L 8 SO 78/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 9 SO 302/16
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 78/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 22/22 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine weitere Sachaufklärung des zuständigen Leistungsträgers ist dann nicht erforderlich, wenn über den zugrunde liegenden Streitgegenstand bereits ein die Beteiligten bindender Prozessvergleich existiert und dieser materiell-rechtlich wirksam ist. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Streitsache gem. § 131 Abs. 5 SGG an den zuständigen Leistungsträger durch das Sozialgericht liegen in diesem Fall nicht vor.

Bemerkung

Zurückverweisung einer Streitsache an den Sozialhilfeträger gem. § 131 Abs. 5 SGG - Notwendigkeit der Sachaufklärung - Sachdienlichkeit - Prozessvergleich nach § 101 SGG - Bindungswirkung 

     
   
 

 

      1. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 20. Juni 2017 aufgehoben. Auf die Klage wird der Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2016 aufgehoben.
      2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Verfahrenszügen.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die Aufhebung des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2016 durch das Sozialgericht sowie die Zurückverweisung an ihn zur weiteren Sachaufklärung. Der Kläger begehrt mit seiner Klage unter Änderung des Bescheides vom 21. Dezember 2012 sowie des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2016 die höheren Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014, wie sie im gerichtlichen Vergleich vom 8. Januar 2013 zwischen den Beteiligten abgestimmt worden sind.

 

Der 1983 geborene Kläger leidet an einem frühkindlichen Autismus, einer Intelligenzminderung sowie seit Januar 2011 an einer inkompletten Querschnittslähmung mit neurogener Blasen- und Mastdarmentleerungsstörung, wegen der er auf die Nutzung des Rollstuhles angewiesen ist. Ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, aG, H, B und RF zuerkannt. Der Kläger kann sich nicht lautsprachlich äußern, sondern nutzt die Möglichkeit der IT-gestützten Kommunikation, insbesondere mit einem iPad. Er ist ganztags auf die Anwesenheit vertrauter Bezugspersonen angewiesen.

 

Der Kläger bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII).

Aus der sozialen Pflegeversicherung erhält er Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen nach § 37 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI). Seit dem 1. März 2006 ist der Kläger im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen der Y.... -Werkstätten des Diakonischen Werkes der Stadtmission B.... e. V. (WfbM) beschäftigt.

 

Am 7. November 2012 beantragte der Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherstellung einer 24-Stunden-Assistenz in Form eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets für Leistungen der Eingliederungshilfe und solchen der Hilfe zur Pflege. Die medizinisch-therapeutischen Leistungen der Krankenkasse sowie Leistungen des Kommunalen Sozialverbandes (KSV, im Folgenden: Beigeladener) zur Teilhabe am Arbeitsleben sollten nicht Bestandteil des Persönlichen Budgets sein.

 

Der Beigeladene und die BARMER Gesundheitskasse als zuständige Pflegekasse wurden durch den Beklagten am 19. November 2012 um Stellungnahme nach § 3 Budgetverordnung ersucht. Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2012 lehnte der Beigeladene zusätzliche Leistungen im Rahmen seiner Zuständigkeit ab, da Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben ausdrücklich nicht vom Persönlichen Budget umfasst sein sollten. Für die Assistenzleistungen des im Haushalt der Eltern untergebrachten Klägers sei der Beigeladene nicht zuständig.

 

Am 21. Dezember 2012 entwarf der Beklagte eine Zielvereinbarung über ein Persönliches Budget nach § 4 Budgetverordnung. Nach der dortigen Nr. 2 sollte das Persönliche Budget Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Form eines Pflegegeldes für selbst beschaffte Pflegehilfen nach § 37 SGB XI i. H. v. 700,00 € monatlich sowie Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben nach § 53 ff. SGB XII i. V. m. §§ 55 Abs. 2 Nr. 7, 58 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) in der seinerzeit gültigen Fassung zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten persönlichen Assistenz zur selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben i. H. v. monatlich 3.521,00 € umfassen.

 

Ebenfalls am 21. Dezember 2012 erließ die Beklagte einen Bescheid über ein trägerübergreifendes Persönliches Budget für Leistungen der Pflegekasse und des örtlichen Trägers der Sozialhilfe. Danach bewilligte der Beklagte Leistungen der Pflegekasse nach dem SGB XI i. H. v. monatlich 700,00 € gemäß § 37 Abs. 1 SGB XI als Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe nach der damaligen Pflegestufe 3 und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII i. H. v. monatlich 3.521,00 € für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 auf Grundlage der erwähnten Zielvereinbarung. Der Beklagte sei gemäß § 97 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 13 Abs. 2 Sächsisches Gesetz über die Ausführung des Sozialgesetzbuches (SächsAGSGB) und § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII als örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich und örtlich für die Leistungen der Eingliederungshilfe zuständig. Die Leistungen der Pflegekasse seien aufgrund des wahrgenommenen Wahlrechts zum Bezug des Pflegegeldes auf 700,00 € monatlich begrenzt. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe. Die Höhe des Persönlichen Budgets für Leistungen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben nach den §§ 53 ff. SGB XII i. V. m. §§ 55 Abs. 2 Nr. 7, 58 SGB IX sei für die Zeit ab dem 1. Januar 2013 wie folgt ermittelt worden:

  • Regelbedarf: Montag bis Sonntag 3,5 Stunden täglich = 24,5 Stunden wöchentlich x 23,50 € = 575,75 €

Samstag/Sonntag + 7,5 Stunden täglich = 15,0 Stunden wöchentlich x 12,50 € = 187,50 €

= 763,25 € x 13/3 = 3.307,42 €/Monat

zusätzlicher Bedarf bei Verhinderung der Pflegekraft: 30 Urlaubstage zuzüglich
11 Feiertage jährlich x 5 Stunden täglich x 12,50 € = 2.562,50 € = 213,54 €/Monat.

 

Gerundet ergebe sich ein monatlicher Betrag i. H. v. 3.521,00 €, um für den Kläger eine bedarfsgerechte persönliche Assistenz sicherzustellen. Grundlage der Entscheidung sei das ärztliche Gutachten des Herrn Dr. P....  vom 21. Juli 2012.

 

Dagegen legte der Kläger am 4. Januar 2013 Widerspruch ein. Die Zielvereinbarung sei ohne Abstimmung mit dem Kläger aufgesetzt worden. Der im Bescheid vom 21. Dezember 2012 ermittelte Bedarf gehe am tatsächlichen Bedarf des Klägers vorbei. Ausweislich der Stellungnahme der behandelnden Ärztin Dr. X....  von der Autismusambulanz B.... müsse der Kläger als Autist den gesamten Tag betreut, gepflegt und begleitet werden. Dazu seien Hilfskräfte nicht geeignet. Darüber hinaus seien Leistungen der Hilfe zur Pflege zu bewilligen.

