L 9 R 3632/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 1141/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3632/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2020 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beklagtenberufung wendet sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1960 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt bei der D AG als ungelernter Arbeiter bis 01.01.2016 versicherungspflichtig beschäftigt (vgl. Auskunft des Arbeitgebers vom 02.05.2018, Blatt 23 der Akten). Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag. Ab dem 01.01.2017 sind im Versicherungsverlauf (mit Unterbrechungen im Zeitraum vom 07.08.2018 bis 25.02.2019 und 21.08.2020 bis 21.12.2020) bis 31.05.2021 Pflichtbeitragszeiten aufgrund des Bezuges von Sozialleistungen gespeichert. Durch Bescheid des Landratsamtes B vom 15.09.2014 ist unter Berücksichtigung einer seelischen Störung, von funktionellen Organbeschwerden, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, eines operierten Bandscheibenschadens, einer koronaren Herzkrankheit, eines abgelaufenen Herzinfarkts, einer Stentimplantation und eines Schlafapnoesyndroms ein Grad der Behinderung von 50 seit 02.04.2013 anerkannt. Seit dem 01.06.2021 bezieht der Kläger eine vorzeitig in Anspruch genommene Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 09.04.2021).

Der Kläger befand sich vom 15.04.2014 bis 20.05.2014 in stationärer Behandlung der M-Klinik am S,  N. Nach dem Reha-Entlassungsbericht vom 20.05.2014 (Diagnosen: mittelgradige depressive Episode, koronare Herzkrankheit, arterielle Hypertonie, Schlafapnoe-Syndrom und Restless-Legs-Syndrom) wurde der Kläger als vollschichtig leistungsfähig entlassen.

Am 01.03.2018 beantragte er die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog hierauf Befund- und Entlassungsberichte bei und beauftragte den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S1 mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 11.04.2018 nach einer Untersuchung des Klägers am 09.04.2018 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine koronare 1-Gefäßerkrankung, Zustand nach Nicht-St-Segment-Elevationsmyokardinfarkt (NSTEMI) 06/2013, 1 DES-RIVA, 2 DES-RD und eine arterielle Hypertonie, medikamentös ausreichend beherrscht. Ferner beschrieb er als Nebendiagnosen einen Zustand nach Hämoptysen im April 2017, einen Zustand nach Embolisation einer Bronchialarterie im rechten Lungenunterfeld 11/2017, eine rezidivierende Lumbalgie, ein Restless-Legs-Syndrom, einen plantaren Fersensporn und eine Hyperlipidämie. Der Gutachter vertrat die Auffassung, der Kläger könne unter Berücksichtigung näher ausgeführter qualitativer Einschränkungen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten noch sechs Stunden und mehr ausüben.

Die Beklagte lehnte den Antrag hierauf mit Bescheid vom 09.05.2018 ab. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch erhoben die Bevollmächtigten Einwendungen gegen die Beurteilung im Gutachten. Die Beklagte zog sodann den Bericht des Orthopäden Prof. Dr. M vom 30.07.2018, das ärztliche Gutachten nach § 51 Abs. 1 SGB V des Facharztes für Chirurgie Dr. F für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vom 20.06.2018 sowie die Befundberichte des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ö vom 30.07.2018 und des Internisten Dr. S2 vom 29.08.2018 bei. Unter Berücksichtigung einer sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. S3 vom 28.11.2018 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2019 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 08.03.2019 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) eingelegt und geltend gemacht, dass er für keinerlei Tätigkeiten zu den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Umfang von drei Stunden und mehr bzw. sechs Stunden und mehr einsetzbar sei. Es bestehe ein multimorbides Krankheitsbild, besonders beeinträchtigend sei die Depression, die sich fortlaufend verschlechtere.

Das SG hat den Internisten und Pneumologen Dr. V, den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ö, den Allgemeinarzt Dr. K, den Orthopäden Dr. G und den Internisten Dr. S2 als sachverständige Zeugen gehört und die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G-P mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

Dr. V hat unter dem 26.08.2019 mitgeteilt, dass auf pneumologischem Fachgebiet keine der Diagnosen (Z. n. Hämoptysen bei Verdacht auf AV-Malformation 04/2017, Z. n. Embolisation einer Bronchialarterie Herbst 2017, KHK, Z. n. Stent-Implantation, Z. n. Tabakkonsum) eine Erwerbseinschränkung rechtfertige.

Dr. Ö hat die Auffassung vertreten, der Kläger könne auch leichte Tätigkeiten nicht in einem Umfang von wenigstens drei Stunden pro Tag ausüben (Bericht vom 09.09.2019).

Dr. K hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 08.09.2019 Diagnosen benannt und die Auffassung vertreten, dass der Kläger psychisch und körperlich nicht in der Lage sei, zu arbeiten.

