L 16 R 796/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16.
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 1 R 96/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 796/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 

Die Klägerin begehrt höhere Witwenrente nach Feststellung eines Rückausgleichs von im Wege des Versorgungsausgleichs übertragenen Rentenanwartschaften.

 

Die 1975 geborene, in Vietnam lebende Klägerin ist die Witwe des am 3. März 2016 verstorbenen, am 16. Juni 1953 geborenen A E (Versicherter), den sie am 29. Oktober 2010 geheiratet hatte. Dessen erste Ehe war geschieden und zu seinen Lasten nach der Scheidung im Jahr 1988 ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden. Die ausgleichsberechtigte Ehefrau, deren Versicherungskonto bei der beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Bund geführt wird, verstarb am 18. Januar 2008, ohne Leistungen aus den übertragenen Anwartschaften erhalten zu haben. Der Versicherte selbst bezog vor seinem Tod keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

 

Die Beklagte bewilligte der Klägerin für die Zeit ab 3. März 2016 antragsgemäß kleine Witwenrente (WR) und berücksichtigte bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (EP) einen Abschlag aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich (Bescheid vom 9. Mai 2016; Zahlbetrag ab 1. Juli 2016 = 354,10 €). Die Rente werde neu festgestellt, sobald über den Antrag der Klägerin vom 31. März 2016 auf Anpassung wegen Tod der ausgleichsberechtigten Person entschieden worden sei. Mit Bescheid vom 17. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 lehnte die Beklagte eine Neufeststellung der WR wegen „Aussetzung der Kürzung“ nach § 37 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) ab, weil die Klägerin insoweit nicht antragsberechtigt sei. Das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) hat die auf ungekürzte Rentenzahlung gerichtete Klage mit gleichlautender Begründung abgewiesen (Urteil vom 17. Oktober 2018). Ein Anspruch der ausgleichspflichtigen Person, hier des Versicherten, gehe nur unter den vorliegend nicht erfüllten Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 VersAusglG auf die Erben über und betreffe ausschließlich Zeiträume vor dem Tod des Ausgleichspflichtigen.

 

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Sie sei als Alleinerbin ebenfalls antragsberechtigt iSd §§ 37 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG. Dies folge aus der Verweisung in § 38 Abs. 2 VersAusglG auf § 34 Abs. 4 VersAusglG. Im Übrigen ergebe sich ein Antragsrecht der Klägerin auch aus Verfassungsrecht. Ein Antragsausschluss verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG).

 

Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,

 

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Oktober 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Wert ihres Rechts auf kleine Witwenrente für die Zeit ab 3. März 2016 unter Feststellung des Rückausgleichs ohne Abschlag an Entgeltpunkten für den durchgeführten Versorgungsausgleich festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihr entsprechend höhere Witwenrente zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Die Beigeladene hat keinen Berufungsantrag gestellt.

 

Die Verwaltungsakten der Beklagten und Beigeladenen haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 153 Abs.1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Neufeststellung ihrer WR ohne Abschlag von EP für den durchgeführten Versorgungsausgleich und Zahlung höherer Rentenbeträge für die Zeit ab 3. März 2016.

 

Gegenstand des Verfahrens sind neben der angefochtenen Entscheidung des SG der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2016, mit dem die Beklagte – entsprechend ihrem Vorbehalt im WR-Rentenbescheid vom 9. Mai 2016 – eine Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Rückausgleich getroffen und insoweit eine Neufeststellung des Werts des Rechts der Klägerin auf kleine WR für die Zeit ab 3. März 2016 und die Zahlung entsprechend höherer Rentenbeträge abgelehnt hat. Bei verständiger Würdigung ihres Vorbringens (vgl § 123 SGG) wendet sich die Klägerin mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) gegen den einen Rückausgleich ablehnenden Bescheid, macht mit der Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt 3 SGG) die Festsetzung eines höheren Rentenwerts unter Außerachtlassung des Abschlags aus dem Versorgungsausgleich sowie mit der unechten Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) die Zahlung eines höheren monatlichen Rentenbetrags geltend, und zwar zulässigerweise im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG).

