L 12 KA 24/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 43 KA 1297/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 24/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Kassenärztliche Vereinigug ist nicht verpflichtet, die Vertragsärzte über sämtliche laufenden Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Vertragsarztrechts bundesweit auf dem Laufenden zu halten. Eine solche Informationspflicht kann auch nicht aus § 3 der Satzung der Beklagten abgelesen werden, wonach die KVB ihre Mitglieder im Rahmen ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben berät. Die individuelle Honoraroptimierung eines Vertragsarztes ist weder gesetzliche noch satzungsmäßige Aufgabe der KV.

 

I.     Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts München vom 8. Mai 2018, S 43 KA 1297/15 und S 43 KA 206/16, werden zurückgewiesen.

II.     Die Klägerin trägt auch die Kosten der Berufungsverfahren.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist und sodann in den Quartalen 3/2008, 4/2008, 2/2009, 4/2009 und 1/2010 bis 2/2014 die Leistungen im ärztlichen Bereitschaftsdienst höher zu vergüten sind.

Die Klägerin ist als Gemeinschaftspraxis von zwei Fachärzten für Allgemeinmedizin, einer Fachärztin für Innere Medizin und einer Praktischen Ärztin in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 02.03.2015 Widerspruch gegen den Honorarbescheid für das Quartal 3/2014 eingelegt und mitgeteilt, dass Gegenstand des Rechtsmittels die Frage der Abrechnung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes sei. Zugleich wurde in dem Schreiben Widerspruch gegen "die vorausgehenden Honorarbescheide - soweit sie von der Rechtsprechung des BSG betroffen sind - " eingelegt. Die Widerspruchsfrist sei zwar abgelaufen, es liege jedoch eine unverschuldete Fristversäumung vor, so dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Die Beklagte habe es im Rahmen der ihr obliegenden Beratungs- und Informationspflicht versäumt, die Klägerin über wichtige aktuelle Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst zu informieren. Hätte die Klägerin bereits früher Kenntnis von den Streitigkeiten gehabt, hätte sie bereits früher Rechtsmittel gegen die Honorarbescheide eingelegt.

1) Mit Widerspruchsbescheiden vom 25.11.2015 wies die Beklagte jeweils die Widersprüche hinsichtlich der Quartale 3/2008 (Honorarbescheid vom 10.03.2009), 4/2008 (Honorarbescheid vom 21.04.2009), 2/2009 (Honorarbescheid vom 17.02.2010) und 4/2009 (Honorarbescheid vom 19.05.2010) zurück. Der Widerspruch zum Quartal 3/2008 sei wegen Verfristung unzulässig, die Widersprüche zu den Quartalen 4/2008, 2/2009 und 4/2009 seien bereits unstatthaft. In den drei letztgenannten Quartalen habe der Kläger gegen die Honorarbescheide bereits zuvor Widerspruch eingelegt und gegen die daraufhin ergangenen Widerspruchsbescheide vom 22.09.2010 (Quartal 4/2008) und 05.09.2021 (Quartale 2/2009 und 4/2009) keine Klagen erhoben. Eine Wiederholung des Vorverfahrens sei nicht möglich. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung könne nicht entsprochen werden, da kein unverschuldetes Fristversäumnis vorliege. Eine Informationspflicht der KVB dahingehend, die Vertragsärzte über alle bundesweit laufenden Rechtsstreitigkeiten zu informieren, bestehe nicht. Im vorliegenden Fall käme hinzu, dass sich in dem angesprochenen Verfahren zum Bereitschaftsdienst (Urteil des BSG vom 12.12.2012, B 6 KA 2/12 R) ein Krankenhaus auf eine ungleiche Behandlung mit den Vertragsärzten berufen habe. Auswirkungen auf die Vertragsärzte seien somit nicht zwingend zu erwarten gewesen. Zudem habe nach der Entscheidung des BSG lange Zeit nicht festgestanden, welche Neuregelungen der Bewertungsausschuss zur Honorierung der Bereitschaftsdienste treffen würde. Außerdem sei der Antrag auf Wiedereinsetzung bereits unzulässig, da er länger als ein Jahr nach Ende der versäumten Frist gestellt worden sei, § 67 Abs. 3 SGG. Ein Fall von höherer Gewalt, durch den die Klägerin gehindert worden sei, die Frist einzuhalten, liege nicht vor.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihren Klagen vom 23.12.2015 zum SG München (S 43 KA 1279/15, S 43 KA 355/16, S 43 KA 356/16 und S 43 KA 357/16). Die Wiedereinsetzung sei zu gewähren, da die Beklagte es versäumt habe, die Klägerin über wichtige Änderungen im EBM bzw. wichtige Entscheidungen der Obergerichte und des BSG hinsichtlich der Abrechnung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zu informieren.

