L 2 AS 292/22 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 14 SF 38/22 E
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 292/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 01.02.2022 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung streitig.

Die Beschwerdeführer vertrat die sechs Antragsteller in dem zugrunde liegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in welchem diese mit Antrag vom 23.11.2021 eine vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners auf Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 16.11.2021 begehrten. Durch Beschluss vom 06.12.2021 bewilligte das Sozialgericht Dortmund (SG) den Antragstellern Prozesskostenhilfe (PKH) und ordnete den Beschwerdeführer bei. Nachdem der Antragsgegner mit Bescheid vom 30.11.2021 den Antragstellern zu 1) sowie 3) – 6) Leistungen nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs vorläufig bewilligt hatte, erklärte der Beschwerdeführer das Verfahren am 16.12.2021 für erledigt.

Die Beschwerdeführer hat am 16.12.2021 beantragt, seine Vergütung aus der Staatskasse auf insgesamt 1.094,80 EUR festzusetzen und zwar in Höhe von:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG                                                                            360,00 EUR

Erhöhung für 5 weitere Auftraggeber Nr. 1008 VV RVG                                          540,00 EUR

Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7002 VV RVG                                        20,00 EUR

19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG                                                                                        174,80 EUR

Gesamt 1.094,80 EUR

 

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Vergütung am 03.01.2022 auf 797,30 EUR festgesetzt. Er ist bei der Festsetzung von folgender Berechnung ausgegangen:

 

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG                                                                                         260,00 EUR

Erhöhung für 5 weitere Auftraggeber Nr. 1008 VV RVG                                                      390,00 EUR

Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7002 VV RVG                                                     20,00 EUR

19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG                                                                                                     127,30 EUR

Gesamt 797,30 EUR

Der Ansatz einer unterdurchschnittlichen Verfahrensgebühr von 260,00 EUR sei aufgrund des unterdurchschnittlichen Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit billig.

Hiergegen hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Der Urkundsbeamte habe übersehen, dass die Sache überdurchschnittliche Bedeutung gehabt habe. Ferner sei der Aufwand aufgrund der sprachlichen Hürden erhöht gewesen.

Durch Beschluss vom 01.02.2022 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) sei die Gebührenbestimmung des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG unbillig. Tatsächlich angemessen sei eine Verfahrensgebühr von 260,00 EUR. Insgesamt sei von einer unterdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit auszugehen. Der Einwand, die sprachlichen Hürden rechtfertigten einen überdurchschnittlichen Aufwand, werde nicht geteilt.

Gegen den ihm am 08.02.2022 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 09.02.2022 Beschwerde eingelegt. Die Sache sei von überdurchschnittlicher Bedeutung gewesen, da existenzsichernde Leistungen beansprucht worden seien. Die Einkommensverhältnisse seien unterdurchschnittlich gewesen, das Haftungsrisiko durchschnittlich. Die Dauer des Verfahrens sei gemessen an einem Hauptsacheverfahren unterdurchschnittlich gewesen. Aufgrund des gedrängten zeitlichen Rahmens sei der effektive zeitliche Aufwand jedoch mindestens einem Hauptsacheverfahren vergleichbar. Ferner sei die Überwindung sprachlicher Hürden zu berücksichtigen.

Der Beschwerdegegner hält den Beschluss für zutreffend. Auch die sprachliche Hürde sei in das Gesamtergebnis der Unterdurchschnittlichkeit einzubeziehen.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

II.

Der Senat entscheidet durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 1 Abs. 3, 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 RVG), da die Sache keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtsache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

A. Die Beschwerde ist zulässig.

Die Beschwerde ist statthaft. Die Beschwer des Beschwerdeführers übersteigt den Betrag von 200,00 EUR. Er wendet sich gegen die Festsetzung der Vergütung auf 797,30 EUR und begehrt die Festsetzung einer Vergütung von 1.094,80 EUR. Die Differenz zwischen festgesetzter und begehrter Vergütung beträgt mehr als 200,00 EUR. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG) ist gewahrt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 S. 1 RVG).

