L 14 AL 36/21

Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 9 AL 120/15 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 36/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine Betreibensaufforderung ist im Hinblick auf die mit einer (fiktiven) Rücknahme verbundenen Bindungswirkung (§ 77 SGG) rechtswidrig, wenn sie sich bei noch unklarem Streitgegenstand auf eine allgemeine Aufforderung zur Klagebegründung beschränkt. 2. Das Sozialgericht hat auch dann i.S.v. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht in der Sache selbst entschieden, wenn es festgestellt hat, der Rechts-streit habe sich durch eine Klagerücknahme erledigt. 3. Der Rechtsstreit kann nach § 159 SGG an das Sozialgericht zurück-verwiesen werden, wenn der Streitgegenstand völlig ungeklärt ist, die Berufungsfähigkeit des Streitgegenstandes offen ist und in Abhängigkeit vom Streitgegenstand weitere Ermittlungen zum Sachverhalt (hier: Anhörung des Klägers, Vernehmung der ehemaligen Arbeitgeberin als Zeugin) nahe liegen, die vom Sozialgericht einfacher, wirtschaftlicher und für die Beteiligten schonender durchzuführen sind.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 6. Oktober 2020 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

 

 

Der Kläger wendet sich in der Sache gegen Bescheide der beklagten Bundesagentur für Arbeit wegen Sperrzeiten, in erster Linie aber gegen die Annahme des Sozialgerichts, seine Klage sei fiktiv zurückgenommen worden.

 

Der Kläger meldete sich zum 20. November 2012 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Am 3. April 2013 erließ die Beklagte drei Bescheide: In einem ersten Bescheid stellte sie eine Sperrzeit für die Zeit vom 20. November 2012 bis 11. Februar 2013 sowie eine Anspruchsminderung um 84 Tage fest, weil der Kläger sein Beschäftigungsverhältnis durch eigene Kündigung ohne wichtigen Grund gelöst habe. Durch den zweiten Bescheid stellte sie den Eintritt einer Sperrzeit vom 12. bis 18. Februar 2013 sowie eine Anspruchsminderung um sieben Tage fest, weil der Kläger sich nicht rechtzeitig i.S.v. § 38 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) arbeitssuchend gemeldet habe. Mit dem dritten Bescheid bewilligte sie dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 19. Februar bis 19. Juli 2013 i.H.v. 23,52 € täglich; sie ging in diesem Zusammenhang von einem Anspruchsbeginn am 20. November 2012 und einem Leistungsbetrag von 0.- € für die Zeit vom 20. November 2012 bis 18. Februar 2013 wegen zweier Sperrzeiten aus.

 

Am 11. April 2013 erhob der Kläger Widerspruch gegen den „Bewilligungsbescheid vom 03.04.2013 (Sanktion)“. Mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 19. Juli 2013, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 22. Juli 2013, wies sie zum einen den Widerspruch „wegen des Eintritts einer Sperrzeit vom 20.11.2012 bis 11.02.2013“ (Geschäftszeichen: W-03501-00963/13), zum anderen „wegen des Eintritts einer Sperrzeit vom 12.2.2013 bis 18.02.2013“ (Geschäftszeichen W-03501-01776/13) zurück.

 

Am 21. August 2013 (Mittwoch) erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers – „vorab per Computerfax“ – „wegen Arbeitslosengeld I nach dem SGB III“ Klage „gegen den Bescheid vom 03.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2013, W 963/13“ und gab zur Begründung an, begehrt werde „die Aufhebung des Sanktionsbescheides und die Erstattung der Kosten des Vorverfahrens“. Das Sozialgericht vergab für dieses Verfahren das Aktenzeichen S 19 AL 202/13.