Das SG hat die Klagen verbunden und mit Urteil vom 08.05 2018 abgewiesen. Völlig zutreffend habe die Beklagte entschieden, dass die Widersprüche der Klägerin in den Quartalen 3/2008, 4/2008, 2/2009 und 4/2009 verfristet bzw. unstatthaft seien. Zur Abkürzung beziehe sich das Gericht auf die Begründung der streitgegenständlichen Widerspruchsbescheide sowie auf die ausführlichen Darlegungen der Beklagten in ihren Schriftsätzen vom 31.08.2017. Insbesondere habe keine Verpflichtung der Beklagten bestanden, die Klägerin durch Informationen zu einer früheren Einlegung des Widerspruchs im Quartal 3/2008 zu veranlassen.
Der im Widerspruchsverfahren gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 67 Abs.3 SGG sei durch den Zeitablauf von mehr als einem Jahr unfraglich unzulässig, höhere Gewalt liege in keiner Weise vor, sie sei von der Klägerin auch nicht geltend gemacht worden.
Was die Quartale 4/2008, 2/2009 und 4/2009 angehe, so sei bezüglich dieser Honorarbescheide das Widerspruchsverfahren zuvor bereits abgeschlossen gewesen, gegen die Widerspruchsbescheide habe die Klägerin keine Klage eingelegt, so dass die Bescheide bestandskräftig seien. Eine Wiederholung der Verfahren komme nicht in Frage. Das Ergebnis hätte im Übrigen auch dann nur die Zurückweisung der Widersprüche als verfristet sein können.

2) Mit Widerspruchsbescheiden vom 03.02.2016 wies die Beklagte die Widersprüche hinsichtlich der Quartale 1/2010 (Honorarbescheid vom 18.08.2010), 2/2010 (Honorarbescheid vom 17.11.2010), 3/2010 (Honorarbescheid vom 16.02.2011), 4/2010 (Honorarbescheid vom 18.05.2011), 1/2011 (Honorarbescheid vom 17.08.2011), 2/2011 (Honorarbescheid vom 16.11.2011), 3/2011 (Honorarbescheid vom 15.02.2012), 4/2011 (Honorarbescheid vom 15.05.2012), 1/2012 (Honorarbescheid vom 16.08.2012), 2/2012 (Honorarbescheid vom 14.11.2012), 3/2012 (Honorarbescheid vom 13.02.2013), 4/2012 (Honorarbescheid vom 15.05.2013), 1/2013 (Honorarbescheid vom 14.08.2013), 2/2013 (Honorarbescheid vom 20.11.2013), 3/2013 (Honorarbescheid vom 12.02.2014), 4/2013 (Honorarbescheid vom 19.05.2014), 1/2014 (Honorarbescheid vom 18.08.2014) und 2/2014 (Honorarbescheid vom 18.11.2014) zurück. Der Widerspruch zu den Quartalen 1/2010, 1/2011, 3/2011, 4/2011, 1/2012 und 3/2012 bis 2/2014 sei wegen Verfristung unzulässig, die Widersprüche zu den Quartalen 2/2010, 3/2010, 4/2010, 2/2011 und 2/2012 bereits unstatthaft. In den fünf letztgenannten Quartalen habe die Klägerin gegen die Honorarbescheide bereits zuvor Widerspruch eingelegt und diesen entweder wieder zurückgenommen (Quartale 2/2010, 4/2010 wegen RLV und 2/2012 wegen Verfristung) oder gegen die ergangenen Widerspruchsbescheide vom 08.05.2013 (Quartale 2/2010 und 4/2010 bzgl. srRi und 3/2010) und 24.04.2012 (Quartal 2/2011 wegen srRi) bzw. 18.12.2013 (Quartal 2/2011 wegen RLV) keine Klagen erhoben. Eine Wiederholung des Vorverfahrens sei nicht möglich. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung könne nicht entsprochen werden, da kein unverschuldetes Fristversäumnis vorliege. Eine Informationspflicht der KVB dahingehend, die Vertragsärzte über alle bundesweit laufenden Rechtsstreitigkeiten zu informieren, bestehe nicht. Im vorliegenden Fall käme hinzu, dass sich in dem angesprochenen Verfahren zum Bereitschaftsdienst (Urteil des BSG vom 12.12.2012, B 6 KA 2/12 R) ein Krankenhaus auf eine ungleiche Behandlung mit den Vertragsärzten berufen habe. Auswirkungen auf die Vertragsärzte seien somit nicht zwingend zu erwarten gewesen. Zudem habe nach der Entscheidung des BSG lange Zeit nicht festgestanden, welche Neuregelungen der Bewertungsausschuss zur Honorierung der Bereitschaftsdienste treffen würde. Außerdem sei der Antrag auf Wiedereinsetzung hinsichtlich der Quartale 1/2010 bis 2/2013 bereits unzulässig, da er länger als ein Jahr nach Ende der versäumten Frist gestellt worden sei, § 67 Abs. 3 SGG. Ein Fall von höherer Gewalt, durch den die Klägerin gehindert worden sei, die Frist einzuhalten, liege nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 18.02.2016 jeweils Klage zum SG München erhoben (S 43 KA 206/16, S 43 KA 247/16 bis S 43 KA 263/16). Die Wiedereinsetzung sei zu gewähren, da die Beklagte es versäumt habe, die Klägerin über wichtige Änderungen im EBM bzw. wichtige Entscheidungen der Obergerichte und des BSG hinsichtlich der Abrechnung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zu informieren.

