L 32 AS 588/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 136 AS 17077/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 588/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 7 Abs. 4a SGB II ist dahingehend teleologisch reduzierend auszulegen, dass ein Leistungsausschluss bei Erwerbstätigen, deren Hilfebedürftigkeit nur wegen der horizontalen Einkommensverteilung nach § 9 Abs. 2 SGB II begründet wird, nicht erfolgt, weil bereits eine Obliegenheit zur An-kündigung einer Ortsabwesenheit nicht besteht.

 

Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2016 und die Bescheide der Beklagten vom 7. März 2012 in der Form der Bescheide vom 4. Juni 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 6. Juni 2012 insoweit aufgehoben, als die Leistungen für die Zeiträume vom 1. Januar 2011 bis 30. April 2011 betroffen sind.

 

Die Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen und die Erstattung überzahlter Beträge für Leistungszeiträume vom 1. Januar 2011 bis 30. April 2011.

 

Die Kläger zu 1) und 2) sind verheiratet und haben im genannten Zeitraum mit den Söhnen, dem 1991 geborenen Sohn D (im Folgenden: Sohn D) und dem 1998 geborenen Sohn A (im Folgenden: Sohn A), dem Kläger zu 3), zusammengelebt. Für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2010 waren den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Grundsicherungsleistungen gewährt worden (Änderungsbescheid vom 27. Oktober 2010). Am 1. Oktober 2010 beantragte die Klägerin zu 2) auch namens der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft die Weiterbewilligung von Leistungen. Im Antrag gab sie an: „ab 1. Oktober Antrag auf Selbständigkeit beim Arbeitsamt gestellt“. Dies bezog sich auf eine zum 1. Oktober 2010 begonnene selbständige Tätigkeit des Klägers zu 1).

 

Für die von der Familie bewohnte Wohnung (mit zentraler Warmwasserversorgung) war ab Januar 2011 Miete i.H.v. 600,34 Euro zu zahlen. Mit der Abrechnung vom 1. Dezember 2011 für das Kalenderjahr 2009 wurde eine Nachzahlung von 350,90 Euro durch die Vermieterin geltend gemacht, die die Nachzahlung mit einem Gesamtzahlungsbetrag von 951,24 Euro inkl. der laufenden Monatsmiete zum 1. Januar 2011 forderte. Mit Schreiben vom 13. Januar 2011 wurde die Miete auf 605,34 Euro ab 1. April 2011 erhöht (Grundmiete 405 Euro, Conciergepauschale 11 Euro, Betriebskosten 125,34 Euro, Vorauszahlung für Heizung/Warmwasser 64 Euro). Der Kläger zu 1) hat nach der Gewerbeanmeldung vom 20. September 2010 eine selbständige Tätigkeit (genehmigungsfreie Güterbeförderung, Handel mit Lebens- und Genussmitteln, Tonträgern, Geschenkartikeln, Büchern, Haushaltsgegenständen, Reinigungsmitteln, Spielzeugen [Internethandel]) zum 1. Oktober 2010 aufgenommen. Für die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bewilligte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger zu 1) einen Gründungszuschuss für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 30. Juni 2011 i.H.v. 691,50 Euro als Zuschuss. Dieser Betrag enthielt eine Pauschale von 300,00 Euro zur sozialen Sicherung (Bescheid vom 29.11.2010). Mit Beitragsbescheid vom 11. Januar 2011 der B  wurde ab 1. Januar 2011 ein monatlicher Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung von 190,35 Euro und zur sozialen Pflegeversicherung von 28,11 Euro, gesamt 218,46 Euro monatlich festgesetzt. Für den Kläger zu 3) erhielt die Klägerin zu 2) Kindergeld i.H.v. 184 Euro monatlich.

 

Die Beklagte gewährte den Klägerin und Sohn D mit Bescheid vom 27. Oktober 2010 für die Zeit vom 1. November 2010 bis 30. April 2011 vorläufig Grundsicherungsleistungen (mit einem monatlichen Gesamtbetrag für alle vier Familienmitglieder von 1.196,81 Euro). Als Gründe für die vorläufige Bewilligung wurden angegeben: „Vollständige Betriebskostenabrechnung für 2009, Einkommensnachweis Herr K - wenn Selbständigkeit“. „Sie erhalten erneut einen Bescheid, sobald über ihren Antrag endgültig entschieden werden kann und ihr Anspruch von dem hier bewilligten abweicht. Die bis dahin gezahlten Leistungen werden dabei berücksichtigt. Ich weise Sie darauf hin, dass Sie gegebenenfalls zu viel gezahlte Leistungen erstatten müssen. Sollten sich keine Änderungen ergeben, erhalten Sie nur dann erneut einen Bescheid, wenn Sie dies beantragen (§ 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 2 SGB III).“

 

Mit Schreiben vom 30.11.2010 teilte die Klägerin zu 2) der Beklagten mit, dass sie ein Minijobangebot habe und die Möglichkeit zum Einstieg in den Beruf nutzen wolle. Sie bat die Beklagte um die Zusage, dass sie bei Annahme des Angebots die anstehenden Integrationskurse nicht wahrnehmen müsse.

 

Mit an den Sohn D gerichteten Bescheid vom 14. Dezember 2010 versagte die Beklagte diesem ab 1. Januar 2011 die Leistung vollständig.

