S 17 KA 735/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 17 KA 735/16
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die besondere einjährige Verjährungsfrist des § 259b InsO gilt auch für die Geltendmachung von Honorar-Rückforderungsansprüchen (hier Plausibilitätsprüfung), die dem Grunde nach Quartale betreffen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegen. 
 

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Honorarrückforderungsbescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2016.

Die Klägerin ist Trägerin des MVZ endokrinologikum B-Stadt.

Über das Vermögen der Klägerin wurde am 1. Dezember 2013 das Insolvenzverfahren bei dem Amtsgericht Hamburg — Insolvenzgericht — zum Aktenzeichen 67c IN 384/13 eröffnet. Am 16. April 2014 legte der Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan vor, der eine Quote von 100 % für die Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO vorsah. Auf Seite 44 des Insolvenzplanes unter 2.5.1. erklären die Gläubiger der Gruppe 1 (alle nicht nachrangigen Forderungen) den Verzicht auf alle nicht festgestellten Forderungen. Auf Seite 49 des Insolvenzplans unter 2.10.4. wird die Aufrechenbarkeit der Gegenforderung im Insolvenzplan ausgeschlossen. Dieser Plan wurde am 3. Juni 2014 von der Gläubigerversammlung angenommen. Der planbestätigende Beschluss wurde nicht angefochten und ist am 17. Juni 2014 rechtskräftig geworden.

Die Beklagte hatte keine Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet.

Am 26. August 2014 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben.

Der Plausibilitätsausschuss Süd der Beklagten setzte mit Bescheid vom 2. Mai 2016 gegenüber der Klägerin aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung für die Quartale I/2012 bis III/2013 insgesamt Honorarrückforderungen in Höhe von 185.021,94€ fest.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Juni 2016 Widerspruch ein. Eine Aufrechnung der Regressforderung gegen die Honorarforderungen gemäß §§ 387 ff. BGB i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V sei nicht möglich. Denn die Gegenforderung sei verjährt. Die Möglichkeit der Nachprüfung des Honoraranspruchs des Vertragsarztes unterliege nicht der regelmäßigen Verjährung, es bestehe aber eine Ausschlussfrist von vier Jahren. Diese Frist sei zwar eingehalten. Die Regressforderung sei jedoch gemäß § 259b InsO verjährt. Die Verjährung beginne abweichend von § 199 Abs. 1 BGB mit Rechtskraft des planbestätigenden Beschlusses und Fälligkeit der Insolvenzforderung. Die Frist für die sofortige Beschwerde gegen den planbestätigenden Beschluss sei gemäß § 6 Abs. 2 InsO i.V.m. § 569 ZPO eine Notfrist von zwei Wochen ab Verkündung des Beschlusses, so dass diese Voraussetzung mit Ablauf des 17. Juni 2014 eingetreten sei. Denn die Regressforderung sei bereits mit Insolvenzeröffnung nach § 41 InsO fällig geworden und gemäß § 259b InsO am 17. Juni 2015 verjährt, so dass sich die Gegenforderung und die Honorarforderungen der Klägerin ab dem 3. Quartal 2015 als Hauptforderungen nicht aufrechenbar gegenüber gestanden hätten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2016, zurück. Eine Verjährung der Rückforderungsbeträge sei im Rahmen des Plausibilitätsverfahrens nicht eingetreten, da die 4-Jahres-Ausschlussfrist unstreitig nicht abgelaufen sei. Auch eine Verjährung nach § 259b InsO sei nicht eingetreten. Gemäß § 259b Abs. 1 InsO verjähre die Forderung eines Insolvenzgläubigers, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden sei, in einem Jahr nach Rechtskraft des planbestätigenden Beschlusses. 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 30. November 2016 zum Sozialgericht Marburg erhobene Klage. 

Die Rechtmäßigkeit des Ergebnisses der Plausibilitätsprüfung ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Die Klägerin trägt vor, dass der Rückforderungsbescheid rechtswidrig sei, weil die Forderung durch einen Verzicht erloschen, zumindest nach § 259b InsO verjährt sei und jedenfalls verwirkt sei. 

