L 3 AS 2051/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 473/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 2051/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 06.05.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger anstelle der vom Beklagten für Dezember 2019 darlehensweise erbrachten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in Höhe von 900 € Anspruch auf Bewilligung dieser Leistungen als Zuschuss hat.

Der 1954 geborene Kläger bezog vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die ihm zuletzt mit Bescheid vom 13.02.2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 25.06.2019 (Anpassung der Kosten für Unterkunft und Heizung) und vom 18.07.2019 (Berücksichtigung einer Nebenkostennachzahlung) in Höhe von 900 € monatlich (424 € Regelbedarf und 476 € Kosten für Unterkunft und Heizung) für die Zeit vom 01.04.2019 bis zum 30.11.2019 bewilligt worden waren.

Die Deutsche Rentenversicherung bewilligte dem Kläger Regelaltersrente zum gewünschten Rentenbeginn am 01.12.2019. Laut Rentenauskunft vom 14.11.2019 betrug die Altersrente monatlich 1.083,20 € brutto.

Wegen der erst für Ende Dezember zu erwartenden Auszahlung der Rente bewilligte der Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 12.11.2019 mit Bescheid vom 15.11.2019 für Dezember 2019 ein zinsloses Darlehen in Höhe von 900 €.

Den hiergegen am 16.12.2019 erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger die Bewilligung dieser Leistung als Zuschuss geltend machte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2020 als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf einen Zuschuss im Monat Dezember 2019 bestehe nach dem SGB II nicht.

Die vom Kläger am 24.02.2020 beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage ist mit Gerichtsbescheid vom 06.05.2021 abgewiesen worden, da der Kläger die Altersgrenze des § 7a Satz 2 SGB II mit Ablauf des Novembers 2019 erreicht habe und daher ab Dezember 2019 die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht mehr erfüllt gewesen seien. Ihm stehe kein Zuschuss über die bis zum 30.11.2019 erfolgte Bewilligung hinaus zu. Eine Rechtsgrundlage für die Bewilligung einer Sozialleistung ohne Berücksichtigung des Zuflusses der Rente Ende Dezember 2019 gebe es nicht.

Der Kammervorsitzende hat den Gerichtsbescheid am 06.05.2021 um 15:59 Uhr qualifiziert elektronisch signiert, nicht jedoch am Ende des Dokuments nach der Rechtsmittelbelehrung mit seinem Namen versehen. Die Zustellung des Gerichtsbescheids ist bei dem Kläger und bei dem Beklagten jeweils am 14.05.2021 erfolgt.
 
Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14.06.2021 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt und die Gewährung der 900 € als Zuschuss begehrt. Zugleich hat er die Einstellung des Forderungseinzuges bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits beantragt.

Der Beklagte hat mitgeteilt, am 23.06.2021 sei eine Mahnsperre gesetzt worden und diese bleibe bis zum Abschluss des Verfahrens bestehen. Hierauf hat der erkennende Senat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 19.07.2021 (L 3 AS 2063/21 ER) abgelehnt.

Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 06.05.2021 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2020 zu verurteilen, ihm anstatt des für Dezember 2019 bewilligten Darlehens einen Zuschuss in Höhe von 900 € zu bewilligen.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.


Entscheidungsgründe

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige und statthafte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Monat Dezember 2019 als Zuschuss.

