L 3 AS 39/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 31 AS 1129/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 AS 39/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine in dem Schulgebäude oder auf dem Schulgelände stattfindende Projektveranstaltung ist kein Schulausflug im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II.

 

Das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 28. November 2019 wird auf die Berufung des Beklagten aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Leistungen zur Bildung und Teilhabe (BUT)  für die Teilnahme an einem von der Schule im Rahmen einer Projektwoche organisierten Zirkusprojekts.

 

Die 2010 geborene Klägerin lebte im streitgegenständlichen Zeitraum bei ihrer Mutter, die das alleinige Sorgerecht inne hat. Als Teil der Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter bezog die Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch  (SGB II) vom Beklagten. Der Beklagte bewilligte die Leistungen für den Zeitraum vom 01. Oktober 2017 bis zum 31. März 2018 mit Bescheid vom 30. Januar 2018 sowie für den Zeitraum vom 01. April 2018 bis zum 31. August 2018 mit Bescheid vom 13. März 2018 in der Fassung des Bescheides vom 24. August 2018.

 

Mit Schreiben vom 12. März 2018 beantragte die stellvertretende Schulleiterin der von der Klägerin seit dem 04. September 2017 besuchten Schule mit einem formularmäßigen Antrag auf Kostenübernahme von Schulausflügen und Schulveranstaltungen im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen für 14 Schülerinnen und Schüler, unter anderem auch für die Klägerin, die Übernahme der Kosten für die Teilnahme am Projekt Circus . Dem Antrag war ein Vertrag zwischen dem Projekt Circus  und der von der Klägerin besuchten Schule beigefügt. Danach sollte das Projekt vom 09. April 2018 bis zum 13. April 2018 in der Schule stattfinden und der Preis für die Ausbildung pro Kind 10 Euro betragen. Das Zirkusprojekt war so ausgestaltet, dass es von Montag bis Freitag dauern und alle 186 Schülerinnen und Schüler der Schule in den Klassenstufen 1 bis 6 teilnehmen sollten.

 

Mit Bescheid vom 15. März 2018 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass das Projekt vollumfänglich auf dem Schulgelände stattfinde und es sich somit nicht um einen Ausflug im Sinne der schulrechtlichen Bestimmungen handele.

 

Mit weiterem Bescheid vom 27. März 2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag vom 16. März 2018 für die Zeit vom 01. April 2018 bis zum 31. März 2019 Leistungen für eintägige Schulausflüge als Gutschein. Danach übernahm der Beklagte die tatsächlichen Kosten für eintägige Schulausflüge der von der Klägerin besuchten Schule. Für die Geltendmachung der Kosten vor dem Ausflug war das Formular „Antrag auf Kostenübernahme von Schulausflügen und -veranstaltungen im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen“ von der Schule zu nutzen.

 

Die Klägerin nahm an dem Zirkusprojekt teil, ohne hierfür eine Förderung durch Dritte in Anspruch genommen zu haben. Die Durchführung des Projekts erfolgte auf dem Sportplatz der Schule und im Zirkuszelt, das auf dem Schulgelände aufgebaut war.

 

Den gegen den Ablehnungsbescheid vom 15. März 2018 erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 14. April 2018 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2018, abgesandt am 19. Juli 2018, zurück. Die Kindern und Jugendlichen im Bereich der BUT zu gewährenden Bedarfe seien in § 28 Abs. 2 bis 7 SGB II abschließend geregelt. Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB II würden bei Schülern die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen anerkannt. Bei dem Zirkusprojekt handele es sich jedoch nicht um eine solche Veranstaltung. Schulische Veranstaltungen, die - wie das Zirkusprojekt - auf dem Schulgelände stattfinden, seien von der Vorschrift nicht erfasst.

 

