L 2/12 R 125/20

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
1. Instanz
SG Bremen (NSB)
Aktenzeichen
S 31 R 199/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 2/12 R 125/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Das 2016 für Syndikusrechtsanwälte befristet eingeführte Gestaltungsrecht des § 231 Abs. 4b zur rückwirkenden Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung konnte erst ab seiner Normierung ausgeübt werden.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1986 geborene Klägerin begehrt für den Zeitraum vom 19. November 2012 bis zum 28. März 2016 eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Klägerin ist Volljuristin. Sie war seit dem 19. November 2012 bei der K. beschäftigt. Die Arbeitgeberin war eine Tochtergesellschaft eines großen belgischen Brauereikonzerns. Zum 1. Januar 2016 ist die Beigeladene zu 1. als weitere Konzerntochter als neue Arbeitgeberin in dieses Arbeitsverhältnis eingetreten (vgl. insbesondere den geänderten Arbeitsvertrag vom 30. November 2015/2. Februar 2016, Bl. 39 ff. VV). Seinerzeit wurde nach Angaben der Klägerin die Rechtsabteilung reorganisiert und fortan bei der Beigeladenen zu 1. angesiedelt.

Ausweislich der Stellen- und Funktionsbeschreibung vom 7. Juni 2013 (Bl. 11 f. VV) war die Klägerin als „Syndikus-Anwältin“ im „L.“ im Bereich der Pachtverwaltung tätig. Ihre Aufgabe bestand insbesondere in der rechtlichen Beratung des Vertriebes. Diese Beratung sollte die betrieblichen Erfordernisse „berücksichtigen“ und zugleich sich ausweislich der Stellenbeschreibung als eine „unabhängige, allein an Recht und Gesetz orientierte Beratung“ darstellen.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hatte die Arbeitgeberin ihre Zustimmung dazu erteilt, dass die Klägerin „neben ihrer Tätigkeit als Angestellte“ auch den Beruf einer Rechtsanwältin ausübte.

Die Zulassung zur Rechtsanwaltskammer erfolgte nach Angabe der Klägerin Mitte 2013.

Den im September 2013 von der Klägerin gestellten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Beschäftigung bei der o.g. KG lehnte die Beklagte mit Bescheid 30. April 2014 mit der Begründung ab, dass sie keine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit ausübe. Im Widerspruchsverfahren regte die Beklagte mit Schreiben vom 14. Juli 2015 an, im Hinblick auf den seinerzeit vom Bundeskabinett am 10. Juni 2015 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte den Widerspruch zunächst ruhend zu stellen.

Zum 1. Januar 2016 trat das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I, 2517) in Kraft. Gestützt auf die mit diesem Gesetz neu eingeführte Regelung des § 46a BRAO beantragte die Klägerin am 29. März 2016 bei der Rechtsanwaltskammer Bremen die Zulassung als Syndikusanwältin.

In dem geänderten Arbeitsvertrag vom 30. November 2015/2. Februar 2016 hatten die Klägerin und die Beigeladene zu 1. insbesondere Folgendes festgehalten: „Dem Arbeitgeber ist weiter bekannt, dass von der Entscheidung als Zulassung als Syndikusrechtsanwältin die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung abhängt.“

Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Bremen sprach mit Bescheid vom 17. November 2016 die Zulassung der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin nach § 46a BRAO aus.

Mit Schreiben vom 24. Januar 2017 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und verwies auf ihren vorausgegangenen Befreiungsantrag. Da das Recht der Syndikusanwälte zwischenzeitlich neu geordnet worden sei, bitte sie um entsprechende Bescheidung ihres Befreiungsantrages. Sie gehe nicht davon aus, dass sie einen neuen Antrag stellen müsse.

Diesem Antrag entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juli 2017 mit Wirkung ab dem 29. März 2016, d.h. ab dem Zeitpunkt des Einganges ihres Antrages auf Zulassung als Syndikusanwältin bei der Rechtsanwaltskammer. Ihren auf Gewährung einer weiter zurückreichenden Befreiung gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 16. November 2018 zurück, nachdem sie zuvor mit Bescheid vom 13. Juni 2018 den vorherigen Widerspruch der Klägerin betreffend den Bescheid vom 30. April 2014 zurückgewiesen hatte.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2018 richtet sich die vorliegende am 16. Juli 2018 erhobene Klage; gegen den Widerspruchsbescheid vom 16. November 2018 die am 17. Dezember 2018 erhobene Klage (S 31 R 359/18).