Das SG hat diese Klagen verbunden und ebenfalls mit Urteil vom 08.05.2018 abgewiesen. Völlig zutreffend habe die Beklagte entschieden, dass die Widersprüche der Klägerin in den Quartalen 1/2010 bis einschließlich 2/2014 verfristet bzw. unstatthaft seien.
Zur Abkürzung bezog sich das Gericht auf die Begründung der streitgegenständlichen Widerspruchsbescheide sowie auf die Darlegungen der Beklagten im Schriftsatz vom 31.08.2017 im Verfahren S 43 KA 247/16. Insbesondere habe keine Verpflichtung der Beklagten bestanden, die Klägerin durch Informationen zu einer früheren Einlegung der Widersprüche zu veranlassen. Der im Widerspruchsverfahren gestellte Antrag auf Widereinsetzung sei gemäß § 67 Abs.3 SGG durch den Zeitablauf von mehr als einem Jahr unfraglich unzulässig, höhere Gewalt liege in keiner Weise vor, sie sei von der Klägerin auch nicht geltend gemacht worden.
Was die Quartale 2/2010, 3/2010, 4/2010, 2/2011 und 2/2012 angehe, so sei bezüglich dieser Honorarbescheide das Widerspruchsverfahren zuvor bereits abgeschlossen gewesen, gegen die Widerspruchsbescheide habe die Klägerin keine Klage eingelegt, so dass sie bestandskräftig geworden seien. Eine Wiederholung der Verfahren komme nicht in Frage. Das Ergebnis hätte im Übrigen auch dann nur die Zurückweisung der Widersprüche als verfristet sein können.

3) Gegen die Urteile des SG vom 08.05.2018 wendet sich die Klägerin mit ihren Berufungen vom 06.06.2018 zum BayLSG. Wiedereinsetzung sei zu gewähren und der Honoraranspruch der Klägerin zu befriedigen.

Mit gerichtlichen Schreiben vom 12.05.2020 und 11.02.2021 wurde die Klägerin auf die Aussichtslosigkeit der Berufungen hingewiesen. Hierauf erwiderte die Klägerin am 25.02.2021 und begründete die Berufungen. Die Klägerin sei seit vielen Jahren Vertragspartnerin der Beklagten und zahle hierfür einen hohen Verwaltungsbeitrag von über 10.000,- € pro Jahr. Zu den Pflichten der Beklagten zähle auch eine intensive Rechtsberatung und -unterstützung, auch bezüglich der Honorarabrechnung. Die Beklagte habe insoweit eine anwaltsgleiche Garantenstellung. Das BSG habe in seinem maßgeblichen Urteil vom 12.12.2012 entschieden, dass die Abrechnung zur Notfallversorgung rückwirkend geändert werden müsse, so dass auch das Honorar rückwirkend in erhöhter Form zu zahlen sei. Die Beklagte habe dies für Quartale, die durch unspezifische Rechtsmittel noch offen waren, auch problemlos getan. Der rechtswidrige Zustand der zu geringen Honorarzahlung müsse auch in den übrigen Quartalen beseitigt werden. Deshalb sei auch die Wiedereinsetzung zu gewähren, zumal die Beklagte die Klägerin auf die Einlegung von Rechtsmitteln hätte hinweisen müssen. Finanzämter würden einen Hinweis verwenden, dass hinsichtlich bestimmter Rechtsfragen die Einlegung von Rechtsmitteln nicht notwendig sei. Auch dieser Vorgehensweise hätte sich die Beklagte bedienen können. Der Wiedereinsetzung sei daher wegen des rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten stattzugeben. Desweiteren wird der bisherige Vortrag wiederholt.

