L 9 KR 322/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 2173/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 322/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Passivlegitimation bei Einwendungen gegen den Betriebsprüfungsbescheid, den die Einzugstelle vollstreckt

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin

vom 2. August 2019 wird zurückgewiesen.

 

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

 

Die Klägerin wendet sich gegen die Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen.

 

Sie betreibt in B-C ein Küchenstudio mit Beratung, Planung und Verkauf sowie den Einbau von Küchen.

 

Die DRV Bund führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch und erließ am 5. Juli 2018 einen Bescheid für den Prüfzeitraum vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2017. Sie setzte eine Nachforderung für Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 1.224,89 Euro fest. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die für den Beitragseinzug zuständige Stelle die Krankenkasse sei, von der die Krankenversicherung für den jeweiligen Beschäftigten durchgeführt werde. Die Beitragsnachforderung wurde bei der Klägerin für die bei der Beklagten Versicherte K erhoben.

 

Die Klägerin hat am 7. November 2018 Klage gegen die Beklagte erhoben. Es laufe ein noch unbearbeitetes und nicht abgeschlossenes Widerspruchsverfahren, gleichwohl wolle die Beklagte vollstrecken. Die Klägerin hat das Ruhen des Verfahrens beantragt.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 2. August 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und den Streitwert auf 612,45 Euro festgesetzt. Die Klage sei bereits unzulässig. Die Klägerin begehre letztlich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der DRV Bund. Damit fehle es an der Passivlegitimation der Beklagten. Diese werde nur als Einzugsstelle tätig. Etwaige gegen den Betriebsprüfungsbescheid gerichtete Rechtsmittel seien gegen die DRV Bund zu richten. Eine Auslegung der Klage als Vollstreckungsschutzklage komme nicht in Betracht, denn dieser würde das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Die Klägerin hätte die Möglichkeit, einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Betriebsprüfungsbescheides zu stellen. Für die Bemessung des Streitwertes sei die Bedeutung der Sache für die Klägerin zugrunde zu legen, hier die Hälfte der geltend gemachten Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 4.301,12 Euro, denn Ziel sei nicht die Aufhebung des Betriebsprüfungsbescheides gewesen, sondern die Aussetzung seines Vollzugs. Der Gerichtsbescheid hat in der Rechtsmittelbelehrung den Hinweis enthalten, dass die Berufung nicht zulässig sei, weil sie vom Sozialgericht nicht zugelassen worden sei. Die Beteiligten könnten wahlweise mündliche Verhandlung beantragen oder Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung einlegen.

 

Die Klägerin hat gegen den ihr am 7. August 2019 zugestellten Gerichtsbescheid am 6. September 2019 Nichtzulassungsbeschwerde beim Sozialgericht eingelegt und eine mündliche Verhandlung beantragt.

 

Nach einem richterlichen Hinweis des Sozialgerichts, wonach die Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheides fehlerhaft sei, weil das Rechtsmittel der Berufung gegen ihn kraft Gesetzes zulässig sei, hat die Klägerin am 28. Juli 2020 Berufung eingelegt. Sie wendet sich gegen die Beitragsnachforderung für ihre Beschäftigte, die Versicherte K. Die Klägerin habe ihr, da sie die Tätigkeit im Homeoffice verrichtet habe, für ihre Aufwendungen (für Telefon, Telefax, Zeichenpapier, etc.) zusätzlich 10 % auf die Bruttolohnsumme vergütet. Diese Zusatzbeträge unterlägen nicht der Sozialversicherung, da es sich um Kostenerstattungen gehandelt habe.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Bescheid der DRV Bund über die Nachforderung von Beiträgen für die Versicherte K vom 5. Juli 2018 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

I. Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und den ehrenamtlichen Richter sowie die ehrenamtliche Richterin entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 17. September 2020 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.

 

1. Die gemäß § 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, die entgegen der Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG im Hinblick auf die Höhe der mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachten  Beitragsforderung (1.224,89 Euro) nicht der Zulassung bedurfte, ist zulässig.