 

Grundlage für die Ermittlung der persönlichen EP sind bei Witwenrenten die EP des verstorbenen Versicherten (§ 66 Abs. 2 Nr 2 SGB VI). Die persönlichen EP für die Ermittlung des Monatsbetrags der Rente ergeben sich, indem die Summe der EP mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt und ua bei Witwenrenten um einen Zuschlag erhöht wird (§ 66 Abs. 1 SGB VI). Zu den Summanden, die durch Addition "die Summe der EP" ergeben, zählen gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI ua auch "Abschläge aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich", die ihrerseits aus einer Übertragung von Rentenanwartschaften zu Lasten des Versicherten resultieren (§ 76 Abs. 3 SGB VI). Die Übertragung von Rentenanwartschaften regelte § 1587b Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in seiner bis zum 31. August 2009 geltenden Altfassung. Danach übertrug das Familiengericht im Rahmen des Scheidungsverfahrens von Amts wegen (vgl § 623 Abs. 1 Satz 3 Zivilprozessordnung in seiner bis zum 31. August 2009 geltenden Altfassung) Rentenanwartschaften in Höhe der Hälfte des Wertunterschieds, wenn ein Ehegatte in der Ehezeit Rentenanwartschaften in einer gesetzlichen Rentenversicherung iS des § 1587a Abs. 2 Nr. 2 BGB aF erworben hatte und diese die Anwartschaften iS des § 1587a Abs. 2 Nr. 1, 2 BGB aF überstiegen, die der andere Ehegatte in der Ehezeit erworben hatte (sog Rentensplitting).

 

Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Rückausgleich ist an den Regelungen des am 1. September 2009 in Kraft getretenen VersAusglG zu messen. Dieses Gesetz ist auch auf die bereits zuvor vollzogenen Versorgungsausgleiche anzuwenden, da das Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) mit dem 1. September 2009 außer Kraft getreten ist (Art 23 Satz 1, Satz 2 Nr 2 des Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs vom 3. April 2009, BGBl I 700). Nach der Übergangsvorschrift des § 49 VersAusglG ist das frühere Recht nur dann weiterhin anzuwenden, wenn für Verfahren nach den §§ 4 bis 10 VAHRG der Antrag vor dem 1. September 2009 eingegangen ist, was vorliegend nicht der Fall ist.

 

Die früher geltenden Vorschriften des § 4 iVm § 9 VAHRG über den sog "Rückausgleich", dh den Bezug einer Rente ohne Abschläge trotz zuvor wegen des Versorgungsausgleichs übertragener Anwartschaften, sind durch die §§ 3738 VersAusglG abgelöst worden.

 

Ist die ausgleichsberechtigte Person – hier die geschiedene erste Ehefrau des Versicherten - gestorben, so wird ein Anrecht der ausgleichspflichtigen Person – hier des Versicherten - auf Antrag nicht länger auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt (§ 37 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG). Gemäß § 38 Abs. 1 VersAusglG entscheidet über die Anpassung der Versorgungsträger, bei dem das auf Grund eines Versorgungsausgleichs gekürzte Anrecht besteht (Satz 1). Antragsberechtigt ist die ausgleichspflichtige Person (Satz 2). § 34 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend (§ 38 Abs. 2 VersAusglG).

 

Nach den genannten Regelungen, die insoweit gegenüber dem VAHRG Einschränkungen enthalten, war und ist die Klägerin nicht antragsberechtigt. Nach § 38 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG ist antragsberechtigt für die "Anpassung" den Rückausgleich) nur noch der ausgleichspflichtige Ehepartner, nicht mehr ein Hinterbliebener (wie noch nach § 9 Abs. 2 Satz 1 VAHRG). Dem entspricht, dass § 37 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG nur noch davon spricht, dass ein Anrecht "der ausgleichspflichtigen Person" nicht länger aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt wird (§ 4 Abs 1 VAHRG betraf noch die Versorgung "des Verpflichteten oder seiner Hinterbliebenen"). Hierzu heißt es in den Materialien (BT-Drucks 16/10144, S 75): „Anders als in § 4 Abs. 1 VAHRG ist aber ein Anpassungsanspruch nicht mehr vorgesehen, wenn  die Hinterbliebenen der ausgleichspflichtigen Person von der Anpassung profitieren würden. Diese haben kein schutzwürdiges Interesse an der Rückgängigmachung der Versorgungskürzung. Die Witwe oder der Witwer der ausgleichspflichtigen Person konnte und musste damit rechnen, dass die (Hinterbliebenen-) Versorgung der ausgleichspflichtigen Person um den für den Versorgungsausgleich abgezogenen Betrag reduziert war." Letzteres trifft exakt die vorliegende Fallkonstellation.