 

Die Beklagte erließ den weiteren Bescheid vom 14. Dezember 2010 als Änderung zum Bescheid vom 27. Oktober 2010 und stellte für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 30. April 2011 die Leistungen für die Kläger in neuer Höhe fest (Gesamtleistung für die drei Leistungsempfänger 789,81 Euro). Es seien folgende Änderungen eingetreten: „Berücksichtigung eines fiktiven Einkommens i.H.v. 250 Euro“ für die Klägerin zu 2). Dieser Bescheid enthielt keinen Hinweis auf eine Vorläufigkeit der darin getroffenen Regelungen, auch nicht im dem Bescheid angefügten Berechnungsbogen. Als anerkannte monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigte die Beklagte für die Klägerin zu 2) 186,11 Euro und für die weiteren Adressaten des Bescheides jeweils einen Betrag von 186,10 Euro, insgesamt 558,31 Euro.

 

Die Klägerin zur 2) legte die Einkommensbescheinigung vom 11. Januar 2011 vor, wonach das Bruttoarbeitsentgelt 250 Euro für den Monat Januar 2011 betrage und am 1. des Folgemonats fällig sei. Sie reichte die Einkommensbescheinigung vom 29. März 2011 für den Monat Februar über ein Arbeitsentgelt von 180 Euro, welches am 1. März 2011 fällig war sowie die Verdienstbescheinigungen für Februar 2011 und für März 2011 über ein Entgelt jeweils von 180,00 Euro ein.

 

Der Reisepass des Klägers zu 1) weist vom 13. bis 16. März 2011 einen Aufenthalt in Weißrussland aus.

 

Am 7. April 2011 beantragte die Klägerin zu 2) für alle Mitglieder der Familie die Weiterbewilligung der Grundsicherungsleistungen. Dem Antrag war die Anlage EKS beigefügt, wonach der Kläger zu 1) im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit für den Monat März 2011 mit einem Gewinn von 136,66 Euro, für April 2011 von 236,66 Euro, für Mai 2011 von 156,66 Euro, für Juni 2011 von 181,66 Euro, für Juli 2011 von 286,66 Euro und für August 2011 von 236,66 Euro, insgesamt in diesem Zeitraum von 1.234,96 Euro, ausging.

 

Mit Bescheid vom 12. April 2011 gewährte die Beklagte den Klägern Grundsicherungsleistungen für den Monat Januar 2011 in Höhe von insgesamt 1.012,74 Euro. Es seien folgende Änderungen eingetreten: „Übernahme der Betriebskostennachzahlung, Anpassung der Miete, keine Anrechnung von Erwerbseinkommen bei I, Anrechnung des Gründungszuschusses bei K“. Dieser Bescheid enthielt keinen Hinweis auf eine Vorläufigkeit der darin getroffenen Regelungen, auch nicht im Berechnungsbogen, der dem Bescheid angefügt war. In dem Berechnungsbogen wird als Einkommen des Klägers zu 1) der Gründungszuschuss i.H.v. 691,50 Euro und ein Freibetrag von 30 Euro berücksichtigt. Nicht berücksichtigt sind die Beiträge des Klägers zu 1) für die gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung. Das Kindergeld für den Sohn A wurde angerechnet. Als anerkannte monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung wurde für die drei Leistungsberechtigten ein Gesamtbetrag von 951,24 Euro berücksichtigt.

 

In der abschließenden EKS für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 30. April 2011 errechnete der Kläger zu 1) für den Monat Oktober 2010 einen Verlust von 5.755,17 Euro, für November 2010 einen Gewinn von 1.342,71 Euro, für Dezember 2010 einen Gewinn von 717,23 Euro, für Januar 2011 einen Verlust von 1.774,28 Euro, für Februar 2011 einen Gewinn von 4.960,81 Euro, für März 2011 einen Verlust von 178,36 Euro und für April 2011 einen Gewinn von 1.387,76 Euro, was insgesamt einen Gewinn für diesen Zeitraum von 700,70 Euro ergab.

 

Mit den Bescheiden vom 6. März 2012 und vom 7. März 2012 hob die Beklagte für alle Familienmitglieder die Leistungen für den Oktober 2010 vollständig auf.

 

Mit Bescheiden vom 7. März 2012 hob die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 2), gegenüber der Klägerin zu 2) und dem Kläger zu 3) sowie gegenüber dem Kläger zu 1) die Bewilligungen für die Zeiträume vom 1. November 2010 bis 30. April 2011 vollständig auf und verlangte die Erstattung von insgesamt 2.063,47 Euro vom Kläger zu 1), von 2.063,48 Euro von der Klägerin zu 2), von 1.023,61 Euro vom Kläger zu 3). Die Entscheidung beruhe auf § 40 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X, 330 Abs. 3 S. 1 SGB III. Der Kläger zu 1) habe während des genannten Zeitraums Einkommen aus seiner Selbständigkeit und einen Gründungs-zuschuss erzielt. Außerdem habe bei ihm für den Zeitraum vom 13. bis 16. März 2011 eine unerlaubte Ortsabwesenheit vorgelegen, während der er aus dem Leistungs-bezug ausgeschlossen gewesen sei. Mit den nachgewiesenen Einkommensver-hältnissen seien die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II, so dass ein Anspruch auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht bestehe. Sie hätten gewusst bzw. hätten wissen müssen, dass der zuerkannte Anspruch zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei.