 

Die Berufung ist fristgerecht erhoben. Gemäß § 151 i.V.m. § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufung gegen Gerichtsbescheide des Sozialgerichts binnen eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim Landessozialgericht einzulegen. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Berufung beim Sozialgericht eingelegt wird. Der Gerichtsbescheid wurde der Klägerin zwar bereits am 7. August 2019 zugestellt, die erst am 28. Juli 2020 beim Sozialgericht eingelegte Berufung war gleichwohl noch rechtzeitig. Sie wahrte zwar nicht die Monatsfrist. Aufgrund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung, mit welcher das Sozialgericht den Gerichtsbescheid versehen hat, war die Einlegung der Berufung aber jedenfalls innerhalb eines Jahres noch fristgerecht. Das folgt aus § 66 SGG. Gemäß dessen Absatz 1 beginnt die Frist für ein Rechtsmittel nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Nach Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Die Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts war unrichtig, denn die Berufung gegen den Gerichtsbescheid war kraft Gesetzes zulässig und bedurfte nicht der Zulassung durch das Sozialgericht. Die Beschwer der Klägerin übersteigt die maßgebliche Grenze, den Beschwerdewert. Aufgrund der insoweit zumindest unrichtigen Rechtsmittelbelehrung war die Einlegung der Berufung auch noch im Juli 2020 rechtzeitig. Dabei kann offen bleiben, ob die Belehrung des Sozialgerichts nur schlicht „unrichtig“ oder sogar dergestalt unrichtig erfolgte, dass „ein Rechtsbehelf nicht gegeben ist“. Im ersten Fall war die Einlegung der Berufung am 28. Juli 2020 noch innerhalb der Jahresfrist, ausgehend von der Zustellung des Gerichtsbescheides (7. August 2019) und damit noch rechtzeitig, im zweiten Fall lief überhaupt keine Frist zur Einlegung der Berufung.

 

Die Berufung ist schließlich nicht deshalb unzulässig, weil die Klägerin zuvor bereits am 6. September 2019 einen Antrag auf mündliche Verhandlung und eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Sozialgericht erhoben hat. Damit lag bei Einlegung des Rechtsmittels keine anhängige Berufung vor, die eine weitere nachfolgende Berufung unzulässig machen würde. Beide Rechtsbehelfe, sowohl die Nichtzulassungsbeschwerde als auch der Antrag auf mündliche Verhandlung, sind zwar entgegen der sozialgerichtlichen Rechtsbehelfsbelehrung unzulässig. Für beide ist jedoch nicht davon auszugehen, dass mit ihnen bereits eine Berufung eingelegt wurde. Das wäre nur dann der Fall, wenn eine Umdeutung in eine Berufung möglich oder sogar geboten wäre. Es ist aber in so einem Fall davon auszugehen, dass die Rechtsbehelfe, über die eine (unrichtige) Rechtsbehelfsbelehrung belehrt hat, auch eingelegt werden sollten. Das steht einer Umdeutung in ein zulässiges Rechtsmittel entgegen  (näher Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG vor § 143 Rn. 15b, und § 144 Rn. 46a, beck-online). Nach anderer Ansicht ist eine Umdeutung einer unzulässigen Nichtzulassungsbeschwerde in eine zulässige  Berufung bereits grundsätzlich nicht möglich (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 143 SGG (Stand: 13.05.2019), Rn. 20). Der Senat geht hinsichtlich der unzulässigen Rechtsbehelfe davon aus, dass diese mit der Einlegung und Weiterverfolgung der Berufung jeweils ihre Erledigung gefunden haben. Das Sozialgericht hat darüber aber eigener Zuständigkeit zu entscheiden.

 

2. Die Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zurecht abgewiesen. Diese ist jedenfalls unbegründet.

 