Dr. G hat (Schreiben vom 16.09.2019) aufgrund der von ihm gestellten Diagnosen Einschränkungen im Bereich der Mobilität, Beschwerden bei längerem Stehen und Gehen sowie sitzenden Tätigkeiten, bei Überkopfarbeiten, gebeugten Arbeiten oder knienden Tätigkeiten, ferner Beeinträchtigungen aufgrund einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung beschrieben. Die Frage der Erwerbsminderung könne nur im Rahmen eines Gutachtens geklärt werden.

Dr. S2 hat mitgeteilt (Schreiben vom 09.10.2019), den Kläger seit 2008 kardiologisch zu behandeln. Leichte körperliche Tätigkeiten könne der Kläger noch wenigstens sechs Stunden ausüben.

In ihrem Gutachten vom 14.07.2020 hat Dr. G-P Angst und depressive Störung, gemischt, eine mittelgradige depressive Episode und Schlafstörung sowie eine rezidivierende Lumbago festgestellt, durch die die Affektivität, das Schlafverhalten und die körperliche Mobilität beeinträchtigt seien. Der Kläger könne auch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Gefährdung seiner Gesundheit bis zu einer Höchstdauer von nur noch weniger als drei Stunden ausüben. Der Kläger befinde sich in einer aufwändigen Einzel- und Gruppentherapie, sodass er sich bereits etwas habe stabilisieren können. Es liege allerdings noch keine Leistungsfähigkeit vor für Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert.

Für die Beklagte hat Dr. N1 in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 05.08.2020 Einwendungen erhoben und bemängelt, dass bei einem fast normalen psychopathologischen Befund das Postulat eines geminderten quantitativen Leistungsvermögens völlig unplausibel und entgegen üblicher Standards ausfalle.

Nach Anhörung des Klägers hat das SG mit Urteil vom 15.10.2020 die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.10.2018 bis 30.09.2021 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger sei aufgrund seiner psychischen Minderbelastbarkeit, die die Kammer aus den Aussagen der behandelnden Ärzte Dr. Ö und Dr. K sowie dem Gutachten von Dr. G-P entnehme, nicht mehr in der Lage, leichte, den körperlichen Einschränkungen Rechnung tragende Tätigkeiten drei Stunden täglich zu verrichten. Ausgehend von einem Leistungsfall bei Antragstellung am 01.10.2018 sei eine befristete Rente zu gewähren, da eine Besserung des Gesundheitszustandes nicht auszuschließen sei.

Gegen das ihr am 23.10.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17.11.2020 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, dass nach ihrer Auffassung die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen seien. Die Beurteilung in dem Gutachten von Dr. G-P überzeuge nicht, da es nicht nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft erstellt worden sei. Die Beklagte hat zur Stützung ihres Vortrages die sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. N1 vom 12.11.2020 vorgelegt, der die Auffassung vertreten hat, dass die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode unter Berücksichtigung des psychopathologischen Befundes als falsch zu bewerten sei. Dieser erfülle noch nicht einmal die Kriterien einer leichten depressiven Episode. Aufgrund der gestellten Diagnose einer Angst und depressiven Störung, gemischt, könne ein gemindertes quantitatives Leistungsvermögen nicht zweifelsfrei nachvollzogen werden. Eine wesentliche Konsistenzprüfung im Sinne der Fragestellung, insbesondere bezogen auf das Leistungsvermögen, finde sich im Gutachten nicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2020 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise

