L 5 R 1688/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 1069/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1688/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.04.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand

Im Streit steht die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente.

Die 1961 geborene Klägerin hat in der ehemaligen DDR den Beruf der Maschinen-Bauzeichnerin erlernt. Nach ihrer Übersiedelung in die BRD im Jahre 1989 war sie zunächst als Sachbearbeiterin und Versandmitarbeiterin tätig. Von 2005 bis 2013 arbeitete die Klägerin als Reinigungskraft. Zuletzt war sie von 01.01.2014 bis 31.12.2014 als Erzieherin in einer Kindergrippe versicherungspflichtig beschäftigt. Ab September 2014 war sie arbeitsunfähig erkrankt. In der Folgezeit bezog sie Krankengeld und Arbeitslosengeld I. Seit April 2016 ist sie erneut arbeitsunfähig erkrankt. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 ist wegen Funktionsbeeinträchtigungen infolge von Depressionen und einer seelischen Störung anerkannt. In dem für die Klägerin bei der Beklagten geführten Versicherungsverlauf sind zuletzt im April 2017 Pflichtbeitragszeiten aufgeführt.

Vom 24.08. bis 02.10.2015 absolvierte die Klägerin eine medizinische Rehabilitation im Zentrum für ambulante psychosomatische Rehabilitation in F. Im Entlassungsbericht vom 07.10.2015 werden die Diagnosen Agoraphobie mit Panikstörung, rezidivierende depressive Störung und Verdacht auf arterielle Hypertonie genannt. Im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme habe eine deutliche Symptomreduktion erzielt werden können. Die Klägerin habe Interesse an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben entwickelt und diese schließlich in Form einer beruflichen Trainingsmaßnahme beantragt. Ohne eine solche Maßnahme könne die Klägerin bei dem vorliegenden Krankheitsbild sicher nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen. Leistungseinschränkungen bestünden im Hinblick auf eine deutlich reduzierte Stressbelastungsfähigkeit und eine erhöhte psychische Vulnerabilität. Unter Fortführung einer ambulanten Therapie sei mit einer weiteren Symptomreduzierung zu rechnen. Die Erwerbsprognose sei insgesamt günstig, wenn es der Klägerin gelinge, ihre Therapieziele im ambulanten Rahmen weiter zu verfolgen und zu stabilisieren. Nachtschichttätigkeiten und regelmäßige Überstunden seien zu vermeiden. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei von einer Durchhaltefähigkeit von sechs Stunden und mehr auszugehen.

Am 25.05.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente. Zur Begründung gab sie einen psychophysischen Erschöpfungszustand, Agoraphobie mit Panikstörung, rezidivierende depressive Störung und Bluthochdruck an. Es bestehe eine Wegeunfähigkeit, weil sie das Haus nicht verlassen könne.

Die Beklagte holte einen Befundbericht der die Klägerin behandelnden Ärztin W, ein und zog das vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Auftrag der Krankenkasse der Klägerin erstellte Gutachten vom 24.03.2015 bei. Sodann ließ die Beklagte die Klägerin durch M, begutachten. M stellte bei der Untersuchung der Klägerin am 21.10.2016 die Diagnosen Agoraphobie mit Panikstörung, rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht- bis mittelgradig, und arterielle Hypertonie fest. Es liege eine behandlungsbedürftige Angststörung vor, die weiterhin nicht remittiert sei. Es habe sich ein hochgradig dysfunktionales Vermeidungs- und Schonungsverhalten etabliert. Es finde keine adäquate psychopharmakologische Unterstützung statt. Auch erscheine es fraglich, ob sich die Klägerin mit ihren Ängsten und inneren Konflikten auseinandersetze. Eine erneute teilstationäre oder stationäre Behandlung sei klar indiziert. Aus der letzten Rehabilitationsmaßnahme 2015 sei sie arbeitsfähig entlassen worden. Hier müsse an die Mitwirkungspflicht der Klägerin appelliert werden. Grundsätzlich bestehe für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes eine vollschichtige Leistungsfähigkeit. Das im Entlassungsbericht der Rehabilitationsmaßnahme beschriebene Leistungsbild habe weiterhin Gültigkeit. Auf Nachschicht sei zu verzichten. Ebenfalls auf hohe Stressbelastung und hohe Anforderungen an Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation seien indiziert, seien von der Klägerin derzeit aber nicht erwünscht. 