 

Auf den daneben beim Sozialgericht Dresden gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung schlossen die Beteiligten im Verfahren S 42 SO 386/12 ER am 8. Januar 2013 folgenden Vergleich:

 

"1.     Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Antrag des Antragstellers, soweit er Leistungen für 2012 betrifft, erledigt und eine Mehrleistung vom Antragsgegner nicht zu erbringen ist.

 

2.       Der Antragsgegner verpflichtet sich, ab 1. Januar 2013 bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 21.12.2012 € 10.000,00 monatlich Leistungen für die Hilfe zur Pflege und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unter Einbeziehung der Leistung der Pflegekasse als trägerübergreifendes persönliches Budget an den Antragsteller zu erbringen.

 

3.       Der Antragsgegner verpflichtet sich, vor der Entscheidung über den Widerspruch den Pflege- und Eingliederungsbedarf des Antragstellers erneut umfassend und ergebnisoffen begutachten zu lassen.

 

4.       Der Antragsgegner verzichtet auf eine eventuelle Rückforderung der unter 2. zugesagten Leistung, soweit sich ein geringerer Bedarf ergeben sollte. Soweit sich ein Mehrbedarf ergibt, wird der entsprechende Differenzbetrag an den Antragsteller nachgezahlt werden.

 

5.       Der Antragsgegner verpflichtet sich, 1/2 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu übernehmen.

 

6.       Die Beteiligten erklären das Verfahren für erledigt."

 

In der Folge (bis Oktober 2016) zahlte der Beklagte an den Kläger monatlich 9.300,00 € excl. der Leistungen zur Pflegeversicherung, ohne weitere Ermittlungen zum Pflege- und Eingliederungshilfebedarf des Klägers zu veranlassen.

Im Januar 2015 unterzeichneten die Beteiligten eine Zielvereinbarung (6./29. Januar 2015; Bl. 485ff VA). Nach Nr. 2 der Zielvereinbarung umfasste das Persönliche Budget: a) Leistungen der sozialen Pflegeversicherung i.H.v. 728,00 € monatlich und b) Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben nach § 53 ff. SGB XII i. V. m. §§ 55 Abs. 2 Nr. 7, 58 SGB IX sowie Hilfe zur Pflege nach § 61 Abs. 2 SGB XII zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Persönlichen Assistenz i.H.v. monatlich 9672,00 €.

 

Weiter ist in der Zielvereinbarung geregelt:

 

"3. Höhe des Persönlichen Budgets

Das Persönliche Budget wird als Geldleistung erbracht und beträgt im Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.12.2016 10.400,00 EUR monatlich. Die bereitgestellte Pauschale ist ausschließlich für Leistungen laut Nr. 2 für Herrn A.... zu verwenden. Das Persönliche Budget wird von den zuständigen Sozialleistungsträgern laut 2.a. und 2.b. jeweils zum 1. des Monats auf das Konto des Budgetnehmers ausgezahlt.

Mit dieser Zielvereinbarung werden die im Vergleich vor dem Sozialgericht Dresden (Az.: S 42 SO 386/12 ER) vom 08.01.2013 vereinbarten Zahlungsbeträge angepasst. Alle weiteren Vereinbarungen, insbesondere bezüglich Ziffer 3 und Ziffer 4 des Vergleiches gelten fort."….

Die unter " 5. Pflichten des Budgetnehmers und Mittelverwendung" enthaltene Formulierung "Nicht verbrauchte bzw. zweckwidrig verwendete Beträge werden an den Beauftragten zurückgezahlt bzw. die nicht verbrauchten Beträge werden bei der Fortführung des Persönlichen Budgets über die Geltungsdauer hinaus verrechnet." ist - offenkundig von der gesetzlichen Betreuerin des Klägers - unter Hinweis auf den Vergleich vollständig gestrichen worden. Weiter regelt die Zielvereinbarung unter:

" 7.Geltungsdauer und Kündigungsfristen

Die Vereinbarung wird für die Dauer vom 01.01.2015 bis 31.12.2016 geschlossen.

Der Budgetnehmer und der Beauftragte können nach § 4 Abs. 2 BudgetV die Zielvereinbarung aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung schriftlich kündigen, wenn die Fortsetzung nicht zumutbar ist. Ein wichtiger Grund kann insbesondere in der persönlichen Lebenssituation des Budgetnehmers liegen. Für den Beauftragten kann ein wichtiger Grund dann vorliegen, wenn die Zielvereinbarung nicht eingehalten wird, insbesondere wenn die Leistung nicht bestimmungsgemäß verwendet wird oder die Nachweise, auch nach Aufforderung, nicht erbracht werden oder die Leistungsvoraussetzungen entfallen sind.

Änderungen und Ergänzungen der Zielvereinbarung bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Mündliche Nebenabreden bestehen nicht.

Sollte eine Bestimmung dieser Zielvereinbarung unwirksam sein, so bleibt die Zielvereinbarung im Übrigen wirksam und die Vertragsparteien verpflichten sich, eine neue Regelung zu treffen, die dem Zweck der unwirksamen Regelung in zulässiger Weise am nächsten kommt."

 

Am 19. Mai 2015 forderte der Beklagte den Beigeladenen zur Übernahme der Leistungsgewährung auf.

 

Erstmals am 13. April 2016 fand ein Vororttermin im Elternhaus des Klägers zur Bedarfsfeststellung statt. An der Budgetkonferenz vom 14. September 2016 nahmen der Kläger selbst, Frau W....  als persönliche Assistentin des Klägers, die Mutter des Klägers als Betreuerin, die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers, Frau Rechtsanwältin V...., vom Beklagten der Fachdienstleister Sozialhilfe Herr U...., vom Beigeladenen Herr T....  (Sozialpädagogischer Dienst) und Herr S....  sowie vom Sozialamt des Beklagten Frau R....  und Frau Q....  teil. Ausweislich des Protokolls ermittelten die Beteiligten einen Pflege- und Eingliederungsbedarf des Klägers in Wochen des WfbM-Besuches inklusive Fahrzeit von 32,5 Stunden wöchentlich, für pflegerische Verrichtungen von 35 Stunden wöchentlich, für die Tagesgestaltung und für das Wohnen im eigenen Wohnraum 37,5 Stunden. Mithin stellte der Beklagte einen Hilfeumfang von 72,5 Stunden in Wochen mit Werkstattbesuch und einen Bedarf von 105 Stunden in Urlaubs-, Feiertags – und Krankheitszeiten fest. Unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 13,80 € ermittelte der Beklagte einen durchschnittlichen monatlichen Budgetbetrag von 5.072,00 €.