Mit ihrer beim Sozialgericht Cottbus (SG) am 21. August 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das SG Cottbus hat mit Urteil vom 28. November 2019 den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 15. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2018 verurteilt, an die Klägerin 10 Euro für die Teilnahme am Zirkusprojekt zu zahlen. Die Klägerin habe einen Anspruch auf die Kostenübernahme für das Zirkusprojekt aus § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift seien die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge anzuerkennen. Bei dem Zirkusprojekt handele es sich um einen Schulausflug. Kennzeichnend dafür sei die schulische Verantwortung, die sich auf Organisation und Durchführung der außerunterrichtlichen Aktivität beziehe. Es könne keine Rolle spielen, ob die Aktivität im unmittelbaren Umfeld des Schulgeländes oder sogar in der Schule stattfinde. Sinn und Zweck der Vorschrift sei die gleichberechtigte Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler an Veranstaltungen ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation der Eltern. Es solle eine Ausgrenzung verhindert werden. Dieser Zweck der Teilhabe und Integration sei nicht zu erreichen, wenn das von der Klägerin besuchte Zirkusprojekt von der Förderung ausgeschlossen wäre. Über das Üben zirkusartiger Geschicklichkeit hinaus sollten die Kinder in dem Projekt lernen, in der Gemeinschaft etwas zu bewegen, sie sollten motiviert werden, Eigenes zu kreieren. Pädagogisches Ziel sei es des Weiteren, den Kindern ein Handwerkszeug zu verschaffen, mit dem sie sich ausgeglichen durch die komplexe Gesellschaft bewegen können. Diese Ziele seien pädagogisch und soziokulturell derart wertvoll, dass zur Überzeugung des Gerichts feststehe, dass derartige Projekte zwingend von der Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II erfasst sein müssten. Es könne keinen Unterschied machen, ob das Zirkusprojekt in der nächsten Stadt oder auf dem Schulgelände stattfinde, um als Ausflug im Sinne der Norm zu gelten. Die Ausgrenzung für den Fall der Nichtförderung von solchen Projekten an Schulen sei sogar noch größer als bei der bloßen Nichtteilnahme an außerschulischen Ausflügen, weil die Betroffenen in der Schule erscheinen müssten, dort aber nicht teilnehmen könnten. Das SG hat die Berufung zugelassen, weil diese Fallkonstellation für den Beklagten und die Jobcenter generell grundsätzliche Bedeutung habe.

 

Der Beklagte hat am 09. Januar 2020 gegen das am 12. Dezember 2019 vom Gericht abgesandte Urteil, welches ihm laut Empfangsbekenntnis am „13. Oktober 2019“ zugestellt worden sein soll, Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung, dass es sich bei dem Zirkusprojekt weder um einen eintägigen Schulausflug noch um eine mehrtägige Klassenfahrt handele und daher die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht erfüllt seien, fest. Bei schulischen Veranstaltungen, die auf dem Schulgelände stattfinden und daher keinen gemeinschaftlichen Ortswechsel bedingen würden, handle es sich bereits begrifflich nicht um einen Ausflug. Bei dem Zirkusprojekt handele es sich vielmehr um die Durchführung von Projekttagen, die gerade von der Vorschrift nicht erfasst werden würden. Die Argumentation des SG sei zwar nachvollziehbar, der Gesetzgeber habe jedoch detailliert geregelt, was erfasst sein solle. Der Sachverhalt sei unter keinen anderen Absatz der abschließenden Regelung des § 28 SGB II zu subsumieren. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 28 Abs. 7 SGB II, da dieser nur außerschulische Aktivitäten erfasse.

 

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 28. November 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil für überzeugend. Die Klägerin habe auch keine anderweitigen Leistungen für die Teilnahme an dem Zirkusprojekt beantragt oder erhalten. Der Beklagte hätte die Kosten jedenfalls aufgrund von § 28 Abs. 7 SGB II übernehmen müssen, der Anwendungsbereich dieser Vorschrift sei nicht auf außerschulische Aktivitäten begrenzt.

 

Der Senat hat eine Auskunft der Grundschule vom 16. August 2021 zum durchgeführten Zirkusprojekt eingeholt. Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 13. Januar 2022 und 04. Februar 2022 mit der Entscheidung des Senats im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, nachdem sich alle Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

 

Die Berufung hat Erfolg. Sie wurde fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils (§ 151 Abs. 1 SGG) beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Senat ist davon überzeugt, dass das auf den 16. Oktober 2019 datierte Empfangsbekenntnis durch den Beklagten fehlerhaft ausgestellt worden ist. Das angegriffene Urteil kann dem Beklagten nicht vor dessen Absendung am 12. Dezember 2019 zugegangen sein. Die am 09. Januar 2020 erfolgte Einlegung der Berufung war daher fristgemäß. Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des SG Cottbus ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

I. Die Klage ist zulässig. Richtige Klageart hinsichtlich des von Klägerin verfolgten Begehrens - Aufhebung der Ablehnung ihres Antrags auf Bildungs- und Teilhabeleistungen und Gewährung dieser Leistungen - ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 4  SGG). Nach § 54 Abs. 4 SGG kann, soweit der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht, die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage geführt werden.