Mit Bescheid vom 27.10.2016 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Einschränkungen infolge der Erkrankungen führten nicht zu einem Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, weil die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Hiergegen legte die Klägerin am 15.11.2016 Widerspruch ein. Nach der Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2015 sei es ihr tatsächlich besser gegangen. Bereits im Januar 2016 sei es ihr aber wieder schlechter gegangen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des M sei rätselhaft, wie davon ausgegangen werden könne, dass sie erwerbsfähig sei. Aufgrund der Angst- und Panikstörung sei es ihr unmöglich einen Arbeitsplatz zu erreichen. Zudem sei nicht auszuschließen, dass durch den plötzlichen Tod des Lebensgefährten der Tochter durch einen Motorradunfall eine Traumatisierung eingesetzt habe. Ergänzend legte sie ein Attest von W vom 12.01.2017 vor, wonach die Klägerin an einer ausgeprägten Angststörung bei depressiver Stimmungslage leide. Sie sei nur eingeschränkt in der Lage, sich auf neue Situationen einzulassen. Aus diesem Grund habe sie sich nur auf eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme einlassen können. Von einem längeren stationären Aufenthalt könne sie sicherlich profitieren. Psychopharmaklogische Unterstützung sei nur schwer zu vermitteln, weil die Klägerin seit einem Suizidversuch mit Tabletten im Jugendalter einen großen inneren Widerstand gegen die Einnahme von Medikamenten verspüre. Insgesamt sei ein wenn auch langsamer Stabilisierungsprozess zu verzeichnen. Eine Arbeitsfähigkeit sei derzeit aber nicht gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 15.03.2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und zur Begründung ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen, der Gutachter der Beklagten unterstelle ihr zu Unrecht mangelnde Mitwirkung. Das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten von E (s. unten) stütze ihr Begehren. Die Ablehnung der Einnahme von Psychopharmaka beseitige nicht den Rentenanspruch. Zudem sei zu bezweifeln, ob eine medikamentöse Therapie eine Änderung herbeiführen könne.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das SG hat die behandelnde Ärztin der Klägerin, W, als sachverständigen Zeugin schriftlich befragt. Sie hat unter dem 08.06.2017 mitgeteilt, die Klägerin nehme wegen einer depressiven Störung mit Angstanteilen seit 2014 an regelmäßigen psychotherapeutischen Sitzungen im ein- bis zweiwöchentlichen Abstand teil. Zunächst hätten körperliche Beschwerden bestanden. Dann habe die Klägerin zunehmend über Rückzug, Weinen, Traurigkeit, Antriebslosigkeit und Schlafprobleme sowie Panikattacken bei der Konfrontation mit neuen Situationen, gelegentlich sogar beim Verlassen des Hauses zum Einkaufen oder Ausführen ihres Hundes geklagt. Im Verlauf der Behandlung sei es zunächst zu einer Stabilisierung gekommen. Weiterhin habe aber eine starke innere Anspannung und Ängstlichkeit allem Neuem gegenüber bestanden. Nach der Rehabilitationsmaßnahme sei es zu einer leichten Verbesserung gekommen, die jedoch bei kleinsten belastenden Anlässen gestört werde. Bei besonders wichtigen Terminen könne sie diese weiterhin nur in Begleitung ihres Ehemannes wahrnehmen. Ein medikamentöser Behandlungsversuch sei mit Escitalopram begonnen worden. Ein Termin beim Psychiater zur Überprüfung der Behandlung sei veranlasst. Eine Erwerbstätigkeit sei der Klägerin nicht möglich, solange sie nicht ohne Probleme die Wohnung und ihre gewohnte Umgebung verlassen könne.