 

Ein über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) „ohne Signatur“ am 25. August 2013 (00.25 Uhr, Sonntag) beim Sozialgericht eingegangenes Schreiben des Klägerbevollmächtigten, bezeichnet als Klage „wegen Arbeitslosengeld I nach dem SGB III“, richtete sich gegen „den Bescheid vom 03.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2013, W 1776/13“; begehrt werde „die Aufhebung des Sanktionsbescheides und die Erstattung der Kosten des Vorverfahrens“. Das Sozialgericht ordnete dieses Schreiben, dem der o.g. Bewilligungsbescheid vom 3. April 2013 sowie der Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2013 mit dem Geschäftszeichen W-03501-01776/13 beigefügt waren, ebenfalls dem Verfahren mit dem o.g. Aktenzeichen zu.

 

In seinen beiden o.g. Schreiben – sie waren jeweils auf den 21. August 2013 unter Verwendung desselben kanzleiinternen Zeichens (995/13 TL08 KR) datiert – beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers jeweils Akteneinsicht und kündigte eine Klagebegründung „danach“ an. Der Kammervorsitzende verfügte am 28. August 2013, der Beklagten eine Abschrift der „Klage vom 21.08.13 ohne Anl.“ zu übersenden und ihr mitzuteilen, dass dem Prozessbevollmächtigten des Klägers Akteneinsicht gewährt worden sei und sie – die Beklagte – die Verwaltungsakte umgehend an diesen übersenden möge. Die Geschäftsstelle des Sozialgerichts vermerkte in der Gerichtsakte, diese Verfügung am 14. Oktober 2013 ausgeführt und am 4. Dezember 2013 an die Klagebegründung mit einer Frist von drei Wochen erinnert zu haben.

 

Unter dem 1. April 2014 schrieb das Sozialgericht an den Klägerbevollmächtigten:

 

„Sehr geehrter Herr L,

 

erinnere ich an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 14.10.2013.

Die Erledigung dieser Verfügung steht bereits seit 5 Monaten aus.

 

Zur Förderung des Verfahrens fordere ich sie hiermit gemäß § 102 Abs. 2 SGG i.d.F. ab 1. April 2008 auf, die Klage zu begründen und hierfür diejenigen Tatsachen und Beweismittel vorzubringen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sich die Klägerseite in ihren Rechten verletzt sieht.

 

Ich weise darauf hin, dass die Klage nach der genannten Vorschrift als zurückgenommen gilt, wenn die Klägerseite das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Auch diese Klagerücknahmefiktion erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache.“

 

Dieses Schreiben wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 3. April 2014 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2014, beim Sozialgericht eingegangen per Computerfax am selben Tag, teilte dieser mit, dass das Rechtsschutzinteresse für das vorliegende Verfahren nicht entfallen sei. Weil dieser Schriftsatz die angeforderte Klagebegründung nicht enthalte, ging das Sozialgericht von einer Klagerücknahme aus.

 

Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage begründet (Schriftsatz vom 25. Juli 2014) und seine Auffassung mitgeteilt hatte, das Verfahren sei nicht erledigt, weil es an einer wirksamen Betreibensaufforderung fehle, führte das Sozialgericht den Rechtsstreit unter dem Az. S 19 AL 120/15 WA, später unter S 9 AL 120/15 WA, fort.

 

Mit Urteil vom 6. Oktober 2020 stellt das Sozialgericht fest, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Rücknahme der Klage erledigt sei, und führte zur Begründung aus: Die Voraussetzungen einer fiktiven Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 S. 1 und 3 SGG seien erfüllt. Die Klage sei erstmals mit Schriftsatz vom 25. Juli 2014 – und damit nach Ablauf der 3-monatigen Ausschlussfrist am 3. Juli 2014 – begründet worden. Damit sei die (wirksame) Betreibensaufforderung vom 1. April 2014 nicht erfüllt. Durch den Schriftsatz vom 3. Juli 2014 werde die dem Kläger in der Betreibensaufforderung aufgegebene Handlung nicht vollständig erfüllt. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung hätten Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses des Klägers bestanden. Mit Blick auf die Mitwirkungspflicht der Beteiligten (§ 103 S. 1 Hs. 2 SGG) und die Regelung des § 92 Abs. 1 S. 4 SGG bestünden schon keine Bedenken, jedenfalls von einem anwaltlich vertretenen Beteiligten eine solche Angabe zu verlangen und bei deren Ausbleiben über mehrere (hier 5) Monate eine entsprechende Betreibensaufforderung zu erlassen. Dies gelte umso mehr, wenn – wie hier – die Klage zunächst ohne Begründung mit dem Begehren der Akteneinsicht erhoben und eine Klagebegründung nach dieser angekündigt werde. Das Ausbleiben der Begründung sowie das Fehlen jeglicher sonstiger Reaktion habe den Eindruck erwecken dürfen, die Klage sei lediglich zur Fristwahrung erhoben und nach der entsprechenden Einsichtnahme in die Verwaltungsakten bestehe kein weitergehendes Interesse am Rechtsstreit mehr. Berufungszulassungsgründe lägen nicht vor.