Dr. med. Dipl.-Psych. F, G-Sraße, in S mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG zu beauftragen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen eines psychiatrischen Gutachtens beim Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 13.05.2021 eine depressive Neurose/Dysthymia/ (ICD-10:F34.1) mit dysthymer bis leicht depressiver Stimmungslage, einer eingeschränkten Schwingungsfähigkeit, einem Rückzugsverhalten, einer Selbstwertproblematik, Versagensängsten und Zukunftsängsten sowie einer Antriebsminderung festgestellt. Ein episodischer Krankheitsverlauf der depressiven Störung, welcher einer rezidivierenden depressiven Störung (ICD10:F33) entsprechen würde, lasse sich aus den vorliegenden Akten nicht nachweisen. Er hat dargelegt, dass sich in den Arztberichten und ärztlichen Gutachten wiederholt deutliche Diskrepanzen zwischen dem dokumentierten psychischen Befund und dem Schweregrad der diagnostizierten depressiven Störung fänden. Infolge der genannten depressiven Erkrankung könnten psychische Funktionsbeeinträchtigungen der Affektsteuerung, der Emotionalität, des Antriebes sowie des Durchhaltevermögens nachgewiesen werden. Mit der genannten depressiven Erkrankung und mehreren körperlichen Gesundheitsstörungen (Koronare Herzkrankheit, Adipositas Grad I, degeneratives Wirbelsäulenleiden) ließen sich in ihrer Summe qualitative Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit begründen. Der Kläger sei lediglich noch dazu in der Lage, in leichten bis gelegentlich mittelschweren körperlichen Arbeitstätigkeiten erwerbstätig zu sein. Heben, Tragen und Bewegen von Lasten oberhalb von 5 kg ohne geeignete Hilfsmittel sei ungünstig. Die Arbeitstätigkeit sollte in wechselnden Körperhaltungen, zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen und überwiegend im Sitzen ausgeführt werden können. Gleichförmige Körperhaltungen, insbesondere Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen sowie Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten seien infolge des degenerativen Wirbelsäulenleidens sowie der koronaren Herzkrankheit und der Adipositas ungünstig. Aufgrund der depressiven Erkrankung sollte kein besonderer Zeitdruck und kein besonderer Leistungsdruck abverlangt werden, Akkordarbeit und Fließbandarbeit seien ungünstig, häufig wechselnde Schichten wirkten sich auf die Tagesstrukturierung und hierüber auf den Verlauf der depressiven Erkrankung ungünstig aus, Nachtarbeit sollten ihm sowohl aus diesen Gründen wie auch wegen des Schlafapnoe-Syndroms und der von ihm genannten Durchschlafstörung nicht abverlangt werden. Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr seien infolge der emotionalen Funktionsbeeinträchtigung ungünstig. Ihm sollte keine besondere geistige Beanspruchung wie zum Beispiel Daueraufmerksamkeit und erhöhte Verantwortung abverlangt werden. Es ließen sich aber keine quantitativen Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit begründen. Der Kläger sei demnach noch in der Lage, in leichten bis gelegentlich mittelschweren körperlichen Arbeitstätigkeiten, bei welchen die oben genannten qualitativen Einschränkungen berücksichtigt werden, sechs und mehr Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche arbeitstätig zu sein. Unter Aufbringung der ihm zumutbaren Willensanstrengung sei der Kläger dazu in der Lage, sich auf die Anforderungen einzustellen, die mit der Aufnahme jeder neuen Tätigkeit verbunden seien. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Die Abweichungen im vorliegenden Gutachten gegenüber dem Vorgutachten von Dr. G-P vom Juli 2020 hätten verschiedene Gründe. Der von Dr. G-P formulierte psychische Befund entspreche in weiten Teilen dem im vorliegenden Gutachten. Der von ihr dokumentierte Befund sei sogar eher noch etwas geringer ausgeprägt. Sie habe jedoch eine fehlerhafte diagnostische Beurteilung vorgenommen. Sie habe in ihrem Gutachten zwei diagnostische Kategorien miteinander verknüpft, welche nach der ICD-10 nicht parallel verschlüsselt werden sollen. Der von ihr formulierte psychische Befund entspreche zudem nicht einer mittelgradig ausgeprägten depressiven Störung. Ferner habe Dr. G-P die Funktionsbeeinträchtigungen „Affektivität; Schlafverhalten; körperliche Mobilität" genannt, die sie bezüglich ihres Schweregrades jedoch nicht bewertet habe. Sie habe in ihrem Gutachten nicht erläutert, wie sie auf der Grundlage dieser Funktionsbeeinträchtigungen quantitative Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit des Klägers begründe. Sie habe auch nicht genauer erläutert, wie sie zu ihrer Einschätzung gekommen sei, dass es unter Fortführung der engmaschigen psychiatrischen Behandlung innerhalb von drei Jahren zu einer so wesentlichen Besserung kommen werde, dass die von ihr genannten Einschränkungen ganz oder teilweise entfallen würden.

Der Kläger hat den Entlassungsbericht der Fachklinik für Kardiologie, Innere Medizin, Psychosomatik der M-Klinik am S in N vom 20.04.2014 und außerdem den Bericht des Gesundheitszentrums F1 vom 21.05.2021 (Diagnosen: Unklare Sensibilitätsstörung des linken Beines mit elektrophysiologisch nachgewiesener axonaler Schädigung links bislang unklarer Genese, koronare Herzerkrankung mit Z. n. mehreren Stent-Implantationen, Z. n. Bandscheiben-OP lumbal, Diabetes mellitus, medikamentös eingestellt, HbAlc zuletzt 7,0%, Z.n. Lungen-OP bei anamnestisch Lungenblutung) vorgelegt.

Am 29.06.2021 hat der Berichterstatter mit den Beteiligten den Sach- und Streitstand erörtert. Der Kläger hat ein Attest des Dr. Ö zu den Akten gereicht. Er hat um eine Entscheidung des Senats gebeten.