Ferner hatte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 23. April 2018 den Antrag der Klägerin auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin die Beantragung einer solchen Rückwirkung innerhalb der gesetzlich dafür vorgesehenen dreimonatigen Antragsfrist versäumt habe. Gegen den ihren dagegen eingelegten Widerspruch zurückweisenden Bescheid vom 29. Januar 2019 richtet sich die dritte am 28. Februar 2019 erhobene Klage der Klägerin (S 31 R 66/19).

Das Sozialgericht hat die drei Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zur Begründung ihrer Klagen hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, dass sie seit der Zulassung als Rechtsanwältin Mitte 2013 die unveränderte Tätigkeit einer Syndikusanwältin ausgeübt habe. Aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer habe „seit jeher“ eine Pflichtversicherung im (zu 2. beigeladenen) Hanseatischen Rechtsanwaltsversorgungswerk Bremen (HRAV) bestanden.

Das beigeladene Versorgungswerk hat mitgeteilt, dass die Klägerin dort seit dem 10. Juli 2013 Pflichtmitglied sei. Allerdings sei die Klägerin für die Zeit bis zum 9. Juli 2015 aufgrund ihres entsprechenden (Teil-)Befreiungsantrages „beitragsfrei geführt“ worden. Im zweiten Halbjahr 2015 und in den ersten drei Monaten habe sie Beiträge in Höhe von monatlich ca. 114 € entrichtet.

Mit Gerichtsbescheid vom 21. August 2020, der Klägerin sechs Tage später zugestellt, hat das Sozialgericht die (verbundenen) Klagen abgewiesen. Die Klägerin habe insbesondere nicht fristgerecht einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI gestellt. Der vor Inkrafttreten dieser Vorschrift im Jahre 2013 gestellte Antrag könne in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil er sich auf eine ganz andere Rechtslage bezogen habe.

Mit der am 25. September 2020 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Bereits der Antrag vom 16. September 2013 habe den Antrag auf rückwirkende Befreiung im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI beinhaltet. Bereits mit diesem Antrag habe die Klägerin ihren Wunsch zum Ausdruck gebracht, alle Rentenanwartschaften auf das Versorgungswerk zu übertragen. Auch von einer Rechtsanwältin könne nicht erwartet werden, dass sie sich im Einzelnen mit einem gesetzlichen Antragserfordernis auseinandersetze. Es sei ihr nicht zuzumuten, „gewissermaßen proaktiv“ einen weiteren Antrag zu stellen. Sie habe in schützenswerter Weise darauf vertraut, dass die Beklagte „entsprechend des bisherigen Verwaltungsverfahrens“ über die rückwirkende Befreiung im Sinne der Klägerin entscheiden werde.

Die Klägerin beantragt,

  1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 21. August 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. April 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2018, den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2019 aufzuheben und
  1.  
  2. die Beklagte zu verpflichten, sie von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin bei der M. im Zeitraum 19. November 2012 bis 31. Dezember 2015 und bei der Beigeladenen zu 1. im Zeitraum 1. Januar bis 28. März 2016 zu befreien.

 

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die von ihr im streitbetroffenen Zeitraum ausgeübte abhängige Beschäftigung als juristische Beraterin, welche in den Arbeitsverträgen als Syndikusrechtsanwältin ausgewiesen wird, bei der der M. bezogen auf den Zeitraum 19. November 2012 bis 31. Dezember 2015 und bei der Beigeladenen zu 1. bezogen auf den nachfolgenden vom vorliegenden Rechtsstreit noch betroffenen Zeitraum 1. Januar bis 28. März 2016. Mit Wirkung ab dem 29. März 2016 hat die Beklagte die begehrte Befreiung bereits ausgesprochen. Die zur Überprüfung gestellten Bescheide verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Nach Maßgabe der bis zum 31. Dezember 2015 maßgebenden früheren Rechtslage kam die schon 2013 von der Klägerin begehrte Befreiung nach den seinerzeit anzuwendenden Vorgaben des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht in Betracht.

Nach dieser Vorschrift werden von der Versicherungspflicht werden befreit Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn (a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, (b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und (c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.

Seinerzeit war nach gefestigter Rechtsprechung davon auszugehen, dass Juristen und Juristinnen, die als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehen (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig waren (BSG, Urteil vom 03. April 2014 – B 5 RE 13/14 R –, BSGE 115, 267 mwN).