 

Gegen die Bescheide legten die Kläger und Sohn D am 12. März 2012 Widersprüche ein. Die Zusammensetzung der in der Anlage EKS angegebenen Zahlen sei durch die Prüfung der kompletten Unterlagen nachzuvollziehen. Die Vorlage könne jederzeit erfolgen. Das im Oktober erworbene Kraftfahrzeug sei ein Lastkraftwagen, welcher ausschließlich für betriebliche Zwecke genutzt werde. Da der Kaufpreis i.H.v. 18.088 Euro brutto für das Fahrzeug nicht in vollem Umfange habe bereitgestellt werden können, sei eine Anzahlung von 5.088 Euro geleistet worden; für den Restbetrag sei eine Ratenzahlungsvereinbarung über von 13.000 Euro getroffen worden. Sollte dies zu der Annahme geführt haben, dass ein Darlehen i.H.v. 13.000 Euro als Geldzuwendung gewährt worden sei, so sei dies falsch und müsse korrigiert werden. Es werde gebeten, die Kosten für das betriebliche Kraftfahrzeug in vollem Umfang zu berücksichtigen. Die Fahrtenbücher würden vorschriftsmäßig geführt und könnten nach Bedarf vorgelegt werden.

 

Mit den Bescheiden vom 4. Juni 2012 änderte die Beklagte die Bescheide vom 6. und 7. März 2012. Mit einem an die Klägerin zu 2) adressierten Bescheid wurden die bisherigen Entscheidungen über die Bewilligung von Leistungen mit Wirkung vom 1. Februar 2011 bis 30. April 2011 vollständig aufgehoben, „Grund für die Aufhebung der Entscheidung: Wegfall der Hilfebedürftigkeit“. Für die Zeit vom 13. März bis 16. März 2011 habe eine unerlaubte Ortsabwesenheit des Klägers zu 1) vorgelegen, für diese Zeit sei der Kläger zu 1) von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Es errechne sich eine Überzahlung von insgesamt 2.399,43 Euro, zu der ein gesonderter Bescheid ergehe. Die Erstattungsbeträge für die Monate Januar bis April 2011 wurden durch weitere Bescheide jeweils individuell reduziert, für den Kläger zu 1) um insgesamt 1.082,62 Euro, so dass der verbleibende Erstattungsbetrag nunmehr 980,85 Euro betrage. Für die Klägerin zu 2) und den Kläger zu 3) wurde der Erstattungsbetrag für den Zeitraum von Januar bis April 2011 um insgesamt 1.722,89 Euro reduziert, so dass der Erstattungsbetrag nunmehr insgesamt 1.364,20 Euro betrage, davon 966,97 Euro für die Klägerin zu 2) und 397,23 Euro für den Kläger zu 3). Die Entscheidungen wurden jeweils auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X, § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III gestützt und enthielten keinen Hinweis auf eine endgültige Festsetzung gegenüber früheren vorläufigen Bescheiden. Die Erstattungsforderungen wurden durch Bescheide vom selben Tag auch für den Oktober 2010 für alle Familienmitglieder reduziert. Wegen der Einzelheiten der Bescheide wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte Bezug genommen (§§ 153 Abs. 1, 136 Abs. 2 SGG). Mit Bescheiden vom 4. Juni 2012 wurden unter Hinweis auf § 40 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 SGB III die Leistungen für November und Dezember 2010 endgültig festgesetzt und Erstattungsforderungen festgestellt, für den Kläger zu 1) i.H.v. 666,40 Euro, für die Klägerin zu 2) i.H.v. 666,38 Euro und für den Kläger zu 3) i.H.v. 297,60 Euro.

 

Mit den Widerspruchsbescheiden vom 6. Juni 2012 wies die Beklagte die Widersprüche zurück, soweit ihnen nicht durch die Änderungsbescheide vom 4. Juni 2012 entsprochen worden sei; für die Monate November und Dezember 2010 wurde mit den Widerspruchsbescheiden in Abänderung des Bescheides vom 4. Juni 2012 den Widersprüchen vollständig stattgegeben, so dass dieser Zeitraum von der Rückforderung nicht mehr betroffen sei. Für den Zeitraum von November 2010 bis April 2011 ergebe sich bei der Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen von 41.693,94 Euro und den Betriebsausgaben von 35.344,27 Euro ein Gewinn von 6.349,67 Euro, so dass monatlich ein Gewinn von 1.058,28 Euro als Einkommen unter Berücksichtigung des Freibetrages anzurechnen sei. Die vom Kläger zu 1) vorgelegten Angaben zu den Betriebseinnahmen und Ausgaben seien in vollem Umfang berücksichtigt worden. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X sei auf den genannten Bewilligungsbescheid anzuwenden, bei Erlass der Bescheide habe die konkrete Höhe der erzielten Einkommen noch nicht vorgelegen. Die Einkommenserzielung stelle eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen dar. Für die Entscheidung sei unerheblich, ob die Angaben unverzüglich getätigt worden seien oder nicht; auch auf ein Verschulden komme es nicht an. Hinsichtlich der Entscheidung zur Leistungsaufhebung wegen der Ortsabwesenheit sei der Kläger zu 1) seiner Pflicht zur vorherigen Beantragung grob fahrlässig nicht nachgekommen.

 

Am 28. Juni 2012 haben die Kläger und der Sohn D jeweils unter der Angabe der Namen und der Geburtsdaten der Kläger zu 1) und 2) sowie des Sohnes D vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben und die Widerspruchsbescheide vorgelegt, deren vollumfängliche Anfechtung sie geltend gemacht haben. Im Monat Oktober 2010 habe der Kläger zu 1) keinen Gewinn, sondern einen Verlust ausgewiesen. Mit diesem Verlust sei der Gründungszuschuss teilweise zu verrechnen, und zwar i.H.v. 391,50 Euro. Der Gründungszuschuss solle es dem Existenzgründer ermöglichen, trotz der anfänglichen Verluste den laufenden Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Leistung würde ihren Zweck verfehlen, wenn man sie einerseits als Einkommen anrechnete, andererseits aber die Verluste, die durch sie gerade kompensiert werden sollten, völlig unberücksichtigt ließe. Von vornherein anrechnungsfrei müsse die im Gründungszuschuss enthaltene Zusatzleistung von 300 Euro monatlich bleiben, die der sozialen Absicherung diene und deshalb eine zweckbestimmte Einnahme sei. Der Gründungszuschuss sei auch in den anderen Monaten nicht zu berücksichtigen. Den Kaufpreis habe der Kläger durch 14 Ratenzahlungen beglichen, eine Ratenzahlung i.H.v. 1.000 Euro sei im März 2011 zu berücksichtigen gewesen.