 

Am 5. Oktober 2016 erließ der Beklagte einen Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid. Damit half der Beklagte dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2012 teilweise ab und legte das Persönliche Budget für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 auf monatlich 5.072,00 € fest. Dieses umfasse im Rahmen der Eingliederungshilfe Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für das selbstbestimmte Wohnen sowie der Hilfe zur Pflege zur Deckung des pflegerischen Bedarfs des Klägers. Die mit gerichtlichem Vergleich vom 8. Januar 2013 bis zur Entscheidung über den Widerspruch vereinbarte Zahlung von monatlich 10.000,00 € incl. Pflegegeld als trägerübergreifendes Persönliches Budget sei schutzwürdig und nur dahingehend zurückzufordern, als dass sich nicht verbrauchte bzw. zweckwidrig verwendete Mittel für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 ergeben würden. Dazu erginge ein gesonderter Bescheid. Die nunmehr festgelegte Höhe des Persönlichen Budgets basiere auf der Bedarfsermittlung des Sozialpädagogischen Dienstes des Beigeladenen und des Sozialen Dienstes des Sozialamtes des Beklagten vom 24. Juni 2016. Der durchschnittliche Tagesablauf bei Besuch der WfbM sei pro Woche zu gliedern in: WfbM-Besuch inklusive Fahrzeit 32,5 Stunden, pflegerische Verrichtungen laut Pflegestufe 3 im Umfang von 35 Stunden, Tagesgestaltung und Wohnen im eigenen Wohnraum 37,5 Stunden sowie Nachtruhe 63 Stunden. Der durchschnittliche Tagesablauf bei Abwesenheit in der WfbM sei pro Woche zu untergliedern in: pflegerische Verrichtungen laut Pflegestufe 3 von 35 Stunden wöchentlich, Tagesgestaltung und Wohnen im eigenen Wohnraum 70 Stunden wöchentlich sowie Nachtruhe von 63 Stunden. Als Stundensatz sei ein Betrag i. H. v. 11,50 € zuzüglich eines Arbeitgeberanteils von 20 % mithin 13,80 € zugrunde gelegt worden. Der Stundensatz sei im Gespräch zur Budgetabrechnung am 14. Juli 2016 bekanntgegeben worden. Der Bedarf an Hilfe zur Pflege betrage somit monatlich 2.093,00 € und der Bedarf an Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft 2.578,88 €. Zuzüglich einer Sachkostenpauschale i. H. v. 400,00 € betrage das monatliche Gesamtbudget aufgerundet 5.072,00 €.

 

Gegen den am 6. Oktober 2016 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 4. November 2016 Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben und die Aufhebung des Bescheides vom 21. Dezember 2012 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 5. Oktober 2016 insoweit beantragt, als ein Persönliches Budget im Zeitraum 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 von weniger als mindestens 10.026,01 € festgestellt worden sei. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Der Beklagte stütze seine Feststellungen lediglich auf den Bedarfsfeststellungstermin vom 13. April 2016. Eine gemeinsame Bedarfsfeststellung durch die Sozialen Dienste des örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgers sei für den Zeitraum ab 1. Januar 2017 lediglich aufgrund eines geplanten Zuständigkeitswechsels zum Beigeladenen erfolgt. Eine umfassende und ergebnisoffene Begutachtung wie im gerichtlichen Vergleich vom 8. Januar 2013 vereinbart, habe nicht stattgefunden. Bereits im Erörterungstermin vom 8. Januar 2013 seien sich die Beteiligten darüber einig gewesen, dass der Kläger einen monatlichen Bedarf von mindestens 10.000,00 € inklusive Pflegegeld habe. Eine individuelle und einzelfallbezogene Bedarfsermittlung sei im Nachgang nicht erfolgt. So habe der Beklagte mit Durchschnittswerten von 45 Fehltagen jährlich gerechnet. Die tatsächlichen Fehltage seien dem Beklagten für den streitigen Zeitraum jedoch bekannt. Zudem fehlten bei der Bedarfsermittlung die Kosten der Budgetassistenz. Dies seien u. a. Kosten der Personalakquise, Personalverwaltung, Anleitung des Personals, Vorbereitung und Durchführung von Betriebsprüfungen, Abrechnung und Verwaltung des Budgets, Kommunikation mit Krankenkassen und Behörden etc. Die sogenannte Sachkostenpauschale von monatlich 400,00 € stelle keine einzelfallbezogene Betrachtung dieses Bedarfs dar. Der Bedarf für die hauswirtschaftliche Versorgung als Teil der Pflege fehle völlig. Der Gutachter Dr. P....  habe im Jahr 2012 diesen Bedarf auf 3,8 Stunden täglich beziffert. Auch die angesetzten 9 Stunden Nachtruhe seien rein willkürlich und entsprächen nicht der realen Lebenssituation des Klägers. Die Eltern des Klägers leisteten zwar die nächtliche Betreuung, dies sei aber nicht auf Dauer von ihnen zu fordern. Dasselbe gelte für den nicht gedeckten Bedarf an Assistenzleistungen während des Besuchs der Werkstatt für behinderte Menschen. Dem Beklagten sei auch bekannt, dass der Kläger im August 2013 in das Arbeitgebermodell gewechselt sei. Derzeit beschäftige der Kläger fünf Arbeitnehmer, die den Bedarf des Klägers an Assistenz sicherstellten. Insoweit fehle bei der Bedarfsermittlung im streitigen Zeitraum bereits die Berechnung des Personalbedarfs, in welcher auch Fehlzeiten der Assistenten wegen Urlaub, Krankheit, Freistellungen aufgrund Mutterschutzgesetz und Überschneidungen bei Einarbeitung neuer Assistenzen zu berücksichtigen seien. Darüber hinaus sei aufgrund der gesundheitlichen Situation des Klägers seine Begleitung in die Werkstatt durch Assistenten erforderlich. Der angesetzte Stundenlohn von 11,50 € für eine Fachkraft entspräche nicht der Höhe der tatsächlichen Lohnzahlungen laut Arbeitsvertrag. Es seien Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge zu berücksichtigen. Der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung sei mit 20 % vom Arbeitnehmerbrutto zu niedrig bemessen. Tatsächlich habe der Kläger im streitigen Zeitraum einen Bedarf i. H. v. 9.326,01 € monatlich gehabt, hinzuzurechnen sei das Pflegegeld von monatlich 700,00 €.