 

Die Klägerin kann ihr Begehren in statthafter Weise mit der Leistungsklage verfolgen.

Die Leistungen zur BUT waren im hier maßgeblichen Zeitraum gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2019 geltenden Fassung vom 07. Mai 2013 (a. F.) grundsätzlich als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen, wobei der kommunale Träger zu bestimmen hatte, in welcher konkreten Form die Leistungserbringung erfolgt. Der Beklagte hatte sich zur Erbringung per Gutschein entschieden. Regelmäßig wäre daher die Verpflichtungsbescheidungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) die statthafte Klageart. Der Beklagte hat aber für die Teilnahme an dem Zirkusprojekt konkret keine Sachleistung erbracht, sie ist auf Grund des Zeitablaufs auch nicht mehr möglich, so dass für die Klägerin allein der auf Übernahme der für eine Vorleistung berücksichtigungsfähigen Aufwendungen  gerichtete Anspruch aus § 30 SGB II und damit ein Zahlungsanspruch in Betracht kommt. Beschafft sich der Leistungsberechtigte die Leistung endgültig selbst, richtet sich das Begehren auf eine Geldleistung, die im Wege einer Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen ist (BSG, Urteil vom 25. April 2018 – B 4 AS 19/17 R -, juris; Gagel/Schwabe, 84. EL Dezember 2021, SGB II § 28 Rn. 72).

 

II.  Die Klage ist aber unbegründet. Der angegriffene Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 15. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2018 erweist sich nicht als rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf die Gewährung der Leistungen zur BUT in Form einer Sachleistung und daher auch keinen Anspruch auf nachträgliche Kostenerstattung.

 

1. Als Anspruchsgrundlage kommt zunächst § 19 Abs. 2 SGB II i. V. m. § 28 SGB II in der bis zum 31. Juli 2019 gültigen Fassung vom 22. Dezember 2016 (a. F.) in Betracht.

 

Die Klägerin war dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II. Sie hatte Anspruch auf Sozialgeld. Gemäß § 19 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld. Die im streitigen Zeitraum erst 7-jährige Klägerin lebte mit ihrer leistungsberechtigten Mutter in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und war hilfebedürftig.

 

Nach § 19 Abs. 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben dem Regelbedarf nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gesondert berücksichtigt. Der für den Besuch des Zirkusprojektes im April 2018 entstandene Bedarf der Klägerin in Höhe von 10 Euro fällt jedoch unter keine dieser Fallgruppen.

 

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Kosten vom Schulträger zu tragen gewesen wären. Sie fallen zwar nicht unter die in § 14 Abs. 4 und  § 111 Abs. 2 und 3 Brandenburgisches Schulgesetz (BbgSchulG) i. V. m. § 10 der Verordnung über die Zulassung von Lernmitteln und über die Lernmittelfreiheit (LernMV) geregelte Lernmittelfreiheit. Nach § 4 Abs. 2 BbgSchulG sind Lernmittel Schulbücher und andere dem gleichen Zweck dienende Unterrichtsmittel (vgl. auch § 1 Abs. 1 LernMV). Grundsätzlich hat aber der Schulträger die Sachkosten für die Organisation des Schulunterrichts, zu dem auch Projektwochen gehören, zu tragen (§ 110 BbgSchulG). Darauf kommt es aber letztlich nicht an, denn die Kosten sind nicht vom Schulträger übernommen worden, sondern wurden von der Klägerin tatsächlich verlangt, so dass ein entsprechender Bedarf bei ihr entstanden ist.

 

a. Die Kosten des Zirkusprojektes sind nicht bereits von § 28 Abs. 3 SGB II erfasst und mit der der Klägerin für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf gewährten Pauschale abgegolten. Nach § 28 Abs. 3 SGB II a. F. wurde für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 01. August und 30 Euro zum 01. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt. Nach der dieser Regelung  zugrunde liegenden Regelungskonzeption des Gesetzgebers ist von der Pauschale nur die Ausstattung mit persönlichen Gegenständen erfasst (Schulranzen, Schulrucksack und Sportzeug, für den persönlichen Ge- und Verbrauch bestimmte Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien, Füller, Kugelschreiber, Blei- und Malstifte, Taschenrechner, Geodreieck, Hefte und Mappen, Tinte, Radiergummis, Bastelmaterial, Knetmasse).