Das – für die 2013 erfolgte Zulassung der Klägerin zur Rechtsanwaltskammer unverzichtbare – Berufsbild der Rechtsanwältin konnte sich nach damaliger Rechtslage nur daraus ergeben, dass der Syndikus rechtlich und tatsächlich in der Lage war, neben (!) der Tätigkeit im Unternehmen Rechtsuchende als freier Anwalt zu beraten und zu vertreten. Der Syndikusanwalt ist Rechtsanwalt, nicht, weil er Syndikus ist, sondern weil er sich aufgrund einer nur deshalb zu erteilenden Zulassung unabhängig hiervon und daneben gesondert als Rechtsanwalt betätigt. Beide Tätigkeiten sind grundsätzlich getrennt zu betrachten (BSG, aaO, Rn. 39).

b) Erstmals mit dem o.g. Gesetz vom 21. Dezember 2015 hat der Gesetzgeber vermittels der zum 1. Januar 2016 neu eingeführten Regelung des § 46a BRAO auch für Syndikusanwälte und –anwältinnen eine explizite Grundlage für eine Zulassung zur Rechtsanwaltskammer geschaffen, mit der auch entsprechend § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung in der Freien Hansestadt Bremen (RAVG) eine Pflichtmitgliedschaft im Rechtsanwaltsversorgungswerk aufgrund der Syndikustätigkeit verbunden ist.

Von dieser Möglichkeit hat die Klägerin mit ihrem am 29. März 2016 bei der Rechtsanwaltskammer eingegangenen Antrag auf Zulassung als Syndikusanwältin Gebrauch gemacht. Aufgrund dieses von der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Bremen mit Bescheid vom 17. November 2016 positiv beschiedenen Antrages hat die Beklagte dem Befreiungsantrag der Klägerin mit Bescheid vom 10. Juli 2017 rückwirkend ab dem 29. März 2016 stattgegeben, so dass nur noch die vorausgegangenen Tätigkeitszeiträume im Streit stehen.

Für die streitbetroffenen vorausgegangenen Zeiträume fehlen jedoch die tatbestandlichen Voraussetzungen für die begehrte Befreiung.

Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI wirkt die Befreiung vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Nach ihrem Regelungszusammenhang knüpft diese Vorschrift an den Regelfall an, dass bei kontinuierlich tatbestandlich vorliegenden Voraussetzungen eine Befreiung beantragt wird. In diesem Fall kommt es auf den Antragseingang an. Nur wenn dieser innerhalb von drei Monaten nach Beginn des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen gestellt wird, hat der Antrag auch Rückwirkung.

Diese Vorschrift bezieht sich hingegen nach den gesetzgeberischen Regelungsintentionen nicht auf Fallgestaltungen, in denen zunächst eine Befreiung aufgrund eines seinerzeit noch gar nicht bestehenden Befreiungsrechts beantragt wird und erst im Laufe des Verwaltungsverfahrens im Zuge einer gesetzlichen Änderung ein neuer Befreiungstatbestand eingeführt wird, dessen neu normierte Voraussetzungen die betroffene Versicherte erstmalig erfüllt.

Davon ist in Bezug auf den vorliegenden zu beurteilenden Zusammenhang umso mehr auszugehen, als der Gesetzgeber mit der Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte zugleich eine spezifische Sonderregelung zur Möglichkeit und zum zeitlichen Umfang einer rückwirkenden Berücksichtigung entsprechender Tatbestände mit den Regelungen in § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI geschaffen hat. Dieser kommt im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang als lex specialis der Vorrang gegenüber den Bestimmungen in § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI zu.

§ 231 Abs. 4b SGB VI enthält folgende Regelungen: Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt wurde, wirkt auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 1. April 2014. Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt auf Grund einer vor dem 4. April 2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 1. April 2016 gestellt werden.

a) Nach Auskunft des beigeladenen Versorgungswerks vom 13. Juli 2020 (Bl. 145 GA) ist eine dortige Pflichtmitgliedschaft der Klägerin erst zum 10. Juli 2013 begründet worden. Für vorausgegangene Zeiträume kommt eine Befreiung schon nach den Vorgaben des § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI nicht in Betracht.