 

Das Sozialgericht hat auf die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. Juni 2017 den Teilhabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2016 aufgehoben, soweit darin ein Persönliches Budget zur Deckung des Bedarfs an Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege nach Kapitel VI und VII des SGB XII im Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis
31. Dezember 2014 von mehr als 5.072,00 € abgelehnt worden ist. Zugleich hat das Sozialgericht die Rechtssache zur weiteren Sachaufklärung an den Beklagten zurückverwiesen. Der Verwaltungsakt sei gemäß § 131 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) rechtswidrig, weil der Sozialhilfeträger den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt habe. Im vorliegenden Fall mangele es an einer fundierten, gründlichen und ausgewogenen Feststellung sowohl zur erforderlichen Assistenzstundenzahl als auch der anzuwendenden Kostensätze, obwohl der Beklagte bei Erlass des streitigen Widerspruchsbescheides dazu gehalten gewesen sei, eine rückblickende Beurteilung der Sachlage vorzunehmen. Der durch die Y.... -Werkstätten der Diakonie B.... am 25. Oktober 2016 und 13. Dezember 2016 beschriebene Bedarf an Anleitung, Begleitung und Hilfestellung in allen lebenspraktischen Bereichen sei nicht über die vorliegend streitige Assistenz zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX oder als ergänzende Hilfe zur Pflege nach § 61 Abs. 2 SGB XII auszugleichen, weil es sich um Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 33 ff. SGB IX auf Grundlage der mit diesem Leistungserbringer getroffenen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII handele. Die notwendigen Assistenzstundenzahlen seien auch hinsichtlich Pufferzeiten für Schichtwechsel, Teamsetzungen, des vereinbarten Stundenlohnes und des pauschalen Arbeitgeberanteils von 20 Prozent zu hinterfragen. Des Weiteren sei die Sachkostenpauschale von 400,00 € nicht nachvollziehbar.

 

Gegen die dem Beklagten am 30. Juni 2017 zugestellte Entscheidung hat dieser am 20. Juli 2017 Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei bereits deshalb aufzuheben, weil die Entscheidung über die Zurückverweisung nicht binnen sechs Monaten seit Eingang der Behördenakten bei Gericht erfolgt sei. Die Klage sei am 4. November 2016 beim Sozialgericht eingegangen. Mit Schreiben vom 30. November 2016 habe der Beklagte auf diese erwidert und darauf hingewiesen, dass der Aktenvorgang dem Sozialgericht Dresden bereits im Rechtsstreit S 9 SO 303/16 ER vorliege. Die Frist von sechs Monaten nach § 131 Abs. 5 Satz 5 SGG beginne daher am 4. November 2016 und ende mit Ablauf des 3. Mai 2017. Darüber hinaus sei eine Zurückweisungsentscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG grundsätzlich durch Urteil zu treffen. Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG lägen nicht vor. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts habe der Beklagte die Bedarfslage des Klägers ordnungsgemäß aufgeklärt. Er habe gemeinsam mit dem Beigeladenen einen wöchentlichen Bedarf an Assistenzleistungen – aufgeschlüsselt auf die Zeiten innerhalb und außerhalb der Werkstatt und für Zeiten der Nachtruhe - ermittelt. Die Bedarfsermittlung sei am 13. April 2016 bei den Eltern des Klägers durchgeführt worden. Neben dem Leistungsberechtigten hätten auch seine Eltern, die Prozessbevollmächtigte und die Assistentinnen O....  und N....  teilgenommen. In der Gesprächsrunde sei der Tagesablauf des Klägers besprochen und der individuelle Hilfebedarf im Wochenüberblick ermittelt worden. In Zeiten des Werkstattbesuchs des Klägers bestünde kein Assistenzbedarf. Von der Werkstatt sei kein Mehrbedarf für den Kläger angezeigt worden. Laut der Konzeption der Werkstatt gehöre der Kläger zu dem Personenkreis, welcher durch die Werkstatt im Arbeitsbereich im Verhältnis 1:12 betreut werden könne. Die Werkstatt halte neben der Betreuung durch einen Gruppenleiter auch einen Sozialen Dienst vor, welcher sozialpädagogische Unterstützung, therapeutische und psychologische Betreuung sowie Krisenintervention anbiete. Gemäß einer Gesprächsnotiz zwischen der Leiterin des begleitenden Dienstes der Werkstatt und dem Werkstattberater des Beigeladenen vom 9. März 2016 sei ein personeller Mehrbedarf verneint worden. Mit Werkstattbesuch betrage der wöchentliche Assistenzbedarf somit 72 Stunden und ohne Werkstattbesuch 104,5 Stunden. Auch der angesetzte Stundensatz von 13,80 € brutto sei nicht zu beanstanden. Diesen hätten Vertreter des Klägers in der Budgetkonferenz vom 14. September 2016 selbst angegeben.

 

Bei der Bedarfsfeststellung für den streitigen Zeitraum müsse beachtet werden, dass von Seiten des Klägers weder Dienstpläne und Betreuungsdokumentationen noch personenbezogene Stundenaufstellungen oder konkrete Lohnabrechnungen vorgelegt worden seien. Nach den Erfahrungen des Beigeladenen sei ein Stundensatz von 11,50 € realistisch. Die Sachkostenpauschale von 400,00 € sei nicht zu beanstanden. Auch dies beruhe auf den Erfahrungswerten des überörtlichen Sozialhilfeträgers. Die in der Abrechnung vorgetragenen Steuerberaterkosten von monatlich 1.011,19 € bis 2.171,72 € seien eindeutig überzogen. Nachfragen bei Steuerberaterbüros hätten ergeben, dass für eine Lohnbuchhaltung monatlich ca. 72,00 € aufgewendet werden müsste. Die Nachtbetreuung könne nicht erstattet werden, da diese durch die Eltern übernommen würde.

