L 13 SB 54/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 21 SB 164/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 SB 54/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 6/14 BH
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. Januar 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird, soweit sich der Kläger gegen die Feststellung des Gesamt-GdB wendet.

Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Höhe des bei ihm festgestellten Grades der Behinderung (GdB) und begehrt die Anerkennung seiner erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G).

Mit Ausführungsbescheid vom 17.06.2003 stellte das Versorgungsamt Köln bei dem Kläger einen GdB von 50 wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Psyche sowie der Wirbelsäule und einer Krampfaderbildung fest. Am 04.07.2006 begehrte der Kläger die Erhöhung des GdB sowie die Zuerkennung des Merkzeichens G. Er berief sich auf einen Rehabilitations-Entlassungsbericht des Rentenversicherungsträgers sowie Befunde seines behandelnden Orthopäden L. Gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. N, der eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand des Klägers aufgrund der vorgelegten Unterlagen nicht feststellte, lehnte das Versorgungsamt Köln die Anträge mit Bescheid vom 17.08.2006 ab.

Der Kläger legte am 29.08.2006 Widerspruch ein, mit dem er die Zuerkennung des Merkzeichens G begehrte. Er machte geltend, an einem stark eingeschränkten Reaktionsvermögen im Straßenverkehr zu leiden und infolge der Einnahme der ihm nervenärztlich verordneten Medikamente Orap und Saroten zu unkontrollierten und nicht beabsichtigten Bewegungen zu neigen. Infolge der Gesundheitsbeeinträchtigungen seines Bewegungsapparates und einer weitergehenden Somatisierungsstörung sei seine Gehfähigkeit in erhöhtem Maße beeinträchtigt. Nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens der Ärztin für Nervenheilkunde und Sozialmedizin T, die wegen der psychischen Beeinträchtigungen einen GdB von 70 empfahl, stellte das Versorgungsamt Köln mit Abhilfebescheid vom 12.04.2007 einen GdB von 70 fest wegen Beeinträchtigungen der Psyche, leichtgradiger Funktionsstörungen der Brust- und Lendenwirbelsäule sowie einer Krampfaderbildung.

Der Kläger hielt seinen Widerspruch im Hinblick auf die Nichtanerkennung der Voraussetzungen für das Merkzeichen G aufrecht. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens des Dr. R, der eine weitergehende wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes verneinte, wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.08.2007), weil der Gesamt-GdB mit 70 nunmehr zutreffend bewertet worden sei und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht vorlägen.

Der Kläger hat am 03.09.2007 vor dem Sozialgericht Köln Klage mit dem Antrag erhoben, den Bescheid des Versorgungsamtes Köln vom 17.08.2006 unter Einbeziehung des Abhilfebescheides vom 12.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 22.08.2007 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm das Merkzeichen G zuzuerkennen, sowie der Beklagten seine erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Nach Akteneinsichtnahme hat er diesen Antrag am 07.01.2008 dahin erweitert, auch einen höheren GdB festzustellen. Er hat geltend gemacht, insbesondere die erheblichen Beeinträchtigungen im orthopädischen Bereich seien bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht ausreichend berücksichtigt worden, und unzureichende Untersuchungen bemängelt.

Das Sozialgericht hat Befundberichte von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie psychotherapeutische Medizin J sowie dem Chirurgen K und ein orthopädisches sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt. Der Orthopäde E ist in seinem Gutachten vom 07.02.2008 zu dem Ergebnis gelangt, der Gesundheitszustand habe sich orthopädischerseits seit der Bescheiderteilung vom 17.06.2003 nicht wesentlich geändert. Für das Funktionssystem Achsenstab sei ein Einzel-GdB von 20 und für die Funktionssysteme unterer Achsenstab sowie Kreislauf seien jeweils ein Einzel-GdB von 10 anzunehmen. Insoweit erübrige sich eine Diskussion des begehrten Merkzeichens G. Der Neurologe und Psychiater O hat mit Datum vom 21.02.2008 ausgeführt, das psychopathologische Bild des Klägers habe sich verschlechtert. Der GdB sei insoweit mit 70 v.H. anzunehmen. Da die orthopädischen Erkrankungen und die Krampfadern nur sehr geringe Funktionsausfälle bedingten, sei der Gesamt-GdB diesbezüglich nicht zu erhöhen. Dem Kläger könne jede Strecke im Ortsverkehr ohne Weiteres zugemutet werden. Die beklagten „Schwindelerscheinungen“, bei denen es sich um Somatisierungsphänomene der persönlichkeitsbedingten Ängste des Klägers handele, könnten insoweit keine wesentliche Einschränkung begründen.