a. Die Beklagte ist nicht passivlegitimiert. Die Klägerin wandte sich zwar aus Anlass der Einziehung, konkret der Vollstreckung, von Beiträgen durch die Beklagte an das Sozialgericht, die Klage war aber von Beginn an inhaltlich gegen den Betriebsprüfungsbescheid der DRV Bund gerichtet. Gemäß § 123 SGG, der den Vorrang des tatsächlichen, inhaltlichen Klagebegehrens vor der äußeren Form des Antrags betont (Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 123 SGG (Stand: 15.07.2017), Rn. 10), ist für das Klagebegehren entscheidend, welches Ziel verfolgt wird. Die Klägerin begründete ihre Klage damit, dass die Erhebung der Beiträge, wie sie die DRV Bund in ihrem Betriebsprüfungsbescheid vom 5. Juli 2018 für die Versicherte Kr vorgenommen hat, unrichtig und fehlerhaft sei. Das ergibt sich aus ihrer Klagebegründung vom 19. November 2018, in welchem sich die Klägerin auf ein offenes Widerspruchsverfahren bezieht. Ein solches existierte seinerzeit nur im Verhältnis zur DRV mit der Anfechtung des o.g. Betriebsprüfungsbescheides. Die DRV hat der Beklagten im Dezember 2018 mitgeteilt, dass sie dem Widerspruch der Klägerin nicht abgeholfen hat. Das klägerische Begehren wird bestätigt durch die Einlassungen im Berufungsverfahren, schriftlich im Schriftsatz vom 10. August 2020, in welchen die Klägerin begründet, warum aus ihrer Sicht keine Beitragspflicht vorliegt. Auch im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin geltend gemacht, der Bescheid mit der Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung sei rechtswidrig. Anlass für die Klage war somit zwar die Tätigkeit der Beklagten als Einzugsstelle, einen Bescheid, und sei es zur Durchsetzung der Forderung, hat die Beklagte aber – auch nach eigener Darstellung – nicht erlassen. Für die Anfechtungsklage gegen den Betriebsprüfungsbescheid ist die Beklagte aber nicht passivlegitimiert, denn sie hat ihn nicht erlassen, darf ihn auch nicht ändern (vgl. u.a. § 76 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch - SGB IV, dazu auch sogleich unter b).

 

b. Selbst wenn sich die Klage aber gerade auf die Tätigkeit der Beklagten richtet, die gem. § 28h Abs. 1 SGB IV als Einzugsstelle fungiert, an die die Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind (Satz 1), bleibt sie ohne Erfolg. Die Beklagte hat insoweit ausstehende Beitragsansprüche auch anderer Sozialversicherungsträger geltend gemacht (28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV). Soweit sie dies mittels schlichter Zahlungsaufforderungen getan hat oder der Ankündigung, ein bestehendes Lastschriftmandat zu nutzen, liegt darin kein anfechtbarer Verwaltungsakt, sondern ein schlicht hoheitliches Handeln (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Juli 2020 – L 4 KR 516/19 –, Rn. 35, juris). Die Rechte der Klägerin werden durch Aufforderungen und Ankündigungen der Krankenkasse, z.B. als Einzugsstelle, weder unmittelbar begründet noch geändert, aufgehoben oder mit bindender Wirkung festgestellt (Bayerisches LSG, Urteil vom 30. Juli 2020 – L 4 KR 516/19 –, Rn. 43/44, juris).

 

c. Soweit sich die Klägerin zunächst mit der Klage auch gegen die Vollstreckung wandte und deren Unterlassung oder Einstellung begehrte, hat sich das Begehren schließlich zwischenzeitlich erledigt, denn Vollstreckungsmaßnahmen finden nicht mehr statt. Nur hilfsweise weist der Senat darauf hin, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten zwar auch insoweit eröffnet war, denn die Klägerin erhob Einwendungen gegen den Bescheid selbst, nicht die Art und Weise der Vollstreckung.  Als Vollstreckungsabwehrklage analog § 767 Zivilprozessordnung (ZPO) war die Klage aber deshalb unbegründet, weil sich die Klägerin entsprechend § 767 Abs. 2 ZPO nur auf Einwendungen berufen könnte, die erst nach Erlass des Betriebsprüfungsbescheides entstanden sind (vgl. allgemein Kasseler Kommentar - Krasney a.a.O. Rn. 30). Solche Einwendungen macht die Klägerin jedoch gerade nicht geltend. Sie wendet sich gegen den Betriebsprüfungsbescheid vielmehr mit Gründen, die bereits zur Zeit der Erteilung dieses Bescheides vorlagen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 8.11.2004 – L 17 U 201/03). Wird die Vollstreckungsabwehrklage dagegen im Sozialverwaltungsverfahren für stets unanwendbar gehalten (so BSG, Urteil vom 15. Februar 1989 - 12 RK 3/88),  so waren Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt außerhalb des Vollstreckungsverfahrens geltend zu machen (Feddern in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 66 SGB X (Stand: 03.11.2020), Rn. 71). Passivlegitimiert wäre auch dafür die DRV Bund.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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