Das SG veranlasste daraufhin eine nervenfachärztliche Begutachtung der Klägerin. Im Gutachten vom 08.08.2017, das sich auf eine Untersuchung der Klägerin am 03.08.2017 stützt, führt der Sachverständige E, aus, die Klägerin leide an einer depressiven Episode mit somatischem Syndrom bei rezidivierender depressiver Störung, im traditionellen Sinn unter einer endogenen Depression. Affektivität, Antrieb, Denken, Kognition und Vegetativum seien beeinträchtigt. Es handele sich nicht um eine seelisch bedingte Störung, sondern um eine Erkrankung des Organs Gehirn. Simulation und Aggravation seien nicht nachweisbar. Die Erkrankung könne nicht durch eine Willensanstrengung überwunden werden. Es könne aber die Abneigung gegenüber Psychopharmaka als einzig adäquate Therapie überwunden werden. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit, ohne mittelschwierige Tätigkeiten geistiger Art, ohne Publikumsverkehr und ohne besondere nervliche Beanspruchung seien im Umfang von aktuell weniger als drei Stunden täglich möglich. Bezüglich der Wegefähigkeit ergäben sich seitens des psychiatrischen Fachgebietes keine Beeinträchtigungen. Die Einschränkungen bestünden seit der Begutachtung. Erst bei dieser sei ein entsprechender psychopathologischer Befund erhoben worden. Die Symptomatik müsse aber schon länger bestehen. Es sei in absehbarer Zeit mit einer Verbesserung zu rechnen. Voraussetzung sei eine adäquate Pharmakotherapie.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.04.2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die wegen der psychiatrischen Erkrankung erforderliche Behandlung sei bislang nicht ausreichend. Solange eine psychische Störung noch behandelbar sei und die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft seien, könne diese Erkrankung nicht als dauerhaft angesehen werden und dementsprechend könne auch nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente ausgegangen werden.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigen am 12.04.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 09.05.2018 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie wiederholt ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend macht sie geltend, das SG sei auf ihre Einwendungen gegen das Gutachten von E nicht eingegangen und habe entgegen ihrem Antrag keinen Erörterungstermin zur Vernehmung des Sachverständigen durchgeführt. Der Ehemann der Klägerin könne bezeugen, dass sich der Sachverständige ihnen gegenüber dahingehend geäußert habe, es liege eine Stoffwechselerkrankung des Gehirns vor, die nicht therapierbar sei. Die Gutachten von E hätten immer zum Ergebnis, dass die Erkrankung therapierbar sei oder eine Erkrankung des Gehirns vorliege. Die angekündigte Beweislastentscheidung (s. unten) verletze den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör. Ergänzend hat die Klägerin eine schriftliche Erklärung von ihr und ihrem Ehemann vorgelegt, wonach E ihnen gegenüber erklärt habe, er befürworte eine Erwerbsminderungsrente. 

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.04.2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2017 zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.05.2016 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren,

hilfsweise E nochmals mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zu beauftragen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend. Sie hat Stellungnahmen von N, vom Sozialmedizinischen Dienst vorgelegt. Eine fachspezifische Behandlung einer psychischen Erkrankung sei nach wie vor nicht zu sehen. Der Behandlungsversuch mit Promethazintropfen, eine völlig unspezifische sedierende Substanz ohne antidepressive oder wesentlich angstlösende Wirkung, lasse nicht auf eine wesentliche psychische Erkrankung schließen. Dass aus der therapeutischen Schutzhaltung des Hausarztes ein gemindertes quantitatives Leistungsvermögen mitgeteilt werde, lasse sich nicht als Hinweis für eine wesentliche psychische Erkrankung werten. Bei entsprechendem Leidensdruck wäre zu erwarten gewesen, dass im Verlauf von Jahren entsprechende therapeutische Anstrengungen unternommen worden wären. Dem Sachverständigengutachten von E könne nicht gefolgt werden. Es fehlten wesentliche Gutachtenbausteine und lasse insbesondere eine Konsistenzprüfung vermissen. Zudem belege der genannte psychopathologische Befund nur ein leichtgradiges depressives Syndrom. Die Ängste der Klägerin könnten zudem nicht so ausgeprägt sein, nachdem der Gutachter die Wegefähigkeit für gegeben halte. Auch die angegebene Abneigung gegenüber Medikamenten sei nicht plausibel, nachdem die Klägerin pflanzliche Präparate einnehme.