Die streitgegenständlichen Honorarrückforderungen seien bei Festsetzung bereits erloschen gewesen. Der Insolvenzplan statuiere unter 2.5.1., dass alle nicht nachrangigen Gläubiger auf nicht angemeldete Forderungen verzichten. Die Wirkungen des gestaltenden Teils träten für alle Gläubiger gleichermaßen ein — unabhängig von einer Teilnahme am Insolvenzverfahren, §§ 254, 254b InsO. Damit solle die gezielte Gefährdung des Insolvenzplans durch bloße Passivität im Insolvenzverfahren verhindert werden. Entgegen den Ausführungen der Beklagten komme es für den Verzicht des Insolvenzplanes in 2.10,2. (Seite 48 der Anlage, K2) nicht auf eine Erklärung oder eine Mitteilung der Beklagten an. Die Wirkungen des Insolvenzplanes träten gemäß § 254b InsO unabhängig von einer Teilnahme am Insolvenzverfahren für alle lnsolvenzgläubiger ein.

Die im Honorarrückforderungsbescheid festgesetzten Forderungen seien im Zeitpunkt ihrer Festsetzung darüber hinaus auch gemäß § 259b InsO verjährt gewesen und hätten deshalb nicht mehr festgesetzt werden dürfen. 

Der § 259b InsO sei durch das ESUG vom 1. März 2012 eingeführt worden, um bei Insolvenzplänen in angemessener Zeit Klarheit darüber zu schaffen, ob der Schuldner nach Aufhebung noch weitere Forderungen bedienen müsse (BT-Drucks. 17/5712, S. 37). Die Vorschrift diene damit gemeinsam mit dem § 259a InsO der Sicherstellung der Sanierung im Wege des Insolvenzplanes. Diese allumspannende Verjährungsfrist sei notwendig, um die Fortführung von Unternehmen nach der Sanierung durch einen Insolvenzplan zu ermöglichen, indem die zu befriedigenden Insolvenzforderungen kalkulierbar gehalten würden. 

Bei den Honorarrückforderungen handele es sich um Insolvenzforderungen, deren Verjährung am 18. Juni 2014 begonnen und dementsprechend mit Ablauf des 17. Juni 2015 verjährt gewesen seien. 

Entgegen der Ansicht der Beklagten handele es sich bei den geltend gemachten Honorarrückforderungen um Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO. Eine Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO liege immer dann vor, wenn bereits bei Insolvenzeröffnung ein Vermögensanspruch begründet gewesen sei. Dafür notwendig, aber auch ausreichend sei es, wenn so viele Merkmale des anspruchsbegründenden Tatbestandes verwirklicht seien, dass der Gläubiger eine gesicherte Anwartschaft an der Forderung habe und der Schuldner das Entstehen der Forderung nicht mehr einseitig verhindern könne. Der BGH habe dazu ausgeführt: „Nur die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs muss schon vor Eröffnung des lnsolvenzverfahrens entstanden sein. Unerheblich ist, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist." (BGH, Beschl. v. 22.09.2011 — IX ZB 121/11). Der Sachverhalt der zu Rückforderung geführt habe, sei vollständig vor Insolvenzeröffnung abgeschlossen gewesen, lediglich die Festsetzung der Rückforderung habe noch ausgestandanden. Um das Ziel des Insolvenzrechts, nämlich die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung, sicherzustellen, dürfe die Einordung als Insolvenzforderung nicht in das Belieben des Gläubigers gestellt werden. Auf den Zeitpunkt der Geltendmachung kommt es deshalb nicht an. 

Jedenfalls seien die Rückforderungen verwirkt. Verwirkung trete ein, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht habe und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet habe und sich auch darauf habe einrichten dürfen, dass der Berechtigte das Recht in Zukunft nicht mehr geltend machen würde. Es müsse mithin ein Zeit- und ein Umstandsmoment vorliegen. 

Das Zeitmoment müsse kürzer sein als sonstige Ausschlussfristen, die keinen sonstigen Vertrauenstatbestand (Umstandsmoment) voraussetzetn. Die Beklagte habe die Rückforderungen erst unmittelbar vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist festgesetzt und damit das Zeitmoment für die Verwirkung erfüllt. 

