L 15 SO 184/21 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 SO 892/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 184/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Das Land Berlin ist als solches einheitlicher und einziger Träger der Eingliederungshilfe im Sinne des SGB IX für sein Gebiet. Unterschiedliche Behörden des Landes Berlin, die mit Aufgaben der Eingliederungshilfe betraut sind, können nicht in unterschiedlichen Rollen an einem sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt sein.

 

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

 

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren. Im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung in dem Beschluss des Sozialgerichts.

Kosten des Beigeladenen sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

 

Der Antrag der Antragstellerin, ihr für die Rechtsverteidigung gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2021 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

 

 

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig. Der Antragsgegner – im Folgenden verstanden im Sinne des Landes Berlin, konkret vertreten durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales – kann im Besonderen ein Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Prozessvoraussetzung geltend machen. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob er  im Verhältnis zum Beigeladenen – im Folgenden verstanden im Sinne des Landes Berlin, konkret vertreten durch das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin - materiellrechtlich Träger eigener Rechte ist und die Voraussetzungen für eine Beiladung überhaupt vorlagen. Das Sozialgericht hat beides jedenfalls angenommen. Dem als Träger eigener Rechte angesehenen Funktionsobjekt muss dann die Möglichkeit gegeben werden, (auch) seine verfahrensrechtliche Stellung im Instanzenzug klären zu lassen (s. zum sogenannten Innenrechtsstreit zwischen Funktionsobjekten eines einheitlichen Rechtsträgers Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. Oktober 1992 – 6 RKa 69/91 –, SozR 3-2500 § 80 Nr. 1).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Antragsgegner macht mit dem Rechtsmittel allein seine Unzuständigkeit als leistungsverpflichteter Rehabilitationsträger geltend. Hiermit kann er nicht gehört werden.

Es steht außer Frage, dass die streitigen Leistungen solche der Eingliederungshilfe im Sinne des Zweiten Teils des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) darstellen. Die sachliche Zuständigkeit eines Trägers der Eingliederungshilfe wird durch § 14 SGB IX geregelt. Sie ist auf die Zuweisung einer Leistungszuständigkeit an eine bestimmte Behörde des Landes Berlin nicht unmittelbar anwendbar. Die Vorschrift knüpft an die Eigenschaft einer Stelle als Rehabilitationsträger an. Dieser Begriff wird durch § 6 Abs. 1 SGB IX gesetzlich definiert (s. Jabben in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/ Jabben, 14. Aufl. 2020 § 6 Rn 1f.; J. Joussen in Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 6 Rn 6f., 9ff.). Nach dessen Nr. 7 können die Träger der Eingliederungshilfe Rehabilitationsträger sein.

Wer (sachlich) zuständiger Träger der Eingliederungshilfe ist, regelt das Bundesrecht dagegen nicht. Vielmehr sieht § 94 Abs. 1 SGB IX vor, dass die Länder die zuständigen Träger der Eingliederungshilfe bestimmen. Wie bereits in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, hat das Land Berlin durch § 1 Berliner Gesetz zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (AG SGB IX), der § 94 Abs. 1 SGB IX als bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage ausdrücklich nennt, sich selbst zum zuständigen Träger der Eingliederungshilfe bestimmt. Damit ist es im Gebiet des Landes Berlin alleiniger Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX.

Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Durchführung der Aufgaben des Trägers der Eingliederungshilfe nach Berliner Landesrecht teils den bezirklichen Ämtern für Sozialwesen (§ 2 AG SGB IX) und teils dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (§ 3 AG SGB IX) obliegt. Aus Überschrift („Träger der Eingliederungshilfe“) und Inhalt des § 1 AG SGB IX ergibt sich, dass durch ihn die Trägereigenschaft im Sinne des § 94 Abs. 1 SGB XII abschließend geregelt werden sollte. Aus den Überschriften der §§ 2 („Durchführung der Aufgaben des Trägers der Eingliederungshilfe“) und 3 („Durchführung besonderer Aufgaben des Trägers der Eingliederungshilfe“) AG SGB IX und deren Regelungsgehalt ergibt sich dagegen, dass sie nur verwaltungsorganisatorische Bestimmungen enthalten, welche durch den besonderen Verwaltungsaufbau des Landes Berlin als Stadtstaat und Einheitsgemeinde (Art. 1 Abs. 1 Verfassung von Berlin [VvB]) begründet sind. Die Berliner Bezirke haben keine eigene Rechtspersönlichkeit. Sie sind lediglich verselbständigte Verwaltungsuntergliederungen (Art. 66ff. VvB). Im Außenverhältnis handeln sie deshalb auch in Bezirksangelegenheiten nicht in eigenem Namen, sondern als Vertreter Berlins (Art. 84 Abs. 2 VvB).