Nachdem der Kläger diesem Gutachten unter anderem mit einem ärztlichen Bericht des Orthopäden Z vom 12.06.2008 entgegengetreten ist, hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme des E veranlasst, der bei seiner Auffassung verblieben ist. Der Kläger hat sich demgegenüber auf neurologische Befunde des Dr. S und eine Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule vom 07.08.2008 berufen. In weiteren Stellungnahmen sind E und O jedoch bei ihrer Beurteilung verblieben.

Mit Urteil vom 14.01.2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, weil sich weder ein höherer GdB noch die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G begründen ließen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihm am 07.02.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.02.2009 Berufung eingelegt. Er macht geltend, weder seine neurologischen und psychischen Beschwerden seien zutreffend von den Gutachtern diagnostiziert worden noch sei die orthopädische Begutachtung ordnungsgemäß durchgeführt worden. Insbesondere infolge seiner „psychosomatischen“ Leiden bestehe eine erhebliche Verkehrsgefährdung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.01.2009 zu ändern und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 17.08.2006 und 12.04.2007, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2007 zu verurteilen, bei ihm einen höheren GdB sowie die Voraussetzungen für das Merkzeichen G festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich auf Stellungnahmen der Dres. F und M.

Der Senat hat weitere ergänzende Stellungnahmen von O und E eingeholt und sodann eine fachorthopädische Begutachtung durch Dr. A und ein nervenfachärztliches Gutachten durch Dr. B veranlasst. Dr. A hat in seinem Gutachten vom 29.05.2013 den GdB für das Funktionssystem Wirbelsäule mit 40 und für die Funktionssysteme Arme und Beine mit jeweils 10 eingeschätzt. Dabei hat er eine Verschlechterung  der Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule befunden, eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr jedoch weiterhin verneint. Dr. B ist in seinem Gutachten vom 20.08.2012 zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestünden eine sensible Polyneuropathie, eine Dysthymia, komplexe Angsterkrankung, Somatisierungsstörung und kombinierte Persönlichkeitsstörung. Hinsichtlich der sensiblen Polyneuropathie betrage der GdB 20, hinsichtlich der psychischen Erkrankungen 70. Den Gesamt-GdB hat Dr. B auf 80 geschätzt im Hinblick auf die Verschlechterung der Wirbelsäulenfunktion.

In drei ergänzenden Stellungnahmen vom 04.09.2013, 28.11.2013 und 14.01.2014, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, ist Dr. A bei seiner Einschätzung verblieben und hat insbesondere die Behauptung des Klägers zurückgewiesen, er berücksichtige den Akteninhalt nur unzureichend. Dem für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einem weiteren von dem Kläger gegen die Beklagte geführten sozialhilferechtlichen Verfahren (Az.: L 20 SO 204/12) erstatteten Befundbericht des Orthopäden G vom 16.07.2013, wonach dem Kläger die Zurücklegung einer Wegstrecke von 500 m kaum bis überhaupt nicht mehr zumutbar sei, auf die sich der Kläger auch im vorliegenden Verfahren berufen hat, könne nicht gefolgt werden, weil diese Angaben nicht schlüssig und nicht auf objektivierbare medizinische Tatsachen gestützt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe:

Richtiger Beklagter ist die Stadt Köln, obwohl der angefochtene Bescheid vom Land Nordrhein-Westfalen (Versorgungsamt Köln) erlassen worden ist, weil es zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite gekommen ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 SB 3/08 R = juris Rn. 13). § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW (Art. 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl. NRW, S. 482 – EingliederungsG) hat die den Versorgungsämtern nach den §§ 69 und 145 Sozialgesetzbuch (SGB) 9. Buch (IX) übertragenen Aufgaben mit Wirkung vom 01.01.2008 auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen.

Soweit der Widerspruchsbescheid durch die Bezirksregierung Münster erlassen worden ist, ist deren sachliche Zuständigkeit durch Einführung des § 4a des Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz (AG-SGG) durch Artikel 3, 4 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Lande NRW vom 26.01.2010 (JuMoG NRW, GV. NRW S. 30 ff) begründet worden, wodurch ein früherer Mangel der Zuständigkeit geheilt worden ist (vgl. LSG NW, Urteil vom 21.04.2010 - L 10 SB 22/09 - und Urteil vom 20.04.2010 - L 6 SB 160/09 -, beide unter juris).