Das Umstandsmoment liege hier in der Kenntnis vom Insolvenzverfahren und dem beabsichtigten Insolvenzplan und der gleichzeitigen Untätigkeit der Beklagten. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte noch weitere Informationen benötigt habe, um die Rückforderungen festzusetzen; die Beklagte scheine vielmehr schuldhaft untätig gewesen zu sein. Demgegenüber sei die alsbaldige Rechtssicherheit hinsichtlich der angestrebten Sanierung der Klägerin durch einen Insolvenzplan zwingend notwendig gewesen, um die Fortführung der Betrieb zu ermöglichen. In Insolvenzplänen werde die Quote für die Insolvenzgläubiger regelmäßig in zwei Raten aufgeteilt: eine Mindestquote alsbald nach Bestätigung des Planes und eine zweite variable Quote nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 259b InsO. Auf diese Weise solel sichergestellt werden, dass Insolvenzgläubiger nicht nachträglich noch Insolvenzforderungen geltend machten, nachdem die zweite, variable Quote festgelegt worden sei. Gemäß § 254 Abs. 1 InsO entfalte der Plan Wirkungen für alle Insolvenzgläubiger, unabhängig davon, ob sie ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet hätten. In Kenntnis des Insolvenzverfahrens habe die Beklagte ein Interesse daran, ihre Forderungen nicht zur Insolvenztabelle anzumelden und auch die Verjährungsfrist des § 259b InsO abzuwarten. Der Planüberwacher berechne dann die Quote für die zweite Rate, weil er davon ausgehen könne, dass keine Nachmeldungen mehr erfolgen, weil alle Insolvenzforderungen nach § 259b InsO verjährt seien. Die Berechnung der Höhe der zweiten Quote erfolge dann unter Außerachtlassen der Honorarrückforderungen, da diese noch nicht geltend gemacht worden seien. Die Beklagte würde damit durch die verzögerte Anmeldung im Ergebnis besser gestellt als bei rechtzeitiger Anmeldung. Hinzu komme, dass das Unternehmen durch diese Nachmeldung möglicherweise wieder in eine wirtschaftliche Schieflage gerate, wenn der zur Abgeltung der Insolvenzforderung vorgesehene Betrag nachträglich erhöht werden müsse. Diese bewusste Umgehung des § 259b InsO und damit beanspruchte Sonderstellung der Beklagten seien mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Insolvenzrechts unvereinbar.

Die Klägerin beantragt, 
der Beklagten vom 2. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, 
die Klage abzuweisen.

Die Forderung sei nicht verjährt. Die Rückerstattungsforderung der KV Hessen aus der Plausibilitätsprüfung der Quartale I/12 bis III/13 und damit eine eventuelle Forderung der KV Hessen als Gläubigerin sei erst mit Bescheid vom 2. Mai 2016 rechtswirksam und gegenüber dem Endokrinologikum fällig geworden. Das Insolvenzverfahren der Trägergesellschaft A. sei bereits seit August 2014 und somit deutlich vor Erlass des Bescheides am 2. Mai 2016 beendet gewesen. 

Eine Fälligkeit der Rückforderung bereits zur Insolvenzeröffnung sei nicht ersichtlich. Die klägerische Annahme einer Fälligkeit bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung würde voraussetzen, dass die Rückzahlungsforderung jedenfalls „im rechtlichen Kern" zu diesem Zeitpunkt schon begründet gewesen sei (vgl. Urteil BSG vom 17.08.2011, Az.: B 6 KA 24/20). Von einer solchen Begründetheit der Rückzahlungsforderung könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Eine Honorarrückforderung sei dem Grunde und der Höhe nach im Plausibilitätsverfahren erst nach Abschluss einer umfassenden Prüfung festlegbar. Die Verfahrenseröffnung für das streitgegenständliche Plausibilitätsverfahren sei mit Schreiben vom 4. Januar 2016 dem MVZ Endokrinologikum B-Stadt bekanntgegeben worden. Ende 2013 — also zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung — sei noch keine nähere Überprüfung der Plausibilität der Abrechnungsquartale I/12 bis III/13 erfolgt.

