L 18 AS 998/18 WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 AS 30022/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 998/18 WA
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung und die Klage werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. April 2016 sowie der Bescheid des Beklagten vom 26. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 und in der Fassung des Bescheides vom 18. Dezember 2019 aufgehoben.

 

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 

Der Kläger wendet sich gegen eine Minderung von Arbeitslosengeld (Alg) II nach           § 31a Absatz 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Höhe von zuletzt noch 30 Prozent des für ihn maßgebenden Regelbedarfs für die Zeit vom 1. September 2014 bis zum 30. November 2014 sowie die entsprechende Änderung der für diesen Zeitraum geltenden Leistungsbewilligung.

 

Der 1957 geborene Kläger, der seit 2005 als Berater, Autor und Dozent selbständig tätig ist, bezieht seit dem 1. Januar 2006 Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Dieser stellte zuletzt von November 2013 bis Januar 2014 (Bescheid vom 22. Oktober 2013; Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2013; Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Berlin vom 28. April 2015 noch anhängig beim Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen L 31 AS 264/20 WA), von Februar bis April 2014 (Bescheid vom 6. Januar 2014; Widerspruchsbescheid vom 1. April 2014; Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch anhängig beim Bundessozialgericht <BSG> gegen das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom        14. Oktober 2020 - L 32 AS 2345/15) und von April bis Juni 2014 (Bescheid vom         13. März 2014; Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2014; Berufung gegen das Urteil des SG Berlin vom 22. Dezember 2016 noch anhängig beim LSG Berlin-Brandenburg zum Aktenzeichen L 34 AS 201/17) wegen wiederholter Pflichtverletzungen in Form des fehlenden Nachweises von monatlich zehn Bewerbungsbemühungen jeweils gegenüber dem Kläger einen vollständigen Entfall des Alg II fest.

 

Mit Bescheid vom 11. Juli 2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger auf dessen Weiterbewilligungsantrag vom 7. Juli 2014 – im Hinblick auf die noch nicht feststehenden Einnahmen aus dessen selbständiger Tätigkeit – vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 in Höhe von monatlich 763,96 Euro (Regelbedarf: 391,00 Euro; Kosten der Unterkunft und Heizung: 372,96 Euro).

 

Unter dem 25. Juni 2014 ersetzte der Beklagte den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt (im Folgenden: Eingliederungsverwaltungsakt), nachdem der Kläger eine inhaltsgleiche Eingliederungsvereinbarung mit dem Zusatz unterschrieben hatte „Unterschrift unter Vorbehalt der rechtlichen Prüfung sowie dass das Grundgesetz in keiner Weise außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt wird“. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass der Verhandlungsprozess zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung gescheitert sei, weil der Kläger die Regelungen des SGB II für menschenunwürdig und verfassungswidrig erachte. Der Kläger habe wiederholt geäußert, dass er nicht bereit sei, Bewerbungsbemühungen zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu unternehmen, um seine Hilfebedürftigkeit zu beenden. Die nachfolgend wiedergegebenen Festlegungen sollten nach dem Eingliederungsverwaltungsakt für die Zeit vom 25. Juni 2014 bis zum 31. Dezember 2014 gelten, soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wurde. Als Ziel wurde die Integration des Klägers in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung benannt.

 

Der Beklagte bot dem Kläger in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 durch einen persönlichen Ansprechpartner Unterstützung und Beratung bei der Integration in Arbeit an, bei Vorliegen geeigneter Stellenangebote das Unterbreiten von Vermittlungsvorschlägen, die Unterstützung von Bewerbungsaktivitäten durch die Übernahme angemessener nachgewiesener Kosten für schriftliche, per Post versandte Bewerbungen, sofern dies vorher beantragt werde, in pauschalierter Form mit 5,00 Euro pro nachgewiesener Bewerbung bis zu einem jährlichen Höchstbetrag von 260,00 Euro, sowie durch Übernahme angemessener und nachgewiesener Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen, sofern dies vor Fahrtantritt beantragt werde, die Aushändigung eines Gutscheins für die Teilnahme an einer Maßnahme nach § 16  Absatz 1 SGB II in Verbindung mit § 45 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III), soweit dies für die berufliche Eingliederung des Klägers notwendig sei und die Förderung der beruflichen Weiterbildung nach § 16 SGB II in Verbindung mit § 81 SGB III nach Antragstellung und vorheriger Beratung.

