L 12 SB 1740/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 3760/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 SB 1740/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.04.2019 wird mit der Maßgabe, dass die Klage im Übrigen abgewiesen wird, zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung der ersten Instanz.


Tatbestand


Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Die 1968 geborene Klägerin beantragte erstmalig am 03.04.2017 beim Beklagten die Feststellung des GdB.

Der Beklagte holte Befundberichte bei den behandelnden Ärzten ein und führte diese einer versorgungsärztlichen Auswertung zu. B gelangte unter dem 31.05.2017 zu dem Ergebnis, dass der Zustand nach Aneurysma-Clipping der Aorta carotis interna 2002 mit einem Einzel-GdB von 30, die Thrombophilie, die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks sowie die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten seien und empfahl einen Gesamt-GdB von 30. Mit Bescheid vom 12.06.2017 stellte der Beklagte daraufhin einen GdB von 30 bei der Klägerin fest.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, große Aneurysmen seien mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten. Ferner bestünden u.a. Kopfschmerzen mit Lichtempfindlichkeit sowie Konzentrationsstörungen. Der Versorgungsarzt Z hielt an der bisherigen Einschätzung des GdB fest. Hierauf gestützt wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2017 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 08.11.2017 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und ihr auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerichtetes Begehren weiterverfolgt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Der W hat in seiner Auskunft vom 12.03.2018 über eine leichte depressive Episode im Rahmen einer beruflichen Konfliktsituation mit nachfolgender Kündigung berichtet, den Arztbrief der S, vom 09.01.2018 beigefügt und sich der Einschätzung des Versorgungsärztlichen Dienstes zur Höhe des GdB im Ergebnis angeschlossen. Die Aklinik hat mitgeteilt, die Klägerin habe sich letztmals im Februar 2016 vorgestellt. Im hierzu aktenkundigen Bericht vom 15.02.2016 heißt es, die Klägerin habe am 12.02.2016 ein Knieverdrehtrauma rechts erlitten. Bei flüssigem symmetrischem Gangbild, einer leichten Schwellung, fehlendem Erguss und einer Beweglichkeit von 0-0-150° werde eine konservative Therapie mit Krankengymnastik und Analgetika empfohlen.
Das SG hat weiterhin D mit der Erstattung eines neurologischen Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 11.08.2018 unter Mitberücksichtigung eines testpsychologischen Zusatzgutachtens von S1 ausgeführt, es bestehe ein Z.n. Subarachnoidalblutung bei Aneurysma der Arteria carotis interna rechts und erfolgreichem Aneurysma-Clipping 2002 sowie Knochendeckelreimplantation. Mit Blick auf die nur geringfügige Behinderung durch eine leichte Bradydiadochokinese links bei gegenläufigen Bewegungen der Arme, ohne Nachweis von kognitiven Störungen und ohne Nachweis von einem belangvollen depressiven Syndrom sei der GdB hierfür mit 30 einzuschätzen. Ferner bestehe ein Verdacht auf Migräne, wobei von einer leichten bis allenfalls mittelgradigen Verlaufsform einer echten Migräne auszugehen sei, so dass der hierdurch bedingte Einzel-GdB mit 10 bis 20 eingeschätzt werde. Die im Rahmen einer beruflichen Konfliktsituation festgestellte Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion sei zwischenzeitlich vollständig abgeklungen. Der Gesamt-GdB betrage 30. Auf Grund von Einwendungen der Klägerin gegen die gutachterliche Beurteilung hat das SG eine ergänzende Stellungnahme bei D eingeholt, in der dieser bei seiner bisherigen Einschätzung geblieben ist (Stellungnahme vom 16.01.2019).