Was das Vorbringen der Klägerin zum § 259a InsO und dessen gesetzgeberischem Zweck betrifft, so verkenne die Klägerin diesen doch im erheblichem Maße. Zwar versuche sie im Ansatz, den Zweck auf Blatt 4 der Klageschrift zu erläutern, verliert sich aber letztlich in Allgemeinpositionen wie „die allumspannende VerJährungsfrist sei notwendig [....].Beim Blick in die Fundstelle, die die Klägerin zitiere, lege der Gesetzgeber nicht nur den von der Klägerin bemühten Zweck dar, sondern hebe im Hinblick auf die §§ 259a und b InsO auch Folgendes hervor: „Forderungen von Gläubigem, die sich im Insolvenzplanverfahren nicht gemeldet haben, können auch noch nach Abschluss des Planverfahrens geltend gemacht werden. Dem Planverfahren kommt keine Ausschlusswirkung zu. Gemäß § 254 Absatz 1 InsO entfaltet der Insolvenzplan seine Wirkungen zwar auch für und gegen solche Insolvenzgläubiger. [....] Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich nach Bestätigung des Plans Gläubiger melden, mit deren Forderungen – auch in der reduzierten Höhe — bei der Gestaltung des Plans zu rechnen war." Weiter führe der Gesetzgeber aus: „Hingegen wurde Vorschlägen nicht gefolgt, für diese Ansprüche eine materielle Ausschlussfrist zu schaffen. Eine solche Ausschlussfrist hätte aus verfassungsrechtlichen Gründen mit der Möglichkeit verbunden werden müssen, dass bei unverschuldeter Fristversäumnis Wiedereinsetzung verlangt werden kann" (BT-Drs. 17/5712, S.37). Der Gesetzgeber mache also damit deutlich, dass er eben gerade keine materielle Ausschlussfrist im Zusammenhang mii den beiden genannten InsO-vorschriften habe schaffen wollen. Dies verkenne die Klägerin gänzlich. Vor diesem Hintergrund könne auch ihr Vorbringen hinsichtlich eines Erlöschens durch Verzicht nicht durchdringen. Ihr müsse stets die Existenz des genannten Ausgangsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheides bewusst gewesen sein. 

Die Beklagte habe der Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, auf ihren Anspruch aus den genannten Bescheiden verzichten zu wollen. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren. 

Entscheidungsgründe

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richterinnen aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). 

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. 

Die mit diesen Bescheiden geltend gemachte Rückforderung ist nach § 259b InsO verjährt. Bei den streitgegenständlichen Honorarrückforderungen handele es sich um Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO, deren Verjährung am 18. Juni 2014 begonnen und dementsprechend mit Ablauf des 17. Juni 2015 verjährt gewesen sind. 

Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger) (§ 38 InsO). Eine Insolvenzforderung liegt damit dann vor, wenn die Regressforderung zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet war.

Der gesamte Rückforderungsbetragt betrifft Quartale, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegen, nämlich I/2012 bis III/2013. Das Insolvenzverfahren wurde erst am 1. Dezember 2013 eröffnet. 

Eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, mag sich eine Forderung des Gläubigers daraus auch erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergeben (BGH, Urteil vom 6. November 1978 - VIII ZR 179/77, BGHZ 72, 263, 265 f; Beschluss vom 7. April 2005 - IX ZB 129/03, ZInsO 2005, 537, 538; vom 7. April 2005 - IX ZB 195/03, NZI 2005, 403, 404). Nur die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs muss schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein. Unerheblich ist, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist. Entsprechend geht auch der Bundesfinanzhof davon aus, dass für die Frage, ob Steuerforderungen Insolvenzforderungen sind, entscheidend ist, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Auf die Frage, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden ist, kommt es dagegen nicht an (BFH ZIP 2008, 1780 Rn. 17 mwN).

Im diesen Sinne wendet auch das BSG die Anfechtungsvorschriften der InsO an.  Das BSG geht davon ausgeht, dass mit dem Abschluss eines Quartals, in dem der Vertragsarzt vertragsärztliche Leistungen erbracht hat, und der Vorlage der entsprechenden Abrechnung bereits ein "genereller" Anspruch des Arztes auf Teilhabe an der Honorarverteilung und insofern schon dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch des Arztes entsteht. Höhe und Fälligkeit dieses Anspruchs hängen von Inhalt und Zeitpunkt des Erlasses des Honorarbescheides ab; dessen Erlass steht insoweit dem Eintritt einer Bedingung im Sinne des § 140 Abs 3 InsO gleich.

(BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 30/08 R; vgl. auch BSG, Urteil vom 23. März 2011 - B 6 KA 14/10 R und Urteil vom 17. August 2011 – B 6 KA 24/10 R).
Auf die vorliegend maßgeblichen Quartale I/12 bis III/13 treffen diese Voraussetzungen zu. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens waren die Quartale abgearbeitet und abgerechnet und damit die „schuldrechtliche“ Grundlage des Anspruchs entstanden. 