 

Die Beklagte hat den Teilabhilfebescheid vom 12. Juni 2013 den Monat Oktober 2010 betreffend erlassen.

 

Im Rahmen des Erörterungstermins am 23. März 2015 hat die Beklagte die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide für den Monat Oktober 2010 aufgehoben. Insofern haben die Kläger erklärt, dass sie das Teilanerkenntnis annehmen, für den Sohn D sei der Rechtsstreit insgesamt erledigt.

 

Das Sozialgericht Berlin hat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung am 25. Januar 2016 die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage sei § 48 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III. Der Kläger zu 1) habe in den Monaten Januar bis April 2011 über Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit verfügt, die nicht dem Anwendungsbereich des § 11a SGB II bzw. der in der bis zum 31. März 2011 gültigen Fassung des § 11 SGB II unterfallen seien. Die Kammer entnehme die Gewinnberechnung dem angefochtenen Widerspruchsbescheid, die von den Klägern der Höhe nach nicht bestritten werde und die Einkommensberechnung der Beklagten zwischen den Beteiligten unstreitig sei. Bei dem Gründungszuschuss handele es sich auch hinsichtlich der Versicherungspauschale um anrechenbares Einkommen, weil insofern Zweckidentität der Leistungen vorliege (Bezugnahme auf Urteil des BSG vom 01.06.2010, B 4 AS 67/09 R). Das Urteil hat den Kläger zu 3) (dort als Kläger zu 4) ausgewiesen.

 

Gegen das am 3. Februar 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. März 2016 eingelegte Berufung der Kläger. Zutreffend weise das Sozialgericht im Tatbestand des Urteils darauf hin, dass die Bewilligung durch den Änderungsbescheid vom 14. Dezember 2010 nicht mehr vorläufig gewesen sei. Die Aufhebungs-entscheidungen seien nicht ausreichend begründet i.S.v. § 35 Abs. 1 SGB X und deshalb rechtswidrig. Unklar bleibe, in welcher Höhe Bedarfe, Einkommen und Freibeträge in Ansatz gebracht worden seien und wie sich die angebliche Ortsabwesenheit des Klägers zu 1) auf den Leistungsanspruch auswirke. Erst die Änderungsbescheide vom 4. Juni 2012 hätten eine nachvollziehbare Berechnung und damit eine hinreichende Begründung enthalten. Die Bescheide vom 7. März 2012 hätten aber dadurch nicht mehr rechtmäßig werden können, weil schon das Ergebnis nach den neuen Bescheiden ein anderes gewesen sei, so dass sich die Begründung nur auf dieses neue Ergebnis beziehen könne. Der Kläger zu 1) habe eine Rentenversicherung abgeschlossen, auf die er im Zeitraum von Januar bis April 2011 insgesamt 100 Euro, 25 Euro monatlich, gezahlt habe.

 

Die Kläger könnten sich auf Vertrauen berufen. Dass und warum die Änderungsbescheide rechtswidrig gewesen seien, hätten die Kläger nicht wissen können, erst recht hätten sie keine positive Kenntnis gehabt. Selbst wenn sich durch die Änderungsbescheide an der Vorläufigkeit der Bewilligung nichts geändert hätte, könnten die Leistungen jetzt nicht mehr abschließend anders festgesetzt werden, weil dann §§ 41a Abs. 5 Satz 1, 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II mit der Folge gelte, dass die vorläufige Entscheidung bereits am 1. August 2017 automatisch zu einer abschließenden Festsetzung geworden sei.

 

Der Kläger zu 3) hat mit Erklärung vom 25. November 2019 mitgeteilt, am  2016 (Eintritt der Volljährigkeit) über ein Vermögen i.H.v. 44,78 Euro verfügt zu haben und hat einen entsprechenden Kontoauszug vorgelegt.

 

Die Kläger beantragen,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2016 und die Bescheide der Beklagten vom 7. März 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 4. Juni 2012 in der Gestalt des der Widerspruchsbescheide vom 6. Juni 2012 betreffend den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 30. April 2011 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Ratenzahlung von 1.000 Euro im März 2011 sei als Ausgabeposten berücksichtigt worden. Die Beklagte verweist wegen der Behauptung unzureichender Begründung auf die Heilungsmöglichkeit nach § 41 SGB X jedenfalls bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Bedenken hinsichtlich des Leistungsausschlusses wegen Ortsabwesenheit seien für den vorliegenden Rechtsstreit letztlich irrelevant, weil es als weitere Ursache für eine Aufhebungs- und Erstattungsforderung darauf nicht mehr ankomme. § 45 SGB X komme als Ermächtigungsgrundlage für die Zeiträume von Januar bis April 2011 nicht in Betracht. Auf die vorläufige Bewilligung vom 27. Oktober 2010 sei keine abschließende Entscheidung mit den darauf folgenden Bescheiden vom 14. Oktober 2010, 26. März 2011 und 12. April 2011 erfolgt. Eine abschließende Entscheidung ergebe sich aus diesen Bescheiden weder aus dem Tenor noch aus der Begründung. (Verweis auf BSG Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 31/14 R, Rn. 25 f.). Für die streitbefangenen Zeiträume dürfte außerhalb des Klageverfahrens eine abschließende Entscheidung nach § 328 Abs. 2 SGB III weiterhin möglich sein, da diese nicht fristgebunden sei und aufgrund der Tatsache, dass bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein sozialgerichtliches Verfahren anhängig sei, eine Verwirkung mangels Zeitmoment nicht in Betracht kommen dürfte. Im Hinblick auf die Weisungslage komme für die Beklagte eine Prüfung der Beschränkung der Minderjährigenhaftung erst nach Abschluss des Klageverfahrens in Betracht.