Die Berufung ist insgesamt zulässig, obwohl der in der einmonatigen Berufungsfrist (§ 151 Abs. 1 SGG) schriftsätzlich vom Kläger formulierte Antrag sich nur auf das Merkzeichen G bezogen hat. Die weiteren Ausführungen in dem entsprechenden Schreiben haben sich aber bereits gegen die Feststellungen der Höhe des GdB gerichtet, sodass jedenfalls im Wege der Meistbegünstigung die Berufung als auch gegen die Entscheidung des Sozialgerichts über die Höhe des Gesamt-GdB gerichtet anzusehen ist.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil die Klage auf die Feststellung eines höheren Gesamt-GdB bereits unzulässig gewesen ist und das Sozialgericht im Übrigen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens G beim Kläger zu Recht verneint hat.

Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Feststellung eines höheren Gesamt-GdB ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist erhoben worden ist. Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Der angefochtene Widerspruchsbescheid ist dem Kläger spätestens am 03.09.2007 bekanntgegeben worden, weil er an diesem Tag die Klageschrift unter Bezugnahme auf den entsprechenden Bescheid verfasst hat. Dieser Bescheid war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen, in welcher auf die Klagefrist und den Sitz des anzurufenden Sozialgerichts zutreffend hingewiesen worden ist. Die Klagefrist lief daher spätestens am Donnerstag, dem 04.10.2007 ab. Zu diesem Zeitpunkt hat der rechtskundig vertretene Kläger jedoch nur Klage auf Verpflichtung der Beklagten erhoben, unter Abänderung der entsprechenden Bescheide das Merkzeichen G zuzuerkennen. Dies entsprach im Übrigen schon dem Widerspruchsbegehren des Klägers, welches sich nur auf das Merkzeichen bezogen hat, auch wenn die Rechtsvorgängerin der Beklagten beziehungsweise die Widerspruchsbehörde auch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens über den GdB eine Entscheidung getroffen hat. Dieses Ergebnis wird schließlich dadurch bestätigt, dass die Prozessvertreter des Klägers mit ihrem Schriftsatz vom 03.01.2008 ausdrücklich erklärt haben, dass der Klageantrag vom 03.09.2007 geändert werde und nunmehr auch ein höherer GdB beantragt werde. Dieser Schriftsatz ist aber nicht innerhalb der Klagefrist beim Sozialgericht eingegangen und konnte diese daher auch nicht wahren. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Klagefrist (§ 67 SGG) sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Soweit der Kläger meint, die Erweiterung der Klage sei insoweit während des gesamten laufenden Verfahrens möglich, verkennt er, dass die Zuerkennung eines Merkzeichens und die Feststellung des Gesamt-GdB zwei getrennte Klagegegenstände darstellen, für die jeweils die gesamten prozessualen Voraussetzungen vorliegen müssen. Da dies bezüglich des Gesamt-GdB im Hinblick auf die Klagefrist nicht der Fall ist, ist der Bescheid der Beklagten insoweit in Bestandskraft (§ 77 SGG) erwachsen und die Klage als unzulässig abzuweisen.

Soweit der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens G begehrt, ist sein Klagebegehren unbegründet, weil er die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt.

Nach § 146 Abs. 1 S. 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder durch Folge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Grundlage der Beurteilung dieser Voraussetzungen sind die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) bzw. die sie ablösende Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Diese nennen Regelfälle, in denen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G als erfüllt anzusehen sind. Sie bestimmen damit zugleich den Maßstab, nach dem im Einzelfall zu beurteilen ist, ob dort nicht genannte Behinderungen die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigen (BSG, Urt. v. 13.08.1997 - 9 RVs 1/96 = SozR - 3870 § 60 Nr. 2). Anzuwenden sind vorliegend für die Zeit ab Antragstellung im Juli 2006 bis zum Ende des Jahres 2007 die AHP 2005, danach bis zum 31.12.2008 die AHP 2008 und sodann die ab dem 01.01.2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (VersMedV) vom 10.12.2008 (zum Verhältnis dieser Grundsätze und Bestimmungen vgl. BSG, Urt. v. 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 19). Aus dem Wechsel ergeben sich hier keine Abweichungen, da der Wortlaut der maßgeblichen Abschnitte der AHP sowie des Teil D 1. der VersMedV im Wesentlichen identisch ist.