 

b. Ein Anspruch auf die Gewährung der 10 Euro folgt nicht aus § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Danach werden bei Schülerinnen und Schülern die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge (Nr. 1) und mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen (Nr. 2) als Bedarf anerkannt.

 

Vom Wortlaut her ist das auf dem Schulgelände der von der Klägerin besuchten Grundschule stattfindende Zirkusprojekt nicht von der Anspruchsgrundlage umfasst. Es handelt sich dabei weder um einen Ausflug noch um eine Klassenfahrt, vielmehr fanden alle Bestandteile des Projektes auf dem Schulgelände statt.

 

Den Ausführungen des SG Cottbus ist zwar dahingehend zu folgen, dass der mit der Regelung verfolgte Zweck eine Förderung des Zirkusprojektes einschließt. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf vom 26. Oktober 2010 (BT-Dr.17/3404, S. 104 f.) sollen mit den Bedarfen für BUT eigenständige Bedarfe neben dem Regelbedarf anerkannt werden, um durch zielgerichtete Leistungen eine stärkere Integration bedürftiger Kinder und Jugendlicher in die Gemeinschaft zu erreichen. Sie seien notwendig, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus seinem Urteil vom 09. Februar 2010 zu erfüllen. Die materielle Ausstattung von Schülerinnen und Schülern, die Teilnahme an schulischen Aktivitäten sowie die außerschulische Bildung seien gesondert und zielgerichtet zu erbringen, um gesellschaftliche Exklusionsprozesse zu beenden. Der die Menschenwürde achtende Sozialstaat müsse nachrangig über das Fürsorgesystem die Leistungen erbringen, die notwendig sind, damit insbesondere Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten durch Entwicklung und Entfaltung ihrer Fähigkeiten in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt später aus eigenen Kräften bestreiten zu können (vgl. BVerfG, Urteil vom 09. Februar 2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Rn. 192). § 28 Absatz 2 Satz 1 SGB II sehe daher Bedarfe für die Teilnahme an eintägigen Schulausflügen (Nummer 1) und an mehrtägigen Klassenfahrten (Nummer 2) vor, um so die gleichberechtigte Teilnahme aller Schüler an diesen Veranstaltungen ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation ihrer Eltern sicherzustellen. Weil das Fernbleiben von schulischen Gemeinschaftsveranstaltungen Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklungsphase besonders nachhaltig negativ prägen könne, diene die Vorschrift in besonderem Maße der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Die mit der Regelung verbundenen Ziele könnten nur erreicht werden, wenn die Aufwendungen für Klassenfahrten und Schulausflüge in tatsächlicher Höhe berücksichtigt werden. Dies entspreche in Bezug auf den Sonderbedarf für mehrtägige Klassenfahrten bereits der ständigen Praxis von Verwaltungen und Sozialgerichten, werde aber bezogen auf alle Bedarfe des § 28 Absatz 2 SGB II nochmals ausdrücklich klargestellt. Mit der Ausweitung des Bedarfs auf eintägige Klassenausflüge werde Anregungen der schulischen Praxis entsprochen. Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler aus bedürftigen Haushalten an Klassenausflügen wegen der damit verbundenen Kosten seltener teilnehmen. In Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern im Bezug existenzsichernder Leistungen fänden deshalb bisweilen gar keine Klassenausflüge mehr statt. Dieser für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen negativen Entwicklung solle mit den Leistungen entgegengewirkt werden.

 

Die Teilnahme an dem Zirkusprojekt, in dem die Kinder gemeinsam für  Vorführungen proben und diese letztlich einem Publikum präsentieren, dient zweifellos der Entwicklung und Entfaltung ihrer Fähigkeiten und der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Das Fernbleiben von dieser schulischen Gemeinschaftsveranstaltung könnte einem Kind, hier der Klägerin, das Gefühl des Ausschlusses von der Gemeinschaft vermitteln und es in seiner Entwicklungsphase negativ prägen. Unter diesem Blickwinkel macht es keinen Unterschied, ob die Klägerin nicht an einem gemeinsamen Ausflug teilnehmen kann oder aber von der Entwicklung, dem Proben und dem Präsentieren einer Zirkusvorstellung ausgeschlossen bleibt. Die wiedergegebene Gesetzesbegründung zeigt aber zugleich, dass von der Entstehungsgeschichte her die Bedarfe für in der Schule stattfindende Veranstaltungen von der Regelung in § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht erfasst werden sollten. Die Regelung hat die zunächst in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung enthaltene Regelung zu Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten aufgenommen und ausdrücklich nur um eintägige Schulausflüge erweitert. Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass die Erweiterung sich tatsächlich auf Klassenausflüge beschränken sollte, da von solchen in Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern im Bezug existenzsichernder Leistungen abgesehen werde. Eine Ausweitung auf alle schulischen Veranstaltungen war daher vom Willen des Gesetzgebers ersichtlich nicht getragen.