 

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt hatten und angesichts ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage durch die Schriftsätze der Beteiligten und im Erörterungstermin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten war.

 

Die Berufung ist für alle drei Berufungskläger zulässig. Sie wurde fristgerecht eingelegt und ist angesichts der noch im Streit befindlichen Erstattungsforderungen statthaft i.S.v. § 144 Abs. 1 SGG.

 

Gegenstand des Rechtsstreites sind in subjektiver Klagenhäufung isolierte Anfechtungsklagen aller drei Kläger gegen die Bescheide der Beklagten vom 7. März 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 4. Juni 2012 in der Gestalt des der Widerspruchsbescheide vom 6. Juni 2012 hinsichtlich der Zeiträume Januar 2011 bis April 2011. Dies gilt auch für die Klage des Klägers zu 3).

 

Zwar ist mit der Klageerhebung nicht ausdrücklich für den Kläger zu 3) Klage erhoben worden. Der Senat entnimmt im Wege der Auslegung des Vortrags der Kläger zu 1) und 2) bei Klageerhebung auch die Geltendmachung eines Aufhebungsanspruchs des Klägers zu 3) bezüglich der bezeichneten Verwaltungsakte. Insbesondere die umfassende Anfechtung der genannten Bescheide und die Vorlage der Widerspruchsbescheide bei Klageerhebung vor der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts lassen hinreichend erkennen, dass die Kläger zu 1) und 2) einen für die Adressaten der Klage erkennbaren Willen geäußert haben, als gesetzliche Vertreter des damals noch minderjährigen und noch nicht eigenständig zur Klage befugten Klägers zu 3) zu klagen. Dieser Wille ist auch in der Folge, während des Erörterungstermins vor dem Sozialgericht hinreichend deutlich geworden.

 

Die Berufung der drei Kläger ist begründet. Die Klagen sind zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide vom 7. März 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 4. Juni 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 6. Juni 2012 sind hinsichtlich der Zeiträume vom 1. Januar 2011 bis 30. April 2011 rechtswidrig. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2010 für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 30. April 2011 sowie der diesen für den Monat Januar ändernde Bescheid vom 12. April 2011 wurden von den Klägern nicht angefochten und sind deshalb bestandskräftig geworden. Sie binden deshalb die Beteiligten und die Gerichte. Für eine Änderung dieser beiden Bescheide steht der Beklagten eine Ermächtigungsgrundlage nicht zur Verfügung.

 

Als Ermächtigungsgrundlage kommen §§ 45 Abs. 1, 2 SGB X, 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III in Betracht. Lediglich, soweit eine Aufhebung im Hinblick auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II wegen einer Ortsabwesenheit im Raum steht, kommen als Ermächtigungsgrundlagen §§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 4 SGB X, 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 3 SGB III in Betracht.

 

Die Voraussetzungen einer Rücknahme nach §§ 45 Abs. 1, 2 SGB X, 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III sind nicht erfüllt. Zwar handelte es sich bei den Bescheiden vom 14. Dezember 2010 und vom 12. April 2011 um anfänglich rechtswidrige Bescheide, denn diese Bescheide waren als endgültige Bescheide erlassen, obwohl die Beklagte wegen des noch nicht abschließend aufgeklärten Sachverhalts, insbesondere wegen des tatsächlichen Einkommens aus der selbständigen Tätigkeit, welches erst nach Abschluss des Bewilligungszeitraums, also nach April 2011, bestimmt werden konnte, noch nicht abschließend entscheiden durfte und hätte vorläufig entscheiden müssen (BSG, Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 31/14 R, RdNr. 19). Es lässt sich indes nicht feststellen, dass die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt sind, wogegen das Vertrauen der Kläger in den Bestand der Entscheidungen der Beklagten schutzwürdig ist.

 

