L 7 KA 12/22 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KA 148/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 12/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2022 wird zurückgewiesen.

 

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 500,00 Euro festgesetzt.

 

G r ü n d e

 

I.

Das Sozialgericht Berlin verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 10. November 2021 unter Aufhebung des Beschlusses vom 17. April 2019, der Kläger*in eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung an dem Praxisstandort N Kstraße  B zur psychotherapeutischen Behandlung von transgeschlechtlichen Patient*innen, die sich in einer geschlechtsangleichenden Behandlung befinden und intergeschlechtlichen Patient*innen, die sich in Auseinandersetzung mit ihrer Geschlechtlichkeit befinden, ab dem 1. Januar 2022 zu erteilen.

 

Der Beklagte erhob gegen das ihm am 24. November 2021 zugestellte Urteil am 16. Dezember 2021 Berufung (L 7 KA 42/21). Einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung des Urteils nach § 199 Abs. 2 Satz 1  Sozialgerichtsgesetz (SGG) stellte er nicht. Das Berufungsverfahren ist noch offen.

 

Am 17. Februar 2022 hat die Klägerin beantragt, gegen den Beklagten wegen der bis dahin nicht erfolgten Umsetzung der Verpflichtung aus dem Urteil des Sozialgerichts vom 10. November 2021 ein Zwangsgeld anzudrohen.

 

Mit Beschluss vom 25. April 2022 hat das Sozialgericht dem Beklagten ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 Euro für den Fall angedroht, dass dieser seiner Verpflichtung zur Umsetzung des Urteils vom 10. November 2021 nicht bis zum 27. Juni 2022 nachkomme. Der Beschluss ist dem Beklagten am 26. April 2022 zugestellt worden.

 

Der Beklagte hat gegen den Beschluss des Sozialgerichts am 27. Mai 2022 (Freitag nach Christi Himmelfahrt) Beschwerde eingelegt, mit der er sein Vorbringen gegenüber dem Sozialgericht wiederholt und vertieft:

 

Nach der Intention des Gesetzgebers solle insbesondere bei Zulassungsstreitigkeiten keine vorläufige Vollstreckbarkeit (von Entscheidungen) bereits kraft Gesetzes eintreten. Zu dem im Zuge der Einführung des § 86a SGG zum 2. Januar 2002 aufgehobenen § 97 Abs. 1 Nr. 4 SGG a.F. habe das Bundessozialgericht entschieden, dass in ihm die (allgemeine) Wertung zum Ausdruck komme, dass eine Entscheidung in Zulassungssachen grundsätzlich erst mit ihrer Bestandskraft vollzogen werden sollte, es sei denn, eine sofortige Vollziehung sei vom Berufungsausschuss oder dem Gericht angeordnet (Hinweis auf BSG, Beschluss vom 18. Januar 1996 – 6 RKa 46/95). § 97 SGG sei nach der Gesetzesbegründung zu § 86a SGG, der ihn habe ablösen sollen, als entbehrlich angesehen worden. Ferner sei § 86a Abs. 1 Satz 2 SGG zu beachten, wonach die aufschiebende Wirkung auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten und solchen mit Drittwirkung eintrete. Die Zulassungsentscheidung habe als Statusentscheidung rechtsgestaltenden Charakter und ihr komme Drittwirkung zu. Anderes gelte, wenn der Teil einer Entscheidung, der vollstreckt werden solle, bereits in Rechtskraft erwachsen sei. Auch führe die Drittbetroffenheit einer vom Berufungsausschuss zu erteilenden Zulassung bzw. Ermächtigung z.B. für die Beigeladene zu 1., die KV Berlin, zur aufschiebenden Wirkung gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG. Eine andere Auffassung führe insoweit zu dem unvertretbaren Ergebnis, dass der Beklagte darauf verwiesen sei, seinerseits einen Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG beim LSG zu stellen, was in der Situation, in der etwa die Beigeladene zu 1. das Urteil anfechte, nicht der Fall sei. Es liege ein Wertungswiderspruch vor. Hilfsweise stelle er einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung gemäß § 199 Abs. 2 SGG.