 

Der Kläger wurde in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 verpflichtet, jede Möglichkeit zu nutzen, um die Hilfebedürftigkeit zu beenden, im Turnus von einem Monat jeweils mindestens zehn Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und darüber im Anschluss eine Auflistung zu im Einzelnen benannten Zeitpunkten vorzulegen sowie sich zeitnah auf Vermittlungsvorschläge der Arbeitsverwaltung zu bewerben. Darüber hinaus wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass grundsätzlich die Möglichkeit der Beantragung eines Eingliederungszuschusses durch einen potentiellen Arbeitgeber sowie der Vorlage in einer Eingliederungsvereinbarung vom 18. Januar 2013 angeforderter Unterlagen zur Bewertung der Tätigkeit des Klägers als Dozent und Referent bestehe, um die seinerzeitige Eingliederungsstrategie fortzusetzen. Aufgrund des Wechsels der Eingliederungsstrategie bestehe dazu jedoch keine Verpflichtung mehr.

 

In der Rechtsfolgenbelehrung des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 25. Juni 2014 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass aufgrund des zuletzt erfolgten wiederholten Pflichtverstoßes jeder weitere wiederholte Pflichtverstoß zu einem vollständigen Wegfall des Alg II für drei Monate führen werde. Einen – mit Ausnahme der Möglichkeit der Aushändigung eines Gutscheins nach § 45 SGB III – inhaltsgleichen Eingliederungsverwaltungsakt hatte der Beklagte bereits unter dem 18. Juli 2013 für die Zeit vom 18. Juli 2013 bis zum 17. Januar 2014 erlassen, dessen Verpflichtung zu mindestens zehn monatlichen Bewerbungsbemühungen Grundlage für das eingangs dargestellte vollständige Entfallen des Alg II von November 2013 bis Juni 2014 war.

 

Mit Schreiben vom 11. August 2014 hörte der Beklagte den Kläger zum möglichen Eintritt einer Sanktion unter Hinweis auf die Möglichkeit der Gewährung ergänzender Sachleistungen in Höhe von 196,00 Euro an, weil dieser die bis zum 10. August 2014 vorzulegenden Nachweise über seine Bewerbungsbemühungen für Juli 2014 nicht eingereicht habe. In einer internen Email vom 6. August 2014 hatte eine Mitarbeiterin des Beklagten zuvor darauf hingewiesen, dass die Fortsetzung der Sanktionierung des Klägers vorgesehen sei. Um die nächste Sanktion noch ab September 2014 umsetzen zu können, sei geplant, den Kläger am 11. August 2014 hinsichtlich seiner Bewerbungsbemühungen für Juli 2014 mit Frist zum 25. August 2014 anzuhören. Sollte keine Antwort eingehen oder diese keine wichtigen Gründe beinhalten, wäre am 26. August 2014 ein Sanktionsbescheid zu fertigen. Mit Zustellungsurkunde sollte dieser bis zum Ende des Monats auf jeden Fall den Kläger erreicht haben. Um diesen Plan umzusetzen, müsse der für den 22. August 2014 anstehende Zahllauf beim Kläger gesperrt werden. Aus der wenige Minuten später erfolgten Email-Antwort ging hervor, dass die Sperrung für September 2014 bereits veranlasst worden sei.

 

Mit Bescheid vom 26. August 2014 stellte der Beklagte für die Zeit vom 1. September bis zum 30. November 2014 den vollständigen Wegfall des Alg II für den Kläger fest, weil dieser wiederholt seinen Pflichten nicht nachgekommen sei. Der Bescheid vom 11. Juli 2014 werde insoweit für die Zeit von September bis November 2014 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ganz aufgehoben. Der Beklagte wies den Kläger erneut darauf hin, dass auf Antrag ergänzende Sachleistungen für den Minderungszeitraum erbracht werden könnten.

 

Mit seinem am 13. September 2014 beim Beklagten eingegangenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. August 2014 trug der Kläger vor, dass er sich nicht an den Eingliederungsverwaltungsakt gebunden fühle, weil er zuvor freiwillig eine Leistung angeboten habe, die ihm dann per Zwang zugeordnet worden sei; jeder Vertrag müsse rechtlich überprüfbar und verfassungsmäßig sein. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2014 mit der Begründung zurück, der Kläger sei seiner aus dem Eingliederungsverwaltungsakt folgenden Pflicht zum Nachweis von monatlich zehn Bewerbungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen für den Monat Juli 2014 wiederum bewusst nicht nachgekommen. Es sei sachgerecht gewesen, die Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt zu erlassen, weil der Kläger nicht bereit gewesen sei, eine Eingliederungsvereinbarung mit Rechtsbindungswillen abzuschließen. Innerhalb der maßgebenden Jahresfrist habe der Kläger bereits sechsmal Anlass für den Eintritt einer Sanktion gegeben.