Unzutreffend ist die Annahme der Beklagten, die Bescheide vom 14. Dezember 2010 und vom 12. April 2011 seien keine endgültigen, sondern noch vorläufige Bescheide. Erlässt eine Behörde einen Bescheid über Grundsicherungsleistungen ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft, muss ein Wille, einen solchen Bescheid abweichend vom Anspruch der Leistungsberechtigten auf Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Wege eines Aliud zunächst nur vorläufig zu bewilligen, deutlich erkennbar sein (vgl. BSG, 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R, RdNr. 19). Den Formulierungen im Bescheid muss zu entnehmen sein, dass die Bewilligung als solche unter dem Vorbehalt ihrer Vorläufigkeit stehen soll, damit für den Empfänger des Bescheides unter Würdigung der Gesamtumstände - insbesondere seiner Gestaltung - mit hinreichender Deutlichkeit erkennbar wird, dass eine abschließende Entscheidung noch aussteht (BSG ebd. m.w.N). Nicht maßgeblich sind in diesem Zusammenhang die Vorgaben des BSG zur Rechtmäßigkeit einer abschließenden endgültigen Entscheidung auf eine vorläufige Entscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 31/14 R, RdNr. 25 f.), denn diese gelten ersichtlich für Bescheide, die noch nicht bestandskräftig geworden sind und bereits abgeschlossene Zeiträume, über die nunmehr abschließend entschieden werden kann und muss, betreffen. In seiner Entscheidung vom 29. April 2015, B 14 AS 31/14 R, hat das BSG die Maßstäbe erörtert, nach denen zu klären ist, wann ein mit der Klage angefochtener, noch nicht bestandskräftiger und deshalb unmittelbar der gerichtlichen Bewertung unterliegender Bescheid im Hinblick auf eine abschließende endgültige Leistungsentscheidung rechtmäßig ist, inwieweit er ausgelegt und ggf. umgedeutet werden kann. Gegenstand der Entscheidung und der darin entwickelten Maßstäbe waren nicht bereits bestandskräftige, die Beteiligten und die Gerichte bindende Bescheide, die diesen Vorgaben nicht entsprechen. Im vorliegenden Fall sind diese Maßstäbe ggf. auf die angefochtenen Bescheide anzuwenden, nicht jedoch auf den Bescheid vom 14. Dezember 2010, der ersichtlich Regelungen für eine zukünftige, nicht aber rückwirkend abschließende Leistungsgewährung treffen sollte. Entsprechend den Auslegungskriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R, RdNr. 19) ist für diesen Bescheid vielmehr festzustellen, dass er keinerlei Hinweise auf eine Vorläufigkeit enthält. Auch die Hinweise im vorläufigen Bescheid vom 27. Oktober 2010, dass ein neuer Bescheid dann ergehe, sobald über den Antrag endgültig entschieden werden könne und der Anspruch von dem hier bewilligten abweiche, spricht dafür, dass künftige Änderungsbescheide endgültige sein würden. Aus der maßgeblichen Adressatensicht unter Berücksichtigung der den Klägern bekannten Umstände, deutete nichts darauf hin, dass dem neuen Bescheid weiter eine Vorläufigkeit anhaften sollte. Davon ging offensichtlich die Beklagte selbst auch aus, indem sie lediglich für die Monate November und Dezember 2010 einen endgültigen Bescheid nach § 328 SGB III erließ, für die hier relevanten Zeiträume Januar bis April 2011 ihre Entscheidungen hingegen auf § 48 SGB X stützte.

 

Auch der Bescheid vom 12. April 2011 enthält keinen Hinweis auf eine Vorläufigkeit. Angesichts des Bescheides vom 14. Dezember 2010 konnte dieser Bescheid nur als endgültiger verstanden werden, zumal er den von jenem Bescheid bereits erfassten Monat Januar betrifft und im Sinne der Hinweise im Bescheid vom 27. Oktober 2010 die Leistungen in einem bereits abgeschlossenen Zeitraum regelt.

 

Beide Bescheide waren im Sinne von § 45 Abs. 1 SGB X anfänglich rechtswidrig, weil die Beklagte mangels abschließend aufgeklärten Sachverhalts hätte an der Vorläufigkeit festhalten müssen.

 

Die Rechtswidrigkeit beruhte nicht im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 2 SGB X auf täuschendem, drohendem oder bestechendem Vorgehen der Kläger (Nr. 1) oder unzutreffenden Angaben (Nr. 2).

 

Die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sind ebenfalls nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift, kann sich auf Vertrauen der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Es kommt für das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung an (Schütze in Schütze: SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 SGB X, RdNr. 72, 37, m.w.N.).

 

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern die Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 14. Dezember 2010 und vom 12. April 2011 bei deren Erlass bekannt war. Auch von einer groben Fahrlässigkeit vermag sich der Senat nicht zu überzeugen. Die erforderliche Sorgfalt verletzt in besonders schwerem Maße, wer den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen hat und auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht (Schütze ebd., RdNr. 68 m.w.N.). Davon ist bei Fehlern auszugehen, die sich erstens aus dem begünstigenden VA selbst oder anderen Umständen ergeben und zweitens für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar sind (Schütze ebd. m.w.N.). Das ist anzunehmen bei solchen Fehlern, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbes. der Persönlichkeit des Betroffenen und seines Verhaltens augenfällig sind (Schütze ebd., RdNr. 69).

 

Für die Kläger war es zur Überzeugung des Senats nicht augenfällig, dass der Bescheid vom 14. Dezember 2010 wegen dessen Endgültigkeit rechtswidrig war. Sozialrechtliche Erfahrungen im Zusammenhang mit der neu begonnenen Selbständigkeit hatten die Kläger nicht, die ausweislich der noch zuletzt laufenden Integrationskurse hinsichtlich ihrer rechtlichen Erfahrungen und sprachlichen Fähigkeiten die komplizierten Zusammenhänge der Verpflichtung der Beklagten zur vorläufigen Bescheidung nicht im Sinne des schweren Schuldvorwurfes einer groben Fahrlässigkeit erfassen mussten. Zudem musste sich Mitte Dezember 2010 für die Kläger die Rechtswidrigkeit der endgültigen Bewilligung auch nicht im Hinblick auf die Leistungshöhe aufdrängen. Angesichts des sehr erheblichen Verlustes noch im Oktober 2010 und der jedenfalls nicht abwegigen Überlegung, dass der Gründungszuschuss auch eine Funktion der Überbrückung bei anfänglichen Verlusten der Selbständigkeit habe, musste es sich angesichts der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung der Selbständigkeit des Klägers zu 1) bei Bewertung im Dezember 2010 nicht aufdrängen, dass die Gewährung der Leistung und deren Höhe endgültig rechtswidrig sein mussten.