 

Im Ergebnis ist daher der Auslegung nach dem Wortlaut der Vorzug zu geben und es sind Schulausflüge i. S. d. § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II als eintägige Veranstaltungen ohne Übernachtung außerhalb des Schulgeländes zu verstehen (so auch: Leopold/Buchwald in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 28 (Stand: 04. Oktober 2021), Rn. 73;  Voelzke in: Hauck/Noftz SGB II, Stand: 1. Ergänzungslieferung 2022, § 28 Rn. 37; Schwabe in: Gagel, SGB II/SGB III 84. EL Dezember 2021, SGB II § 28 Rn. 10; Lenze in: Münder/Geiger, SGB II, 7. Auflage 2021, § 28 Rn. 8).

 

c. Das Zirkusprojekt unterfällt auch nicht dem Anwendungsbereich des § 28 Abs. 7 SGB II a. F..

 

Gemäß § 28 Abs. 7 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung war bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ein Bedarf zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft in Höhe von insgesamt 10 Euro monatlich zu berücksichtigen für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit (Nr. 1), für Unterricht in künstlerischen Fächern (zum Beispiel Musikunterricht) und vergleichbare angeleitete Aktivitäten der kulturellen Bildung (Nr. 2) und für die Teilnahme an Freizeiten (Nr. 3).

 

Ziel der Vorschrift ist es, Kinder und Jugendliche stärker als bisher in bestehende Vereins- und Gemeinschaftsstrukturen zu integrieren und den Kontakt mit Gleichaltrigen zu intensivieren (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/3404, S. 106). Es soll ein Budget zur Verfügung gestellt werden, damit die Kinder ein ihren Wünschen und Fähigkeiten entsprechendes Angebot wahrnehmen können. Das neben den Regelbedarfen zu berücksichtigende Budget ist pauschaliert. Im Hinblick auf die Anerkennung des Bedarfs in § 28 Absatz 6 [jetzt: Absatz 7] sind bei der Bemessung der Regelbedarfe von Kindern und Jugendlichen die Positionen „Außerschulische Unterrichte, Hobbykurse“ in der Abteilung 09 und „Mitgliedsbeiträge an Organisationen ohne Erwerbszweck“ in Abteilung 12 der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 unberücksichtigt gebelieben (Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/3404, S. 106).

 

Aus der Gesetzesbegründung und der systematischen Stellung der Vorschrift im Normgefüge des § 28 SGB II, in dem in den Absätzen 2 bis 6 zunächst die schulischen und die mit dem Schulbesuch unmittelbar zusammenhängenden Bedarfe geregelt werden, wird deutlich, dass mit der Anerkennung der entsprechenden Bedarfe in Absatz 7 der Vorschrift die außerschulischen Aktivitäten in organisierten Freizeitveranstaltungen und die dortige Integration gefördert werden sollen. Schulische Veranstaltungen fallen daher nicht darunter (BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 12/13 R –, Rn. 22, juris; Leopold/Buchwald in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 28 (Stand: 04. Oktober 2021), Rn. 194; Voelzke in: Hauck/Noftz SGB II, 1. Ergänzungslieferung 2022, § 28 Rn. 110).

 

2. Es ist auch nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung geboten, in Abweichung zu dem von Wortlaut und Entstehungsgeschichte her gefundenen Auslegungsergebnis das Zirkusprojekt unter § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB II oder § 28 Abs. 7 SGB II zu subsumieren oder aber in entsprechender Anwendung von § 21 Abs. 6 SGB II einen Anspruch auf Grund eines Härtefalles anzunehmen. Die Kosten sind von der Klägerin aus dem Regelsatz zu bestreiten (vgl. zur früheren Rechtslage bei eintägigen Ausflügen: BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 14 AS 6/09 R -, Rn. 12, juris).