Mit Verfügung vom 30.07.2021 hat der Senat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25.08.2021 bestimmt. Mit am 04.08.2021 eingegangenem Schreiben hat der Kläger „einen Antrag nach § 109 SGG“ gestellt und ausgeführt, ein Gutachter im Fachgebiet Psychiatrie werde im Nachhinein genannt. Mit am 13.08.2021 eingegangenen Schriftsatz vom 11.08.2021 hat der Kläger unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Rechtsstandpunktes hinsichtlich der Notwendigkeit einer medizinischen Aufklärung von Amts wegen hilfsweise den Antrag gestellt, Dr. med. Dipl. Psych. F2, S4, mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG zu beauftragen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Beklagten vom 03.08.2021, Schriftsatz der Bevollmächtigten des Klägers vom 09.08.2021 unter Aufrechterhaltung des „Antrages nach § 109 SGG“).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.10.2018 bis 30.09.2021 zu gewähren.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Unter Krankheit wird allgemein jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand verstanden. Dazu zählen auch psychische Erkrankungen, z. B. seelische Störungen. Eine Behinderung kann körperlicher, geistiger oder seelischer Natur sein (vgl. § 10 Nr. 1 SGB VI). Im Gegensatz zur (akuten, behandlungsfähigen) Krankheit umfasst sie auch körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigungen, deren Entwicklung abgeschlossen ist, z. B. Taubheit, Blindheit, Verlust von Gliedmaßen. Der bloße Verdacht auf eine Erkrankung, d. h. die Ungewissheit über das Vorliegen (Verdachtsdiagnose) reicht insofern aber nicht aus (KassKomm/Gürtner, Sozialversicherungsrecht, Stand Mai 2021, SGB VI, § 43 Rn. 23, m. w. N.).

Die Erwerbsminderung muss, wenn auch nicht auf Dauer, so doch zumindest auf nicht absehbare Zeit und damit für länger als sechs Monate (Arg. aus § 101 SGB VI, vgl. KassKomm/Gürtner, SGB VI, § 43 Rn. 25) prognostiziert werden können oder vorliegen. Ansonsten ist ggf. von einem vorübergehenden Zustand der Arbeits- oder Dienstunfähigkeit auszugehen. Eine Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf die Verrichtung bestimmter Tätigkeiten bedingt also noch keine teilweise Erwerbsminderung. Damit kommt es auf die Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf, anders als im Falle der Berufsunfähigkeit, genauso wenig an wie auf den Umstand, dass vom Versicherten möglicherweise ein wesentlicher sozialer bzw. einkommensmäßiger Abstieg hinzunehmen ist (Kamprad in: Hauck/Noftz, SGB, 12/14, § 43 SGB VI, Rn. 17 f.).

Der allgemeine Arbeitsmarkt umfasst demnach alle denkbaren Tätigkeiten außerhalb einer beschützenden Einrichtung, für die in einer Vielzahl von Teilarbeitsmärkten Nachfrage und Angebot besteht (Kamprad in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 43 SGB VI, Rn. 36).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (KassKomm/Gürtner, SGB VI, § 43, Rn. 58 und 30 ff.).

Die Kläger ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats nicht voll erwerbsgemindert. Ihm steht daher keine Rente zu.

Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens von Dr. S1, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, sowie des Gutachtens von Dr. H. Soweit die behandelnden Ärzte Dr. Ö und Dr. K sowie die Sachverständige Dr. G-P eine andere Leistungsbeurteilung vertreten, vermochte sich der Senat dieser nicht anzuschließen. Der Senat sieht es nicht für nachgewiesen an, dass der Kläger aufgrund der festgestellten Gesundheitsstörungen nicht mehr zumutbar sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche beschäftigt werden konnte und kann.

Soweit beim Kläger auf internistischem und kardiologischem Fachgebiet eine Koronare 1-Gefäßerkrankung und ein Zustand nach NSTEMI 06/2013 (also einer Myokardnekrose ohne akute ST-Strecken-Hebung) und Stent-Versorgung sowie eine arterielle Hypertonie besteht, resultiert hieraus keine zeitliche Leistungsminderung, was der Senat im Wesentlichen dem Gutachten von Dr. S1 aber auch den sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. S2 („keine myokardiale Schädigung, normale linksventrikuläre Funktion“) und Dr. K („Linksherzinsuffizienz ohne Beschwerden“) entnommen hat. Sie bestätigen die Leistungseinschätzung im Reha-Entlassungsbericht der M-Klinik am S vom 20.05.2014, der unter Berücksichtigung u. a. einer koronaren Herzkrankheit, einer arteriellen Hypertonie, eines Schlafapnoe-Syndroms und eines Restless-Legs-Syndroms von einem vollschichtigen Leistungsvermögen ausgegangen war. Insoweit lässt sich anderes auch nicht für die einmaligen Hämoptysen im April 2017 und die Embolisation einer Bronchialarterie im rechten Lungenunterfeld im November 2017 feststellen, nachdem der vom SG gehörte Internist und Pneumologe Dr. V (zusammen mit Dr. P) bestätigt hat, dass auf pneumologischem Fachgebiet keine eine Erwerbsminderung rechtfertigende Diagnose vorliegt. Im letzten Bericht der internistischen Facharztpraxis m1, B, vom 15.01.2020 (Bericht Dr. R, Bl. 119 der SG-Akten), der auch Dr. S2 angehört, wird zudem darauf hingewiesen, dass nach Echokardiographie und EKG keine Belastungskoronarinsuffizienzzeichen und echokardiografisch keine relevant pathologischen Befunde erhoben worden sind und dass auch die Belastungsdyspnoe auf der Treppe nicht limitierend ist. Einschränkungen von Seiten des Diabetes mellitus Typ II, der nach dem vom Kläger vorgelegten Bericht von Dr. W vom 21.05.2021 medikamentös eingestellt ist, sind von Dr. K nicht dargelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die von ihm in seiner Aussage vom 08.09.2019 erwähnte chronische Hepatitis B und die weiteren dort aufgeführten Diagnosen. Anderes hat der Kläger auch nicht geltend gemacht.