 

Auf die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat die Berufung des Klägers zugelassen (Beschluss vom 12. März 2021).

 

Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung vor: Das Sozialgericht hätte in der Sache entscheiden müssen, weil eine Klagerücknahmefiktion im vorliegenden Fall nicht eingetreten sei. Daher sei das Verfahren an das Sozialgericht zurückzuverweisen.

 

Der Kläger beantragt sinngemäß,

 

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 6. Oktober 2020 aufzuheben und den Rechtsstreit an den Sozialgericht zurückzuweisen,

 

hilfsweise,

 

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 6. Oktober 2020 und die Bescheide der Beklagten vom 3. April 2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Juli 2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch Arbeitslosengeld für die Zeit vom 20. November 2012 bis 18. Februar 2013 zu zahlen.

 

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die Berufung ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Rücknahme der Klage erledigt sei. Weil das Sozialgericht nicht in der Sache entschieden hat, verweist der Senat den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurück.

 

I. Das Urteil des Sozialgericht ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache nicht durch eine (fiktive) KIagerücknahme erledigt worden. Denn es lag keine wirksame Betreibensaufforderung vor.

 

a. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erledigt die Klagerücknahme den Rechtsstreit in der Hauptsache. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Auch eine solche fiktive Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGG). Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 ergebende Rechtsfolge hinzuweisen (§ 102 Abs. 2 Satz 3, 1. Alt. SGG).

 

Die Annahme des Sozialgerichts, die Hauptsache sei durch eine fiktive Rücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG erledigt worden, war nicht gerechtfertigt. Eine den Anforderungen dieser Vorschrift genügende Betreibensaufforderung lag nicht vor. Zwar kann auch nur die Aufforderung, eine Klage bzw. eine Berufung zu begründen, zulässiger Inhalt einer Betreibensaufforderung sein (BSG, Beschluss vom 08. Dezember 2020 – B 4 AS 280/20 B –, juris, Rn. 13). Die Betreibensaufforderung muss aber auch den bisher erreichten und dem Gericht bekannten Verfahrensstand ausreichend berücksichtigen (BSG, Beschluss vom 28. November 2019 – B 7 AY 2/18 B –, juris, Rn. 9).Aufgrund der mit einer (fiktiven) Klagerücknahme verbundenen Erledigung des Rechtsstreits darf insbesondere nicht offen bleiben, welche Bescheide infolge der Erledigung in Bestandskraft erwachsen, wie weit demgemäß die Bindung der Beteiligten reicht (§ 77 SGG).

 

b. Diesen Anforderungen genügte die Betreibensaufforderung des Sozialgerichts vom 1. April 2014 nicht, weil sie die besonderen Umstände des vorliegenden Falles nicht berücksichtigte.

