L 7 AS 752/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 254/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 752/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.05.2022 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag der Antragsteller auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe:

I.

Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem das Sozialgericht Düsseldorf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs der Antragsteller gegen die Aufhebung ihrer Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt hat.

Der am 00.00.1963 geborene Antragsteller zu 1) und die am 00.00.1982 geborene Antragstellerin zu 2) sind die Eltern der minderjährigen Antragsteller zu 3) bis 6). Die Antragsteller zu 1), 3) bis 6) haben die deutsche Staatsangehörigkeit (teilweise neben der syrischen Staatsangehörigkeit). Die Antragstellerin zu 2) hat ausschließlich die syrische Staatsangehörigkeit mit Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG („Fiktionsbescheinigung“) und Gestattung der Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs. 2 AufenthG. Am 00.00.2022 wurde ein fünftes Kind der Antragsteller zu 1) und 2) geboren (A). Die Antragsteller wohnen seit Dezember 2021 zur Miete in der L-Straße 13, 00000 M. Die monatliche Gesamtmiete beträgt 1.458,40 € (1.102,40 € Grundmiete, 275,60 € Betriebskosten, 80,40 € Heizkostenabschlag). Die Warmwasseraufbereitung erfolgt dezentral. Der Umzug in diese neue Unterkunft erfolgte mit Zustimmung des Beklagten; die vorherigen Anträge der Antragsteller auf umfangreiche Erstausstattung vom 28.10.2021 und 05.01.2022, auf die Bezug genommen wird, hat der Antragsgegner bisher nicht beschieden.

Die Antragsteller bezogen zumindest in den Jahren 2014 bis 2021 durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern mit Bewilligungsbescheid vom 31.05.2021 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 13.10.2021 und 27.11.2021 u.a. Leistungen für Januar bis Mai 2022, wobei als Einkommen lediglich das monatliche Kindergeld iHv insgesamt 913 € und das Elterngeld von monatlich 150 € angerechnet wurde. Das Pflegegeld iHv monatlich 545 € für den Antragsteller zu 4), bei dem ein Grad der Behinderung von 80 und Pflegegrad 3 anerkannt ist, wurde nicht als Einkommen auf den Grundsicherungsbedarf der Antragsteller angerechnet.

Bei den Antragstellern kam es aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Düsseldorf vom 25.08.2021 zu einer Wohnungsdurchsuchung in ihrer früheren Unterkunft, wobei Bargeld iHv 16.300 € aufgefunden und beschlagnahmt wurde. Dem Antragsteller zu 1) wird ausweislich eines Datenübermittlungsbeschlusses des Amtsgerichts Düsseldorf vom 01.12.2021 (139 Gs – 52 Js 6/20 – 10/21) vorgeworfen an gewerbsmäßigen Betrugsdelikten im Rahmen eines J-Rings mit insgesamt 80 Beschuldigten beteiligt gewesen zu sein. Der Antragsteller zu 1) sei Mitglied eines seit dem Jahr 2016 international agierenden Netzwerkes, das sich zusammengefunden habe, um im Rahmen eines weit verzweigten Geflechtes von Waren- und Geldflüssen unerlaubte Zahlungsdienste zu erbringen. Ein Teil der Zahlungen in diesem Geflecht sei nach dem Prinzip des sog. J-Bankings von Zahlungsbüros aus Deutschland in die Türkei und nach Syrien erfolgt. Dabei würde Bargeld in deutschen Zahlungsbüros eingesammelt, um gegen Provision Bargeldgeschäfte in der Türkei und in Syrien auszugleichen oder Rechnungen für ausländische Warenlieferungen zu bezahlen. Teilweise seien Einzahlungen in türkischen/ syrischen Zahlungsbüros von sog. „Rückwärtskunden“ in deutschen Zahlungsbüros ausgezahlt worden. Die Aufgabe des Antragstellers zu 1), der ein enger familiärer Vertrauter der führenden Köpfe des Netzwerks sei, habe darin bestanden, familiäre Dinge zu regeln, die Kinder abzuholen, Geld einzusammeln und zu transportieren. Er habe auch selbst als Zahlungsbüro fungiert. So habe er eigenständig Geldtransfers angeboten, Bargeld angenommen, für Auszahlungen in der Türkei und in Syrien gesorgt und das eingenommene Bargeld an Mitbeschuldigte weitergeleitet. Zum Selbstverständnis des Netzwerkes gehöre es, zu Unrecht Sozialleistungen zu beziehen. So habe der Antragsteller zu 1) seine Löhne und Gewinne aus den J-Geschäften nicht im laufenden Leistungsbezug angezeigt. Das Strafverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Nachdem der Antragsgegner Kenntnis von diesen strafrechtlichen Ermittlungen erhalten hatte, stellte er die Leistungen an die Antragsteller ab Januar 2022 vorläufig ein. Weitere Ermittlungen des Antragsgegners ergaben, dass der Antragsteller zu 1) geschäftsführender Gesellschafter der X Im- und Export GmbH war. Mit Gesellschafterbeschluss vom 21.08.2015 wurde die Gesellschaft aufgelöst. Der Antragsteller ist als einzelvertretungsberechtigter Liquidator der Gesellschaft bestellt worden. Ein Kontenabrufungsverfahren des Antragsgegners vom 25.01.2022 ergab, dass die Antragsteller über drei laufende Konten verfügen, wovon nur eines bei der Antragstellung angegeben wurde, und weitere acht Konten bei der Targobank in der Vergangenheit unterhielten. Ein Konto der X Im- und Export GmbH, über das u.a. der Antragsteller zu 1) verfügungsberechtigt war, wurde im Mai 2015 aufgelöst. Der Antragsgegner forderte die Antragsteller auf, für die drei laufenden Konten lückenlose Auszüge für Januar 2021 bis Januar 2022 vorzulegen und zu den acht weiteren Konten bei der Targobank zwischen 2013 und 2018 Stellung zu nehmen. Darüber hinaus wurde um Mitteilung gebeten, warum in der Zeit vom 13.03.2018 bis 02.04.2019 ein Kreditkartenkonto bei der BNP unterhalten wurde und für das laufende Konto bei der Targobank immer noch die Anschrift N-straße 2, M (seit Juli 2012 von den Antragstellern nicht mehr bewohnt), angegeben sei.