Das im Entlassungsbericht der M-Klinik ebenfalls beschriebene Restless-Legs-Syndrom wird im Gutachten von Dr. G-P nicht in den Diagnosen aufgeführt und auch von den behandelnden Ärzten nicht zur Begründung einer zeitlichen Leistungseinschränkung herangezogen. Die zuletzt wegen unklaren Sensibilitätsstörungen am 21.05.2021 bei Dr. W erfolgten neurologischen Untersuchungen ergaben an den oberen und unteren Extremitäten keine Paresen. Die Stand- und Gangproben wurden als sicher ohne gerichtete Fallneigung beschrieben. Damit besteht kein Anhalt für eine zeitliche Leistungsminderung durch die für abklärungsbedürftig gehaltenen Sensibilitätsstörungen.

Mit dem SG ergeben sich aus den vorliegenden orthopädischen Einschränkungen zwar qualitative Einschränkungen; eine quantitative Leistungsminderung lässt sich hingegen nicht begründen. So hat der behandelnde Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Grammozis in seiner sachverständigen Zeugenaussage die Diagnosen Rückenschmerzen im Zervikalbereich, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Coxarthrose, Lumboischialgie, Spinalkanalstenose im Zervikalbereich mit Kompression von Nervenwurzeln, Spinalkanalstenose im Lumbalbereich mit Kompression von Nervenwurzeln, Läsion der Rotatorenmanschette sowie Gonarthrose angegeben, woraus sich nach seinen Angaben eine Beeinträchtigung der Mobilität, Beschwerden bei längerem Stehen und Gehen sowie bei sitzenden Tätigkeiten, Schmerzen bei Überkopfarbeiten, bei gebeugten Arbeiten oder knienden Tätigkeiten ableiten lassen. Diese festgestellten Gesundheitsstörungen bedingen eine Minderbelastbarkeit des Halte- und Bewegungsapparates, wodurch der Kläger aber noch leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr verrichten kann. Dies korrespondiert mit der von Dr. G-P durchgeführten neurologischen Untersuchung, die außer einem linksseitigen positiven Lasègue, der im Zusammenhang mit der Einschränkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule steht, keine pathologischen Befunde erhoben hat, insbesondere keine radikulären Ausfälle.