Der Senat hat W schriftlich als sachverständige Zeugin befragt. Sie hat unter dem 11.11.2019 angegeben, die Klägerin sei nicht mehr akut depressiv. Die Ängste und Paniktattacken seien jedoch nur schwer behandelbar, da sie oft nicht in der Lage sei, das Haus zu verlassen, meist nur mit einer Begleitperson. Auch medikamentös sei wenig zu erreichen, nachdem wegen des Suizidversuches in der Jugend eine extreme Abneigung gegen Tabletten bestehe. Seit 2017 komme sie vorwiegend im Rahmen von Kriseninterventionen bei besonders belastenden Umständen in die Praxis und zwischendurch zu stabilisierenden Gesprächen. Wenn sie eine Begleitperson habe, erfolgten diese im Moment regelmäßig ca. alle vier bis sechs Wochen. In den letzten Wochen sei ein erneuter medikamentöser Therapieversuch mit Promethazintropfen unternommen worden. Eine Erwerbsfähigkeit sei derzeit nicht gegeben und auch noch lange Zeit nicht zu erwarten. Unter dem 22.06.2021 hat W weiter angegeben, in der letzten Zeit habe sich der Zustand der Klägerin durch belastende Familienumstände und vor allem durch die Corona-Pandemie deutlich verschlechtert. Der Rückzug und das Vermeidungsverhalten hätten sich verstärkt. Leichte Tätigkeiten fünf Tage die Woche im Umfang von bis zu sechs Stunden seien der Klägerin körperlich sicherlich zuzutrauen. Da sie sich aber weder fremder Umgebung noch neuen Menschen ohne schwere Angst- und Panikattacken und ohne Begleitung aussetzen könne, sei dies eine theoretische Aussage. Eine Wegstrecke außer Haus ohne Begleitung sei der Klägerin nicht möglich. Allein bei dem Gedanken daran reagiere sie mit Panik, Zittern, Weinen und innerer Unruhe. Eine Begutachtung durch einen Sachverständigen sei ohne lange Anreise in Begleitung einer Vertrauensperson und unter Einsatz von Beruhigungsmitteln möglich.

Der Senat hat außerdem den Sachverständigen E um ergänzende Einschätzung gebeten, wie die geringen Therapiebemühungen der Klägerin zu bewerten sind, ob diese auf einen geringen Leidensdruck zurückgeführt werden können und ob sie krankheitsbedingt sind. Er hat unter dem 11.02.2020 angegeben, aus Fehlern bei der Behandlung könne nicht auf eine geringe Schwere der Erkrankung und geringen Leidensdruck geschlossen werden. Es sei andererseits schon auffällig, wenn gegenüber dem Gericht eine fehlende Belastbarkeit und Leidensdruck geltend gemacht werde, eine adäquate Therapie aber unterlassen werde. Eine Instrumentalisierung psychischer Störungen könne nicht ausgeschlossen werden.  

Der Senat hat sodann versucht, ein weiteres nervenfachärztliches Sachverständigengutachten einzuholen. Unter dem 12.10.2020 ist der S mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Die Klägerin hat daraufhin mitteilen lassen, S sei nicht geeignet, Gutachten zu erstatten. Es bestehe keine Mitwirkungspflicht bei einem willkürlich ausgesuchten Gutachter. Außerdem sei sie nicht in der Lage, bei dem Sachverständigen zu erscheinen. Hierzu hat sie ein Attest von W vom 29.03.2021 vorgelegt. Der Senat hat sodann S angefragt, ob eine Begutachtung in den Räumlichkeiten der Klägerin stattfinden könne. Die Klägerin ließ daraufhin mitteilen, dass sie sich nicht durch S begutachten lassen werde. Der Senat hat daraufhin S von seinem Auftrag entbunden und mit Schreiben vom 29.06.2021 S1, mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat daraufhin mitgeteilt, keiner seiner Mandanten werde zu S1 gehen.

Unter Hinweis auf die Mitwirkungspflichten und die von der Klägerin zu tragende objektive Beweislast für den verfolgten Anspruch hat der Senat die Klägerin mit Schreiben vom 22.07.2021 unter Fristsetzung bis zum 15.08.2021 aufgefordert, mit der Sachverständigen S1 einen Begutachtungstermin zu vereinbaren. Dem ist die Klägerin bis zuletzt nicht nachgekommen. Sie hat nochmals mitteilen lassen, dass eine Begutachtung durch S1 nicht akzeptiert werde. Die Gutachterin ziehe sich wie ein roter Faden durch alle Gerichte. Immer seien die behandelnden Ärzte nicht in der Lage ihre Patienten zu behandeln und es werde ein hypothetischer Zustand bei anderer Medikation begutachtet. Es gebe genügend andere Gutachter. Wenn es denn schon für erforderlich gehalten werde, werde beantragt, E nochmals mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zu beauftragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte über die Berufung in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2021, zu der der Klägerbevollmächtigte ordnungsgemäß geladen worden ist, trotz Abwesenheit des Klägerbevollmächtigen und der Klägerin entscheiden, da auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG)  eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, führt jedoch inhaltlich nicht zum Erfolg. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 27.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2017, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer – hier allein begehrten – vollen Rente wegen Erwerbsminderung.

Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer - unabhängig von der Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag, hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu begründen vermag.

Unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung kann das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteile vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11.03.1999 - B 13 71/97 R -, jew. in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang einschränkt ist (Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 43 SGB VI, Rn. 47). In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird. Eine solche ergibt sich nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist). Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen.

Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 - GS 2/95 -, in juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) umschrieben hatten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) unverändert fort (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2002 - B 5 RJ 12/02 R -, in juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Dazu gehört z. B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (zur Wegefähigkeit vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, in juris).

In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat in Würdigung des Sachverständigengutachtens von E, der Zeugenaussagen von W, des im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachtens von M, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, und der weiteren aktenkundigen Befundunterlagen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon überzeugt, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich verrichten zu können oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen. Es steht nicht im Sinne des Vollbeweises fest, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin in dem für die Rentengewährung erforderlichen Umfang quantitativ herabgesunken ist. Erforderlich wäre aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R -, in juris), die dann erreicht ist, wenn die Tatsache in so hohem Maß wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 128 Rn. 3b). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Zwar hat der Sachverständige E bei der Begutachtung der Klägerin im August 2017 eine aufgehobene affektive Schwingungsfähigkeit, einen verminderten Antrieb mit Energie- und Lustlosigkeit, eine psychomotorische Hemmung mit Verlangsamung, eine Hemmung mit Einengung des Denkens und Konzentrationsstörungen festgestellt, eine endogene Depression mit Agoraphobie und Panikattacken diagnostiziert und ein aufgehobenes Leistungsvermögen auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes angenommen. Wie aber N vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten zu Recht einwendet, fehlt die notwendige Konsistenzprüfung im Gutachten. E gibt zwar an, dass sich Antwortverzerrungen oder Übertreibungen nicht feststellen ließen. Entsprechende explorative Inhalte lassen sich in dem Gutachten aber nicht finden. Auch sind nach den überzeugenden Darlegungen von N die anamnestischen und explorativen Erhebungen von E derart rudimentär, dass die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus medizinischer Sicht nicht nachvollziehbar sind. Der beschriebene psychopathologische Befund lässt zudem nicht auf ein zumindest mittelgradiges (und damit rentenrelevantes) depressives Syndrom schließen. Insofern ist im Vergleich zur gesundheitlichen Situation der Klägerin bei der Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2015 sogar von einer Befundbesserung auszugehen. Dies bestätigt letztlich auch W in ihrer Aussage vom 11.11.2019, wonach die Klägerin nicht mehr akut depressiv sei. Im Vordergrund stünden Ängste und Panikattacken, weshalb die (zuletzt) von W angenommene Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten bis sechs Stunden nur theoretisch sei, weil sie einen Arbeitsplatz ohne Begleitung nicht erreichen könne. Dass die Angststörung der Klägerin derart ausgeprägt ist, dass die Wegefähigkeit aufgehoben ist, ergibt sich aber nicht zur Überzeugung des Senats aus dem Sachverständigengutachten von E. Er hat die Wegefähigkeit der Klägerin ausdrücklich für gegeben erachtet. Soweit W darauf verweist, dass die Panikattacken der Klägerin nur schwer behandelbar seien, weil sie seit ihrem Suizidversuch in der Jugend eine extreme Abneigung gegen die Einnahme von Tabletten habe, überzeugt dies den Senat ebenfalls nicht, nachdem die Klägerin bereits pflanzliche Psychopharmaka (Laif 900) eingenommen hat. Warum es ihr nicht möglich ist, eine adäquate medikamentöse Therapie durchzuführen, erschließt sich dem Senat vor diesem Hintergrund nicht. Auch ist für den Senat nicht nachvollziehbar, warum die bereits 2017 von W veranlasste Behandlung durch einen Psychiater bislang nicht stattgefunden hat. Wie sich aus den von W übersandten Unterlagen ergibt, ist die Klägerin durchaus in der Lage, andere Fachärzte aufzusuchen. Zudem ergibt sich aus den mitübersandten handschriftlichen Aufzeichnungen der Hausärztin, dass die Klägerin in den letzten Jahren nur rund zehn Mal pro Jahr bei ihrer Hausärztin vorstellig geworden ist. Insgesamt zeigt sich somit eine geringe Therapiebereitschaft der Klägerin, die zwar entgegen der Auffassung des SG einer Erwerbsminderungsrente per se nicht entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 01.07.2020 - L 5 R 1265/18 -, in juris; vgl. auch BSG, Beschluss vom 07.08.2014 - B 13 R 420/13 B -, in juris). Dieser Umstand stützt aber jedenfalls nicht die Annahme einer besonderen Schwere der Erkrankung, die im Lauf der Jahre entsprechende therapeutische Anstrengungen erwarten ließe. 

Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts war dem Senat nicht möglich, da die Klägerin trotz ausführlichen Hinweises auf die negativen Folgen die Begutachtung durch die Sachverständige S1 nicht wahrgenommen hat. Die prozessualen Folgen trägt die Klägerin. Im sozialgerichtlichen Verfahren trägt derjenige die objektive Beweislast, zu dessen Gunsten ein Tatbestandsmerkmal im Prozess wirkt. Danach trägt die Klägerin die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Erwerbsminderung. Der Grundsatz der objektiven Beweislast greift dann ein, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht weiter aufklären kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 118 Rn. 6). Die Klägerin ist ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht (§ 103 Satz 1 SGG) nicht nachgekommen. Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG), die Beteiligten sind hierzu mit heranzuziehen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG). Sie müssen ihrer Mitwirkungslast genügen, sonst können sie Nachteile treffen. Soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens trifft die Klägerin die Obliegenheit, zum Zweck der Begutachtung beim Sachverständigen zu erscheinen (Hauck in Hennig, SGG, § 103 Rn. 51). Das Gericht kann die Klägerin zwar nicht zwingen, sich einer Untersuchung und Begutachtung durch vom Gericht bestimmte neutrale Ärzte zu unterziehen. Verweigert sie aber - wie vorliegend - eine Begutachtung, so hat sie die prozessrechtlichen Folgen ihres Verhaltens zu tragen. Hierauf ist die Klägerin ausdrücklich hingewiesen worden. Die Mitwirkungspflichten der Klägerin sind durch die Anordnung einer Begutachtung auch nicht überspannt worden. Nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Grundsätzen (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 103 Rn. 14a) des § 65 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) besteht eine Mitwirkungspflicht des Versicherten nur dann nicht, wenn ihm ihre Erfüllung aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden bzw. wenn bei Untersuchungen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin nicht gegeben. Die Befragung der Ärztin der Klägerin W hat ergeben, dass der Klägerin eine Begutachtung durch S1 möglich gewesen wäre und auch zugemutet werden konnte. Die von W für erforderlich gehaltene Begleitung zur Begutachtung hatte der Senat genehmigt. Auch hätte die Klägerin bei einer Strecke von 18 km vom Wohnort der Klägerin in E1 in die Praxis von S1 in F keine lange Anreise auf sich nehmen müssen. Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin erhobenen Einwendungen in Bezug auf die Qualität der Gutachten von S1 in anderen Verfahren rechtfertigen die Weigerungshaltung der Klägerin ebenfalls nicht. Nach alledem geht es zu Lasten der Klägerin, dass der Sachverhalt insoweit nicht weiter aufgeklärt werden kann und eine Erwerbsminderung nicht nachgewiesen ist.

Zur Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage war der Senat nicht veranlasst. Denn zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts wäre eine erneute psychiatrische Exploration der Klägerin erforderlich gewesen, die durch ein Gutachten nach Aktenlage nicht ersetzt werden kann.

Dem Hilfsantrag der Klägerin war nicht zu entsprechen. Der Senat sieht keine Veranlassung E, der vom Senat bereits ergänzend gehört wurde, mit der Erstattung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu beauftragen, nachdem er im Verfahren beim SG ein qualitativ mangelbehaftetes Gutachten erstattet hat. Einen Antrag nach § 109 SGG hat die Klägerin bis zuletzt nicht gestellt. Auch die Vernehmung des Ehemanns der Klägerin war nicht angezeigt, da es auf die mündlichen Bekundungen des Sachverständigen gegenüber diesem nicht ankommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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