Mit Urteil vom 10.04.2019 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der streitbefangenen Bescheide verurteilt, bei der Klägerin einen GdB von 40 ab Antragstellung festzustellen. Entgegen der Einschätzung des D sei der GdB für die Folgen des geplatzten und geclippten Aneurysmas im Jahr 2002 einschließlich des bestehenden Kopfschmerzsyndroms mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. GdB-relevante psychische oder psychovegetative Störungen seien nicht vorhanden. Die Thrombophilie sowie die Beeinträchtigungen am rechten Kniegelenk und die Funktionsbehinderungen im Bereich der Schultern seien jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, sodass der Gesamt-GdB 40 betrage.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.05.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und weiterhin die Ansicht vertreten, dass der GdB allein für das Aneurysma 50 betrage.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.04.2019 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2017 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 ab Antragstellung festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Auffassung des SG für zutreffend, dass die Klägerin keinen Anspruch auf einen höheren GdB als 40 habe.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin ein Gutachten bei W1, eingeholt. Die Sachverständige ist unter dem 20.03.2020 zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gesamt-GdB mit 50 festzustellen sei. Der Hirnschaden nach Aneurysmablutung und Clipping 2002 mit Kopfschmerz, leichter kognitiver Störung sowie kurzen Schwindelattacken unklarer Genese sei mit einem Einzel-GdB von 40 einzuschätzen. Die ferner bestehende Dysthymie bedinge einen Einzel-GdB von 20, sodass ein Gesamt-GdB von 50 zu bilden sei.

Gegen diese Beurteilung wendet sich der Beklagte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen des W2 vom 03.06.2020 und vom 10.08.2020.

Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung haben sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.06.2021 und der Beklagte mit Schriftsatz vom 10.06.2021 einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.

Streitgegenständlich ist das Urteil vom 10.04.2019, mit welchem das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2017 verurteilt hat, bei der Klägerin den GdB ab Antragstellung mit 40 festzustellen.

Der Senat hat im Rahmen seiner Sachentscheidung zunächst den Tenor des angefochtenen Urteils gemäß § 138 Satz 1 SGG wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass die Klage im Übrigen abgewiesen wird. Hierzu war der Senat auch befugt, denn die Beseitigung offenbarer Unrichtigkeiten eines angefochtenen Urteils kann auch durch das Rechtsmittelgericht erfolgen (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 14.02.1978, 7/12 RAr 73/76, juris, auch zum Nachfolgenden).

Nach § 138 Satz 1 SGG sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Berichtigungsfähig sind ausschließlich Erklärungsmängel oder Fehler im Ausdruck des Willens, die zu dem Erklärungswillen erkennbar im Widerspruch stehen. Ferner muss die Unrichtigkeit „offenbar“ sein und damit auch für einen verständigen Außenstehenden erkennbar sein. Der Tenor des angefochtenen Urteils weist insofern eine offenbare Unrichtigkeit im vorgenannten Sinne auf, als die Klage im Übrigen nicht abgewiesen worden ist. Das SG hat zum einen in den Entscheidungsgründen unmissverständlich ausgeführt, dass die Klägerin, soweit die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 begehrt wird, die Klage unbegründet ist und zum anderen der teilweisen Stattgabe durch die Kostenentscheidung dahingehend Rechnung getragen, dass der Beklagte die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen hat.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. 

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage VG zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie das Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem 2. Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem 3. Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.

Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, a.a.O.). Nach dieser Maßgabe sind die Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin nicht mit einem höheren Gesamt-GdB als 40 zu bewerten.

1. Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehen bei der Klägerin die Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Dabei handelt es sich um die Folgen des geplatzten und erfolgreich geclippten Aneurysmas der Arteria carotis interna rechts im Jahr 2002 und dem Zustand nach Knochendeckelreimplantation. Der GdB hierfür richtet sich – entgegen der Ansicht der Klägerin  – nicht nach Teil B, Nr. 9.2.2 der VG, sondern – so zu Recht das SG – nach den VG, Teil B, Nr. 3.1.

Der GdB beträgt bei großen Aneurysmen wenigstens 50. Hierzu gehören immer die dissezierenden Aneurysmen der Aorta und die großen Aneurysmen der Aorta adominalis und der großen Beckenarterien (so Teil B, Nr. 9.2.2 der VG). Im vorliegenden Fall ist das Aneurysma in Folge des gefäßchirurgischen Eingriffs im Jahr 2002 offensichtlich vollständig kompensiert bzw. ausgeschaltet worden. Ein Rezidiv wurde in den Folgeuntersuchungen nicht berichtet. Deshalb bedingt das Aneurysma keinen GdB mehr. Diese Ansicht wird sowohl von D als auch von der Wahlgutachterin W1 mit überzeugenden Argumenten vertreten. Denn von einem Aneurysma, das ausgeschaltet worden ist, gehen weder eine Gefahr noch Funktionsbeeinträchtigungen aus.