 

Der vor dem Sozialgericht Dresden am 8. Januar 2013 geschlossene Vergleich stehe diesen Ausführungen nicht entgegen. Der Vergleich treffe keine Regelung für den gesamten streitigen Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014, jedenfalls nicht ab dem 1. Juli 2013. Bei Prozessvergleichen auf dem Gebiet des Sozialrechts handele es sich um öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne des §§ 54 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Prozessvergleich habe nach herrschender Meinung eine Doppelnatur. Er sei zum einen Prozesshandlung der Beteiligten und zum anderen Rechtsgeschäft. Materiell-rechtlich komme der Vergleich als Vertrag durch übereinstimmende Willenserklärung nach § 145 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zustande. Prozessrechtlich führe der Vergleich zur unmittelbaren Beendigung des Rechtsstreits, wenn mit dem Vergleich der gesamte Streitstoff erfasst werde. Für eine ergänzende vertragliche Auslegung sei nur Raum, wenn sich aus den konkreten Tatsachen ergebe, dass trotz des Wortlauts eine Regelungslücke vorliege. Eine ergänzende Vertragsauslegung dürfe nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen. Ziffer 1 des Prozessvergleiches umfasse den Leistungszeitraum 2012. Höhere Kosten als die im Abhilfebescheid vom 31. Juli 2012 bewilligten 3521 € je Monat seien dem Kläger nicht entstanden, weshalb er im Rahmen des Erörterungstermins vom 8. Januar 2013 sein Begehren nicht weiterverfolgt habe. Aus Ziffer 2 des Vergleiches gehe hervor, dass er sich auf den Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2012 beziehe. Dieser Bescheid erfasse den Leistungszeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014. Eingliederungshilfeleistungen ab dem 1. Januar 2015 seien daher von diesem Bescheid eindeutig nicht erfasst. In Ziffer 2 des Vergleiches werde weiter bestimmt, dass die Regelung der Gewährung von monatlich 10.000 € nur für einen Überbrückungszeitraum gelte - nämlich bis zu der Entscheidung des Beklagten über den Widerspruch des Klägers zum Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2012. In Ziffer 3 des Prozessvergleiches werde klargestellt, dass in jedem Fall der Pflege- und Eingliederungshilfebedarf des Klägers mittels eines umfassenden und ergebnisoffenen Gutachtens von dem Beklagten festzustellen sei. Bei Abschluss des Prozessvergleichs seien alle Beteiligten davon ausgegangen, dass das erforderliche Gutachten zur Feststellung des Bedarfs des Klägers binnen ein bis zwei Monaten erstellt sei und umgehend über den Widerspruch des Klägers entschieden werde. Denn der Beklagte habe im Prozessvergleich in Ziffer 4 ausdrücklich auf die Rückforderung eines Teils der gezahlten 10.000 € im Monat verzichtet.

 

Der Beklagte beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 20. Juni 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 20. Juni 2017 und den Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 5. Oktober 2016 aufzuheben.

 

 

Der Kläger meint, der Wortlaut des Vergleiches vom 8. Januar 2013 sei eindeutig. Der Beklagte habe auch deshalb ab Januar 2013 Leistungen i.H.v. 10.000,00 € erbracht, da der Kläger für 2012 auf weitere Leistungen verzichtet und für 2013 einen höheren Bedarf nachgewiesen habe. Die Leistung aus dem Vergleich sei zu Recht erfolgt und nicht zurück zu fordern. Einer eventuellen Erledigungserklärung des Beklagten würde sich die Klägerseite anschließen.

 

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

 

 

 

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 18. Mai 2022 hat der Beklagtenvertreter - teilweise bezugnehmend auf seinen am 11. Mai 2015 nachgereichten Schriftsatz - ausgeführt, dass er in Person den Beklagten im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Sozialgericht Dresden (S 42 SU 386/12 ER) am 8. Januar 2013 vertreten und den Vergleich genehmigt habe. Den Vergleich mit diesem Inhalt und in dieser Form so abzuschließen, sei zum damaligen Zeitpunkt "völlig in Ordnung" gewesen. Die großzügige Bemessung des Persönlichen Budgets sei durch den teilweisen Verzicht des Klägers auf Leistungen aus dem Jahr 2012 und den mit dem Eilantrag begehrten Leistungen des Klägers i.H.v. 12.000,00 € gerechtfertigt. Diese Umstände hätten im Vergleichstext zu Recht Berücksichtigung gefunden. Mit Vergleichsschluss sei er jedoch davon ausgegangen, dass binnen kurzer Zeit (in ca. 2-3 Monaten) eine Bedarfsfeststellung erfolgen werde. Durch die Erziehungszeit der zuständigen Sachbearbeiterin habe sich diese Feststellung allerdings verzögert. Ziffer 2 des Vergleiches vom 8. Januar 2013 bedürfe daher einer Auslegung dahingehend, dass Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Persönlichen Budgets i.H.v. 10.000 € nur für eine kurze Zeit, jedenfalls nicht vom 1. Juli 2013 bis 31. Dezember 2014 zu zahlen seien. In dieser Zeit sei der Beklagte nicht an den Inhalt des Vergleiches gebunden. Auch die Zielvereinbarung vom Januar 2015 ändere nichts an seiner Wertung. Diese sei trotz der Unterschriftsleistung von beiden Seiten nicht wirksam zustande gekommen. Denn der Kläger habe die unter "5. Pflichten des Budgetnehmers und Mittelverwendung" enthaltene Formulierung "Nicht verbrauchte bzw. zweckwidrig verwendete Beträge werden an den Beauftragten zurückgezahlt bzw. die nicht verbrauchten Beträge werden bei der Fortführung des Persönlichen Budgets über die Geltungsdauer hinaus verrechnet." vollständig gestrichen. Dies führe zur Unwirksamkeit der gesamten Zielvereinbarung. Obwohl auch über Januar 2015 hinaus weiterhin die angepassten Leistungen i.H.v. 10.400,00 € an den Kläger überwiesen worden seien, hätte der anwaltlich vertretene Kläger diese Unwirksamkeit der Zielvereinbarung erkennen müssen. Die Leistungen seien also auch ab Januar 2015 ohne Rechtsgrund geleistet worden.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die statthafte sowie form- und fristgerecht (§§ 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts teilweise begründet. Fehlerhaft hat das Sozialgericht die Rechtssache zur weiteren Sachaufklärung gemäß § 131 Abs. 5 SGG an den Beklagten zurückverwiesen. Auf die Anschlussberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid vom 21. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 5. Oktober 2016 aufzuheben. Der Beklagte war aufgrund des gerichtlichen Vergleiches vom 8. Januar 2013 in der Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 dazu verpflichtet, monatlich 10.000,00 € an Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unter Einbeziehung des von der sozialen Pflegeversicherung geleisteten Pflegegeldes als trägerübergreifendes persönliches Budget zu erbringen. Die nachträgliche Reduzierung dieses Betrages aufgrund einer rückwirkenden Bedarfsfeststellung war rechtswidrig.

 

Die in § 131 Abs. 5 SGG genannten Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache an den Beklagten haben nicht vorgelegen.