 

Gleiches gilt für den Bescheid vom 12. April 2011 und dessen Bewertung durch die Kläger. Die noch Anfang April 2011 für den Folgezeitraum prognostizierten Gewinne waren so gering, dass sich aus der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung aus der Sicht der Kläger eine Rechtswidrigkeit der Bewilligung für Januar 2011 nicht aufdrängen musste.

 

Unter diesen Umständen lässt sich nicht feststellen, dass bei Erlass der Änderungsbescheide kein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Bescheide bei den Klägern begründet wurde. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGBB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Abgesehen davon, dass die Beklagte bei der Leistungsberechnung gemäß § 11 SGB II in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung (a.F.) bzw. nach § 11b SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung (n.F.) rechtswidrig die Beiträge zur Sozialversicherung bzw. privaten Rentenversicherung außer Acht gelassen hat, lässt sich eine erforderliche Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht feststellen und auch nicht im Wege der Umdeutung der erlassenen ermessensfreien Bescheide annehmen.

 

Ungeachtet dessen ist zu bedenken, dass selbst bei Annahme einer Vorläufigkeit der Bescheide vom 14. Dezember 2010 und vom 12. April 2011 diese Bescheide inzwischen hinsichtlich der durch sie erfolgten Leistungsbestimmungen endgültig geworden wären, weil die angefochtenen Bescheide anders als die Bescheide für November und Dezember 2010 nicht im Sinne der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 31/14 R, RdNr. 25 ff.) als endgültige, abschließende Bescheide erteilt wurden und deshalb die Rechtsfolge nach §§ 80 Abs. 2 Nr. 1, 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II mit Ablauf des 31. Juli 2017 eingetreten wäre. Entgegen der Auffassung der Beklagten verdrängen §§ 80, 41a SGB II als lex specialis und lex posterior die allgemeine und ältere, bis zu ihrem Inkrafttreten nur entsprechend anzuwendende Regelung des § 328 Abs. 2, 3 SGB III.

 

Der Leistungsanspruch des Klägers zu 1) ist für März 2011 wegen des Aufenthalts in Weißrussland auch nicht teilweise entfallen und konnte deshalb nicht auf der Grundlage der §§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 4 SGB X, 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 3 SGB III aufgehoben werden. Eine wesentliche Veränderung in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen ist durch den Auslandsaufenthalt nicht eingetreten. Dies gilt erst recht für die Leistungsansprüche der Kläger zu 2) und zu 3).

 

Ein Leistungsausschluss bestand nicht. § 7 Abs. 4a SGB II lautete in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.“ Die Erreichbarkeitsanordnung (EAO) gilt unmittelbar für Arbeitslose, die sich im Rahmen ihres Arbeitslosigkeitsversicherungsverhältnisses den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur zur Verfügung stellen.

 

§ 7 Abs. 4a SGB II ist entsprechend der Regelungszwecke (vgl. insbesondere § 2 Abs. 2 SGB II) dahingehend verfassungskonform reduzierend auszulegen, dass ein Leistungsausschluss bei Erwerbstätigen (also gerade nicht Arbeitslosen bzw. Arbeitsuchenden), deren Hilfebedürftigkeit nur wegen der horizontalen Einkommensverteilung nach § 9 Abs. 2 SGB II begründet wird (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, RdNr. 15), nicht eintritt. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass bei Erwerbstätigen eine Ortsabwesenheit zu gewähren ist (so ausdrücklich für versicherungspflichtige Beschäftigte für die Zeiten des arbeitsvertraglich zustehenden Urlaubs: BT-Drs. 16/1696 S. 26). Eine Verfügbarkeit und entsprechende Obliegenheiten, der Arbeitsvermittlung für Arbeitsuchende zur Verfügung zu stehen und Ortsabwesenheiten anzufragen, kann diejenigen Leistungsberechtigten nicht treffen, die einer Erwerbstätigkeit in erheblichem zeitlichen Umfang (im Falle des Klägers zu 1) vollschichtig) nachgehen und damit ihren eigenen Lebensunterhalt decken und lediglich durch die über die horizontale Einkommensverteilung gemäß § 9 Abs. 2 SGB II begründete Hilfebedürftigkeit (BSG a.a.O.) in das Leistungssystem des SGB II einbezogen werden. Für die Feststellung, ob Hilfebedürftigkeit nur über die horizontale Einkommensverteilung nach § 9 Abs. 2 SGB II eintritt, kommt es auf einen Vergleich des nach den Vorgaben des SGB II zu berücksichtigenden Bedarfs einerseits und des zur Deckung dieses Bedarfs zur Verfügung stehenden Einkommens des Erwerbstätigen andererseits an. Das Einkommen ist daher ebenfalls nach den grundsicherungsrechtlichen Vorgaben zu bestimmen, weshalb es bei Selbständigen nicht auf das Einkommen des betroffenen Monats, sondern des maßgeblichen Zeitraums insgesamt ankommt. Zudem sind vom Einkommen die damit verbundenen Aufwendungen und Freibeträge gemäß § 11b Abs. 1 und 3 SGB II (in der seit 01.01.2011 geltenden Fassung) abzuziehen. Kommt es auf den Bedarf im Sinne der vom Gesetzgeber bestimmten Maßstäbe zur Beurteilung der Bedürftigkeit der Berechtigten des menschenwürdigen Existenzminimums an, muss dies auch für zu dessen Deckung heranzuziehendes Einkommen gelten. Lediglich der Aspekt der gesetzlichen Konstruktion der Hilfebedürftigkeit durch Berücksichtigung der Bedarfe anderer zwingt zu einem besonderen Blick auf das durch den Gesetzgeber vorgegebene Pflichtensystem. Diese Auslegung berücksichtigt daher zugleich die maßgeblichen systematischen und teleologischen wie auch verwaltungspraktische Aspekte.