Zu bewerten sind jedoch etwaige verbliebene Hirnschäden. Bestimmend für die Bemessung des GdB ist nach den VG, Teil B, Nr. 3.1 Buchst. b das Ausmaß der bestehenden Ausfallserscheinungen. Dabei sind der neurologische Befund, die Ausfallserscheinungen im psychischen Bereich unter Würdigung der prämorbiden Persönlichkeit und ggf. das Auftreten von zerebralen Anfällen zu beachten. Bei der Mannigfaltigkeit der Folgezustände von Hirnschädigungen kommt ein GdB zwischen 20 und 100 in Betracht. Dabei sehen die in den VG, Teil B, Nr. 3.1.1 niedergelegten Grundsätze bei der Bewertung von Hirnschäden folgende Einteilung vor: Für Hirnschäden mit geringer Leistungsbeeinträchtigung ist ein GdB-Rahmen von 30 bis 40, mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung ein GdB-Rahmen von 50 bis 60 und mit schwerer Leistungsbeeinträchtigung ein GdB-Rahmen von 70 bis 100 vorgesehen.

Die Klägerin hat einen Hirnschaden erlitten, wobei offenbleiben kann, ob dies durch die Blutung, die Operation oder durch zuvor bestehenden Hirndruck erfolgt ist. Der Hirnschaden hat sich seit der Blutung im Jahr 2002 immer wieder kernspintomographisch nachweisen lassen. Folge dieses Hirnschadens ist die leichte Bradydiadochokinese links bei gegenläufigen Bewegungen der Arme. Hierbei handelt es sich um eine geringfügige Behinderung, so D und auch W1. Der Senat folgt ferner dem SG insoweit, als ein Kopfschmerzsyndrom mit zu berücksichtigen ist und dessen Verlaufsform angesichts der Angaben der Klägerin auch gegenüber D als leicht bis mittelgradig einzuschätzen ist. Insgesamt erachtet es der Senat deshalb für zutreffend, den für Hirnschäden mit geringer Leistungsbeeinträchtigung eröffneten GdB-Rahmen von 30 bis 40 nach oben auszuschöpfen. Ein Hirnschaden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung liegt jedoch nicht vor. Auch W1 hat lediglich leichte kognitive Störungen für gegeben erachtet und diese sowie die Kopfschmerzen und die kurzen Schwindelattacken unklarer Genese insgesamt mit einem GdB von 40 eingeschätzt.

Bei der Klägerin besteht ferner eine seelische Störung, die insgesamt mit einem GdB von 20 zu bewerten ist. Zunächst ist festzuhalten, dass für die Bewertung der aus der psychischen Störung folgenden Funktionsbeeinträchtigungen die VG, Teil B, Nr. 3.7 (Neurosen Persönlichkeitsstörung, Folgen psychischer Traumen) zugrunde zu legen sind. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob und in welchem Ausmaß soziale Anpassungsstörungen vorliegen (vgl. hierzu Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 9. Auflage, 2018, Seite 165).

Gemäß den VG, Teil B, Nr. 3.7 sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem Einzel-GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem Einzel-GdB von 80 bis 100 zu bewerten.

Gestützt auf die Auskunft des W, den Arztbericht der S und die versorgungsärztliche Stellungnahme des W2 geht der Senat davon aus, dass bei der Klägerin eine Dysthymie vorliegt, die keine organische Ursache hat und nicht in Zusammenhang mit der Subarachnoidalblutung steht. Es handelt sich um eine leichte Störung, für die vor dem Hintergrund der weiterhin ausgeübten Berufstätigkeit, der erhaltenen Fähigkeit der Klägerin, soziale Kontakte zu pflegen und auch ihre sonstigen sozialen Aktivitäten ungehindert nachzugehen, ein Einzel-GdB von mehr als 20 keinesfalls angemessen ist. Auch W1 hat sich dieser Einschätzung angeschlossen und zu Recht darauf hingewiesen, dass Antidepressiva nicht benötigt werden, bislang nur zweimal eine ambulante Psychotherapie und noch nie eine stationäre psychiatrische oder psychosomatische Behandlung erforderlich war.