Der Senat vermag sich zudem nicht davon zu überzeugen, dass auf psychiatrischem Fachgebiet Einschränkungen vorliegen, die die Annahme einer zeitlichen Leistungsminderung rechtfertigen könnten. Dr. H hat eine Depressive Neurose/Dysthymia (F34.1) mit dysthymer bis leicht depressiver Stimmungslage, eingeschränkter Schwingungsfähigkeit, Rückzugsverhalten, Selbstwertproblematik, Versagens- und Zukunftsängsten sowie angegebener Inaktivität für den Senat schlüssig und nachvollziehbar unter Berücksichtigung seiner ausführlichen Anamneseerhebung sowie der von ihm durchgeführten Untersuchung und sorgsamer Auswertung der in der Akte vorliegenden Vorbefunde festgestellt. Nach dem erhobenen Befund hat sich bei Dr. H ein bewusstseinsklarer, allseits orientierter Proband mit intakter Auffassung vorgestellt. Eine Konzentrationsstörung hat nicht objektiviert werden können, nachdem die Konzentrationsfähigkeit über die Untersuchungsdauer von über dreieinhalb Stunden nicht nachgelassen hat. Auch die Gedächtnisfunktionen sind im Gutachten ohne Defizite beurteilt worden, ein Nachlassen der Vigilanz bzw. eine Müdigkeit hat der Gutachter über die gesamte Untersuchungsdauer nicht beobachten können. Der formale Gedankengang war zudem geordnet, wobei der Kläger weder über Grübelkreisläufe noch über phobische Ängste berichtet hat. Der Kläger hat Versagensängste und Zukunftsängste angesprochen, Zwangssymptome haben aber nicht festgestellt werden können. Hinweise auf inhaltliche Denkstörungen, Sinnestäuschungen bzw. Ich-Störungen haben zudem nicht vorgelegen. Der Sachverständige hat die Stimmungslage als dysthym bis leicht depressiv bewertet und nur zeitweise als dysphorisch, etwa dann, wenn er sich über die Ämter bzw. Behörden, seinen Vater oder über seine Geschwister beklagt hat. Abgesehen von vom Kläger angegebenen Insuffizienzgefühlen war die Schwingungsfähigkeit nur mäßig reduziert, wobei der Kläger einen weitgehend inaktiven Alltag geschildert hat. Er hat während der Untersuchung eine normale Gestik und Mimik gezeigt. Eine psychomotorische Hemmung hat der Gutachter aber nicht feststellen können. Der Kläger hat über einen sozialen Rückzug in seine Wohnung berichtet, hat vereinzelt Ruhewünsche angesprochen, Hinweise auf eine suizidale Gefährdung haben sich indes nicht gefunden. Das Kontaktverhalten des Probanden hat der Sachverständige als durchgehend höflich, über längere Strecken auch als freundlich beschrieben. Nur gelegentlich hat der Kläger sich vorwurfsvoll und aufgebracht geäußert, wenn er entweder über die Behörden oder über seine Geschwister bzw. seinen Vater schimpfte. Soweit der Sachverständige aus den berichteten Versagens- und Zukunftsängsten auf eine Selbstwertproblematik geschlossen hat und unter Berücksichtigung des geschilderten Rückzugsverhaltens und einer sehr wenig aktiven Alltagsgestaltung bei einer nicht feststellbaren psychomotorischen Hemmung und einer fehlenden erheblichen Antriebsminderung psychische Funktionsbeeinträchtigungen der Affektsteuerung, der Emotionalität, des Antriebes sowie des Durchhaltevermögens abgeleitet hat, ist dies für den Senat nachvollziehbar und überzeugend begründet, ebenso, dass aufgrund der nur mäßigen Ausprägung hierdurch keine quantitative Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit begründet werden kann. Dies gilt auch – worauf Dr. H ausdrücklich hinweist – in der Zusammenschau der Einschränkungen auf neurologischem, kardiologischem, internistischem und orthopädischem Fachgebiet. Damit korrespondiert, dass auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger nicht dazu in der Lage sein könnte, sich auf die Anforderungen einzustellen, die mit der Aufnahme jeder neuen Tätigkeit verbunden sind.

Der Sachverständige hat sich zudem ausführlich, schlüssig und nachvollziehbar mit den in der Akte vorliegenden Vorbefunden auseinandergesetzt und belegt, dass die in den Akten dokumentierten psychischen Befunde wiederholt nicht dem in diesen ärztlichen Schreiben diagnostizierten Schweregrad der depressiven Erkrankung entsprechen, insbesondere, dass es keinen Hinweis auf das Vorliegen der von Dr. K beschriebenen schizoaffektiven Störung gibt. Eine stärker ausgeprägte rezidivierende/episodisch verlaufende depressive Störung lässt sich zudem auch nicht aus den Befundberichten von Dr. Ö rechtfertigen, der zwar unterschiedliche Begrifflichkeiten („schwere depressive Episode/F32.2; Dysthymie/F34.1; somatisierte Depression/F32.2; Depression ohne Angabe eines ICD-10-Codes), inhaltlich aber in seinen Arztberichten fast durchgehend den gleichen Wortlaut mit lediglich geringen Abweichungen an einzelnen Stellen verwendet. Dies ergibt sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen insbesondere aus dem von Dr. Ö im Schreiben vom September 2019 (gemeint: sachverständige Zeugenaussage vom 09.09.2019) wiedergegebenen Befund. Gegen eine solche Würdigung spricht die für eine depressive Episode ungewöhnlich lange Zeitdauer von neun Jahren und der Umstand, dass bei einer Bewertung dieser Episode als schwer eine deutliche Intensivierung der Behandlungsmaßnahmen zu erwarten gewesen wäre, die hier nicht erfolgt ist.

Soweit sich der Kläger bezogen auf die Diagnose einer zumindest mittelgradigen depressiven Episode auf den Bericht der M-Klinik am S in N, deren Bericht dem Sachverständigen nicht zur Verfügung stand, beruft, kann offenbleiben, ob die dort genannte Diagnose zutreffend ist. Der stationäre Aufenthalt dort wurde bereits am 20.05.2014 und damit gut vier Jahre vor der hier relevanten Antragstellung beendet. Der Bericht belegt damit keine im Zusammenhang mit dieser Antragstellung noch andauernde psychiatrische Erkrankung im selben oder darüberhinausgehenden Ausmaß. Allein, dass dort von einer Episode ausgegangen wurde, also von einem zeitlich vorübergehenden Ereignis, belegt, dass die Einschätzung von Dr. H hierdurch nicht widerlegt werden kann. Im Übrigen wurde – trotz der Annahme einer mittelgradigen depressiven Episode – dort von einem erhaltenen Leistungsvermögen des Klägers selbst für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit von sechs Stunden und mehr ausgegangen.