Die Klägerseite hat sehr zutreffend darauf hingewiesen, dass § 259b eingeführt worden ist, um bei Insolvenzplänen in angemessener Zeit Klarheit darüber zu schaffen, ob der Schuldner nach Aufhebung noch weitere Forderungen bedienen müsse (BT-Drucks. 17/5712, S. 37). Die Vorschrift dient damit gemeinsam mit dem § 259a InsO der Sicherstellung der Sanierung im Wege des Insolvenzplanes. Diese allumspannende Verjährungsfrist ist notwendig, um die Fortführung von Unternehmen nach der Sanierung durch einen Insolvenzplan zu ermöglichen, indem die zu befriedigenden Insolvenzforderungen kalkulierbar gehalten würden. 

Etwas anderes ergibt sich – entgegen des Vortrags der Beklagten – auch nicht aus den Gesetzesmaterialien. Die von der Beklagten zitierten Ausführungen gelten gerade nicht explizit für § 259b InsO, sondern sind den Vorbemerkungen zu der Änderung von § 295a und b InsO entnommen. Zu § 259b InsO heißt es vielmehr: „Als weitere Maßnahme, die eine Gefährdung der Sanierung durch nachträglich geltend gemachte Ansprüche verhindern soll, wird eine besondere Verjährungsregelung eingeführt. Ansprüche, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden sind und die mithin nicht in die Finanzplanung im Planverfahren aufgenommen werden konnten, verjähren nach Absatz 1 in einem Jahr. Die Verjährungsfrist läuft nach Absatz 2 von der Rechtskraft des Beschlusses an, mit dem der Plan bestätigt worden ist. Jedoch beginnt die Verjährungsfrist nicht vor der Fälligkeit der Forderung. Die besondere Verjährungsfrist schafft für das zu sanierende Unternehmen in angemessener Zeit Klarheit darüber, ob es noch mit weiteren Forderungen aus der Zeit vor dem Insolvenzplanverfahren konfrontiert wird, mit denen es in aller Regel nicht mehr rechnet. Die besondere Verjährungsfrist soll daher für alle Ansprüche gelten, selbst wenn für sie – wie zum Beispiel bei titulierten Forderungen nach allgemeinem Recht – die dreißigjährige Verjährungsfrist gilt. (BT Drs. 17/5712, S. 38). 

Dass somit Erstattungsforderung einer KV, die aus überhöhten Abschlagzahlungen resultieren, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arztes ggf. nur in Höhe der Insolvenzquote erfüllt werden und der kurzen Verjährungsfrist des § 259b InsO unterliegen, ist unvermeidliche Folge der gesetzlichen Regelung. Es gibt keinen rechtlichen Ansatz dafür, die KVen gegenüber anderen Insolvenzgläubigern dadurch zu privilegieren, dass ihnen gestattet wird, überhöhte Abschlagzahlungen ungeachtet der zwischenzeitlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. der insolvenzrechtlichen Verjährungsvorschriften als lex specialis im Wege der Aufrechnung gegen neu entstehende Honorarforderungen des Schuldners bzw. des Insolvenzverwalters auszugleichen. Dass die insolvenzbedingten Forderungsausfälle von der Gesamtheit der Vertragsärzte zu tragen sind, ist notwendige Folge ihres auf Teilhabe an der Verteilung der Gesamtvergütungen beschränkten Anspruchs. Im Übrigen liegt hierin keine Besonderheit des Vertragsarztrechts, denn auch die Forderungsausfälle, die Sozialversicherungsträgern oder dem Fiskus infolge der Insolvenz eines Beitrags- bzw Steuerpflichtigen entstehen, sind letztlich von allen Beitrags- bzw Steuerzahler zu tragen (so BSG, Urteil vom 17. August 2011 – B 6 KA 24/10 R).

Bereits aus diesen Gründen musste die Klage Erfolg haben. Es kann dahinstehen, ob die Rückforderung zudem verwirkt oder durch Verzicht erloschen war. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. 

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Berichtigungsbeschluss

Der Tenor der Urteilsausfertigung vom 27. Juni 2022 des Urteils vom 30. März 2022 wird wie folgt berichtigt:

1. Der Bescheid vom 2. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2016 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Gründe

Nach §§ 202 SGG in Verbindung mit § 319 Abs. 1 ZPO sind offenbare Unrichtigkeiten im Urteil zu berichtigen. Der mit der Urteilsausfertigung vom 27. Juni 2022 übersandte Tenor entspricht nicht dem am 30. März 2022 verkündeten Urteilstenor und auch nicht dem Sitzungsprotokoll. Er war deshalb zu berichtigen.

Rechtskraft
Aus
Saved