 

Nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG kann das Gericht, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält. Dies gilt jedoch nur, soweit nach Art und Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Nach § 131 Abs. 5 Satz 5 SGG kann eine Entscheidung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

 

Im Rechtsmittelverfahren sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG (Frist, Erforderlichkeit einer weiteren Sachaufklärung, Erheblichkeit von Art und Umfang der noch erforderlichen Ermittlungen, Sachdienlichkeit der Zurückverweisung) voll überprüfbar, während die Entscheidung des Sozialgerichts, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG die Sache zurückzuverweisen, nur auf Ermessensfehler zu prüfen ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 131 Rn. 20a). Da es sich bei der Regelung um eine Vorschrift mit Ausnahmecharakter handelt, sind die genannten Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen und auf besonders gelagerte Fälle beschränkt (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 159 Rn. 5a). § 131 Abs. 5 SGG soll dem Gericht eine zeit- und kostenintensive Ermittlung ersparen, die eigentlich der Behörde obliegt, weil nach Beobachtungen der Praxis die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen werde, was zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führt (BT-Drs. 15/1508, S. 29).

 

Das Sozialgericht hat nach seinen Feststellungen und entgegen der Ansicht des Beklagten die in § 131 Abs. 5 Satz 5 SGG geregelte Frist einer Entscheidung über die Zurückverweisung binnen 6 Monaten nach Eingang der Verwaltungsakten bei Gericht eingehalten. Die Berechnung der Frist erfolgt nach § 64 SGG. Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung. Entscheidend für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt des Eingangs der vollständigen Akten des Beklagten bei Gericht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 131 Rn. 19b). "Gericht" meint in diesem Fall nicht den Eingang der Akten in der zentralen Poststelle, sondern beim zuständigen Spruchkörper des Gerichts, was sich bereits aus § 131 Abs. 1 und 2 SGG ergibt. Nur der zuständige Spruchkörper kann angefochtene Verwaltungsentscheidungen aufheben, in Urteilen die Verpflichtung zu einem Handeln aussprechen oder eine weitere Sachaufklärung betreiben. Nach den Feststellungen des Sozialgerichts lag die vollständige Verwaltungsakte der 9. Kammer des Sozialgerichts B.... erstmals am 28. Dezember 2016 (und dort im Verfahren S 9 SO 298/16) vor. Somit waren zwischen dem Eingang der Verwaltungsakte bei der zuständigen Kammer des Sozialgerichts am 28. Dezember 2016 und der Entscheidung am 20. Juni 2017 noch nicht 6 Monate vergangen. Anders als der Beklagte meint, erfordert § 131 Abs. 5 SGG nach seinem Wortlaut auch keine Entscheidung durch Urteil. Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG können im Einzelfall auch bei Zurückverweisungsentscheidungen nach § 131 Abs. 5 SGG vorliegen.

 

Eine weitere Sachaufklärung des Beklagten und damit eine Zurückverweisung der Streitsache war vorliegend jedoch nicht erforderlich. Die mit dem SGGArbGÄndG vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) neu gefasste Norm sollte nach ihrer Zweckrichtung durch die zuvor nicht vorgesehene Möglichkeit einer Zurückverweisung an die Verwaltung den Gerichten die zeit- und kostenintensive Sachaufklärung ersparen, die eigentlich der Verwaltung obliegt (BT-Drs. 15/1508 S.29). Für die Entscheidung zur Zurückverweisung muss eine weitere Sachaufklärung nötig sein. Andere Mängel der Verwaltungsentscheidung sind nur relevant, wenn sie zur Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung führen.

 

Die erforderlichen Ermittlungen müssen sich als erheblich darstellen. Die Erheblichkeit kann sich aus Zeitdauer, Umfang und den personellen Möglichkeiten des Gerichts ergeben (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 131 Rn. 19). Zur Beurteilung der Erheblichkeit der noch ausstehenden Ermittlungen sind diese mit denjenigen Ermittlungen und sonstigen notwendigen Handlungen des Gerichts zu vergleichen, die das Gericht ohnehin voraussichtlich hätte durchführen müssen, wenn die beklagte Behörde die vom Gericht für erforderlich gehaltenen ergänzenden Ermittlungen durchgeführt hätte. Darüber hinaus muss die Aufhebung und Zurückverweisung der Streitsache unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten auch sachdienlich sein. Dies setzt in der Regel voraus, dass der Beklagte nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung die Ermittlungen inhaltlich besser oder schneller durchführen kann als das Gericht und ein solches Tätigwerden der Verwaltung auch vernünftiger und sachgerechter ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 131 Rn. 19a). Dabei sind die Belange der Beteiligten - nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls - hinreichend zu berücksichtigen. Bei Verpflichtungsklagen und kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen bedarf die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Klägers nach einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung eine besondere Beachtung. Hier ist ein gravierendes Ermittlungsdefizit im Sinne einer fehlenden Sachverhaltsermittlung erforderlich, um eine Zurückverweisung an die Verwaltung zu rechtfertigen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 131 Rn. 19a).

 

Die oben genannten Voraussetzungen liegen nicht vor. Die vom Sozialgericht für erforderlich gehaltenen Ermittlungen durch den Beklagten zum Umfang und zur zeitlichen Lage der als notwendig erachteten Assistenzleistungen waren weder nötig noch sachdienlich. Derartige Ermittlungen waren schon allein deshalb nicht veranlasst, weil die Beteiligten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Dresden (Az.: S 42 SO 386/12 ER) am 8. Januar 2013 einen für alle bindenden gerichtlichen Vergleich (§ 101 SGG i.V.m. §§ 122, 162 Abs. 1, 160 Abs. 3 Nr. 1 Zivilprozessordnung – ZPO -) geschlossen haben, welcher u.a. den vorliegenden streitigen Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 abschließend regelt und nunmehr die rechtliche Grundlage der Leistungsgewährung des Beklagten bildet. Nach Ziffer 2 des Vergleiches hat sich der Beklagte und dortige Antragsgegner verpflichtet, ab dem 1. Januar 2013 bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2012 monatlich 10.000,00 € an Leistungen der Hilfe zur Pflege und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unter Einbeziehung der Leistung der Pflegekasse als trägerübergreifendes Persönliches Budget an den Kläger zu erbringen. Da eine Entscheidung über den Widerspruch des Klägers erst mit dem Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2016 erfolgte, hat der Beklagte in dem hier streitigen Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 in Persönliches Budget i.H.v. monatlich 10.000,00 € incl. des Pflegegeldes für selbst beschaffte Pflegehilfen zu leisten.

 

Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit des am 8. Januar 2013 geschlossenen prozessualen Vergleiches bestehen nicht.

 

Nach § 101 Abs. 1 Satz 1 SGG können Beteiligte – um einen geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen – zu Protokoll des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können.

