L 2 R 1006/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 439/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 R 1006/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 68/22 B
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30.10.2020 geändert und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des während einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewährenden Übergangsgeldes streitig.

Der am 00.00.1969 geborene kinderlose Kläger ist bei der Beklagten rentenversichert. Er war nach einer abgeschlossenen Ausbildung zum Kaufmann für audiovisuelle Medien im Vertrieb (08/1997 bis 06/2000), zuletzt seit Mai 2013 bei der Firma R GmbH und Co.KG in A versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 24.05.2014 gekündigt. Bereits ab dem 07.04.2014 war der Kläger arbeitsunfähig und bezog bis zum 05.10.2015 Krankengeld, ab dem 02.10.2015 war der Kläger arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld I. Er bestand am 30.06.2015 die Prüfung zum Wirtschaftsfachwirt vor der Industrie- und Handelskammer (IHK) Düsseldorf. Dieser Abschluss ist im Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmen (DQR bzw. EQR) dem Niveau 6 zugeordnet.

Am 16.02.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Mit Bescheid vom 16.06.2016 wurden ihm diese Leistungen dem Grunde nach bewilligt. Mit weiterem Bescheid vom 28.07.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger  eine Integrationsmaßnahme „Büro-Sachbearbeiter“ bei der Firma Z in U, an der der Kläger in der Zeit vom 19.07.2016 bis zum 31.08.2016 teilnahm. Hierfür wurde ihm aufgrund eines im Bemessungszeitraum vom 01.06.2016 bis zum 30.06.2016 erzielten tariflichen Arbeitsentgeltes von 4861,04 Euro brutto gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung des Gesetzes vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046, ein Übergangsgeld in Höhe von 71,34 Euro kalendertäglich bewilligt (Bescheid vom 06.10.2016). Im Anschluss an die Integrationsmaßnahme nahm der Kläger am 01.09.2016 eine Tätigkeit als Sachbearbeiter bei der Firma Z auf. Der hierfür in Aussicht gestellte Eingliederungszuschuss wurde nicht beantragt. Der Kläger erhielt von seinem Arbeitgeber nach eigenen Angaben kein Arbeitsentgelt; das Arbeitsverhältnis kündigte der Arbeitgeber zum 31.01.2017. Der Kläger ließ sich deshalb im Berufsförderungswerk B beraten. Ihm wurde eine Umschulung zum Informatikkaufmann empfohlen. Mit Bescheid vom 09.05.2017 bewilligte die Beklagte ihm zur Abklärung der diesbezüglichen beruflichen Eignung eine sechswöchige Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk B vom 21.08.2017 bis zum 29.09.2017, im Anschluss daran eine weitere Arbeitserprobungsmaßnahme für eine Qualifizierung zum Verwaltungsfachangestellten (Auswahlverfahren für Schwerbehinderte) vom 22.01.2018 bis zum 26.01.2018 (Bescheid vom 21.11.2017). Übergangsgeld erhielt der Kläger während dieser Maßnahmen nicht. Ihm wurde von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld I gewährt. Der Kläger wurde als nicht geeignet beurteilt und deshalb für die Qualifizierungsmaßnahme nicht vorgeschlagen.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 27.02.2018 eine Weiterbildung für den Beruf des Sozialversicherungsfachangestellten als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, die voraussichtlich vom 25.6.2018 bis zum 24.06.2020 dauern sollte, sowie einen vorab durchzuführenden Reha-Vorbereitungslehrgang vom 19.03.2018 bis zum 24.06.2018. Für den Vorbereitungslehrgang bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29.03.2018 ein Übergangsgeld in Höhe von 44,87 Euro brutto (abzüglich Beitragszuschlag zur Pflegeversicherung in Höhe von 44,67 Euro netto) kalendertäglich. Dabei legte die Beklagte ein fiktives Arbeitsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 2 zugrunde. Die fiktive Berechnung erfolgte, weil die Anforderung von Entgeltbescheinigungen bei der Firma Z und beim Kläger erfolglos blieb. Der Kläger legte gegen den Bescheid am 12.04.2018 Widerspruch ein: Es sei das bei der Firma R GmbH und Co. KG erzielte Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, weil er den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bereits am 16.02.2016 gestellt habe. Die zeitliche Verzögerung bei der Bewilligung dürfe sich für ihn nicht nachteilig auswirken. Anfragen an seinen letzten Arbeitgeber, die Firma Z, könne er nicht zustimmen, weil er sich mit dieser in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren befinde. Mit weiterem Bescheid vom 09.07.2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Dauer der mit Bescheid vom 27.02.2018 bewilligten Leistungen auch für die Zeit ab dem 25.06.2018 Übergangsgeld in Höhe von kalendertäglich 44,87 Euro (Zahlbetrag 44,67 Euro). Das Übergangsgeld wurde mit Wirkung zum 01.03.2019 (46,13 Euro) und mit Wirkung zum 01.03.2020 (47,48 Euro) an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung angepasst.