 

Das SG Berlin hat die nachfolgend am 23. Dezember 2014 erhobene Klage, mit der sich der Kläger inhaltlich gegen das von ihm als solches bezeichnete „Sanktionssystem des SGB II“ insgesamt gewendet hat, nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 28. April 2016 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber unbegründet, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die §§ 31 ff. SGB II bestünden nicht. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den vollständigen Wegfall des Alg II des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum lägen vor.

 

Der Kläger hat gegen den ihm am 3. Mai 2016 zugestellten Gerichtsbescheid am          2. Juni 2016 Berufung zum LSG Berlin-Brandenburg eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt und weiterhin die Auffassung vertritt, dass die Sanktionen des SGB II insgesamt verfassungswidrig seien. Insoweit wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf einen vom Kläger verfassten Brandbrief, ein von diesem vorgelegtes Gutachten über die Verfassungswidrigkeit von Sanktionen sowie dessen Ausführungen über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Arbeitsbegriffs im SGB II.

 

Im Hinblick auf das seinerzeit vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig gewesene Verfahren 1 BvL 7/16 hat das vorliegende Verfahren aufgrund des Beschlusses des Senats vom 20. September 2017 zunächst geruht. Am 5. Juni 2018 hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen. Der Beklagte hat am 18. Dezember 2019 den Bescheid vom 26. August 2014 insoweit aufgehoben, als darin eine Minderung von mehr als 30 Prozent der Regelleistung verfügt wurde. Unter dem 27. Dezember 2019 hat der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 30. November 2014 monatlich 646,66 Euro, mithin insgesamt 1.939,98 Euro nachgezahlt und den streitgegenständlichen Zeitraum unter dem 20. Juni 2020 für den Kläger zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung nachgemeldet.

 

Der Kläger nimmt zur Begründung seines Begehrens weiterhin Bezug auf eine von ihm verfasste Auseinandersetzung mit der Menschenrechts- und Verfassungswidrigkeit des Sanktionssystems des SGB II, auf die wegen der Einzelheiten ebenfalls verwiesen wird. Er vertritt insbesondere die Auffassung, dass aus der Entscheidung des BVerfG folge, dass er für sein Verhalten einen wichtigen Grund gehabt habe.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. April 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 26. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 und in der Fassung des Bescheides vom   18. Dezember 2019 aufzuheben.

 

 

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 18. Dezember 2019 abzuweisen.

 

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung nach der durch ihn erfolgten Teilabhilfe im Berufungsverfahren im Übrigen für zutreffend.

 

Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten des Beklagten, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen wird, sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 28. April 2016 sowie seine gegen den nach § 153 Absatz 1 SGG in Verbindung mit § 96 Absatz 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 2019 erhobene Klage, über die das Berufungsgericht erstinstanzlich zu entscheiden hatte, sind zulässig und begründet.

 

Das SG hat die Anfechtungsklage des Klägers zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 26. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 in der Fassung des Bescheides vom 18. Dezember 2019, mit dem für die Zeit vom 1. September 2014 bis zum 30. November 2014 noch eine Minderung des Anspruchs des Klägers auf Alg II im Umfang von 30 Prozent der Regelleistung festgestellt und der – nach § 80 Absatz 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 41a Absatz 5 Satz 1 SGB II zwischenzeitlich endgültige – Bewilligungsbescheid vom 11. Juli 2014 entsprechend geändert wird, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, so dass er auf dessen Berufung und Klage aufzuheben war.

 

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist bezogen auf die Feststellung des Eintritts einer Minderung des Anspruchs Klägers auf Alg II im Zeitraum von September bis November 2014 § 31a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit § 31 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und § 31b Absatz 1 Satz 1 und 3 SGB II sowie bezogen auf die konkrete Leistungshöhe der ihm mit Bescheid vom 11. Juli 2014 zunächst vorläufig bewilligten Leistungen im streitgegenständlichen Leistungszeitraum § 40 Absatz 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X. Im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides lagen die Gründe für eine vorläufige Leistungsbewilligung weiterhin vor.