Der Senat vermochte sich unter Berücksichtigung dessen der Einschätzung von Dr. G-P in deren Gutachten vom 14.07.2020 nicht anzuschließen. Ihr Befund entspricht weitgehend demjenigen, den auch Dr. H erhoben hat. So hat sie den Kläger ebenfalls in allen Dimensionen als voll orientiert bei ungestörtem Auffassungsvermögen und ohne Umstellungserschwernis beschrieben. Ferner konnte auch sie keine über das Altersmaß hinausreichenden Kurzzeit- oder Langzeitgedächtnisstörungen eruieren. Der formale Gedankengang war zudem geordnet ohne inhaltliche Auffälligkeiten und ohne Sinnestäuschungen. Sie beschrieb eine depressive Stimmung ohne aktive oder passive Suizidtendenzen, eine gute Modulationsfähigkeit, eine Antriebsminderung und Affektarmut. Ihre Leistungsbeurteilung im Sinne eines aufgehobenen Leistungsvermögens ist angesichts fehlender kognitiver Einschränkungen ohne Validierung der Antriebsarmut und Affektarmut insofern nicht schlüssig. Sie beruht auf der Annahme einer chronifizierten ängstlich-depressiven Symptomatik, die sich trotz umfassender und regelmäßiger fachpsychiatrischer Behandlung in Form einer medikamentösen Behandlung und einer gruppentherapeutischen Behandlung nicht hat bessern lassen. Dabei stellt sie allein auf eine frustrane Behandlung ab, die aber für sich genommen noch kein Krankheitsbild belegt, das zum Ausschluss angepasster und leidensgerechter Tätigkeiten des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt führt. Insoweit setzt sich Dr. G-P weder kritisch mit den nach Aktenlage bestehenden Diagnosen auseinander noch belegt ihr Gutachten, dass eine Erkrankung vorliegt, die keine berufliche Tätigkeit mehr zulässt. Nach ihren Angaben führen die von ihr diagnostizierten Erkrankungen zu einer Beeinträchtigung der Affektivität, des Schlafverhaltens und der körperlichen Mobilität, ohne das Ausmaß der Beeinträchtigung darzulegen und bezogen auf die Erwerbsfähigkeit zu begründen. Dies gilt umso mehr, als die von ihr beschriebenen Diagnose „Angst und depressive Störung gemischt (F41.2) mit mittelgradiger depressiver Episode (F32.1)" so nicht gestellt werden kann. Nach den Ausführungen von Dr. H soll die Diagnose Angst und depressive Störung gemischt (F41.2) nach der ICD-10 nur dann verwendet werden, wenn keine der beiden Störungen für sich genommen eine eigenständige Diagnose rechtfertigt und dies auch nur dann, wenn die Symptomatik leicht oder nicht anhaltend ist. Der von ihr formulierte psychische Befund entspricht zudem nicht einer mittelgradigen depressiven Störung, was von Dr. H ebenfalls angemerkt wurde und von Dr. G-P nicht begründet worden ist. 

Ist der Kläger daher noch mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähig, muss ihm weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden, noch die Frage geprüft werden, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereiches geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 u. a. -, SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Einschränkungen, die sich in qualitativer Hinsicht auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, liegen nur insofern vor, als ihm keine schweren, sondern nur noch leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeitstätigkeiten zumutbar sind. Dabei sind nach den Einlassungen von Dr. H das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten oberhalb von 5 kg ohne geeignete Hilfsmittel ungünstig aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen und damit auch zeitweise noch zumutbar. Damit sind dem Kläger leichte Tätigkeiten mit einem gelegentlichen Heben und Tragen von Gegenständen bis zu 10 kg noch zumutbar. Ferner sollte der Kläger aufgrund des degenerativen Wirbelsäulenleidens die Arbeitstätigkeit in wechselnden Körperhaltungen (zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen und überwiegend im Sitzen) ausführen können, wobei gleichförmige Körperhaltungen, insbesondere Wirbelsäulenzwangshaltungen zu vermeiden sind. Häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen und Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sind infolge des degenerativen Wirbelsäulenleidens sowie der koronaren Herzkrankheit und der Adipositas ungünstig. Aufgrund der depressiven Erkrankung sind Tätigkeiten unter besonderem Zeit- und Leistungsdruck, etwa Akkordarbeit und Fließbandarbeit ebenso zu vermeiden wie häufig wechselnde Schichten. Nachtarbeit scheidet aus diesen Gründen wie auch wegen des Schlafapnoe-Syndroms und der Durchschlafstörung aus. Infolge der emotionalen Funktionsbeeinträchtigung sind nach den Einlassungen von Dr. H Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr ungünstig, gleiches gilt für eine besondere geistige Beanspruchung wie zum Beispiel Daueraufmerksamkeit und erhöhte Verantwortung. Unter Berücksichtigung dessen konnte und kann der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen etwa noch leichte Sortier- und Verpackungstätigkeiten ausführen. Die Umstellungsfähigkeit des auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Klägers reicht nach den Feststellungen von Dr. H, denen der Senat folgt, jedenfalls noch aus, körperliche Verrichtungen (wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, einfaches Zusammensetzen von Teilen) auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R –, BSGE 129, 274-290, SozR 4-2600 § 43 Nr. 22, m. w. N.). Im Hinblick darauf, dass nach den vorliegenden Leistungsbeurteilungen jedenfalls für derart leichte und geistig anspruchslose Tätigkeiten keine relevanten Einschränkungen bezüglich der Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, der Auffassungsgabe und der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bestehen, konnte und kann der Kläger auch noch derart einfache Tätigkeiten nach einer Zeit der Einarbeitung bis zu drei Monaten vollwertig verrichten.