 

II.

 

1. Die nach § 172 Abs. 1 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie richtet sich gegen eine beschwerdefähige Ausgangsentscheidung des Sozialgerichts. Der Beklagte ist beschwerdebefugt, da er von der Androhung des Zwangsgeldes, jedenfalls aber durch die Kostenentscheidung beschwert ist (Karl in: juris-PK, SGG, § 172 Rdnr. 98 sowie § 176 Rdnr. 43; Lange in: juris-PK, SGG, § 201 Rdnr. 23/24). Es besteht für die Beschwerde auch nach Ablauf der vom Sozialgericht gesetzten Frist (27. Juni 2022) unabhängig davon ein Rechtsschutzbedürfnis, ob das Sozialgericht bereits ein Zwangsgeld festgesetzt hat oder nicht. Dabei hat die Beschwerde gegen die Androhung eines Zwangsgeldes - anders als gegen dessen Festsetzung - keine aufschiebende Wirkung (vgl. § 175 Satz 1 SGG). Das Sozialgericht ist daher nicht gehindert, nach Fristablauf ein Zwangsgeld festzusetzen, obwohl die Beschwerde noch anhängig ist (Schütz, jurisPR-SozR 9/2014 Anm. 6). Der Beschluss über die Androhung von Zwangsgeld entfaltet für die (nachfolgende) Festsetzung Bindungswirkung. Der Vollstreckungsschuldner wird, soweit der Androhungsbeschluss wirksam ist, im Rahmen der Festsetzung des Zwangsgeldes nicht damit gehört, er habe seine Verpflichtung aus dem zu vollstreckenden Urteil nicht verletzt oder die vom Gericht gesetzte Frist sei unverhältnismäßig kurz gewesen. Effektiver Rechtsschutz kann mithin nicht gegen den Beschluss über die Festsetzung des Zwangsgeldes erreicht werden (Lange, in:  juris-PK, SGG, § 201 Rdnr. 24).

 

Die Beschwerdeeinlegung am 27. Mai 2022 erfolgte mit Blick darauf, dass das Fristende auf den 26. Mai 2022 (Christi Himmelfahrt), einen gesetzlichen Feiertag, fiel, fristgerecht binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses des Sozialgerichts (§ 173 SGG).

 

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Maßgeblich ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats. Gemessen daran ist die Androhung von Zwangsgeld durch das Sozialgericht rechtmäßig erfolgt. Die gesetzlichen Voraussetzungen liegen vor. Das gilt insbesondere für das Erfordernis, wonach die Zwangsgeldandrohung als Akt der Vollstreckung eine vollstreckbare Verpflichtung aus einem Verpflichtungsurteil gemäß § 131 SGG verlangt (§ 201 Abs. 1 SGG). Das Sozialgericht hat den Beklagten mit seinem Urteil vom 10. November 2021 im Verfahren    S 87 KA 148/19 zur Erteilung einer Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung an einem näher bezeichneten Praxisstandort in B verpflichtet. Einer Vollstreckungsklausel bedarf es nicht. Zwar fordert der über § 198 Abs. 1 SGG grundsätzlich anwendbare § 724 Abs. 1 Zivilprozessordnung, dass die Zwangsvollstreckung auf Grund einer mit der Vollstreckungsklausel versehenen Ausfertigung des Urteils (vollstreckbare Ausfertigung) durchgeführt wird. § 201 SGG trifft für die Durchsetzung von Verpflichtungsurteilen nach § 131 SGG aber eine abschließende Sonderregelung. Diese geht gemäß § 198 Abs. 1, 2. Halbsatz SGG den Regelungen der ZPO grundsätzlich vor (Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, Teil VII, Kapitel 60: Klageverfahren Rdnr. 86, beck-online; LSG Bayern, Beschluss vom 15. Januar 2016, L 16 AS 251/15 B m.w.N.; Schneider, SGb 2018, 601, 602 f.; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 201 Rdnr. 3 unter Berufung auf LSG Bayern, Beschluss vom 14. Mai 2012, L 7 AS 196/12 B).