 

Nach § 31a Absatz 1 Satz 3 SGB II in der Fassung der Entscheidungsformel des BVerfG vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 (juris) ziehen Pflichtverletzungen nach   § 31 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II die Rechtsfolgen des § 31a SGB II nach sich. Nach § 31 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder in deren Kenntnis sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 3 Satz 3 SGB II festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. Eine derartige Pflichtverletzung liegt hier jedoch nicht vor, weil der Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 nichtig ist, so dass es an einer Obliegenheit des Klägers zu Bewerbungsbemühungen auf dessen Grundlage fehlt.

 

Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 ist vorliegend in einer das Regelungskonzept des SGB II, das auf die maßgeschneiderte Ausrichtung der Eingliederungsleistungen bezogen ist (vgl. BT-Drucks 15/1516 Seite 44), verfehlenden Weise allein auf die sanktionsbewehrte Kontrolle der Eigenaktivitäten des Klägers beschränkt und erfüllt die nachfolgend im Einzelnen dargelegten Anforderungen nicht, die eine konsensuale Eingliederungsvereinbarung erfüllen müsste, um nicht nichtig zu sein. Zur Vermeidung eines besonders schwerwiegenden Fehlers in Gestalt eines Formenmissbrauchs ist in einem derartigen Fall auch der Eingliederungsverwaltungsakt selbst nichtig (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2014 - B 4 AS 26/13 R, Rn.41 f. - juris; BSG, Urteil vom 21. März 2019 – B 14 AS 28/18 R, Rn.13 - juris), weil dieser Fehler bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände jedem Urteilsfähigen erkennbar ist (§ 40 Absatz 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 40 Absatz 1 SGB X).

 

Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 leidet zunächst an einem Mangel, soweit in diesem von dem Kläger Bewerbungsbemühungen im Umfang von mindestens zehn Bewerbungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Monat gefordert werden, ohne dass damit eine korrespondierende Erstattung von Bewerbungskosten durch den Beklagten verbunden wäre. Die danach erforderlichen Kosten von pauschal geregelten fünf Euro je Bewerbung bei mehr als 60 geforderten Bewerbungen in etwas mehr als sechs Monaten gehen vielmehr über die maximal als erstattungsfähig beschriebenen Kosten für ein gesamtes Jahr in Höhe von 260,00 Euro hinaus, auch wenn der Kläger nicht nur zu schriftlichen Bewerbungen verpflichtet wird; die Erstattung wird zudem von einer weiteren Antragstellung durch den Kläger abhängig gemacht und ist nicht bereits abschließend im Eingliederungsverwaltungsakt geregelt. Die wechselseitigen Verpflichtungen stehen danach in keinem ausgewogenen Verhältnis (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 30/15 R, Rn.16 ff. - juris). Ersetzt das Jobcenter eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt, sind die ersetzenden Regelungen im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens nach denselben Maßstäben zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, wie sie für die konsensuale Eingliederungsvereinbarung gelten (BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 42/15 R, Rn.12 ff. - juris).

 

Weiterhin ist in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 zwar ein Geltungszeitraum bis zum 31. Dezember 2014 genannt, es werden jedoch keine Anläs-se oder Zeitpunkte für die gemeinsame Überprüfung während der Laufzeit der Vereinbarung genannt (vgl. zu diesem Erfordernis unter Festhalten an seiner Rechtsprechung zur vor dem 1. August 2016 geltenden Rechtslage BSG, Urteil vom 21. März 2019 – B 14 AS 28/18 R, Rn.17 - juris; ebenso etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Februar 2020 – L 18 AS 1421/19, Rn.15 ff. - juris). Es ist jedoch erforderlich, in einem Eingliederungsverwaltungsakt zu regeln, nach welchem Verfahrensregime die Regelungen des Verwaltungsaktes und insbesondere die Obliegenheiten des Arbeitsuchenden während der Geltung des Verwaltungsaktes überprüft und gegebenenfalls geändert werden können (BSG, a.a.O., Rn.24).