 

Die Beteiligten konnten vorliegend über den Gegenstand des Vergleiches verfügen (§ 101 Abs. 1 Satz 1 SGG). Für den Beklagten ist diese Verfügungsbefugnis danach zu beurteilen, ob er den materiellen Anspruch durch Verwaltungsakt wirksam regeln kann (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020 § 101 Rn. 7 a). Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn der Sozialleistungsträger den materiellen Anspruch durch Verwaltungsakt wirksam regeln kann. Nach § 54 SGB X kann ein subordinationsrechtlicher Vergleich geschlossen werden, wenn die Behörde den Vergleichsabschluss zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßen Ermessen für erforderlich hält und damit Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs und über die Rechtslage beseitigt werden können (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020 § 101 Rn. 7 a).

 

Entgegen der Ansicht des Beklagten liegen auch keine materiell-rechtlichen oder prozessrechtlichen Gründe für eine Unwirksamkeit des Vergleiches vor.

 

Der Prozessvergleich hat nach herrschender Meinung eine Doppelnatur. Er ist zum einen Prozesshandlung der Beteiligten und zum anderen Rechtsgeschäft (Geimer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 794 Rn. 3). Materiell-rechtlich kommt der Vergleich als Vertrag durch übereinstimmende Willenserklärungen zustande (§§ 145 ff. BGB). Unwirksam ist ein Vergleich aus materiell-rechtlichen Gründen, wenn zwingende Rechtssätze entgegenstehen oder er gegen § 138 BGB verstößt (Geimer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 794 Rn. 3). Im Bereich des Sozialrechts muss der Vergleich den Anforderungen an einen öffentlich-rechtlichen Vertrag entsprechen (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 101 Rn. 3 und 7). Prozessrechtliche Wirkungen des Vergleichs sind die Prozesshandlung und die unmittelbare Beendigung des Rechtsstreits, wenn mit dem Vergleich der gesamte Streitstoff erfasst wird (Schmidt in: Meyer-Ladewig Keller/Leiter/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 101 Rn. 10). Da der gerichtliche Vergleich entsprechend seiner Doppelnatur auch Prozesshandlung ist, ist er bedingungsfeindlich (BSG, Urteil 17. Mai 1989 - 10 Rkg 16/88 – juris Rn. 25). Danach muss die Erklärung, das Verfahren unter Verzicht auf die gerichtliche Entscheidung zu beenden, unbedingter Natur sein (Haupt/Wehrhahn in: Fichte/Jüttner SGG 3. Aufl. 2020 § 101 Rn. 5). Der Vergleich hat ungeachtet seiner materiell-rechtlichen Zulässigkeit, d.h. seines Regelungsinhaltes, verfahrensbeendende Wirkung, die er auch nicht durch eine spätere Erklärung der Beteiligten, nicht mehr am Vergleich festhalten zu wollen, nicht wieder verliert (Haupt/Wehrhahn in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020 § 101 Rn.7).

 

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der im Rahmen des Erörterungstermins vom
8. Januar 2013 geschlossene unwiderrufliche Vergleich materiell-rechtlich wirksam. Unzulässig kann ein Vergleich unter anderem sein, wenn zwingende Gesetze oder allgemeine Interessen des öffentlichen Rechts entgegenstehen oder sein Inhalt gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 28. März 1962 – V C 100.61 – juris Rn. 21; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 101 Rn. 7b). Nicht ausreichend ist, wenn sein Inhalt mit sonstigen materiell rechtlichen Vorschriften in Widerspruch steht (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020 § 101 Rn. 7b). Materiell-rechtlich kann sich die Unwirksamkeit eines Vergleiches daher ergeben, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben, wenn der Vergleich als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach § 116 ff. BGB nichtig oder wirksam angefochten ist, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.

 

Derartige materiell-rechtliche Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich. Unter Ziffer 2 des Vergleichstextes ist die eindeutige und unmissverständliche Verpflichtung des Beklagten enthalten, ein Persönlichen Budgets i.H.v. 10.000,00 € incl. Pflegegeld bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2012, welcher letztlich erst durch den Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2016 erfolgte, zu gewähren. Eine bedingungslose Bewilligung der Leistungen für den Zeitraum des noch offenen Widerspruchsverfahrens ergibt sich auch aus Ziffer 4 des Vergleiches, wonach der Antragsgegner auf eine eventuelle Rückforderung der unter 2. zugesagten Leistungen auch für den Fall verzichtet, dass sich ein geringerer Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe ergeben sollte. Lediglich bei einem Mehrbedarf sollte der entsprechende Differenzbetrag an den Antragsteller ausgezahlt werden. Im Gegenzug hat der Kläger unter Ziffer 1 des Vergleiches ebenfalls auf die für das Jahr 2012 eingeklagten höheren Leistungen verzichtet. Durch den Vergleich haben die Beteiligten im Rahmen des Verfahrens des Eilrechtschutzes eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Klägers getroffen und damit den vorläufigen höheren Leistungsanspruch des Klägers für die Zukunft abgesichert. Diese Grundlage und Motivation des Vergleiches haben die Beteiligten übereinstimmend im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am
18. Mai 2022 bestätigt. Beide Seiten führten hierzu aus, dass der Vergleich seine Rechtfertigung in dem Verzicht des Klägers auf Leistungen aus dem Jahr 2012 und den in der in der Antragschrift begehrten höheren Leistung hatte.

 

Nach den Einlassungen des Beklagten im Schriftsatz vom 11. Mai 2022 bzw. im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses am 8. Januar 2013 die vereinbarten Regelungen auch so treffen wollen, wie sie schließlich gefasst und protokolliert worden sind. So hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Mai 2022 ausgeführt, dass der Vergleich vom 8. Januar 2013 u.a. auf den Annahmen der Beteiligten basierte, dass die im Prozessvergleich gewährten 10.000 € monatlich vorübergehend bis zur endgültigen Feststellung des Pflege- und Eingliederungsbedarfs des Klägers durch ein Gutachten gewährt werden sollten. Die Höhe der festgelegten 10.000 € beruhte nach den Ausführungen im Schriftsatz vom 11. Mai 2022 zum einen auf dem Verzicht des Klägers auf höhere Leistungen im Jahr 2012, insbesondere dem Unterschiedsbetrag zwischen der bisherigen Bewilligung von 3521 € für 25 Wochenstunden und der Forderung des Klägers von 12.000 € für 24 Stunden an Assistenzleistungen täglich. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter nochmals ausdrücklich bestätigt, dass der protokollierte Vergleich seinem damaligen Willen entsprochen habe und zu diesem Zeitpunkt auch bezüglich der Höhe der Leistungen sachlich gerechtfertigt gewesen sei. Das sich hier die – nicht Vergleichsinhalt gewordenen – nicht verlautbarten Hoffnungen des Beklagtenvertreters auf eine zeitnahe Bedarfsfeststellung letztlich nicht verwirklicht haben, führt nicht zu einer Unwirksamkeit des Vergleiches im oben dargestellten Sinne. Nichts Anderes folgt aus dem Umstand, dass der Beklagte gesetzlich zu einer umfassenden Bedarfsfeststellung zum Pflegeaufwand vor der Leistungsbewilligung verpflichtet ist.