 

aa. Zum damaligen Zeitpunkt war das mit der Klage verfolgte Ziel unklar. Während sich die am 21. August 2013 eingegangene Klageschrift „gegen den Bescheid vom 03.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2013, W 963/13“ richtete und die Mitteilung enthielt, dass „die Aufhebung eines Sanktionsbescheids und die Erstattung von Kosten des Vorverfahrens“ begehrt werde, heißt es in der am 25. August 2013 eingegangenen Klageschrift, sie richte sich „gegen den Bescheid vom 03.04.2013 in der Gestalt der Widerspruchbescheides vom 19.07.2013, W 1776/13“; außerdem war dieser Klageschrift dieser Widerspruchsbescheid sowie der o.g. Bescheid vom 3. April 2013, mit dem Leistungen ab dem 19. Februar 2013 bewilligt, für davorliegende Zeiträume aber wegen zweier, auf unterschiedliche Tatbestände gestützter Sperrzeiten abgelehnt worden war, beigefügt. Bei dieser Sachlage war der Streitgegenstand nicht geklärt.

 

Denkbar wäre zum einen, dass Streitgegenstand nur die Sperrzeit vom 20. November 2012 bis 11. Februar 2013 und die hierauf bezogenen Bescheide waren. Hierfür spräche, dass die am 21. August 2013 – somit innerhalb der am 22. August 2013 endenden Klagefrist – eingegangene Klageschrift den entsprechenden Widerspruchsbescheid mit der Widerspruchsnummer W 963/13 benannte. Soweit die am 25. August 2013 eingegangene Klageschrift demgegenüber den Widerspruchsbescheid mit der Widerspruchsnummer W 1776/13 angab, könnte es sich um eine weitere Klage gehandelt haben. Denkbar wäre zum anderen, dass es sich bei der am 25. August 2013 eingegangenen Klageschrift um das Original zu der am 21. August 2013 „vorab per Computerfax“ eingegangenen Klageschrift handelt und die Angaben zur Widerspruchsnummer insofern korrigiert werden sollten. Streitgegenstand wäre dann nur die Sperrzeit vom 12. bis 18. Februar 2013. Denkbar wäre schließlich auch, dass der Kläger mit der am 25. August 2013 eingegangenen Klageschrift die bereits am 21. August 2013 erhobene Klage erweitern wollte. Streitgegenstand wären dann beide o.g. Sperrzeiten.

 

Für die Bestimmung des Streitgegenstandes ist es unerheblich, ob eine am 25. August 2013 zusätzlich erhobene Klage oder eine an diesem Tag vorgenommene Klageerweiterung zulässig gewesen wären. Denn was Streitgegenstand eines sozialgerichtlichen Klageverfahrens ist, unterliegt der Dispositionsbefugnis des Klägers; maßgeblich ist das von ihm Gewollte (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, So­zialgerichtsgesetz, 13.A., § 95 Rn. 5a; BSG, Urteil vom 23. Februar 2005 – B 6 KA 77/03 R –, juris, Rn. 15; Föllmer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1.A., § 92 SGG (Stand: 18.5.2021), Rn. 31, 37; BeckOGK/Hübschmann, Stand: 1.5.2021, SGG § 123 Rn. 2 ff; jeweils m.w.N.).

 

bb. Die Bestimmung des Streitgegenstandes dient u.a. der Klärung, wie weit die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung reicht und ob. ggf. eine Klagehäufung bzw. -erweiterung vorlag (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13.A., § 95 Rn. 4). Im vorliegenden Fall war zumindest zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung – der erst danach verfasste Schriftsatz der Klägerseite vom 25. Juli 2014 hat insoweit außer Betracht zu bleiben, könnte aber ein Indiz sein, dass nur die Sperrzeit vom 12. bis 18. Februar 2013 Streitgegenstand sein sollte – unklar, welche(r) Bescheid(e) im Falle einer fiktiven Rücknahme bestandskräftig werden würde(n).