Auch gegen den Bescheid vom 09.07.2018 legte der Kläger Widerspruch ein (17.07.2018). Mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2019 wies die Beklagte beide Widersprüche zurück. Der Kläger habe im Januar 2017 Entgelt von einem anderen Arbeitgeber, der Firma Z, bezogen. Gehaltsnachweise hierzu habe er trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt. Eine Berechnung nach § 67 SGB IX in der seit dem 01.01.2018 – aktuellen – geltenden Fassung habe deshalb nicht durchgeführt werden können. Es sei deshalb eine Berechnung nach § 68 SGB IX erfolgt, was der Kläger auch nicht bemängelt habe.

Der Kläger hat hiergegen am 13.05.2019 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben. Ihm sei gemäß § 68 SGB IX ein höheres kalendertägliches Übergangsgeld als 71,34 Euro zu gewähren. Die Firma Z habe sich im Rahmen eines Vergleichs vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm dazu verpflichtet, die ausstehenden Monatsgehälter ab Februar 2019 in Monatsraten von 150,00 Euro auszuzahlen und Lohnbescheinigungen zu erstellen. Die Firma sei in Insolvent gewesen und er habe von dieser zuvor kein Arbeitsentgelt bezogen. Das Übergangsgeld müsse anhand des bei der Firma R GmbH und Co. KG erzielten Lohnes berechnet werden. Die lange Verfahrensdauer bis zur Bewilligung der Weiterbildungsmaßnahme dürfe ihm keine Nachteile bringen. Es könne nicht richtig sein, dass die Bewilligung des Reha-Assessments im Berufsförderungswerk B vom 21.08.2017 bis zum 20.09.2017 sich nun für ihn nachteilig auswirke. Im Übrigen sei das fiktive Arbeitsentgelt zu Unrecht nach der Qualifikationsgruppe 2 berechnet worden. Er habe den Abschluss „Geprüfter Wirtschaftsfachwirt“ erlangt, der dem Niveau 6 des DQR zuzuordnen sei. Unter dieses Niveau würden Meister, Fachwirte, Fachkaufleute u.a. fallen. Das Niveau sei gleichrangig mit einem Bachelorabschluss. Es sei deshalb die Qualifikationsgruppe 1 zugrunde zu legen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.03.2018 und 09.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2019 zu verurteilen, ihm unter Zugrundelegung der Berechnungsgrundlage gem. § 68 SGB IX eine weitere kalendertägliche Zahlung als 71,34 Euro zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass das Übergangsgeld nach den ab dem 01.01.2018 anzuwenden Vorschriften der §§ 66 bis 68 SGB IX zu berechnen sei. Während der vorherigen Integrationsmaßnahme seien die bis zum 31.12.2017 geltenden Vorschriften (§§ 46 bis 48 SGB IX alte Fassung – a.F.) angewendet worden. Eine Berechnung nach § 67 SGB IX habe bisher nicht vorgenommen werden können, weil der Kläger die entsprechenden Unterlagen dafür nicht eingereicht habe. Da es sich bei der Firma R GmbH und Co. KG nicht um den letzten Arbeitgeber des Klägers gehandelt habe, könne der bei diesem erzielte Lohn nicht zugrunde gelegt werden. Auch eine Berechnung nach § 69 SGB IX sei nicht möglich, weil der Kläger zwischen der Integrationsmaßnahme vom 19.07.2016 bis zum 31.08.2016 und der zweiten beruflichen Weiterbildungsmaßnahme ab dem 19.03.2018 ein Arbeitsentgelt aus einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis bezogen habe. Die Zuordnung des Klägers zur Qualifikationsgruppe 1 sei nicht möglich. Der Fachwirt für Wirtschaft sei eine klassische Weiterbildung, die einer Hochschul- oder Fachhochschulausbildung nicht gleichgestellt werden könne. Bei der gesetzlichen Reglung des § 68 Abs. 2 SGB IX habe sich der Gesetzgeber nicht am DQR orientiert.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 30.10.2020 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dazu verurteilt, dem Kläger unter Zugrundelegung der Berechnungsgrundlage gemäß § 68 SGB IX bei Einstufung in die Qualifikationsgruppe 1/Niveau 6 nach dem DQR ein höheres Übergangsgeld als 71,34 Euro kalendertäglich zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die letzte Tätigkeit des Klägers als Wirtschaftsfachwirt der Qualifikationsgruppe 1 zuzuordnen sei. Nach § 68 SGB IX sei für die Zuordnung auf die erlangte Qualifikation abzustellen. Der Wirtschaftsfachwirt sei nach dem von der EU-Kommission entwickelten Qualifikationsrahmen und dem entsprechenden DQR dem Niveau 6 zuzuordnen und stehe damit auf der selben Stufe wie ein Bachelorabschluss, der nach § 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB IX der Qualifikationsgruppe 1 zuzuordnen sei.