Die entsprechende Anwendung des § 14 SGB IX scheidet aus. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass die hierzu erforderliche planwidrige Regelungslücke besteht (s. zu den Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm statt aller BSG, Urteil vom 4. Mai 1999 – B 4 RA 55/98 R –, SozR 3-2600 § 34 Nr. 1, in „Juris“ Rn 37). Soweit einzelne Stellen eines einheitlichen Rechtsträgers funktional eigenständige Rehabilitationsträger sein können, ist dies in § 6 Abs. 1 SGB IX selbst geregelt (neben denen nach Nr. 7 diejenigen nach Nr. 5 - Träger der Kriegsopferversorgung und der Kriegsopferfürsorge - und 6 - Träger der öffentlichen Jugendhilfe -).

Daraus folgt zunächst, dass nur das Land Berlin als solches Adressat einer gerichtlichen Verpflichtung auf Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe sein kann. Weiter folgt daraus, dass auch die Voraussetzungen für eine Beiladung des Landes Berlin, vertreten durch eine andere Behörde, nicht vorlagen. Soweit Behörden des Landes Berlin Aufgaben des Trägers der Eingliederungshilfe zugewiesen sind, stellen sie im Verhältnis zueinander weder „Andere“ im Sinne des § 75 Abs. 1 SGG noch „Dritte“ im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG dar, denn Aufgabe beider kann durch die zuständige Senatsverwaltung verbindlich koordiniert werden (§ 8 AG SGB IX i.V. mit Nr. 33 Abs. 1 Gemeinsame Ausführungsvorschriften Eingliederungshilfe vom 5. Februar 2020, Amtsblatt für Berlin S. 972; zu den Anforderungen an das Auftreten eines Rechtsträgers in unterschiedlichen prozessualen Rollen BSG, Urteil vom 23. November 1981 – 8/8a RK 15/80 –, SozR 2100 § 89 Nr. 2).

Lediglich im Interesse einer beschleunigten Abwicklung des gerichtlichen Eilverfahrens sieht der Senat davon ab, die Beiladung aufzuheben und den Beigeladenen lediglich als weitere vertretungsberechtigte Stelle des Landes Berlin in das Rubrum aufzunehmen.

Einwendungen dagegen, dass das Sozialgericht die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung als solche zu Unrecht angenommen haben könnte, hat weder der Antragsgegner noch der Beigeladene geltend gemacht. Auch für den Senat ist insoweit nichts ersichtlich.

Soweit es der Senat bei der Verpflichtung gegenüber dem Antragsgegner belässt, wird dadurch lediglich in entsprechender Anwendung des § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ein möglicher Kompetenzkonflikt aufgelöst. § 24 Satz 3 SGB IX, wonach § 43 SGB I nicht anzuwenden ist, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift soll lediglich sicherstellen, dass § 43 SGB I gegenüber den Regelungen des Vierten Kapitels des SGB IX über die Klärung von Zuständigkeiten und die Erstattung von Kosten zurücktritt (J. Joussen a.a.O. § 24 Rn 3). Wie oben ausgeführt, vollzieht sich die Zuweisung von Aufgaben des Trägers der Eingliederungshilfe auf verschiedene Behörden des Landes Berlin aber ausschließlich nach Berliner Landesrecht und damit unabhängig vom Vierten Kapitel des SGB IX (in dem sich unter anderem § 14 SGB IX befindet). Soweit der Antragsgegner auf die Entscheidung der Schlichtungsstelle nach Nr. 33 der oben genannten Ausführungsvorschriften vom 24. November 2020 verweist, wonach die Zuständigkeit des Landesamtes für Gesundheit und Soziales nicht gegeben sei, hat er durch den Bescheid vom 12. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2021 zu erkennen gegeben, dass er eine Zuständigkeit zur Durchführung von Aufgaben der Eingliederungshilfe betreffend Leistungsrechte der Antragstellerin gleichwohl bei sich sieht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 73a SGG i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Durch die getroffene Entscheidung nach § 193 SGG ist die Antragstellerin in der Lage, die Kosten der Prozessführung für das Beschwerdeverfahren anderweitig aufzubringen.

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG),

Rechtskraft
Aus
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