L 1 AS 108/22 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AS 7630/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 AS 108/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2022 wird zurückgewiesen.

 

Der Antragsgegner hat den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

 

 

 

Gründe

 

I.

Mit Beschluss vom 24. Januar 2022 hat das Sozialgericht Berlin (SG) den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für einen beschränkten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren und entstehenden Bedarf für Unterkunft und Heizung zu übernehmen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vorläufige Verpflichtung zur Übernahme der Regelsätze nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) abzüglich eines Abschlages von 15% sowie eines Betrages für die Unterkunftskosten sei im Rahmen einer Folgenabwägung auszusprechen, da offen sei, ob den rumänischen Antragstellern als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach § 7 SGB II [Antragstellerin zu 1), die Mutter des Antragsteller zu 2) und der Antragstellerin zu 3)] bzw. § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II [Antragsteller zu 2) und 3)] zuständen oder der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (Aufenthaltsrecht alleine zum Zwecke der Arbeitsuche) eingreife. Von letzterem geht der Antragsgegner aus.

In Betracht komme ein Aufenthaltsrecht nach §§ 2 Abs. 1 und 2 Nr. 6, 3 und 4 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU), weil die Mutter der Antragstellerin zu 1) bzw. Großmutter der Antragsteller zu 2) und 3) als rumänische Arbeitnehmerin ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FreizügG/EU besitze und glaubhaft gemacht sei, dass sie ihrer Tochter und ihren Enkeln in nicht nur unerheblichem Umfang regelmäßig Unterhalt gewähre. Im Hauptsacheverfahren sei zu klären, ob dies tatsächlich der Fall sei.

 

In seiner Beschwerde hiergegen trägt der Antragsgegner vor, eine Unterhaltsgewährung der Mutter für ihre Tochter sei gerade nicht glaubhaft gemacht. Das SG habe es jedenfalls auch versäumt, den Unterhalt bedarfsmindernd anzusetzen.

 

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2022 ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner mit Recht im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig Leistungen zu gewähren.

Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird auf die Begründung des Beschlusses verwiesen, § 142 Abs. 2 S. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Insbesondere ist das SG zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragsteller zu 2) und 3) als Enkel Familienangehörige ihrer Großmutter im Sinne der §§ 3ff FreizügG/EU sind, die ihrerseits freizügigkeitsberechtigt ist. Nach der Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU sind Familienangehörige einer Person unter anderem „die Verwandten in gerader absteigender Linie der Person oder des Ehegatten oder des Lebenspartners, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird.“

Verwandte in gerader absteigenden Linie sind damit entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht nur Kinder, sondern auch Enkel und Urenkel. In der genannten Begriffsbestimmung verwendet das FreizügG/EU anders als etwa in § 4 S. 2 FreizügG/EU nicht den engeren Begriff des Kindes, sondern den Begriff des Verwandten, in Übereinstimmung mit § 1589 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch, wonach alle Personen, deren eine von der anderen abstammt, in gerader Linie verwandt sind. Nur der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten, nicht die Verwandtschaft in gerader Linie selbst (vgl. auch Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, 5. Update Dezember 2021, § 1 FreizügG/EU a) Verwandte, Rdnr. 106).

 

Der Senat teilt auch die Auffassung des SG, dass für das Eilverfahren von einer Glaubhaftmachung relevanter Unterhaltsleistungen durch die Mutter bzw. Großmutter der Antragsteller auszugehen ist. Insbesondere ist glaubhaft gemacht, dass diese derzeit die gesamten Mietkosten für die von den Antragstellern, einer weiteren Tochter und ihr bewohnte Wohnung trägt und auch die Betriebskostennachzahlung beglichen hat. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn sich hinter der (Betriebskosten-)Nachforderung „Mietschulden“ verbergen würden, wie der Antragsgegner in seiner Beschwerdeschrift argwöhnt.

Der Unklarheit, inwieweit die Unterhaltsleistungen den Bedarf der Antragsteller mindern, ist hier jedenfalls durch den vom SG vorgenommenen Abzug von 15% vom Regelbedarf hinreichend Rechnung getragen.

 

Mit der Beschwerdezurückweisung erledigt sich auch der Antrag auf vorläufigen Vollstreckungsschutz.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat geht davon aus, dass sich mit ihr der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erledigt hat.

 

Dieser Beschluss kann nicht mir der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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