Die Klägerin stellt den Antrag,
 
die Urteile des Sozialgerichts München vom 08.05.2018, S 43 KA 1279/15 und S 43 KA 206/16 abzuändern und die Honorarbescheide für die Quartale 3/2008, 4/2008, 2/2009, 4/2009 und 1/2010 bis 2/2014 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25.11.2015 und 03.02.2016 insoweit aufzuheben, als Leistungen im Bereitschaftsdienst erbracht wurden und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und über den Honoraranspruch der Klägerin in den streitgegenständlichen Quartalen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Urteile des SG für zutreffend.

Der Senat hat die Verfahren mit Beschluss vom 03.03.2021 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen L 12 KA 24/18 verbunden.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts München mit den Az. S 43 KA 1279/15, S 43 KA 355/16, S 43 KA 356/16, S 43 KA 357/16, S 43 KA 206/16 und S 43 KA 247/16 bis S 43 KA 263/16 sowie die Berufungsakten Az. L 12 KA 24/18, L 12 KA 25/18 und L 12 KA 33/18 bis L 12 KA 52/18 zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufungen der Klägerin sind zulässig, aber nicht begründet.

Das Sozialgericht München hat mit den angefochtenen Urteilen vom 08.05.2018 zu Recht die Klagen der Klägerin gegen die Honorarbescheide für die Quartale 3/2008, 4/2008, 2/2009, 4/2009 und 1/2010 bis 2/2014 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25.11.2015 und 03.02.2016 abgewiesen. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Widersprüche der Klägerin gegen die streitgegenständlichen Honorarbescheide unstatthaft bzw. verfristet waren und der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

1) Hintergrund der Widersprüche der Klägerin ist ein Urteil des BSG zur Rechtswidrigkeit der Vergütung für ambulante Notfallbehandlungen im Krankenhaus im Quartal 2/2008 (Urteil vom 12.12.2012, Az. B 6 KA 3/12 R). Das BSG hatte mit diesem Urteil die Zusatzpauschalen GOP 01211, 01215, 01217 und 01219 im Hinblick auf den Grundsatz der gleichen Vergütung für Vertragsärzte und Krankenhäuser insofern beanstandet, als Krankenhäusern, die eine Notfallambulanz betreiben, diese Zusatzpauschalen mangels nachgewiesener Besuchsbereitschaft nicht vergütet worden sind und dem Bewertungsausschuss Gelegenheit zu einer gesetzeskonformen Neuregelung gegeben.

Der Bewertungsausschuss hat mit den Beschlüssen in der 341., 344. und 354. Sitzung die entsprechenden Bestimmungen des EBM rückwirkend zum 01.01.2008 geändert und dabei die beanstandeten Positionen 01211, 01215, 01217 und 01219 gestrichen. Das BSG hat diese Änderungen des EBM wie folgt zusammengefasst (Urteil vom 03.04.2019 - B 6 KA 67/17 R, Rn. 18):

"Die bisherige GOP 01210 EBM-Ä (Notfallpauschale) wurde geändert und mit der GOP 01212 EBM-Ä eine weitere Notfallpauschale eingefügt, wobei diese beiden GOP gleichermaßen im organisierten vertragsärztlichen Not(-fall)dienst und für nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser abrechenbar sind. Die GOP 01210 EBM-Ä ist bei einer Inanspruchnahme zwischen 7 Uhr und 19 Uhr (außer an Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen und am 24. und 31.12.) und die höher bewertete GOP 01212 EBM-Ä bei einer Inanspruchnahme zwischen 19 Uhr und 7 Uhr des Folgetages sowie ganztägig an Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen und am 24. und 31.12. abrechenbar. Hiermit soll der Mehraufwand einer Not(-fall)versorgung in den Abend- und Nachtstunden sowie an Feiertagen abgebildet werden. Der Besuch im organisierten Not(-fall)dienst sowie der Besuch im Rahmen der Notfallversorgung durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser wurde aus der GOP 01411 EBM-Ä ("Dringender Besuch") ausgegliedert und in eine neue GOP 01418 EBM-Ä ("Besuch im organisierten Not(-fall)dienst") überführt. Das aufgrund der Streichung der GOP 01211, 01215, 01217 und 01219 EBM-Ä und der Anpassung der GOP 01210 EBM-Ä freigewordene Vergütungsvolumen wurde zur Anpassung bzw. Festlegung der Bewertung der GOP 01212, 01214, 01216, 01218 und 01418 EBM-Ä verwendet, um eine "punktsummenneutrale Umstrukturierung" zu erreichen (vgl. Entscheidungserhebliche Gründe zum Beschluss des BewA gemäß § 87 Abs. 1 S 1 SGB V in seiner 341. Sitzung am 17.12.2014 zur Änderung des EBM mit Wirkung zum 1.1.2008)."