 

Der Senat lässt offen, ob bei ungeklärtem Streitgegenstand eine Betreibensaufforderung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Er verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass das Sozialgericht bei mehrdeutigem klägerischen Vorbringen eine Klärung des Streitgegenstandes lediglich versuchen, aber nicht erzwingen kann. Es ist jedoch im Rahmen seiner Pflicht nach § 106 Abs. 1 SGG gehalten, auf eine Klärung des Streitgegenstandes hinzuwirken. Hierdurch wird den Beteiligten, entsprechend ihrer Mitwirkungslast (§ 103 Satz 1 SGG; näher hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13.A., vor § 60, Rn. 4b m.w.N.), ermöglicht, unklare Anträge zu erläutern und sachdienliche Anträge zu stellen (vgl. § 106 Abs. 1 SGG). Das Sozialgericht hätte im vorliegenden Fall daher die Unklarheiten hinsichtlich des Streitgegenstands berücksichtigen müssen, indem sie der Klägerseite – spätestens mit der Betreibensaufforderung – eine entsprechende Klarstellung ausdrücklich aufgibt. Weil in der Betreibensaufforderung vom 1. April 2014 ein solcher Hinweis fehlt, ist sie unwirksam.

 

II. Im vorliegenden Fall macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen.

 

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

 

1. Unerheblich ist, dass durch das angefochtene Urteil vom 6. Oktober 2020 nicht die Klage abgewiesen, sondern festgestellt wurde, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Klagerücknahme erledigt sei. Maßgeblich ist allein, dass das Sozialgericht durch diese Feststellung ein Prozessurteil ohne Entscheidung in der Sache selbst, d.h. ohne Entscheidung über die klägerseitig geltend gemachten materiell-rechtlichen Ansprüche, erlassen hat (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1981 – 3 RK 61/80 –, juris, Rn. 18 f.; Adolf, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1.A., § 159 SGG (Stand: 15.07.2017), Rn. 15; Rieke, in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1.A., § 159 SGG (Stand: 01.11.2020), Rn. 6). Soweit demgegenüber in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten wird, das Tatbestandsmerkmal „ohne in der Sache selbst zu entscheiden“  sei (nur) bei einer Abweisung der Klage als unzulässig gegeben (Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3.A., § 159 SGG, Rn. 4; Binder, in: Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, SGG § 159 Rn. 6), geht der Senat davon aus, dass insoweit die hier vorliegende Konstellation wohl nicht mitbedacht wurde, obwohl es ebenfalls an einer Entscheidung in der Sache selbst fehlt.

 

2. Das ihm durch § 159 Abs. 1 SGG eingeräumte Ermessen übt der Senat dahin aus, dass er den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückverweist.

 

a. Bei der Ermessensausübung im Rahmen von § 159 Abs. 1 SGG hat das Landessozialgericht grundsätzlich das Interesse der Beteiligten an einem möglichst baldigen Verfahrensabschluss einerseits und ihr Interesse, keine Instanz zu verlieren, andererseits zu würdigen (BeckOGK/Sommer, Stand: 1.5.2021, SGG § 159 Rn. 16). Berücksichtigt werden darf insoweit die Arbeitsbelastung der ersten und zweiten Instanz, die Bedeutung des Verfahrensfehlers, prozessökonomische Gesichtspunkte – etwa der Umstand, dass die Sachaufklärung durch das ortsnahe Sozialgericht wirtschaftlicher, schneller oder für die Beteiligten schonender vorzunehmen ist –, der Wille der Beteiligten, aber auch, ob das erstinstanzliches Verfahren überhaupt Grundlage für das Berufungsverfahren sein kann (vgl. insgesamt Sommer a.a.O.; Binder a.a.O. Rn. 8; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13.A., § 159 Rn. 5; BSG, Urteil vom 15. November 1995 – 6 RKa 58/94 –, juris Rn. 18; BGH  NJW 2008, 1672; jeweils m.w.N.). Typischerweise ausgeschlossen ist eine Zurückverweisung, wenn der Sachverhalt ausermittelt ist oder das Berufungsverfahren schon längere Zeit andauert (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 159 Rn. 5; Binder a.a.O.; Frehse, in: Jansen, SGG, 4.A., § 159 Rn. 34). Nicht ermessensfehlerhaft ist es, eine Zurückverweisung als Ausnahme anzusehen und bei Entscheidungsreife hiervon Abstand zu nehmen (BSG, Beschluss vom 19. Januar 2011 – B 13 R 211/10 B –, Rn. 19; vgl. auch Beschluss vom 07. Mai 2009 – B 14 AS 91/08 B –, Rn. 7; Beschluss vom 16. Dezember 2003 – B 13 RJ 194/03 B –, Rn. 9; jeweils m.w.N.).