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden. Gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann aus erheblichen Gründen ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 2 ZPO sind die erheblichen Gründe auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Zwar hat der Kläger nach Erhalt der Mitteilung über die Terminsbestimmung des Senats vom 26.10.2021 mit Fax vom 22.11.2021 unter Vorlage einer von der Gemeinschaftspraxis Dres. B und M ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 22.11.2021 (Folgebescheinigung für die Zeit vom 03.11.2021 bis zum 27.11.2021) um „Terminverlegung wegen Erkrankung“ gebeten und kurz darauf am selben Tag dem Vorsitzenden telefonisch mitgeteilt, er könne den Termin krankheitsbedingt nicht wahrnehmen und er sei gerade in W, wo wegen Fehlens eines Blutbefundes ein für den 22.11.2021 vorgesehenes CT habe abgesagt und auf den 24.11.2021 verschoben werden müssen.  Wird aber eine Terminverlegung kurz vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert, dass das Gericht aus der Bescheinigung Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungsunfähigkeit und/oder Reiseunfähigkeit selbst beurteilen kann. Nur die Vorlage eines ärztlichen Attestes, welches dem Beteiligten nicht nur eine Erkrankung überhaupt, sondern eine nachvollziehbar dargelegte krankheitsbedingte Verhinderung (im Sinne einer Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit) bescheinigt, ist daher grundsätzlich als ausreichende Entschuldigung anzusehen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 14.09.2020 – 6 ZB 20.31751, juris Rn. 5) Gerade bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit und/oder Reiseunfähigkeit. Ist diesen Anforderungen nicht Genüge getan, so ist die Verhandlungsunfähigkeit und/oder Reiseunfähigkeit nicht dargetan (BSG, Beschluss vom 13.10.2010 –  B 6 KA 2/10 B, juris; BSG, Beschluss vom 13.12.2018 –  B 5 R 192/18 B, juris; BSG, Beschluss vom 03.04.2019 –  B 6 KA 30/18 B, juris). Vorliegend hat der Kläger weder durch seine Ausführungen noch durch die von ihm vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit glaubhaft gemacht, weshalb der Vorsitzende seinen Verlegungsantrag abgelehnt und ihm dies im Rahmen des mit ihm am 22.11.2021 geführten Telefonats mitgeteilt hat. In dem Telefongespräch hat der Vorsitzende den Kläger über die an ein ärztliches Attest zur Glaubhaftmachung von Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit zu stellenden Anforderungen aufgeklärt und deutlich gemacht, dass seine mündlichen Angaben und die per Fax vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dafür nicht ausreichen. Die vorgelegte Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis  Dres. med. B und M vom 22.11.2021 belegt zwar unter Angabe des ICD-10-Diagnoseschlüssels J18.9 (Pneumonie, nicht näher bezeichnet) eine voraussichtlich bis zum 27.11.2021 bestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Dem Senat ist es jedoch nicht möglich, anhand dieser Bescheinigung nachzuvollziehen, dass der Kläger am 24.11.2021 verhandlungs- und/oder reiseunfähig gewesen wäre. Das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit ist mit Verhandlungsunfähigkeit oder Reiseunfähigkeit nicht zwangsläufig gleichzusetzen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13.02.2019 – L 8 AS 450/13 NZB, L 8 AS 475/13 B PKH, juris). Im Übrigen spricht der Umstand, dass der in C wohnhafte Kläger am 22.11.2021 zwecks Durchführung einer CT-Untersuchung nach W gereist ist, von wo aus er ein Telefongespräch mit dem Senatsvorsitzenden geführt hat, gegen das Vorliegen von Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit. Soweit der Kläger am 22.11.2021 telefonisch behauptet hat, ein mit dem behandelnden Radiologen kurzfristig neu vereinbarter CT-Termin am 24.11.2021 in W würde sich zeitlich mit dem Verhandlungstermin am 24.11.2021 überschneiden, fehlt es bereits an einer Glaubhaftmachung von Zeit und Ort des Untersuchungstermins. Darüber hinaus wäre der Kläger gehalten gewesen, einen anderen Termin zu vereinbaren, da er seit dem 28.10.2021 (Tag der Zustellung der Terminsmitteilung) über Zeit und Ort der mündlichen Verhandlung informiert war. Dass und aus welchen Gründen ihm dies nicht möglich gewesen wäre, hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Der Kläger ist vom Vorsitzenden über die Möglichkeit, den Verlegungsantrag unter Vorlage aussagekräftiger Unterlagen zu wiederholen, aufgeklärt worden, hat sich aber nicht weiter geäußert. Angesichts der Kurzfristigkeit des gestellten Verlegungsantrages hat sich das Gericht nicht gedrängt gesehen, selbst weitere Nachforschungen, etwa bei dem behandelnden Arzt, anzustellen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.04.2018 – B 9 V 66/17 B, juris Rn. 6).

Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass der erstinstanzliche Gerichtsbescheid entgegen § 65a Abs. 7 Satz 1 SGG zwar mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, nicht aber am Ende mit dem Namen der verantwortenden Person, also dem Namen des Kammervorsitzenden, versehen ist. Der Gerichtsbescheid ist mit der Zustellung nach §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 133 Satz 2 SGG wirksam. Der Kammervorsitzende hat den Gerichtsbescheid vorliegend qualifiziert elektronisch signiert und somit gemäß § 134 Abs. 1 SGG unterschrieben. Die fehlende Nennung des Namens des Kammervorsitzenden am Ende des Gerichtsbescheides macht diesen nicht zu einer sogenannten Scheinentscheidung. Die Entscheidung ist durch das Rubrum und die Signatur dem gesetzlich bestimmten Richter ohne jeden Zweifel zuzuordnen, da sie von ihm mit der erforderlichen richterlichen Willensäußerung signiert wurde und auch durch die Nennung des Namens des Kammervorsitzenden im Rubrum den Abgleich der Personenidentität ermöglicht. Der fehlende Name am Ende des Dokuments stellt somit nur einen unwesentlichen Formmangel dar, der die Wirksamkeit des Gerichtsbescheides und seiner Verlautbarung durch die wirksame Zustellung unberührt lässt. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache an das SG nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG liegen nicht vor. Weder ist eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig, noch sprechen bei der Ermessensausübung zu beachtende Gesichtspunkte der Prozessökonomie und der zügigen Erledigung des Rechtsstreits hier für eine Zurückverweisung (vgl. zum Ganzen ausführlich und m.w.N.: LSG Stuttgart, Urteil vom 17.09.2021 – L 8 SB 1856/20, juris).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 06.05.2021 die Aufhebung des Bescheides vom 15.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2020 sowie die Verurteilung des Beklagten, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für den Monat Dezember 2019 als Zuschuss anstatt als Darlehen zu gewähren. Dieses prozessuale Ziel verfolgt der Kläger im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Abs. 4 SGG).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger 900 € als Darlehen für den Monat Dezember 2019 erbracht. Rechtsgrundlage hierfür ist § 24 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Danach können Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen. Diese Regelung soll insbesondere die Fälle erfassen, in denen im Voraus bekannt ist, dass die Hilfebedürftigkeit wegen späteren Einkommenszuflusses ausgeschlossen werden wird (BT-Drs. 15/2997, S. 24). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 Satz 1 SGB II waren im vorliegenden Fall im Dezember 2019 erfüllt. Denn die dem Kläger nach dem SGB II für den Monat November 2019 bewilligten Leistungen waren gemäß § 42 Abs. 1 SGB II (vgl. auch den Hinweis auf S. 1 des Bewilligungsbescheides vom 13.02.2019) monatlich im Voraus ausgezahlt worden und die laufende Altersrente des Klägers war gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erst am letzten Bankarbeitstag im Dezember 2019 auszuzahlen. Wegen des erst für das Ende des Monats Dezember zu erwartenden Zuflusses der Rentenzahlung und der hierdurch entstehenden zeitlichen Lücke waren der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II) und der Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) des bis zuletzt im Sinne des SGB II hilfebedürftigen (§ 9 Abs. 1 SGB II) Klägers nicht gedeckt. Entsprechend der gesetzlichen Ermächtigung hat der Beklagte dem Kläger für den Monat Dezember 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erbringung dieser 900 € als Zuschuss.

Der bis zum 30.11.2019 gegebene und durch den Bewilligungsbescheid vom 13.02.2019 sowie durch die Änderungsbescheide vom 25.06.2019 und vom 18.07.2019 erfüllte Anspruch des Klägers auf zuschussweise Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bestand ab dem 01.12.2019 nicht mehr. Aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II ergibt sich, dass Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II Personen haben, die u.a. die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben. Nach § 7a SGB II erreichen Personen, die vor dem 01.01.1947 geboren sind, die Altersgrenze mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Für Personen, die nach dem 31.12.1946 geboren sind, wird die Altersgrenze nach Geburtsjahrgängen gestaffelt angehoben. Für den Geburtsjahrgang des Klägers wird gemäß § 7a SGB II die Altersgrenze um 8 Monate auf den Ablauf des Monats, in dem ein Lebensalter von 65 Jahren und 8 Monaten erreicht wird, angehoben. Das Alter von 65 Jahren und 8 Monaten hatte der am 10.03.1954 geborene Kläger am 10.11.2019 vollendet. Die maßgebliche Altersgrenze hatte er somit am 01.12.2019 erreicht und ab diesem Tag hatte er keinen Anspruch mehr auf zuschussweise zu gewährende Leistungen nach dem SGB II.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG,

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 160 Abs. 2 SGG genannten Gründe hierfür vorliegt.

Rechtskraft
Aus
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