B. Die Beschwerde ist nicht begründet.

Dem Beschwerdeführer steht gegenüber der Staatskasse keine höhere Vergütung als die festgesetzte Vergütung von 797,30 EUR aus §§ 48 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 RVG zu.

Nach § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung von der Staatskasse, soweit in Abschnitt 8 des RVG nichts anderes bestimmt ist. Dieser Vergütungsanspruch ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG nach seinem Grund und seiner Höhe von dem Umfang der Beiordnung abhängig. Der beigeordnete Rechtsanwalt kann sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab Wirksamwerden seiner Beiordnung ergeben (BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt, 55. Ed. 1.3.2022, RVG § 48 Rn. 17). Vorliegend besteht ein Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers. Zwischen den Antragstellern und ihm hat ein Mandatsverhältnis bestanden. Im Beschluss vom 06.12.2021 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an die Antragsteller ist der Beschwerdeführer beigeordnet worden.

Die durch das SG mit Beschluss vom 03.01.2022 vorgenommene Kostenfestsetzung gegenüber der Staatskasse im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat das SG zu Recht die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis (VV) zum RVG auf 260,00 EUR (zzgl. der Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG in Höhe von insgesamt 390,00 EUR) festgesetzt.

Der sich aus Nr. 3102 VV RVG in der Fassung von Artikel 7 Abs. 1 Nr. 19 des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 (BGBl I 2020, 3229) ergebende Gebührenrahmen der Verfahrensgebühr beträgt grundsätzlich 60,00 EUR bis 660,00 EUR, die Mittelgebühr beträgt 360,00 EUR. Innerhalb dieses Rahmens bestimmt der Beschwerdeführer als beigeordneter Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Höhe der Verfahrensgebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwaltes ist zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Die von einem beigeordneten Rechtsanwalt im Verfahren nach § 55 RVG getroffene Bestimmung ist nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Deshalb ist der Urkundsbeamte bzw. das Gericht verpflichtet, die Billigkeit der Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt zu prüfen. Bei Angemessenheit der angesetzten Gebühr hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bzw. das Gericht den Kostenansatz zu übernehmen, bei Unbilligkeit die Höhe der Betragsrahmengebühr festzusetzen. Unbillig ist nach sozialgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. nur LSG NRW, Beschluss vom 06.11.2013, Az.: L 7 AS 1773/13, bei juris Rn. 8, mit weiteren Nachweisen) eine Bestimmung jedenfalls dann, wenn sie die an sich angemessene Gebühr um mehr als 20% übersteigt.


Vorliegend ist der Ansatz einer Gebühr von 360,00 EUR nach Nr. 3102 VV RVG durch den Beschwerdeführer unbillig im o.g. Sinne. Bei der Bestimmung der Betragsrahmengebühr im konkreten Einzelfall ist von der Mittelgebühr auszugehen, die bei einem Normal-/Durchschnittsfall als billige Gebühr zugrunde zu legen ist. Unter einem "Normalfall" ist ein Fall zu verstehen, in dem sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts unter Beachtung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt aller sozialrechtlichen Fälle abhebt (grundlegend für das Rechtsgebiet „Grundsicherung für Arbeitsuchende“: BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn. 24). Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus einem Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen (BSG, a.a.O.). Die in § 14 Abs. 1 RVG aufgezählten fünf Bemessungskriterien stehen selbständig und gleichwertig nebeneinander. Sämtliche Kriterien sind geeignet, ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben oder unten zu begründen. Zudem kann das Abweichen eines Bemessungskriteriums von jedem anderen Bemessungskriterium kompensiert werden (BSG, a.a.O.).

Nach wertender Gesamtbetrachtung handelt es sich zur Überzeugung des Senats hier um einen unterdurchschnittlichen Fall, für den das SG zutreffend eine Gebühr von 260,00 EUR zuzüglich der Erhöhungsgebühr Nr. 1008 in Höhe von 390,00 EUR angesetzt hat.