Auf die Unwirksamkeit des Vergleiches hat sich der Beklagte auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt berufen. Bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2016 hat er die im Vergleich enthaltenen Zahlungsverpflichtungen erfüllt. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig und zeigt sich im Übrigen aus den Budgetabrechnungen, dass der Beklagte monatlich 10.000 € an Leistungen für das Persönliche Budget des Klägers überwiesen hat. Der Beklagte hat darüber hinaus noch nach Ablauf des im Bescheid vom 21. Dezember 2012 festgestellten Regelungszeitraumes vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 die Vereinbarungen aus dem Vergleich erfüllt. So hat er ausweislich der Ziffer 3 der Zielvereinbarung vom 29. Januar 2015 die zum 1. Januar 2015 erfolgte Erhöhung des Pflegegeldes nach § 37 SGB XI umgesetzt und den Zahlbetrag zugunsten des Klägers entsprechend angepasst. "Alle weiteren Vereinbarungen, insbesondere bezüglich Ziffer 3 und Ziffer 4 des Vergleiches gelten fort…", die weitere Gültigkeit des Vergleiches wurde in der Zielvereinbarung damit ausdrücklich hervorgehoben. Der Einwand des Beklagtenvertreters während der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2022, man habe mit dem Vergleich vom 8. Januar 2013 nur einen kurzen Zeitraum von ca. 2 bis 3 Monaten, höchstens bis Juli 2013, jedoch nicht über die Regelungsdauer des Bescheides vom 21. Dezember 2012 hinaus, eine Leistungsregelung treffen wollen, dürfte daher aufgrund der geschilderten Tatsachen widerlegt sein. Während des gesamten Zeitraumes waren keine Umstände dafür ersichtlich, dass der Beklagte oder der Kläger tatsächlich davon ausgegangen sein könnten, die Bedarfsfeststellung werde beschleunigt innerhalb der vom Beklagtenvertreter vorgetragenen kurzen Zeitdauer erfolgen.

 

Der Beklagte hat vielmehr mit der Zielvereinbarung vom Januar 2015 aktiv eine Anpassung der Höhe des Persönlichen Budgets vorgenommen und den bis dahin nicht verbeschiedenen Leistungszeitraum von Januar 2015 bis Dezember 2016 auf eine eigenständige neue Grundlage gestellt. Zwar ist eine Zielvereinbarung nur eine formelle Voraussetzung für den sich anschließenden Verwaltungsakt über ein Persönliches Budget (BSG, Urteil vom 28. Januar 2021 - B 8 SO 9/19 R – juris Rn. 27). Als subordinationsrechtlicher Vertrag ist er diesem jedoch vorgelagert und regelt die beiderseitiger Rechte und Pflichten aus dem Persönlichen Budget (BSG, Urteil vom 28. Januar 2021 - B 8 SO 9/19 R – juris Rn. 29). Die Ansicht des Beklagtenvertreters, die Zielvereinbarung vom Januar 2015 sei nicht wirksam zustande gekommen, lässt sich rechtlich nicht manifestieren. Die Zielvereinbarung trägt die Unterschrift beider Seiten. Dass die Betreuer des Klägers die unter „5. Pflichten des Budgetnehmers und Mittelverwendung" enthaltene Formulierung „Nicht verbrauchte bzw. zweckwidrig verwendete Beträge werden an den Beauftragten zurückgezahlt bzw. die nicht verbrauchten Beträge werden bei der Fortführung des persönlichen Budgets über die Geltungsdauer hinaus verrechnet." gestrichen haben, führt nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Zielvereinbarung. Vielmehr wird unter "7.Geltungsdauer und Kündigungsfristen" der Zielvereinbarung vom Januar 2015 festgehalten, dass selbst im Falle der Unwirksamkeit einer einzelnen Bestimmung die Zielvereinbarung im Übrigen wirksam bleibt. Die Vertragsparteien verpflichten sich in diesem Fall, eine neue Regelung zu treffen, die dem Zweck der unwirksamen Regelung in zulässiger Weise am nächsten kommt. Der Beklagte hat keine Bestrebungen in dieser Hinsicht unternommen. Er hat gegenüber dem Kläger weder eine Ersetzung der gestrichenen Regelung noch eine Neuabfassung der gesamten Zielvereinbarung angestrebt. Er hat vielmehr nach Rücksendung der gezeichneten Zielvereinbarung vom Kläger das angepasste Persönliche Budget in Höhe von monatlich 10.400 € an den Kläger zur Auszahlung gebracht und die Zielvereinbarung damit tatsächlich durchgeführt. Der Beklagte hat diesbezüglich den auch das öffentliche Recht beherrschenden Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten (BVerwG, Urteil vom 28. März 1962 – V C 100.61 – juris Rn. 23; Urteil vom 7. Dezember 1954 – I C 75.53 – juris Rn. 11).

 

Der Beklagte wurde daher fehlerhaft durch das Sozialgericht gem. § 131 Abs. 5 SGG zur weiteren Sachaufklärung verpflichtet. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung lagen nicht vor. Der Senat hat seinerseits von einer Zurückverweisung an das Sozialgericht abgesehen und auf die Berufung des Beklagten sowie auf die Anschlussberufung des Klägers über den gesamten Klageantrag entschieden, da das Sozialgericht durch die zu Unrecht erfolgte Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG den Streitgegenstand nicht für den Senat bindend auf den Anfechtungsteil beschränkt hat (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 131 Rn. 20b m.w.N.). Der Bescheid vom 21. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2016 ist wegen des entgegenstehenden gerichtlichen Vergleiches vom 8. Januar 2013 rechtswidrig (§ 54 Abs. 2 SGG) und deshalb aufzuheben gewesen. Der Kläger hat aufgrund des Vergleiches Anspruch auf Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen und auf Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als trägerübergreifendes Persönliches Budget in Höhe von monatlich 10.000 € für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 SGG.

Rechtskraft
Aus
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