Danach ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder in Folge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d. h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa 2 km, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Nr. 30 Abs. 2 AHP 2005/2008, Teil D 1. b) VersMedV; vgl. auch BSG, Urt. v. 13.08.1997 - 9 RVs 1/96 = SozR 3 - 3870 § 60 Nr. 2). Des Weiteren sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr in Folge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB v. 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (Nr. 30 Abs. 3 AHP 2005/2008, Teil D 1. d) VersMedV). Bei hirnorganischen Anfällen ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Analoges gilt beim Diabetes Mellitus mit häufigen hypoglykämischen Schocks (Nr. 30 Abs. 4 AHP 2005/2008, Teil D 1. e) VersMedV). Schließlich sind Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen können, bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB. v. 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt. Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB v. 100 immer und mit einem GdB v. 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht (Nr. 30 Abs. 5 AHP 2005/2008, Teil D 1. f) VersMedV). All diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger nicht erfüllt

Dies steht aufgrund des Gesamtergebnisses der Ermittlungen unter besonderer Berücksichtigung der eingeholten Gutachten für den Senat fest. Nach den Feststellungen der Sachverständigen lassen sich auf orthopädischem wie auch auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet keine Beeinträchtigungen des Klägers feststellen, die ihn daran hindern, eine Wegstrecke von zwei Kilometern in circa 30 Minuten zurückzulegen. Dr. A hat sowohl ein flüssiges, nahezu unauffälliges Gangbild beschrieben wie auch eine normale Schrittlänge und eine normale Ganggeschwindigkeit festgestellt. Lediglich die Abrollbewegung beider Füße war geringfügig vermindert. Die Teststrecke – wobei dahingestellt bleiben kann, ob diese 30 oder 50 Meter betrug – war vom Kläger ohne Weiteres zu bewältigen. Ebenso wenig hat Dr. A eine Bandinstabilität der Sprunggelenke oder eine wesentliche Beeinträchtigung der Kniegelenke diagnostiziert. Entgegen der Auffassung des Klägers deckt sich diese Einschätzung mit derjenigen des Orthopäden Z, denn auch dieser hat in seinem Befundbericht vom 27.07.2009 die Voraussetzungen für das Merkzeichen G ausdrücklich verneint und lediglich einen Druckschmerz im unteren Sprunggelenk und mediale Knieschmerzen beschrieben. Da er hieraus aber ersichtlich auf die Fähigkeit des Klägers, längere Wegstrecken zurückzulegen, keine negativen Rückschlüsse gezogen hat, sind die insoweit beschriebenen – im Wesentlichen auf den subjektiven Angaben des Klägers beruhenden – Befunde nicht geeignet, die Feststellungen des Sachverständigen Dr. A in Zweifel zu ziehen. Der gegenteiligen Bescheinigung der Dres. G/X vom 16.07.2013 vermag der Senat keinen weiteren Beweiswert beizumessen, weil insoweit lediglich allgemein auf linksseitige Knie- und beidseitige Fußbeschwerden verwiesen worden ist, ohne hierzu aussagefähige Befunde mitzuliefern.

Soweit der Kläger geltend macht, auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet müssten Sensibilitätsstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Muskelkrämpfe, vasomotorische Störungen, Blasenentleerungsstörungen sowie seine Schmerzzustände berücksichtigt werden, die zu einer erheblichen Gehbeeinträchtigung und einer Gefährdung im Straßenverkehr führten, sieht der Senat diese Darstellung insbesondere durch das Gutachten des Dr. B als widerlegt an. Dieser hat zwar auch eine „geringgradige“ sensible Polyneuropathie befunden, im Vordergrund aber eine Dysthymia, chronisch-neurotische Depression und Anpassungsstörung bei einer Persönlichkeit mit emotional instabilen und paranoiden Zügen beschrieben. Dass der Kläger aufgrund dieser Beeinträchtigungen nicht wesentlich in seiner Bewegungsfähigkeit beeinträchtigt ist, ergibt sich schon daraus, dass er nach den Feststellungen des Sachverständigen 2009 als Rucksacktourist Griechenland bereisen konnte. Dass sich seit diesem Zeitpunkt wesentliche Veränderungen ergeben haben könnten, die seine Orientierungsfähigkeit und Gehfähigkeit im Straßenverkehr wesentlich beeinträchtigen könnten, ist nicht ersichtlich.

Die Berufung des Klägers ist daher mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines höheren Gesamt-GdB durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulässig der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.

 

Rechtskraft
Aus
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