L 13 SB 123/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 35 SB 165/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 123/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

 

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 5. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

 

Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

 

I.

 

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

 

Bei der 1978 geborenen Klägerin wurde eine idiopathische Hypersomnie diagnostiziert. Deren Antrag vom 23. September 2016 auf Feststellung eines GdB lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 3. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2017 mit der Begründung ab, es bestünden keine Beeinträchtigungen, die mit einem GdB von mindestens 20 zu bewerten seien.

 

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Cottbus Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte und das Gutachten der Fachärztin für Neurologie Dr. H vom 9. März 2021 mit ergänzender Stellungnahme vom 3. Mai 2021 eingeholt, die den Gesamt-GdB auf mindestens 40 eingeschätzt hat. Neben einer Drang-Harninkontinenz, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sei, leide die Klägerin an einer krankhaften Einschlafneigung. Entgegen der Auffassung des behandelnden Schlafmediziners, der eine pathologische Hypersomnie diagnostiziert hat, halte sie die Diagnose einer Narkolepsie für wahrscheinlicher. Hierfür spreche der imperativ auftretende Schlafdrang in Form von Schlafattacken in völlig unpassenden Situationen. Angesichts der erheblichen funktionellen Beeinträchtigung werde in Orientierung an die Versorgungsmedizin-Verordnung, die für die Narkolepsie einen Einzel-GdB von 50 bis 80 vorsehe, ein Einzel-GdB von mindestens 40 empfohlen.

 

Unter Änderung seines Teilanerkenntnisses vom 4. Mai 2021 hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 5. Mai 2021 erklärt, bei der Klägerin ab dem 23. September 2016 einen GdB von 20 festzustellen. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgesetzt.

 

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 5. Mai 2021 den Beklagten verpflichtet, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem ab dem 23. September 2016 einen GdB von 50 festzustellen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Narkolepsie vor, die mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sei. Der Gesamt-GdB betrage 50, da sich der Einzel-GdB von 10 für die Harninkontinenz nicht erhöhend auswirke.

 

Gegen die sozialgerichtliche Entscheidung hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, die Klägerin habe keinen Anspruch auf einen höheren Gesamt-GdB als 40. Die Diagnosekriterien für eine Narkolepsie seien nach dem Bericht der C vom 24. August 2016 nicht als erfüllt angesehen worden. Eine abweichende Diagnose hätte von der Sachverständigen ohne erneute schlafmedizinische und ohne testpsychologische Diagnostik nicht gestellt werden dürfen. Im übrigen rechtfertige auch der Tagesablauf der Klägerin keinen GdB von 50.

 

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

 

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 5. Mai 2021 insoweit aufzuheben, als er verpflichtet worden ist, bei der Klägerin einen höheren Grad der Behinderung als 40 festzustellen, und die Klage in diesem Umfang abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

 

 

 

II.

 

Die Berufung des Beklagten wird nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückgewiesen, da der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

 

Das Sozialgericht hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht zur Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 verpflichtet, da die Klägerin hierauf Anspruch hat.

 

Nach § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VMG) heranzuziehen.

 

Die krankhafte Schlafstörung bei der Klägerin ist mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten.

 

Hierbei lässt der Senat offen, ob die Erkrankung der Klägerin als Narkolepsie zu diagnostizieren ist, da es hierauf nicht ankommt. Denn maßgeblich für die Einstufung des Grades der Behinderung ist nicht die medizinische Diagnose einer Gesundheitsstörung, vielmehr sind nach § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft entscheidend. Hiermit übereinstimmend sieht A 2a Satz 4 VMG vor, dass der GdB ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens darstellt, wobei nach Satz 2 dieser Vorschrift die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen maßgebend sind.

 

B 3.2 VMG sieht für die Narkolepsie einen Mindest-GdB von 50 vor. Je nach Häufigkeit, Ausprägung und Kombination der Symptome ist ein GdB-Rahmen bis 80 vorgesehen, wobei neben Tagesschläfrigkeit, Kataplexien, automatischem Verhalten im Rahmen von Ermüdungserscheinungen, Schlaflähmungen und hypnagogen Halluzinationen insbesondere Schlafattacken genannt werden. Ein GdB von 50 ist nach B 8.7 VMG auch für das Schlaf-Apnoe-Syndrom bei nicht durchführbarer nasaler Überdruckbeatmung vorgesehen. Die Auswirkungen dieser Hypersomnie äußern sich in Schlafstörungen, erhöhter Tagesmüdigkeit und psychischen Folgeerscheinungen (vgl. Sachverständigenbeirat, Sitzung vom 24. bis 25. April 2002). Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 15. Januar 2015 – L 13 SB 52/11 –, Rn. 17 bei juris) sind ferner bei der Bewertung des Restless-Legs-Syndroms die Vorgaben in B 3.1.2 VMG für Hirnschäden mit isoliert vorkommenden bzw. führenden Syndromen heranzuziehen, die insoweit die in B 3.1.1 VMG genannten Grundsätze der Gesamtbewertung von Hirnschäden konkretisieren: Für den Fall, dass das Restless-Legs-Syndrom zu einer erheblichen Störung des Nachtschlafs und konsekutiv einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens am Folgetag führt, hat der Senat das Vorliegen einer mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung angenommen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Dezember 2018 – L 13 SB 303/16 –, juris), für die ein GdB-Rahmen von 50 bis 60 vorgesehen ist.

 

Unter Heranziehung dieser durch die VMG vorgeschriebenen Bewertungsmaßstäbe ist die Hypersomnie, die sich nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. H in imperativ auftretenden Schlafattacken äußert, mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten. Hierbei berücksichtigt der Senat, dass es sich um funktionell erhebliche Einschränkungen handelt, die sich im Alltag der Klägerin deutlich auswirken.

 

Der Einzel-GdB von 50 bildet auch den Gesamt-GdB ab.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.

 

Rechtskraft
Aus
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