 

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind (BVerfG, Urteil vom 09. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 –, Leitsatz, juris). Dabei gehören notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten zum existentiellen Bedarf der Kinder. Ohne Deckung dieser Kosten droht hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen, weil sie ohne den Erwerb der notwendigen Schulmaterialien, wie Schulbücher, Schulhefte oder Taschenrechner, die Schule nicht erfolgreich besuchen können. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 –, Leitsatz, juris).

 

In Ausübung dieses Gestaltungsspielraums ist der Gesetzgeber daher im Bereich der Leistungsgewährung nach dem SGB II nicht verpflichtet, jeglichen mit dem Schulbesuch einhergehenden Bedarf durch eine Sonderregelung abzudecken. Ihm obliegt es, die Bedarfe für die Existenzsicherung zu ermitteln und – entweder durch den Regelbedarf, konkret normierte Sonder- oder Mehrbedarfe bzw. bei unvorhergesehenen Bedarfslagen durch eine Härtefallregelung - sicherzustellen.

 

Die von der Klägerin begehrten Kosten sind grundsätzlich im Regelbedarf enthalten. Nach den dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 zu Grunde liegenden regelbedarfsrelevanten Verbrauchsangaben (BT-Drs. 18/9984, S. 66ff.) sind für die in der Regelbedarfsstufe 5 erfassten 6- bis unter 14-jährigen Kinder für „Eintrittsgelder, Nutzungsentgelte beim Besuch von Sport- und Freizeitveranstaltungen bzw. -einrichtungen“ 3,55 Euro und „Eintrittsgelder, Nutzungsentgelte beim Besuch von Kulturveranstaltungen bzw. -einrichtungen“ 2,53 Euro berücksichtigt worden. Der Besuch eines Zirkusprojektes lässt sich sowohl als Sport- als auch als Kulturveranstaltung verstehen. Die hierfür aufgewandten Kosten sind somit im Regelbedarf grundsätzlich enthalten.

 

Dass dieser Bedarf im Regelbedarf der Höhe nach strukturell unzutreffend erfasst wäre (so BSG, Urteil vom 08. Mai 2019 – B 14 AS 6/18 R –, Rn. 16, juris, für Schulbücher, die mangels Lernmittelfreiheit selbst gekauft werden mussten) oder durch die einmalige Ausgabe in Höhe von 10 Euro eine evidente Unterdeckung im Bereich dieser Bedarfe eintreten würde (so LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26. Mai 2020 - L 11 AS 793/18 -, juris, für schulnotwendige Bekleidung im Wert von ca. 150 Euro), ist nicht erkennbar. Anders als beispielsweise für den Erwerb von Schulbüchern liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor, wonach regelmäßig Projektveranstaltungen an allgemeinbildenden Schulen stattfänden, die mit erheblichen von den Schülern aufzubringenden Kostenbeiträgen verbunden und nicht anderweitig gedeckt wären, so dass der Gesetzgeber sie bei der Bedarfsermittlung hätte gesondert berücksichtigen müssen. Dies behauptet auch die Klägerin nicht, so dass insoweit zu weiteren Ermittlungen kein Anlass bestand. Ebenso liegen – unabhängig von der Frage der entsprechenden Anwendung bei einmaligen Bedarfen - die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II nicht vor, wonach bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt wird, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist in diesem Sinne unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Eine Unabweisbarkeit in diesem Sinne lässt sich nicht erkennen. Der Senat ist davon überzeugt, dass sich die einmalige Ausgabe in Höhe von 10 Euro unter Berücksichtigung von möglichen Verschiebungen innerhalb der Ausgaben des pauschal für die Klägerin berücksichtigten Regelsatzes in Höhe von 296 Euro im Ausgabemonat decken ließ, da in den Folgemonaten entsprechende „Rückverschiebungen“ bei den berücksichtigten Durchschnittswerten für die einzelnen Bedarfe möglich sein dürften. Zudem ist bei einer einmaligen Ausgabe in dieser Höhe eine erhebliche Abweichung vom – auf mehrere Monate zu betrachtenden - durchschnittlichen Bedarf nicht zu erkennen.

 

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache.

 

 

IV. Die Revision ist zuzulassen. Die Frage, ob die finanzielle Beteiligung von Schülern an Kosten für Projektunterricht an allgemeinbildenden Schulen, der nicht mit einem Verlassen des Schulgeländes verbunden ist, als Aufwendung nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB II anzuerkennen ist, hat grundsätzliche Bedeutung. 

Rechtskraft
Aus
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