b) Für Zeiten vor dem 1. April 2014 kommt überdies eine Befreiung nach § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI nur in Betracht, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Das beigeladene Versorgungswerk legt jedoch dar, dass die Klägerin bis zum 9. Juli 2015 „beitragsfrei geführt“ worden ist, sie hat also seinerzeit überhaupt keine (und noch weniger einkommensbezogene Pflicht-) Beiträge gezahlt. Diese vormalige Befreiung setzte die Vorgaben des § 2 Abs. 2 Nr. 2 RAVG um, wonach die Satzung des Versorgungswerkes vorsehen kann, dass von der Mitgliedschaft auf Antrag befreit werden kann, wer aufgrund einer gesetzlich vorgesehenen Verpflichtung einer anderen gleichwertigen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung angehört. Eine entsprechende Befreiungsmöglichkeit normiert § 7 der Satzung der HRAV.

c) Auch eine rückwirkend Befreiung ab dem 1. April 2014 kommt jedoch nicht in Betracht, weil die Klägerin versäumt hat, den nach § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI erforderlichen Antrag auf eine rückwirkende Befreiung innerhalb der dort vom Gesetzgeber normierten Frist bis zum Ablauf des 1. April 2016 zu stellen.

In der insoweit in Betracht kommenden Zeitspanne zwischen der Verabschiedung des Gesetzes und dem Fristende am 1. April 2016 hat es keinen objektivierbaren Kontakt zwischen der Klägerin und der Beklagten gegeben. Dementsprechend ist bei der Beklagte auch kein Vorbringen der Klägerin eingegangen, welches als Antrag auf eine rückwirkende Befreiung im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI gewertet werden könnte.

Der Klägerin war das gesetzliche Neuregelungsvorhaben bekannt. In dem Widerspruchsverfahren betreffend das 2013 eingeleitete noch auf der früheren Rechtslage fußenden Befreiungsbegehren hatte die Beklagte mit Schreiben vom 14. Juli 2015 auf den seinerzeit vom Bundeskabinett am 10. Juni 2015 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte hingewiesen und daran anknüpfend ein Ruhen des damaligen Widerspruchsverfahrens angekündigt. Überdies enthielt der zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 30. November 2015/2. Februar 2016 Regelungen, die auf die zum damaligen Jahreswechsel vom Gesetzgeber neu eingeführten Möglichkeit einer Zulassung als Syndikusrechtsanwältin Bezug nahmen.

Nach dieser Änderung der Rechtslage zum 1. Januar 2016 war die Beklagte mit dem Vorgang erstmals wieder im Oktober 2016 befasst, als das Schreiben der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Bremen vom 27. Oktober 2016 betreffend die seinerzeit beabsichtigte und nachfolgend ausgesprochene Zulassung der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin bei der Beklagten einging. Abgesehen davon, dass die von der Anwaltskammer vorgelegten Unterlagen keinen Antrag der Klägerin auf rückwirkende Befreiung beinhalteten, war zum damaligen Zeitpunkt die gesetzlich normierte Frist für die erforderliche Beantragung einer rückwirkenden Befreiung bereits seit Monaten abgelaufen.

Der im Jahre 2013 auf der Basis der damaligen Rechtslage gestellte Antrag der Klägerin auf Ausspruch einer Befreiung nach § 6 Abs. 1 SGB VI war nicht geeignet, den erst mit der zum 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Neuregelung des § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI gesetzlich vorgesehenen Antrag auf rückwirkende Befreiung zu ersetzen.

Die Klägerin ihrerseits ist, wie auch ihr Vortrag in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht hat, der Auffassung, dass der gesetzlich in § 231 Abs. 4b SGB VI vorgesehene (nach Satz 6 bis zum 1. April 2016 zu stellende) Antrag im Ergebnis dadurch ersetzt werden kann, dass sich frühere Äußerungen und Anträge der Betroffenen aus der Zeit vor Normierung des Antragserfordernisses feststellen lassen, auf deren Basis sich eine jedenfalls gewisse Folgerichtigkeit einer (tatsächlich allerdings unterbliebenen) Antragstellung innerhalb der vom Gesetzgeber vorgesehenen Antragsfrist als naheliegend darstellen würde. Eine solche Gesetzesinterpretation wird jedoch weder dem Wortlaut des § 231 Abs. 4b SGB VI noch den von Seiten des Gesetzgebers verfolgten Zielen gerecht. In vielen Fallgestaltungen ließe sich nachträglich darüber streiten, ob vor dem Hintergrund der vorausgegangenen noch nach der früheren Rechtslage abgegebenen Erklärungen sich die Beantragung einer rückwirkenden Befreiung nach Normierung einer entsprechenden Gestaltungsmöglichkeit zum 1. Januar 2016 sich als (mehr oder weniger) sachgerecht und folgerichtig dargestellt hätte oder auch nicht.