Gegen das ihr am 11.11.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.11.2020 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, in § 68 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und  Nr. 2 SGB IX werde ausdrücklich zwischen einer abgeschlossenen Qualifikation als Meister und einem Hoch- und Fachhochschulabschluss differenziert. Eine Gleichsetzung finde gerade nicht statt. Auch bei einer Berechnung nach der Qualifikationsgruppe 1 ergebe sich zudem kein höheres Übergangsgeld als 71,34 Euro kalendertäglich. Das Übergangsgeld betrage dann maximal 53,84 Euro bzw. nach jährlicher Anpassung maximal 55,35 Euro bzw. 56,98 Euro brutto.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30.10.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30.10.2020 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 29.03.2018 und vom 09.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2019 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 19.03.2018 bis zum 25.06.2020 Übergangsgeld auf der Basis von Qualifikationsgruppe 1 zu gewähren.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend, soweit die Beklagte dazu verurteilt worden ist, ihm Übergangsgeld unter Berücksichtigung der Qualifikationsstufe 1 zu gewähren.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht dazu verurteilt, dem Kläger unter Abänderung der angefochtenen Bescheide ein höheres Übergangsgeld zu gewähren. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines höheren Übergangsgeldes unter Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 1 als Bemessungsentgelt. Die Beklagte hat das Übergangsgeld zutreffend berechnet und den Kläger dabei zu Recht der Qualifikationsgruppe 2 zugeordnet.

Streitgegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 29.03.2018 und vom  09.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2019. Mit diesen Bescheiden ist dem Kläger für den Zeitraum 19.03.2018 bis 24.06.2018 (Reha-Vorbereitungslehrgang) und 25.06.2018 bis 25.06.2020 (Weiterbildung zum Sozialversicherungskaufmann) ein Übergangsgeld von kalendertäglich 44,87 Euro brutto unter Zuordnung zu der Qualifikationsgruppe 2 bewilligt worden. Diese Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines höheren Übergangsgeldes für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 19.03.2018 bis zum 25.06.2020.

Die Berechnung des Übergangsgeldes erfolgt nach §§ 66 ff. SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung vom 23.12.2016 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung (Bundesteilhabegesetz – BTHG, BGBl. I 2016, 3234, 3259 ff.) – aF -. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aF werden der Berechnung des Übergangsgeldes 80 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt) zugrunde gelegt, höchstens jedoch das in entsprechender Anwendung des § 67 SGB IX berechnete Nettoarbeitsentgelt; als Obergrenze gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze. Nach Satz 3 Nr. 2 der Vorschrift beträgt das Übergangsgeld bei Personen – die wie der Kläger – die Voraussetzungen des Satzes 3 Nr. 1 lit. a, b oder c nicht erfüllen, 68 Prozent der Berechnungsgrundlage. Aus § 67 Abs. 1 Satz SGB IX ergibt sich, dass für die Berechnung des Regelentgelts auf das von den Leistungsempfängern im letzten vor Beginn der Leistung oder einer vorangegangenen Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum, mindestens auf das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum)  erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden geteilt, für die es gezahlt wurde, abzustellen ist. In Sonderfällen werden gemäß § 68 Abs. 1 SGB IX für die Berechnung des Übergangsgeldes während des Bezugs von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben 65 Prozent eines fiktiven Arbeitsentgelts zugrunde gelegt, wenn 1. die Berechnung nach §§ 66 und 67 zu einem geringeren Betrag führt, 2. Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nicht erzielt worden ist oder 3. der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Beginn der Leistungen länger als drei Jahre zurückliegt.