 

Im vorliegenden Fall war der Kläger zu 1) in Vollzeit selbständig erwerbstätig und hat Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit und dem Gründungszuschuss erzielt, welches den eigenen Lebensunterhalt laufend deckte. Ohne die Anrechnungsregelung des § 9 Abs. 2 SGB II in der Bedarfsgemeinschaft hätte der Kläger zu 1) mangels Hilfebedürftigkeit keinen Leistungsanspruch gehabt.

 

Der Kläger zu 1) hatte einen Bedarf von 328 Euro als Regelbedarf, für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt bestand ein Bedarf hinsichtlich der Unterkunftskosten i.H.v. 600,34 Euro Miete, für den Kläger zu 1) daher in Höhe von 150,09 Euro (pro Kopf, der Anteil des Sohnes D ist trotz des Versagungsbescheides anzusetzen: vgl. B 14 AS 17/17 R, RdNr. 23). Es errechnet sich ein Bedarf von insgesamt 478,09 Euro für den Kläger zu 1). Dem standen im März 2011 als Einkommen des Klägers zu 1) gegenüber: 691,50 Euro Gründungszuschuss, sowie 1.058,28 Euro Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit. Wegen der Ermittlung der Einkommenshöhe nimmt der Senat auf die insofern zutreffenden Gründe des Urteils des Sozialgerichts Bezug und sieht insofern von einer Darstellung der näheren Entscheidungsgründe ab. Von dem so ermittelten Einkommen sind die Beiträge zur Kranken-/Pflegeversicherung i.H.v. 218,46 Euro, zur Rentenversicherung von 25,00 Euro und der Freibetrag nach § 11b Abs. 1 Nr. 5, 6, Abs. 3 SGB II von 285,82 Euro abzuziehen, so dass sich insgesamt ein grundsicherungsrechtlich zu berücksichtigendes Einkommen von 1.220,50 Euro ergibt. Damit konnte der Kläger zu 1) seinen eigenen Unterhalt vollständig aus seiner hauptberuflichen Selbständigkeit decken. Dies würde selbst dann gelten, wenn beim Unterkunftsbedarf ein Anteil des Sohnes D herausgerechnet würde, weil der sich dann errechnende Bedarf von 528,11 Euro (328 + 200,11) ebenfalls deutlich vom anzurechnenden Einkommen des Klägers zu 1) überstiegen würde. Dieser hatte mithin keine Obliegenheit im Sinne von § 7 Abs. 4a SGB II, deren Verletzung einen Leistungsausschluss hätte begründen können. Damit ist keine wesentliche Veränderung durch die Ortsabwesenheit eingetreten.

 

Der Kläger kann die Aufhebung der Entscheidung auch deshalb verlangen, weil sie unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ergangen ist, ohne dass offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung nicht beeinflusst hat (§ 42 Satz 1 SGB X). Die Entscheidung der Beklagten ist zwar hinsichtlich der Aufhebung wegen der Ortsabwesenheit i.S.v. § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt, denn aus den Gründen ergibt sich, dass die Beklagte einen Zeitraum der Ortsabwesenheit vom 13. bis 16. März 2011 und deshalb für genau diesen Zeitraum einen Leistungsausschluss annimmt. Jedoch ist die Entscheidung insofern verfahrensfehlerhaft ergangen und deswegen auch formell rechtswidrig, weil mit ihr gegen das § 20 SGB X zu entnehmende Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (BSG, Urteil vom 28.03.2019, B 10 LW 1/17 R, RdNr. 22; BSG, Urteil vom 07.04.2016, B 5 R 26/15 R, RdNr. 31 m.w.N.) verstoßen worden ist. Die Beklagte stützt sich dabei lediglich und ohne weitere, nach ihrem zum Zeitpunkt des Erlasses maßgeblichen Rechtsstandpunkt der Inbezugnahme der EAO notwendige Sachverhaltsaufklärung auf die Eintragungen im Reisepass des Klägers zu 1). Die Beklagte hat insofern vor Erlass des Teilaufhebungsbescheides nicht geklärt, ob der Auslandsaufenthalt im Rahmen der selbständigen Tätigkeit des Klägers erfolgt war und deswegen nicht anzeigepflichtig sein konnte. Ungeklärt ist auch geblieben, ob sich der Kläger am 13. März und am 16. März 2011 im Sinne der EAO in Berlin aufgehalten hat, denn aus dem Umstand, dass diese Tage die Ein- und Ausreisedaten des Aufenthalts in Weißrussland darstellen, folgt nicht notwendig, dass an diesen Tagen eine Obliegenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II i.V.m. der EAO tatsächlich bestanden hat. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte allein die Verletzung der Obliegenheit zur Einholung der Zustimmung als Grund des Leistungsausschlusses angesehen hat. Der Senat war insoweit wegen der von ihm in Anschluss an die höchstrichterliche Rechtsprechung gefundenen Auslegung des § 7 Abs. 4a SGB II zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen nicht gehalten.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

 

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.

 

Rechtskraft
Aus
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