 

Schließlich darf in Eingliederungsvereinbarungen nicht an Zielen starr festgehalten werden, die sich als erfolglos erwiesen haben (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 - B 14 AS 195/11 R, Rn.21 – juris). Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 erschöpft sich letztlich von der Bezeichnung ohnehin bestehender gesetzlicher Ansprüche abgesehen in der Konkretisierung von Eigenbemühungen des Klägers, womit er im Ergebnis auf eine Anknüpfungsgrundlage für mögliche Sanktionsentscheidungen reduziert worden ist, was der gesetzlichen Konzeption nicht entspricht (BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 42/15 R, Rn.21 - juris). Auch wenn die in der Gesetzesbegründung angesprochene „maßgeschneiderte Ausrichtung der Eingliederungsleistungen auf den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen“ in der Praxis unter den Bedingungen einer Massenverwaltung umsetzbar sein muss, verfehlt die Ersetzung einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt, die mit der bloßen Statuierung einer bestimmten Anzahl an Bewerbungsbemühungen lediglich die Grundlage für den Eintritt weiterer Sanktionstatbestände schaffen soll, ihren Zweck. Besonders deutlich wird dies hier daran, dass in der Vergangenheit bereits der im Wesentlichen inhaltsgleiche Eingliederungsverwaltungsakt vom 18. Juli 2013 Anlass für mehrere Sanktionsbescheide gegeben hatte, ohne eine Verhaltensänderung beim Kläger herbeizuführen. Auch wenn es zulässig ist, mit einer klaren gesetzlichen Sanktionsregelung die klare Botschaft zu verbinden, dass Mitwirkungspflichten auch durchgesetzt werden (BVerfG, 1 BvL 7/16, Rn.184 - juris) und der wiederholte Eintritt von Sanktionen verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist, wenn eine Mitwirkungspflicht tatsächlich nur so durchgesetzt werden kann (BVerfG, a.a.O., Rn.189), so darf die Sanktionierung doch nicht auf ein repressives Ahnden von Fehlverhalten (hier keine zehn Bewerbungen) ausgerichtet sein, sondern muss auf die Erfüllung von Mitwirkungspflichten bezogen sein, die gerade im jeweiligen Einzelfall dazu dienen, die existentielle Bedürftigkeit zu überwinden (BVerfG, a.a.O., Rn.131).

 

Aber selbst wenn der Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 nicht nichtig sein sollte, wäre aufgrund des Widerspruchs des Klägers gegen den Sanktionsbescheid vom 26. August 2014 jedenfalls anzunehmen, dass damit zugleich ein Antrag auf Überprüfung des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 25. Juni 2014 gestellt worden wäre, der dessen inzidente Überprüfung im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Sanktionsentscheidung trotz Eintritts seiner Bestandskraft erforderlich machen würde (vgl. Harich, in BeckOK Sozialrecht, Stand: 1. März 2021, Rn.39 zu § 15 SGB II). Auch wenn der Kläger gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 keinen Widerspruch eingelegt hat, weil er sein Vorgehen auf das Angreifen der Sanktion als solcher konzentriert hat, bringt er in seinem Widerspruch gegen die Sanktion vom 13. September 2014 deutlich zum Ausdruck, dass er mit den in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 geregelten Pflichten nicht einverstanden ist, indem er darauf verweist, sich nicht an per Zwang angeordnete Pflichten gebunden zu fühlen, wenn er zuvor freiwillige Angebote gemacht hatte, weil jeder Vertrag rechtlich überprüfbar und verfassungsmäßig sein müsse. Da der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom  24. November 2014 eine entsprechende Überprüfungsentscheidung nach § 44 SGB X selbst vorgenommen hat, indem er darlegt, dass er berechtigt gewesen sei, den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt zu ersetzen, stünde somit die Bestandskraft (§ 77 SGG) des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 25. Juni 2014 dessen Rechtmäßigkeitskontrolle im vorliegenden Verfahren nicht entgegen, weil der Kläger während des gesamten Verfahrens stets das Sanktionssystem des SGB II als solches und damit eben auch den Eingliederungsverwaltungsakt als dessen notwendigen Anknüpfungspunkt angegriffen hat.

 

Liegen die Voraussetzungen des § 31a Absatz 1 Satz 3 SGB II nicht vor, fehlt es mangels Eintritts einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, auch an den Voraussetzungen des § 40 Absatz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X für eine Aufhebung des zunächst vorläufigen und zwischenzeitlich endgültigen Bescheides des Beklagten vom 11. Juli 2014 im Umfang von 30 Prozent der Regelleistung für die Zeit vom 1. September 2014 bis zum 30. November 2014.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Absatz 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
Saved