Diese Voraussetzungen für eine Berechnung des Übergangsgeldes nach § 68 Abs. 1 SGB IX liegen vor. Die während der Tätigkeit für die Fa. R GmbH und Co.KG vom 01.05.2013 bis zum 24.05.2014 erzielten Arbeitsentgelte sind nach Nr. 3 nicht berücksichtigungsfähig, da der letzte Tag des Bemessungszeitraumes bei Beginn der Leistungen am 19.03.2018 länger als drei Jahre zurücklag. Eine Anknüpfung an die Tätigkeit bei der Fa. Z scheidet ebenfalls aus. Der Kläger trägt wiederholt vor, er habe während dieser Tätigkeit vom 01.09.2016 bis zum 31.01.2017 kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern eine Einigung mit dem Arbeitgeber über die Zahlung von Arbeitsentgelt sei erst am 17.01.2019 vergleichsweise vor dem LAG Hamm erzielt worden. Selbst wenn man von einer Zahlung ausginge – Nachweise für seine Behauptungen hat der Kläger nie vorgelegt, der Beklagten auch die Einholung einer Auskunft bei der Arbeitgeberin ausdrücklich untersagt und diese hat auf entsprechende Anfragen der Beklagten nicht geantwortet –, läge das Übergangsgeld ausgehend von den sozialversicherungsrechtlich mitgeteilten 3000,00 Euro brutto (davon der 30. Teil: 100,00 Euro) niedriger als bei einer fiktiven Berechnung auch nur nach Qualifikationsgruppe 2 (101,50 Euro). Die fiktive Berechnung wäre dann auf der Grundlage von § 68 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX vorzunehmen.

Bei der Ermittlung des fiktiven Arbeitsentgeltes hat die Beklagte auch zu Recht ein fiktives Arbeitsentgelt nach der Qualifikationsgruppe 2 als Bemessungsentgelt zugrunde gelegt. Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Leistungsempfänger der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die seiner beruflichen Qualifikation entspricht (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Dafür gilt u.a. folgende Zuordnung:

  1. für eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung (Qualifikationsgruppe 1) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße,
  2. für einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meisterin oder Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung (Qualifikationsgruppe 2) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße,
  3. für eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf (Qualifikationsgruppe 3) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße.
  4.  

Bei Bestimmung der Qualifikationsgruppe kann auf die Anlage 13 zum Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und die darauf bezogene Rechtsprechung und Literatur verwiesen werden. Da der Inhalt von § 68 Abs. 2 SGB IX im Wesentlichen § 152 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) entspricht und sich an dieser Regelung orientiert (vgl. Jüttner in: Hauck/Noftz, SGB 02/21, § 21 SGB VI, Rn. 77 bei juris), kann auch die diesbezügliche Rechtsprechung und Literatur herangezogen werden. Ausgangspunkt für die Zuordnung ist der formale Berufsabschluss (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Beschluss vom 13.01.2021 – B 13 R 54/20 B, Rn. 7 bei juris m.w.N.; Landessozialgericht – LSG – Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29.01.2020 – L 2 R 377/19, Rn. 23 ff. bei juris). Einen Hochschul- oder Fachhochschulausbildungsabschluss hat der Kläger nicht erworben. Der Fortbildungsabschluss „Geprüfter Wirtschaftsfachwirt“ ist vielmehr ein Abschluss, der nach einer in der Regel berufsbegleitenden, Weiterbildung und entsprechender Berufspraxis erworben werden kann. Der Besuch einer Hochschule- oder einer Fachhochschule ist hierfür nicht vorgesehen. Der Abschluss ist vergleichbar mit dem Abschluss zum Meister im handwerklichen Bereich, der vom Gesetzgeber aber ausdrücklich in der Qualifikationsgruppe 2 aufgeführt worden ist. Aus dem systematischen Vergleich mit der Qualifikationsgruppe 3 folgt zudem, dass für eine berufliche Qualifikation nach der Qualifikationsgruppe 2 gerade eine abgeschlossene Berufsausbildung, auf die eine zusätzliche Aus- und Weiterbildung aufbaut, kennzeichnend ist (vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2016 – S 5 AL 2222/15, Rn. 29 bei juris; Jüttner in: Hauck/Noftz, SGB 02/21, § 21 SGB VI, Rn. 80a bei juris). Die Qualifikationsgruppe 2 umfasst den Personenkreis, der sich im Anschluss an eine abgeschlossene Ausbildung weitergebildet und einen auf diesem Berufsabschluss aufbauenden weiteren Abschluss erworben hat. Genau dies ist beim Kläger der Fall.   Sein weiterer Abschluss „Geprüfter Wirtschaftsfachwirt“ führt zu einer „Hochstufung“ von der Qualifikationsgruppe 3 in die Qualifikationsgruppe 2, nicht aber zu einer „Hochstufung“ in die Qualifikationsgruppe 1. Dafür, dass eine Vergleichbarkeit mit einem Bachelorabschluss insoweit nicht gegeben ist, spricht auch, dass es sich bei dem Abschluss gemäß § 53a Berufsbildungsgesetz um die Erste (von drei möglichen) Fortbildungsstufen der höherqualifizierten Berufsbildung (Geprüfter Berufsspezialist) handelt.