Ein Gebrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten wie das im vorliegenden Zusammenhang vom Gesetzgeber mit der erläuterten Regelung des § 231 Abs. 4b Satz 2 und 6 SGB VI eröffnete Gestaltungsrecht, einem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt (innerhalb der vom Gesetzgeber eröffneten Grenzen) rückwirkende Bedeutung zuzusprechen, kommt erst nach ihrer Begründung durch den Gesetzgeber in Betracht. Erst mit der gesetzlichen Normierung eines solchen Rechts kann dieses von den Betroffenen verständigerweise in Abwägung der damit verbundenen Vor- und Nachteile ausgeübt werden.

Nur ergänzend sei angemerkt, dass augenscheinlich die neue Rechtslage auch auf Seiten der Klägerin mit einem Prüfungs- und Abwägungsbedarf verbunden war. Den Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin hat sie erst Ende März 2016 und damit knapp drei Monate nach Eröffnung entsprechender Gestaltungsmöglichkeiten durch den Gesetzgeber bei der Rechtsanwaltskammer gestellt; die mit ihrem Arbeitgeber getroffene „Ergänzungsabrede zum Arbeitsvertrag betreffend die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung als Syndikusrechtsanwältin“ (Bl. 46 f. VV) datierte sogar erst vom 30. August 2016.

Mit der Normierung der erläuterten Antragsfrist wollte der Gesetzgeber die Rechtssicherheit fördern (vgl. zu der rechtlich gebotenen Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände etwa BSG, Urteil vom 11. November 2015 – B 12 R 2/14 R –, SozR 4, Rn. 42). Im Interesse der Rechtssicherheit hat der Gesetzgeber den betroffenen Versicherten auferlegt, innerhalb der bewusst eher knapp gehaltenen Antragsfrist des § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI durch einen entsprechenden (hinreichend deutlichen) Antrag Klarheit darüber zu schaffen, ob eine rückwirkende Befreiung gewollt war. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass nach ungenutzter Verstreichung dieser Antragsfrist eine rückwirkende Befreiung nicht mehr in Betracht kommen sollte.

Mit der angestrebten Rechtssicherheit wäre nicht in Einklang zu bringen, wenn Versicherte sich nachträglich darauf berufen könnten, dass in einem anderen rechtlichen Zusammenhang (vgl. zu den unterschiedlichen Regelungsgegenständen einerseits eines Antrages nach § 6 Abs. 1 SGB VI und andererseits eines Antrages nach § 231 Abs. 4b SGB VI: BSG, U.v. 28. Juni 2018 – B 5 RE 2/17 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr. 17) in Zeiträumen deutlich vor Erlass und Inkrafttreten der (vorstehend erläuterten erst zum 1. Januar 2016 wirksam gewordenen) Gestaltungsmöglichkeiten abgegebene Erklärungen rückblickend betrachtet ihrer Zielrichtung nach bereits eine Antragstellung nach der neuen Rechtslage zum Ausdruck gebracht hätten.

Es besteht schon kein Sachgrund, in einem solchen Sinne Erklärungen, die in anderem rechtlichen Zusammenhang abgegeben worden waren, hypothetisch hinsichtlich ihrer inhaltlichen Relevanz für eine erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Gesetzgeber eröffneten Gestaltungsmöglichkeit zu bewerten. Die Stellung eines expliziten Antrages entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI war für die Betroffenen nur mit geringfügigem Aufwand verbunden; es genügte die Übermittlung eines entsprechenden Zweizeilers an die Rentenversicherung.

Darüber hinaus würde die vom Gesetzgeber angestrebte Rechtssicherheit nachhaltig beeinträchtigt, wenn Raum dafür geschaffen würde, eine tatsächliche Beantragung einer Rückwirkung der Befreiung im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI durch hypothetische Erwägungen ersetzen zu können, dass vor dem Hintergrund vorausgegangener Erklärungen und Anträge nach der früheren Rechtslage die Stellung eines entsprechenden Antrages gewissermaßen folgerichtig und sachgerecht gewesen wäre. Ein solcher Ansatz würde im Ergebnis breiten Raum für Diskussionen in späteren Jahren und ggfs. sogar Jahrzehnten schaffen, um entsprechende inhaltliche Bewertungen des Rentenversicherungsträgers im Sinne der Bejahung oder Verneinung einer solchen Folgerichtigkeit nachträglich in Zweifel zu ziehen. Entsprechende fortdauernde Unsicherheiten wollte der Gesetzgeber mit der Vorgabe der Antragsfrist nach § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI gerade vermeiden.

