L 2 AS 811/21 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 53 SF 86/21 E
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 811/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.04.2021 wird zurückgewiesen.

Eine Kostenerstattung für das Beschwerdeverfahren findet nicht statt.

 

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig.

Gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 56 Abs. 2 und § 33 Abs. 3 und 4 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) entscheidet das Landessozialgericht als das nächsthöhere Gericht über die Beschwerde gegen den aufgrund einer Erinnerung ergangenen Beschluss des Gerichts des ersten Rechtszugs zur Kostenfestsetzung. Die Beschwerde ist zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 € übersteigt   (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG), was hier der Fall ist. Die Regelungen des Sozialgerichtsgesetzes stehen der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen, denn mit der Neufassung des RVG zum 01.08.2013 wird nun in § 1 Abs. 3 RVG klargestellt, dass die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zu Grunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften (hier: das Sozialgerichtsgesetz - SGG) vorgehen. Gemäß § 33 Abs. 8 S. 1 RVG entscheidet das Gericht über die Beschwerde durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde. Gründe im Sinne von § 33 Abs. 8 S. 2 RVG für eine Übertragung auf den Senat liegen nicht vor, denn über die der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsfragen hat der erkennende Senat bereits in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (die ehrenamtlichen Richter wirken am Beschwerdeverfahren gemäß § 33 Abs. 8 S. 3 RVG in keinem Fall mit) entschieden.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht die Erinnerung des Beschwerdeführers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts vom 07.10.2020 zurückgewiesen.

Der im Wege der Prozesskostenhilfe im Ausgangsverfahren mit dem Aktenzeichen S 53 AS 3379/19 bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen beigeordnete Beschwerdeführer kann die mit Kostenrechnung vom 21.08.2020 beantragte Festsetzung der Rechtsanwaltsvergütung i.H.v. 423,40 € nicht mit Erfolg beanspruchen. Der Gebührenanspruch ist aufgrund von § 15 Abs. 2 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) in der seit dem 01.08. 2013 geltenden Fassung ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann der Rechtsanwalt Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern.

Vom Beschwerdeführer waren für seine Mandanten, die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II sind, am 18.12.2019 drei im Wesentlichen gleichlautende Klagen beim Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben worden. Das Verfahren S 53 AS 3378/19 war eine Klage aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (zwei Erwachsene sowie drei minderjährige Kinder) gegen die endgültige Festsetzung von Leistungen für den Zeitraum von Februar bis Juli 2019, in dem von den erwachsenen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft  u.a. Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit in wechselnder Höhe erzielt worden war. Für dieses Verfahren hat das Sozialgericht die Gebühren und Auslagen des Beschwerdeführers antragsgemäß festgesetzt und erstattet. Mit dem Verfahren S 53 AS 3373/19 wandte sich der Kläger zu 2)  des Verfahrens S 53 AS 3378/19 gegen die von ihm verlangte Erstattung von Leistungen für den Zeitraum von Februar bis Juli 2019, weil die zunächst vorläufig bewilligten Leistungen die endgültig festgesetzten überstiegen. Das Verfahren S 53 AS 3379/19 war die Klage der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Klägerin zu 1) sowie der minderjährigen Kinder) und richtete sich ebenfalls gegen die verlangte Erstattung von Leistungen für den Zeitraum von Februar bis Juli 2019 aufgrund der gegenüber der vorläufigen Bewilligung nur geringeren endgültigen Leistungsfestsetzung.

Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 29.10.2021 zum Aktenzeichen L 2 AS 819/21 B im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 02.04.2014 zum Az. B 4 AS 27/13 R) entschieden hat, handelt es sich gebührenrechtlich um „dieselbe Angelegenheit“ im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG, wenn mehrere Klagen gegen den an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Bescheid über die endgültige Leistungsfestsetzung einerseits und andererseits gegen die deshalb an die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Bescheide über die Erstattung von zunächst vorläufig zu hoch bewilligten Leistungen für denselben Zeitraum erhoben werden. Dazu wurde vom Senat im Beschluss vom 29.10.2021 wie folgt ausgeführt: Nach § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Ob dieselbe Angelegenheit im kostenrechtlichen Sinn vorliegt, regelt das RVG nicht abschließend. Vielmehr benennen die anwaltlichen Tätigkeitskataloge des § 16 und § 17 RVG nur Regelbeispiele. Der Gesetzgeber hat die abschließende Klärung des hier maßgeblichen Begriffs derselben Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie des Bundesgerichtshofs ist von derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG in der Regel auszugehen, wenn zwischen den weisungsgemäß erbrachten anwaltlichen Leistungen, also den verschiedenen Gegenständen, ein innerer Zusammenhang gegeben ist, also ein einheitlicher Auftrag und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorliegt (vgl. BGH Urteil vom 21.06.2011 – VI ZR 73/10 –, juris Rn. 10; BSG, Urteil vom 02.04. 2014 – B 4 AS 27/13 R –, juris Rn. 15). Das Bundesverwaltungsgericht hat zudem ausgeführt, dass „dieselbe Angelegenheit" vor allem in Fällen paralleler Verwaltungsverfahren in Betracht kommt, wenn dieselbe Behörde Verwaltungsakte aus einem gemeinsamen Anlass und Rechtsgrund in engem zeitlichen Zusammenhang objektbezogen erlässt, so dass einen Adressaten mehrere Verwaltungsakte erreichen, die auch zusammengefasst in einem einzigen Bescheid hätten ergehen können. Beauftrage dann der Adressat einen Rechtsanwalt damit, aus demselben rechtlichen Gesichtspunkt einheitlich gegen alle Verwaltungsakte vorzugehen, werde dieser, sofern keine inhaltliche oder formale Differenzierung zwischen den Verfahren geboten sei, in „derselben Angelegenheit" tätig. Unerheblich sei, ob der Rechtsanwalt die Widersprüche in einem einzigen, alle Verfahren betreffenden Schreiben oder in mehreren, die jeweiligen Einzelverfahren betreffenden Schreiben, die sich nur hinsichtlich der jeweiligen Verfahrensangabe (Objekt, Aktenzeichen) unterscheiden, einlege und begründe. Anders sei es allerdings, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß unterschiedliche Einwände gegen die jeweiligen Verwaltungsakte vortrage oder nennenswert unterschiedliche verfahrensrechtliche Besonderheiten zu beachten habe. Fehle es an einem inneren Zusammenhang zwischen mehreren, an einen Adressaten gerichteten Verwaltungsakten, scheide schon aus diesem Grund die Annahme „derselben Angelegenheit" aus (BVerwG, Urteil vom 09.05.2000 – 11 C 1/99 –, juris Rn. 24).

Vorliegend hat der Beschwerdeführer in den drei zeitgleich bei Gericht angebrachten Verfahren im Wesentlichen gleichlautende Klagen eingereicht, die sich nur bezüglich der angefochtenen und beigefügten Bescheide unterschieden. In allen Verfahren wurde eine vom 02.09.2019 datierende Vollmacht vorgelegt. Aus dem Verfahrensverlauf ergibt sich, dass ein einheitlicher Auftrag und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorgelegen haben. Zwar sind hier Individualansprüche verschiedener Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft streitig, jedoch können auch mehrere Aufträge verschiedener Auftraggeber „dieselbe Angelegenheit“ sein und zwar auch dann, wenn die Angelegenheit verschiedene Gegenstände und teilweise getrennte Prüfaufgaben betrifft (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2014, a.a.O., juris Rn. 16). Die Klageverfahren beruhten auf einem vollständig einheitlichen Lebenssachverhalt. Streitig und sowohl für die Höhe der endgültigen Leistungsbewilligung als auch die der Erstattung relevant war allein die Höhe von Absatzbeträgen vom Einkommen gemäß § 11b SGB II. Es wurden keine unterschiedlichen Einwände gegen die jeweiligen Verwaltungsakte vorgetragen und es waren auch keine unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Besonderheiten, wie beispielsweise subjektive Aufhebungsvoraussetzungen im Rahmen von § 48 des Sozialgesetzbuches 10. Buch, zu prüfen (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30.11.2020 – L 13 AS 109/18 B –, juris Rn. 30; Thüringer LSG, Beschluss vom 17.10.2018 – L 1 SF 263/18 B –, juris Rn. 23).

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 4 S. 3 RVG).

 

Rechtskraft
Aus
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