Weitere Ermittlungen waren aufgrund des sorgfältig begründeten, widerspruchsfreien und überzeugenden Gutachtens von Dr. H nicht erforderlich. Im Ergebnis lagen entgegen der Ausführungen des SG die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht vor, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen war.

Dem mit Schreiben vom 11.08.2021 und am 13.08.2021 beim Senat eingegangenen Schreiben hilfsweise gestellten Antrag, Dr. med. Dipl.-Psych. F, G-straße, in S mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG zu beauftragen, war nicht stattzugeben.

Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Das Antragsrecht stellt eine Besonderheit des sozialgerichtlichen Verfahrens dar, mit dem der Untersuchungsgrundsatz (§§ 103 und 106 SGG) durchbrochen wird. Er soll der Herstellung von Waffengleichheit zwischen den Beteiligten und dem Rechtsfrieden dienen (MKLS/Keller, SGG, 13. Aufl. 2020, § 109 Rn. 1, m. w. N.). Die Ablehnung des Antrages ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG möglich. Danach kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Für eine Verschleppungsabsicht sind vorliegend Anhaltspunkte nicht ersichtlich, so dass von vornherein lediglich die Tatbestandsalternative einer Verspätung aus grober Nachlässigkeit in Betracht kommt. Grobe Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede nach sorgfältiger Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist, wenn nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (MKLS/Keller, a. a. O., § 109 Rn. 11, m. w. N.). Die Bejahung einer Verspätung kommt in Betracht, wenn der Antrag nicht innerhalb einer durch das Gericht gesetzten Frist gestellt wird, oder wenn der Beteiligte erkennen muss, dass das Gericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchführt und den Antrag nicht innerhalb einer angemessenen Zeit von einem Monat (vgl. zur Angemessenheit dieser Frist MKLS/Keller, a. a. O. Rn. 11, m. w. N.), stellt.

Vorliegend ist der Antrag erst am 13.08.2021und nicht schon bereits mit dem nach Zustellung der Ladung (02.08.2021) am 04.08.2021 eingegangenen Fax gestellt worden. Denn dieses enthielt lediglich die Ankündigung, einen Arzt nach § 109 SGG benennen zu wollen. Ohne konkrete Benennung eines bestimmten Arztes liegt jedoch noch kein Antrag im Sinne des § 109 SGG vor (vgl. MKLS/Keller, a.a.O., § 109 Rn. 4). Der Berichterstatter des Senats hat im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes am 29.06.2021 bereits darauf hingewiesen, dass weitere Ermittlungen des Senats nicht beabsichtigt sind und dass – nachdem der Kläger einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht zugestimmt hat – mit der Terminierung des Rechtsstreits in absehbarer Zeit gerechnet werden muss. Allerdings ist erst nach der Ladung zum Termin am 25.08.2021 und mehr als einen Monat nachdem der Senat gegenüber dem rechtskundig vertretenen Kläger zu erkennen gegeben hat, dass weitere Ermittlungen nicht beabsichtigt sind, ein Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG gestellt worden. Damit ist der Antrag nicht innerhalb einer angemessenen Frist gestellt worden. Mit der Antragstellung tritt auch eine Verzögerung ein, weil der bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung, eine bereits angekündigte Entscheidung im Termin der mündlichen Verhandlung am 25.08.2021 um mehrere Monate verschieben würde. Der Senat bejaht insoweit eine grobe Nachlässigkeit, denn der Kläger ist rechtskundig durch die DGB Rechtsschutz GmbH vertreten und der Senat hatte nicht erst durch die Ladung, sondern bereits im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 29.06.2021 ausdrücklich zu erkennen gegeben, keine Ermittlungen mehr durchführen und eine Entscheidung herbeiführen zu wollen. Der Kläger hat mit Blick auf das Protokoll auch nicht um eine Frist zur Prüfung eines Antrages nach § 109 SGG nachgesucht, was zur Vermeidung der Ablehnung des Antrags aber ebenfalls innerhalb der Monatsfrist erforderlich gewesen wäre (MKLS/Keller, a. a. O., § 109 Rn. 11).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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