 

b. Nach diesem Maßstab sprechen nach Auffassung des Senats die gewichtigeren Gründe für eine Zurückverweisung.

 

Er hat insoweit einerseits berücksichtigt, dass durch die Zurückverweisung die Erledigung des Rechtsstreit voraussichtlich verzögert wird. Andererseits sieht er die sonstigen Umstände als so stark verdichtet an, dass er den Ausnahmefall einer Zurückverweisung – auch wegen der kurzen Dauer des Berufungsverfahrens von unter vier Monaten und dem ausdrücklichen Zurückverweisungsantrag des Klägers – bejaht.

 

So enthält das sozialgerichtliche Urteil – von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent – weder für die materiell-rechtlichen Ansprüche relevanten Feststellungen zum Sachverhalt noch entsprechende rechtliche Ausführungen. Gerade weil das Sozialgericht sich mit der Frage nach dem Streitgegenstand nicht befasst hat, enthält sein Urteil nichts, auf dem der Senat als Berufungsinstanz (vgl. § 29 Abs. 1 SGG) aufbauen könnte. Wegen des ungeklärten Streitgegenstands ist es z.B. nicht ausgeschlossen, dass die angefochtenen Bescheide ohnehin nur durch eine Gerichtsinstanz zu überprüfen sind, etwa wenn nur die Sperrzeit vom 12. bis 18. Februar 2013 im Streit stehen sollte und daher der Berufungsstreitwert von 750.- € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) nicht erreicht wird. Wäre der Streitgegenstand insoweit begrenzt, ist es sachgerecht, den Rechtsstreit durch das insoweit instanziell allein zuständige Sozialgericht entscheiden zu lassen.

 

Wegen des ungeklärten Streitgegenstandes ist aber auch der Umfang der erforderlichen Amtsermittlung (§ 103 SGG) völlig offen: Steht nur die o.g. kurze Sperrzeit im Streit, dürfte zu prüfen sein, ob dem Kläger die verspätete Arbeitssuchendmeldung subjektiv vorzuwerfen ist (BSG, Urteil vom 13. März 2018 – B 11 AL 12/17 R –, juris, Rn. 12, m.w.N.). Hierzu könnte eine persönliche Anhörung des Klägers durch das Sozialgericht zur Beurteilung der subjektiven, d.h. in der Person des Klägers liegenden Umstände, etwa seiner persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit (vgl. zum subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab bei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X: BSG, Urteil vom 05. September 2006 – B 7a AL 14/05 R –, juris, Rn. 24), erforderlich sein. Steht hingegen die (lange) Sperrzeit vom 20. November 2012 bis 11. Februar 2013 im Streit, dürfte zu prüfen sein, ob dem Kläger ein wichtiger Grund i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB III zur Seite stand. Im Hinblick auf die klägerseitig hierzu vorgebrachten Umstände könnte ggf. seine frühere Arbeitgeberin zu befragen, ggf. deren Inhaber/in zeugenschaftlich zu vernehmen sein. Diese Ermittlungen sind einfacher, wirtschaftlicher und für die Beteiligten schonender vom Sozialgericht durchzuführen: Denn während Kläger und mögliche Zeugen für einen Termin am LSG eine Wegstrecke von jeweils 150 km bewältigen müssten, betrüge diese bei einem Termin am Sozialgericht in Cottbus für den Kläger ca. 50 km; für die in Cottbus ansässige frühere Arbeitgeberin entfiele der Anfahrtsweg fast vollständig.

 

Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., Rn. 5f).

 

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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