Es wäre sogar in Betracht zu ziehen, dass entsprechende Überprüfungsverfahren erst bei Eintritt des Leistungsfalls insbesondere vor dem Hintergrund eingeleitet würden, dass erstmalig dann die Betroffenen überblicken können, ob die im Rahmen einer Rückwirkung im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI für die betroffenen zurückliegenden Syndikustätigkeitszeiträume getroffene Entscheidung für die Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung oder aber im Rahmen der Anwaltsversorgung sich im Ergebnis als die wirtschaftlich günstigere Wahl darstellt. Gegenwärtig lässt sich die Frage, welche der beiden Absicherungsformen im Ergebnis in künftigen Leistungszeiträumen wirtschaftlich vorteilhafter sein könnte, noch gar nicht beantworten. Sie hängt insbesondere von der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung, künftigen jedenfalls in Betracht kommenden gesetzgeberischen Entscheidungen und nicht zuletzt auch von den Entwicklungen insbesondere auch im demographischen Aufbau des Kreises der Beitragszahler und der Leistungsempfänger einerseits im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung und andererseits im Bereich der betroffenen Anwaltsversorgung ab.

Es würde natürlich schon dem Grundcharakter einer Versicherung widersprechen, wenn erst nach Eintritt des Leistungsfalls deren Ausgestaltung rückwirkend beeinflusst werden könnte.

Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist kein Raum, eine rechtzeitige Beantragung einer rückwirkenden Befreiung zu fingieren. Der Herstellungsanspruch erfordert eine Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers und einen hierdurch beim Betroffenen hervorgerufenen rechtlichen Nachteil auf dem Gebiet des Sozialrechts; als Rechtsfolge ist der Zustand wiederherzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde, wobei dies jedoch nur durch eine zulässige Amtshandlung geschehen darf (vgl. zum Vorstehenden: BSG, Urteil vom 06. Mai 2010 – B 13 R 44/09 R –, SozR 4-1200 § 14 Nr 13, Rn. 26 mwN).

Für die Beklagte war nicht einmal ein entsprechender Beratungsanlass erkennbar, zumal sie ihrerseits auf das Gesetzgebungsvorhaben ausdrücklich hingewiesen hatte und nicht zuletzt angesichts der juristischen Qualifikation der Klägerin darauf vertrauen durfte, dass sich diese mit den Einzelheiten der gesetzlichen Neuregelung eigenverantwortlich vertraut machen würde.

Ergänzend sei angemerkt, dass der Inhalt eines Gesetzes mit seiner Verkündung dem Normadressaten - und damit auch der Klägerin - gegenüber grundsätzlich als bekannt zu gelten hat, und zwar unabhängig davon, wann und inwieweit das Gesetz diesen tatsächlich zur Kenntnis gelangt ist (sog formelle Publizität; vgl. BSG, Urteil vom 04. September 2013 – B 12 AL 2/12 R –, SozR 4-4300 § 28a Nr 5, Rn. 27). Überdies ist auch in den anwaltlichen Fachinformationen über die neue Gesetzeslage informiert worden (vgl. nur beispielsweise: Offermann-Burckart, Das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte, NJW 2016, 113).

d) In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen kann der Senat offen lassen, inwieweit die Tätigkeit der Klägerin bereits im streitbetroffenen vergangenen Zeitraum (und damit namentlich deutlich vor Abschluss der o.g. Ergänzungsabrede zum Arbeitsvertrag) überhaupt inhaltlich eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin im Sinne der nunmehrigen gesetzlichen Vorgaben des § 46 Abs. 2 bis 4 BRAO dargestellt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben. Ein über den Einzelfall hinausgehendes, die Allgemeinheit betreffendes Interesse wird in aller Regel für die Auslegung und Tragweite von Übergangsvorschriften (wie vorliegend des § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI) nicht angenommen, es sei denn, dass (wofür im vorliegenden Zusammenhang keine Anhaltspunkte ersichtlich sind) noch eine erhebliche Zahl von vergleichbaren Fällen der Entscheidung harrt und darin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache liegt (vgl. zu diesen Kriterien: BSG, Beschluss vom 22. April 2010 – B 11 AL 22/09 BH –, Rn. 5, juris).

Rechtskraft
Aus
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