Dass der „Geprüfte Wirtschaftsfachwirt“ dem Niveau 6 des EQR und DQR zuzuordnen ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Das Niveau 6 umfasst neben dem Abschluss als Geprüfter Fachkaufmann gleichrangig folgende weitere Abschlüsse: Bachelor, Fachschule (Staatlich geprüfter), Fachwirt (Geprüfter), Meister (Geprüfter), Operativer Professional (IT) (Geprüfter). Der unter dieses Niveau fallende Personenkreis ist damit einerseits dadurch gekennzeichnet, dass er über einen (Fach-)Hochschulabschluss (Bachelor) verfügt, umfasst andererseits aber auch Personen, die sich nach Abschluss einer Ausbildung weitergebildet und ihre entsprechenden weitergehenden Kenntnisse durch einen zusätzlichen Abschluss bestätigt haben. Die mit dem DQR beabsichtigte Gleichstellung dieser Abschlüsse dient dazu, die Gleichwertigkeit bestimmter beruflicher Abschlüsse im Berufsleben zu verdeutlichen, sie kann aber nicht zur Auslegung der Einordnung in die Qualifikationsgruppen herangezogen werden. Sie  führt insbesondere nicht dazu, dass alle Abschlüsse, die dem Niveau 6 des DQR entsprechen, auch der Qualifikationsgruppe 1 zuzuordnen sind. In diese Gruppe gehören vielmehr – schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift – nur Personen, die eine abgeschlossene Fachhochschul- oder Hochschulausbildung absolviert haben (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 13.12.2017 – L 2 AS 43/17, Rn. 21 f. bei juris, das eine Personalkauffrau mit einem geprüften Fachwirt des Niveaus 6 des DQR gleichsetzt und davon ausgeht, dass sich hieraus eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 ergibt; sowie SG Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2016 – S 5 AL 2222/15, das einen Industriefachwirt der Qualifikationsstufe 2 zuordnet). Hierfür spricht schon, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der fiktiven Berechnung nach Qualifikationsstufen in Kenntnis des bereits geltenden DQR eine hiervon abweichende Einordnung vorgenommen hat. Der DQR dient zudem auch einem völlig anderen Zweck als die Qualifikationsstufen. Mit dem DQR soll der Wert einer Ausbildung oder Weiterbildung am Arbeitsmarkt abgebildet und eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse in der Arbeitswelt hergestellt werden. Mit der Einführung der Berechnung des fiktiven Übergangsgeldes auf der Basis von Qualifikationsgruppen wollte der Gesetzgeber  demgegenüber eine Vereinfachung des Berechnungsverfahrens auf der Grundlage eines pauschalierten Ansatzes vornehmen. Eine Bewertung der inhaltlichen Qualität der Tätigkeit sollte gerade vermieden werden. Es sollte eine möglichst einfache Zuordnung anhand des förmlichen Berufsabschlusses erfolgen (vgl. im Einzelnen LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29.01.2020 – L 2 R 377/19, Rn. 25 f. bei juris). Auch diese gesetzgeberische Intention spricht gegen die Berücksichtigung des DQR bei Einordnung in die Qualifikationsstufen. Diese Zielsetzung verfolgt der DQR auch gerade nicht. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass rechtliche Ansprüche durch die Zuordnung nicht begründet werden.

Ein höheres Übergangsgeld ergibt sich auch nicht aus § 69 SGB IX aF. Die Vorschrift setzt voraus, dass vor der Teilhabemaßnahme Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen worden ist. Die Aufzählung ist abschließend, Arbeitslosengeld wird beispielsweise nicht von der Regelung erfasst (vgl. Schlette in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Auflage 2018, § 69 Rn. 5). Letzteres hat der Kläger aber vor Beginn der Teilhabemaßnahme bezogen.

Bei Zuordnung in die Qualifikationsgruppe 2 ergeben sich für das Jahr 2018 ein tägliches Entgelt von 101,50 Euro und eine Berechnungsgrundlage von 65,98 Euro (65 %) (vgl. Reyels in: Schlegel/Voelzke, juris-PK IX, 3. Auflage § 68 SGB XI, Rn. 39 ff. bei juris). Davon sind 68 % (44,87 Euro) als Übergangsgeld zu bewilligen. Nach Abzug des Beitragszuschlags für die Pflegeversicherung ergibt sich der von der Beklagten gewährte Betrag von 44,67 Euro kalendertäglich, der in den Folgejahren in zutreffender Weise angepasst worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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