf mehr als die Hälfte der streitbefangenen Beitragsforderung jedoch derzeit überhaupt nicht. So hat die Antragstellerin mittlerweile am 13.3.2020 mit der Beigeladenen zu 2) eine Ratenzahlungs- und Stundungsvereinbarung geschlossen und letztere hier im Verfahren daher mitgeteilt, dass eine Vollziehung bis zum 28.9.2021 bei weiterhin regelmäßiger Ratenzahlung nicht vorgenommen werde. Auch über diesen Zeitraum hinaus hat sie sich bereits zu einer weiteren Stundung bereit erklärt.

Es ist nicht ersichtlich, dass eine entsprechende Vereinbarung nicht auch mit der Beigeladenen zu 1), die ihre grundsätzliche Bereitschaft hierzu ebenfalls erklärt hat, geschlossen werden kann. Deren Zustandekommen ist bisher – für den Senat nachvollziehbar – an der zu geringen Höhe der von der Antragstellerin angebotenen Zahlung in Höhe von 5.000 Euro pro Monat (im Verhältnis zur Forderung von mehr als 600.000 Euro) gescheitert. Dass eine höhere Ratenzahlung nicht möglich wäre, hat die Antragstellerin bisher lediglich behauptet, jedoch in keiner Weise hinreichend glaubhaft gemacht.

Droht die Vollziehung der Beitragsforderung aber wie hier nicht (mehr) bzw. erscheint deren Abwendung durch den Abschluss von Raten- und Stundungsvereinbarungen mit der betroffenen Einzugsstelle möglich, liegt eine die begehrte gerichtliche Aufschiebungsanordnung rechtfertigende unbillige Härte nicht vor (eine Unbilligkeit bei drohender Insolvenz generell verneinend: vgl. LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 9.7.2018 – L 9 BA 29/18 B ER – juris Rn. 5 m.w.N.).

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Antragstellerin allein bis Ende des Jahres 2019 Rückstellungen für die hier streitige Forderung in Höhe von 900.000 Euro gebildet hat. Rückstellungen sind gem. § 249 Abs. 1 S. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) in der Handelsbilanz u.a. für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden und setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus (vgl. BFH Urt. v. 22.1.2020 – XI R 2/19 – juris Rn. 19). Bei den Rückstellungen handelt es sich um buchungs- und bilanztechnische Maßnahmen mit steuerlichem Hintergrund, wobei die angesammelten Beträge dem Unternehmen bis zur Fälligkeit als Finanzierungsmittel weiter zur Verfügung stehen (vgl. BGH Urt. v. 16.1.1997 – III ZR 117/95 – juris Rn. 109). Die Pflicht zur Verlustrückstellung ergibt sich aus dem bilanzrechtlichen Imparitätsprinzip (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Dieses zielt darauf ab, im Interesse der Kapitalerhaltung und des Gläubigerschutzes künftige Rechnungsperioden von vorhersehbaren Risiken und Verlusten freizuhalten, die am Bilanzstichtag zwar noch nicht realisiert, aber bereits verursacht sind. Die als Verlust ermittelten Beträge sollen mit Hilfe der Rückstellung von der Gewinnverteilung ausgenommen und für den späteren Bedarf bereitgehalten werden (vgl. BFH Beschl. v. 23.6.1997 – GrS 2/93 – juris Rn. 39). Soweit die Antragstellerin meint, sie könne die von ihr gebildeten Rückstellungen nicht für Forderungen der Antragsgegnerin einsetzen, weil es sich um lediglich bilanzrechtliche Posten handele, ist dies nur formal zutreffend. Es erklärt gleichwohl nicht, in welcher Weise sie dem Imparitätsprinzip Rechnung getragen hat. Nutzt ein Antragsteller die gesetzliche Verpflichtung zur Bildung von Rückstellungen allein dazu, seine Steuerlast (Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer) durch die Gewinnminimierung zu reduzieren, ohne dass irgendwie geartete Bemühungen erkennbar sind, dem Sinn der gesetzlichen Vorschrift entsprechend Gläubigerschutz zu betreiben, steht dies der Annahme einer unbilligen Härte bei sofortigem Vollzug der Forderung entgegen.

Schließlich verkennt die Antragstellerin, dass eine unbillige Härte wegen drohender Insolvenz auch die Darlegung und Glaubhaftmachung des Beitragsschuldners erfordert, er sei bei Fortsetzung seines Geschäftsbetriebs und Einhaltung aller rechtlichen Bestimmungen in der Lage, derart rentabel zu wirtschaften, dass die noch offene Beitragsforderung in überschaubarer Zeit beglichen werden kann (st. Rspr. des Senats, z.B. Beschl. v. 15.6.2020 – L 8 BA 139/19 B ER – juris Rn. 15, Beschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 22, Beschl. v. 22.4.2020 – L 8 BA 266/19 B ER – juris Rn. 27). Weder hat die Antragstellerin schlüssig aufgezeigt noch glaubhaft gemacht, die Beitragsforderungen bei einem rechtmäßigen Geschäftsbetrieb, der die Beachtung der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten beinhaltet, in absehbarer Zeit erfüllen zu können. Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin aus der zwischenzeitlich begonnenen Betriebsfolgeprüfung führt die Antragstellerin ihr rechtswidriges Geschäftsmodell weiter fort. Die von ihr vorgelegten wirtschaftlichen Bilanzen mit angegebenen Verlusten in den Jahren 2017 bis 2019 sowie ihre Prognosen sind sämtlich auf dieser Grundlage erstellt worden. Bereits mit dem vorhergehenden Beschluss vom 14.6.2019 (L 8 BA 12/18 B ER) hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin nicht einmal bei Fortsetzung ihres rechtswidrigen Geschäftsmodells in der Lage ist, Gewinne in einer Höhe zu erwirtschaften, die sie in die Lage versetzen, die Beitragsforderung angemessen zeitnah zu zahlen. Abweichende günstigere Zahlen hat die Antragstellerin auch im hier zugrunde liegenden, neuerlich von ihr angestrengten Eilantrag nicht vorgelegt. Die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung dient nicht dazu, der Antragstellerin die Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebs unter Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten zu ermöglichen. Dies gilt um so mehr, als durch die unterlassene Zahlung gesetzlich normierter Abgaben ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen – gesetzestreu handelnden – Unternehmen begründet wird, der durch den Erlass der begehrten Anordnung bis zum Ende des Hauptsachverfahrens manifestiert würde. Dies aber widerspricht dem Sinn und Zweck der Anordnung einer aufschiebenden Wirkung als Ausnahme zum gesetzlich regelmäßig vorgesehenen sofortigen Vollzug von Beitragsbescheiden gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG.

2) Eine Änderung der Rechtslage, die die Durchbrechung der Rechtskraft erlaubt, ist ebenfalls nicht eingetreten. Eine solche liegt dann vor, wenn sich die entscheidungserhebliche Normlage nachträglich verändert (st. Rspr. des Senats, z.B. Beschl. v. 6.4.2020 – L 8 BA 22/20 B ER – juris Rn. 9). Dies ist offenkundig nicht der Fall, weil die Rechtsgrundlagen, auf denen der erkennende Senat seinen Beschluss vom 14.6.2019 getroffen hat, unverändert geblieben sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge als Streitwert anzusetzen ist (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 22.4.2020 – L 8 BA 266/19 B ER – juris Rn. 30 m.w.N.).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

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