Insgesamt ergibt sich für die Funktionseinschränkungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ein Einzel-GdB von 40, da zwischen den psychischen Funktionseinschränkungen und denjenigen in Verbindung mit dem Hirnschaden weitreichende Überschneidungen bestehen, so zu Recht W2 in seinen versorgungsärztlichen Stellungnahmen. So hat W1 zum psychiatrischen Befund ausgeführt, dass die Stimmung skeptisch, teilweise vorwurfsvoll, traurig und resigniert ist, aber auch Wut spürbar wird, die affektive Resonanzfähigkeit mittelgradig reduziert ist und die Klägerin am Ende müde wirkt. Insoweit zeigen sich deutliche Überschneidungen mit den hirnorganischen allgemeinen Symptomen (Hirnleistungsschwäche), wie z.B. Reizbarkeit, Erregbarkeit, vorzeitige Ermüdbarkeit und psychovegetative Labilität. Im Übrigen sind gemäß den VG, Teil A, Nr. 2 Buchst. e sowohl der Hirnschaden als auch die seelische Störung dem Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ zuzuordnen. Allein ein Einzel-GdB von 50 für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ lässt sich auch bei Zugrundelegung der VG, Nr. 3.1.1 bzw. 3.1.2 nicht begründen, insbesondere angesichts des beschriebenen Tagesablaufs. Die anderslautende Einschätzung der W1 ist nicht überzeugend.

2. Für die bei der Klägerin bestehende Thrombophilie ist, da die VG eine gesonderte Bewertung nicht vorsehen, in Analogie zu den sonstigen Blutungsleiden unter Teil B, Nr. 16.10 auf die Auswirkungen der erhöhten Thromboseneigung abzustellen. Angesichts der Tatsache, dass eine gerinnungshemmende Therapie nicht durchgeführt wird und es bislang zu keinem thrombotischen Ereignis gekommen ist, ist ein höherer GdB als 10 nicht zu rechtfertigen. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer eigenen Darstellung ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

3. Die Funktionseinschränkungen im Bereich des rechten Kniegelenkes sind mit einem GdB von 10 angemessen bewertet. Die Beweglichkeit rechts wurde von W zuletzt am 04.05.2017 mit 0-0-130° bei freier Beweglichkeit am Kniegelenk links angegeben. Die VG, Teil B, Nr. 18.14 sehen erst bei einer Beweglichkeit von 0-0-90° (ohne bestehende Arthrose) einen Einzel-GdB von 0-10 vor. Eine solche Einschränkung liegt bislang nicht vor. Zwar besteht bei der Klägerin ausweislich des Befundberichts der Aklinik vom 27.08.2014 am rechten Kniegelenk ein Chondopathia patellae Grad I (- II). Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 Teil werden allerdings ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke erst ab einem Grad II bei anhaltenden Reizerscheinungen einseitig ohne Bewegungseinschränkung mit einem Einzel-GdB von 10-30 bewertet. Nachdem der Knorpelschaden Grad II noch nicht erreicht hat, eine Befundverschlechterung auch nicht eingetreten ist und anhaltende Reizerscheinungen ebenfalls nicht dokumentiert sind, kommt ein GdB von mehr als 10 nicht in Betracht.

4. Die Bewertung der Schulterbeschwerden mit einem GdB von 10, wie vom Beklagten erfolgt, ist eher großzügig. Weder ist die Beweglichkeit nennenswert eingeschränkt noch hat W in seiner Auskunft gegenüber dem SG über Schulterbeschwerden berichtet. Der Senat verweist auch hier insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer eigenen Darstellung ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Einzel-GdB-Werte und der bereits dargelegten Grund-sätze für die Bildung des Gesamt-GdB liegt bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 40 vor. Auszugehen ist dabei zunächst von dem führenden Einzel-GdB von 40 für die Funktionsbeeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Die Einzel-GdB-Werte von 10 (Thrombophilie, Kniegelenke, Schulter) wirken sich nicht erhöhend aus (vgl. VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d ee).

Dass der Gesamt-GdB zutreffend mit 40 einzuschätzen ist, ergibt sich auch daraus, dass nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Bemessung des Gesamt-GdB ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen ist, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. So ist ein GdB von 50 beispielsweise nach den VG, Teil B, Nr. 3.7. bei einer schweren psychischen Störung, z.B. einer schweren Zwangskrankheit, anzunehmen. Hinter einer solch gravierenden Funktionsbehinderung bleiben die bei der Klägerin dokumentierten Einschränkungen zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.

Rechtskraft
Aus
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