 

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. November 2021 (S 87 KA 148/19) ist vollstreckbar. Die Berufung des Beklagten entfaltet nach § 154 Abs. 1 i.V.m. § 86a SGG keine aufschiebende Wirkung, weil  der Verpflichtungsklage – was sich von selbst versteht – keine aufschiebende Wirkung zukommt; aufschiebende Wirkung entsteht grundsätzlich nur im Rahmen einer Anfechtungskonstellation, also bei Anfechtung einer belastenden Regelung, ggf. auch durch einen befugten Dritten. Diese Situation ist hier aber nicht gegeben, denn die Klägerin hat erstinstanzlich die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts erstritten, was im Verhältnis zwischen Klägerin und (verpflichtetem) Beklagten unzweifelhaft der Regelung des § 201 Abs. 1 SGG unterfällt. Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen sozialgerichtlichen Beschlusses (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

 

Zu betonen bleibt im Hinblick auf die Einwände des Beklagten: Mit der aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 86a SGG folgenden Beschränkung auf die Anfechtungssituation entsteht kein Wertungswiderspruch. Der Beklagte wird nicht sachgrundlos ungleich behandelt im Vergleich zu der Situation, in der ein von der gerichtlichen Entscheidung beschwerter beigeladener Dritter (wie hier z.B. die KV Berlin) das Verpflichtungsurteil anficht. In dieser alternativen Prozesssituation hätte die Berufung des Beigeladenen zwar aufschiebende Wirkung. Dies folgt jedoch aus § 154 Abs. 1 SGG selbst. Es läge ein Rechtsmittel eines Beigeladenen vor, dessen Klage allein als Anfechtungsklage gegen den von Klägerseite erstrittenen begünstigenden Verwaltungsakt (hier: die Ermächtigung) statthaft wäre. Mit dem umfassenden Verweis auf die Maßgeblichkeit der Klage nach § 86a SGG in § 154 Abs. 1 SGG tritt die aufschiebende Wirkung der Berufung eines beigeladenen Dritten unabhängig von seiner (bisherigen) Prozessrolle ein (Binder in: Berchtold, SGG, § 154 Rdnr. 6). Davon unterscheidet sich die Stellung des durch ein Verpflichtungsurteil gebundenen Beklagten.

 

Die weiteren Voraussetzungen eines Antrags auf Vollstreckung sowie das Merkmal, dass eine Behörde der Verpflichtung nicht binnen angemessener Frist nachgekommen ist, weil sie z.B. keine Anstalten trifft, dem Urteil zu entsprechen, also grundlos säumig bleibt, liegen vor (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 201 Rdnr. 3). Die Klägerin hat einen Antrag auf Androhung des Zwangsgeldes am 17. Februar 2022 beim Sozialgericht gestellt. Der Beklagte ist der ihm auferlegten Verpflichtung zur Erteilung der Ermächtigung mit Wirkung ab 1. Januar 2022 nicht nachgekommen. Dabei ist unerheblich, aus welcher Motivation heraus dies erfolgt. Auf einen Rechtsirrtum hinsichtlich der Vollstreckbarkeit und einer aufschiebenden Wirkung der bereits eingelegten Berufung kann er sich nicht berufen, zumal ihn das Sozialgericht am 21. Februar 2022 und 21. März 2022 zu einer Umsetzung der Verpflichtung auch unter Hinweis auf die Möglichkeit eines Antrags nach § 199 Abs. 2 SGG aufgefordert hatte.

 

Die vom Sozialgericht bestimmte Frist von zwei Monaten für die Erteilung der Ermächtigung ist – auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beklagte als Gremium die entsprechende Entscheidung zu treffen hat – angemessen. Eine Entscheidung ist innerhalb dieser Frist erwartbar.

 

Über den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung gemäß § 199 Abs. 2 SGG, den der Beklagte mit seiner Beschwerde gestellt hat, ist im Nachgang zu dieser Entscheidung gesondert zu entscheiden. Den Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG als Hilfsantrag zur vorliegenden Beschwerde zu formulieren, war nicht sachgerecht, weil über ihn nicht der Senat, sondern der Vorsitzende zu entscheiden hat.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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