Denn zunächst ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Antragsverfahren hier als deutlich unterdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist der Arbeits- und Zeitaufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er objektiv auch auf die Sache verwenden musste, zu würdigen. Dabei ist der gesamte Arbeits- und Zeitaufwand in die Beurteilung heranzuziehen (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn. 28 – 30). Der Beschwerdeführer hat im einstweiligen Rechtschutzverfahren eine Antragsschrift, die in der Begründung knapp eine Seite umfasst, und einen Schriftsatz, mit dem die Erledigung des Rechtsstreites erklärt wird, verfasst. Weitere zeitintensive Tätigkeiten - wie etwa das Lesen und Auswerten von medizinischen Gutachten, das Verfassen von Schriftsätzen, die sich mit komplexen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen auseinandersetzen, die Sichtung und Auswertung von Rechtsprechung, die Vornahme einer Akteneinsicht - sind nicht angefallen bzw. nicht belegt.

Die Schwierigkeit der Tätigkeit des Beschwerdeführers ist als knapp unterdurchschnittlich einzustufen. Denn diese ist im Vergleich zu Tätigkeiten in sonstigen Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu beurteilen. Dabei sind die qualitativen Anforderungen an die Tätigkeit im konkreten Fall zu berücksichtigen, wobei nicht auf die subjektive Einschätzung des Rechtsanwaltes, insbesondere nicht auf dessen Vorkenntnisse, abzustellen, sondern eine objektive Betrachtungsweise vorzunehmen ist (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn. 32, 35). Das diesem Beschwerdeverfahren zugrundeliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren beinhaltete weder einen zwischen den Beteiligten streitigen Sachverhalt noch eine umstrittene Rechtsfrage. Es stellte sich vielmehr sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht als einfach dar, denn es spielte nach Aktenlage lediglich die Einreichung eines Nachweises der Miethöhe eine Rolle. Zwar wirkt sich die von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Überwindung sprachlicher Hürden erhöhend auf den tatsächlichen Schwierigkeitsgrad aus, in der Gesamtschau stellt sich die Tätigkeit im Vergleich zu sonstigen sozialgerichtlichen Verfahren gleichwohl noch nicht als durchschnittlich dar.

Die Bedeutung der Angelegenheit ist für die Antragsteller überdurchschnittlich zu bewerten, da es um deren soziokulturelles Existenzminimum ging. Zu berücksichtigen ist hier jedoch, dass die Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich eine vorläufige Leistungsgewährung erreichen können.

Des Weiteren liegen unterdurchschnittliche Einkommensverhältnisse der Antragsteller vor. Da die Antragsteller auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung ihres sozio-kulturellen Existenzminimums angewiesen gewesen sind und ihnen deshalb auch Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, sind ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse als erheblich unterdurchschnittlich zu bewerten.


Ein besonderes Haftungsrisiko des Beschwerdeführers im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG ist weder vorgetragen noch erkennbar.


Bei Abwägung aller Kriterien des § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 3 RVG, insbesondere auch der Tatsache, dass allein unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Herabbemessung der Mittelgebühr rechtfertigen können (so BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09, bei juris Rn. 38 m.w.N.; LSG NRW, Beschluss vom 05.02.2014, Az. L 2 AS 2149/14 B, bei juris Rn. 17; Beschluss vom 01.07.2021, Az. L 19 AS 404/21 B, bei juris  Rn. 12), kommt dem konkreten Verfahren eine insgesamt unterdurchschnittliche Bedeutung zu.

Danach ergibt sich folgende Festsetzung: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 260,00 EUR; Erhöhungsgebühr Nr. 1008 VV RVG in Höhe von 390,00 EUR, Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 EUR sowie die Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 127,30 EUR. Dies ergibt einen Gesamtbetrag in Höhe von 797,30 EUR.

Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).


Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

 

Rechtskraft
Aus
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