 

Demgemäß hat das Bundessozialgericht (BSG), dessen Rspr der Senat zugrunde legt, auch bereits entschieden, dass Hinterbliebene nicht berechtigt sind, eine Anpassung wegen Tod der ausgleichsberechtigten Person zu beantragen. „Ihnen ist der Rückausgleich versperrt“ (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 5 R 2/12 R = SozR 4-2600 § 88 Nr 2 – Rn 16; vgl auch gleichlautend BSG, Urteil vom 24. April 2014 – B 13 R 25/12 R = SozR 4-2600 § 88 Nr 3 – Rn 15,16). Die Bestandsschutzregelung des § 88 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) ist hier von vornherein nicht einschlägig, weil der Versicherte keine Rente aus eigener Versicherung bezogen hatte (vgl hierzu BSG aaO Rn 17 ff).

 

Allein die entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 34 Abs. 4 VersAusglG sieht einen Übergang des – der ausgleichspflichtigen Person zustehenden - Anspruchs auf Anpassung auf die Erben vor, wenn der Erblasser den Antrag auf Anpassung wegen Tod der ausgleichsberechtigten Person gestellt hatte. Dies war vorliegend indes nicht der Fall. Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt hieraus nicht, dass das „Anrecht“ iSv § 37 Abs.1 Satz 1 VersAusglG, das nur der ausgleichspflichtigen Person zusteht, auf die Erben übergeht, sondern nur der durch einen Antrag der ausgleichspflichtigen Person vor deren Tod ausgelöste Anpassungsanspruch, der sich folgerichtig auch nur auf etwaige Nachzahlungen laufender Geldleistungen des Ausgleichspflichtigen bis zu dessen Tod erstrecken kann (vgl auch gleichlautend Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 14. Juni 2016 – W 1 K 15.871 – juris – Rn 25 mwN; zu § 4 Abs. 2 VAHRG auch BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 5 R 2/12 R – Rn 16).

 

Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht ergibt sich hieraus nicht. Es ist schon nicht erkennbar , woraus sich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG ergeben sollte. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, Inhaber der Anrechte auf eine Altersversorgung und deren Hinterbliebene gleich zu behandeln, zumal das Rechtsverhältnis zwischen Versichertem und Rentenversicherungsträger dem Hinterbliebenen ein eigenständiges Recht auf entsprechende Leistungen vermittelt (vgl BSG SozR 4-2600 § 307b Nr 4, Nr 10). Es unterfällt grundsätzlich der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die Grenzen für eine „Rückabwicklung“ des Versorgungsausgleichs zu ziehen und die Gruppe der Ausgleichsverpflichteten zu bestimmen, die bei Vorversterben der ausgleichsberechtigten Person einen Anspruch bzw eine Anwartschaft zurückgewinnen (vgl schon BVerfG, Urteil vom 5. Juli 1989 – 1 BvL 11/87, 1 BvR 1053/87, 1 BvR 556/88 – juris). Auch die „Kürzung“ der Ansprüche auf Rente der ausgleichspflichtigen Person bzw deren Hinterbliebenen verfehlt nicht bereits dann ihren Zweck, wenn die ausgleichsberechtigte Person aufgrund eines frühen Todes – wie hier – keine entsprechende Rente bzw Versorgung hat. Nach Durchführung des Versorgungsausgleichs setzt sich das versicherungstypische Risiko statistisch unterdurchschnittlicher Leistungen zwangsläufig in beiden Hälften des geteilten Anrechts auf je eigene Weise fort. Erhält die ausgleichsberechtigte Person aufgrund ihres konkreten Versicherungsverlaufs im statistischen Vergleich weniger Leistungen aus dem übertragenen Anrecht, realisiert sich darin das typische Versicherungsrisiko allein der ausgleichsberechtigten Person. Für die ausgleichspflichtige Person ist dies ohne Bedeutung. Denn die im Versorgungsausgleich zwischen den Geschiedenen geteilten Versorgungsanrechte sind ab der Teilung voneinander unabhängig. Während der Ehe steht jedes Anrecht einem Ehepartner formal ungeteilt zu und folgt einem einheitlichen Versicherungsverlauf, der sich im Wesentlichen am Inhaber des Anrechts ausrichtet. Durch den Versorgungsausgleich werden die einzelnen ehezeitlich erworbenen Rechte zwischen den geschiedenen Ehegatten in zwei Hälften geteilt, die den beiden je eigenen Versicherungsschutz vermitteln. Dabei entstehen zwei selbständige Versicherungsverhältnisse, so dass die rentenrechtlichen Schicksale der geschiedenen Ehegatten grundsätzlich unabhängig voneinander zu sehen sind (vgl BVerfGE 80, 297, 312; BVerfGE 136, 152-190). Ein Verstoß gegen Art. 6 GG bzw Art. 14 GG ist danach nicht erkennbar.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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