2) Die Klägerin kann keine (höhere) Vergütung für die streitbefangenen Quartale 3/2008, 4/2008, 2/2009, 4/2009 und 1/2010 bis 2/2014 nach den rückwirkend zum 01.01.2008 geänderten Neuregelungen des EBM beanspruchen, denn die Honorarbescheide für diese Quartale sind bestandskräftig geworden.

a) Die Widersprüche bezogen auf die Quartale 4/2008, 2/2009, 4/2009, 2/2010, 3/2010, 4/2010, 2/2011 und 2/2012 waren schon unstatthaft, da die Klägerin gegen die jeweiligen Honorarbescheide zuvor aus anderen Gründen Widerspruch erhoben hatte. Über diese Widersprüche war sodann entweder (ohne nachfolgendes Klageverfahren) entschieden worden (Quartal 4/2008: WB vom 22.09.2010; Quartale 2/2009 und 4/2009: WBe vom 05.09.2012; Quartale 2/2010, 3/2010 und 4/2010: WBe vom 08.05.2013; Quartal 2/2011: WBe vom 24.04.2012 und 18.12.2013) oder die Klägerin hatte die Widersprüche zurückgenommen (Quartale 2/2010 und 4/2010 bzgl. RLV und 2/2012 wegen Verfristung). Nach § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, sofern gegen ihn kein Rechtsbehelf eingelegt wurde oder der Rechtsbehelf erfolglos eingelegt wurde (vgl. hierzu auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 77 Rn. 4). Ein erneutes Vorverfahren sieht das SGG nicht vor.

b) Soweit die Klägerin gegen die Honorarbescheide bislang keine Widersprüche eingelegt hatte (Quartale 3/2008, 1/2010, 1/2011, 3/2011, 4/2011, 1/2012 und 3/2012 bis 2/2014), waren die Widersprüche wegen Ablauf der Widerspruchsfrist unzulässig. Nach § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist, einzulegen. Nach § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der - wie hier - durch die Post übermittelt wird, mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Honorarbescheide sind der Klägerin daher wie folgt bekanntgegeben worden:

Quartal

Datum Honorarbescheid

(jeweils am gleichen Tag zur Post gegeben)

Datum Bekanntgabe

3/2008

10.03.2009

13.03.2009

1/2010

18.08.2010

21.08.2010

1/2011

17.08.2011

20.08.2011

3/2011

15.02.2012

18.02.2012

4/2011

15.05.2012

18.05.2012

1/2012

16.08.2012

19.08.2012

3/2012

13.02.2013

16.02.2013

4/2012

15.05.2013

18.05.2013

1/2013

14.08.2013

17.08.2013

2/2013

20.11.2013

23.11.2013

3/2013

12.02.2014

15.02.2014

4/2013

19.05.2014

22.05.2014

1/2014

18.08.2014

21.08.2014

2/2014

18.11.2014

21.11.2014

 

Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass ihr die Honorarbescheide zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sind. Der bei der Beklagten am 03.02.2015 eingegangene Widerspruch gegen die vorgenannten Honorarbescheide war damit verfristet. Dies bestreitet die Klägerin auch nicht.

3) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG liegen nicht vor. Wiedereinsetzungsgründe hat die Klägerin weder ausreichend dargelegt noch sie glaubhaft gemacht. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

a) Für die Quartale bis einschließlich 2/2013 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung schon nicht zulässig. Nach § 67 Abs. 3 SGG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig. Die Jahresfrist des § 67 Abs. 3 SGG verfolgt den Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten. Der Honorarbescheid für das Quartal 2/2013 vom 20.11.2013 ist der Klägerin am 23.11.2013 bekanntgegeben worden, Ablauf der Widerspruchsfrist nach § 84 Abs. 1 SGG war damit Montag, der 23.12.2013 und infolgedessen Ablauf der Jahresfrist Dienstag, der 23.12.2014. Zum Zeitpunkt des am 03.02.2015 erhobenen Antrages auf Wiedereinsetzung war die Jahresfrist für das Quartal 2/2013 daher bereits abgelaufen. Der Ablauf der Jahresfrist für die Vorquartale lag vor diesem Zeitpunkt, da der Klägerin - wie oben aufgeführt - die Honorarbescheide für die Quartale bis 1/2013 zu einem früheren Datum als dem 23.11.2013 bekanntgegeben wurden, sodass auch hinsichtlich der streitbefangenen Vorquartale die Jahresfrist nicht eingehalten wurde.

b) Der Antrag war auch nicht vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich. Unter höherer Gewalt iS des § 67 Abs. 3 SGG wird nicht nur wie im Haftungsrecht ein von außen kommendes nicht beeinflussbares Ereignis (Krieg, Naturkatastrophe, Reaktorunfall, Epidemie oÄ), sondern jedes Geschehen verstanden, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffenen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (BSG, Beschluss vom 06.10.2011 - B 14 AS 63/11 B -, SozR 4-1500 § 67 Nr 9). Damit können sich etwa objektiv falsche oder irreführende Auskünfte einer Behörde nach der Rechtsprechung des BSG als höhere Gewalt iS des § 67 Abs. 3 SGG darstellen (vgl BSGE 91, 39 = SozR 4-1500 § 67 Nr 1, RdNr 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 67 Rn 14a).
Die Beklagte hat aber weder falsche noch irreführende Auskünfte im Hinblick auf die vertragsärztliche Vergütung des Bereitschaftsdienstes gegeben. Dies trägt die Klägerin auch nicht vor. Sie wirft der Beklagten vielmehr vor, einer ihr obliegenden Beratungs- und Informationspflicht nicht nachgekommen zu sein. Höhere Gewalt stellt dies indes nicht dar.

b) Aber auch für die Quartale 3/2013 bis 2/2014 ist der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die Widerspruchsfrist einzuhalten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Vertragsärzte über sämtliche laufenden Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Vertragsarztrechts bundesweit auf dem Laufenden zu halten. Eine solche Informationspflicht kann auch nicht aus § 3 der Satzung der Beklagten abgelesen werden, wonach die KVB ihre Mitglieder im Rahmen ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben berät. Die individuelle Honoraroptimierung eines Vertragsarztes ist weder gesetzliche noch satzungsmäßige Aufgabe der Beklagten. Zudem war auch nach Veröffentlichung des Urteils des BSG vom 12.12.2012, B 6 KA 3/12 R, im Mai 2013 für die Beklagte nicht ersichtlich, welche Konsequenzen der Bewertungsausschuss aus dem Urteil ziehen würde. Zu einer Änderung der entsprechenden Bestimmungen des EBM rückwirkend zum 01.01.2008 kam es erst mit den Beschlüssen des Bewertungsausschusses in der 341. (Beschluss vom 17.12.2014), 344. und 354. Sitzung. Nach Veröffentlichung dieser Beschlüsse hatte die Beklagte aber ua die Klägerin auf die Neuregelung hingewiesen, mit der Folge der Widersprucheinlegung vom 03.02.2015. Erst nach Veröffentlichung der maßgeblichen Beschlüsse des Bewertungsausschusses war klar, dass und mit welchem Inhalt die Regelung zur Notfall/Bereitschaftsdienstvergütung rückwirkend zum 01.01.2008 getroffen wurde. Zudem war Hintergrund der Neuregelung eine Schlechterstellung der Krankenhäuser gegenüber den Vertragsärzten, so dass sich schon aus diesem Grund keine Information der Klägerin als vertragsärztlicher Praxis aufgedrängt hätte. Außerdem ist das vg Urteil des BSG vom 12.12.2012 bereits im Mai 2013 ua im Ärzteblatt veröffentlicht worden, so dass die Klägerin selbst bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der (alten) EBM-Regelungen hätte erlangen können. Damit ist mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung am 02.03.2015 auch die Frist des § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht eingehalten worden, wonach der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (hier Veröffentlichung des BSG-Urteils) zu stellen ist.

Die Berufungen haben daher unter keinem denkbaren Aspekt Erfolg und waren zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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