Am 07.02.2022 hat der Antragsteller zu 1) bei dem Sozialgericht Düsseldorf einen Antrag auf Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestellt. Der Antragsgegner habe die für Januar und Februar bewilligten Leistungen noch nicht zur Auszahlung gebracht. Auch Zahlungserinnerungen vom 18.01.2022 und 26.01.2022 und Telefonanrufe beim Antragsgegner durch den Prozessbevollmächtigten seien ohne Erfolg geblieben. Die Miete für Januar und Februar 2022 habe nicht gezahlt werden können, weswegen die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses am 09.02.2022 mit einer Räumungsfrist zum 28.02.2022 erfolgt und eine Räumungsklage beim AG Düsseldorf anhängig sei (231 C 13/22). Die strafrechtlichen Vorwürfe des Antragsgegners erfolgten ins Blaue. Dem Antragssteller zu 1) werde kein gewerbsmäßiger Betrug, sondern Verstöße gegen das Zahlungsdienstaufsichtsgesetz (§ 63 ZAG), die Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) und Geldwäsche (§ 261 StGB) zur Last gelegt. Es handele sich nicht um Vermögensstraftaten. Hauptverdächtigte in diesen Verfahren seien B und C. Der Antragsteller zu 1) habe mit den Straftaten nichts zu tun. Er sei den Hauptbeschuldigten nur bei Übersetzungen und Behördengängen behilflich. Nur weil sein Fahrzeug in der Nähe des Hauptverdächtigten gesehen wurde, werde eine Fahrertätigkeit des Antragstellers zu 1) unterstellt. Es lasse sich nicht ansatzweise ein strafrechtlich relevantes Verhalten entnehmen. Die bei den Antragstellern vorgefundenen 16.300 € seien aus den SGB II-Leistungen angespart worden. Der Strafverteidiger des Antragstellers zu 1) habe angeraten, vorerst während des strafrechtlichen Verfahrens aus verfahrenstaktischen Gründen nicht gegen die Beschlagnahme des Geldes vorzugehen. Das Konto bei der Volksbank habe er nicht angegeben, weil es in Vergessenheit geraten sei. Die in der Zeit von April bis Dezember 2021 transferierten 3.550 € seien aufgrund von Abbuchungen vom Sparkassenkonto eingezahlt worden. Für die Familie D habe man nur aus Gefälligkeit und nicht aus geschäftlicher Verbundenheit Schuldgeschäfte iHv insgesamt 2.600 € abgewickelt. Die (mittlerweile geschlossenen) Konten bei der Targobank seien Darlehenskonten aufgrund von früheren Ratenkreditkaufverträgen. Es seien keine Einkünfte vorhanden, außer dem Kindergeld und den Pflegeleistungen. Letztere seien ab dem 01.03.2022 eingestellt worden. Man sei auf Zuwendungen von Freunden und Bekannten angewiesen. Am 28.02.2022 haben auch die Antragsteller zu 2) bis 6) Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht beantragt.

Mit Bescheid vom 25.02.2022 hat der Antragsgegner die Leistungsbescheide vom 31.05.2021, 13.10.2021 und 27.11.2021 hinsichtlich der Leistungen ab Januar 2022 ganz aufgehoben, da erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit bestünden. Hiergegen haben die Antragsteller am 28.02.2022 Widerspruch eingelegt, über den bisher noch nicht entschieden wurde. Mit Bescheid vom 19.04.2022 hat die Stadt M den Antrag der Antragsteller auf Mietschuldübernahme abgelehnt.

Mit Beschluss vom 12.05.2022 hat das Sozialgericht Düsseldorf den sinngemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 26.02.2022 gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 (Leistungszeitraum Januar bis Mai 2022) abgelehnt. Nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung sei der Bescheid vom 25.02.2022 rechtmäßig, sodass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hiergegen nicht anzuordnen sei. Den Antragstellern sei es nicht gelungen, die erheblichen Zweifel an ihrer Hilfebedürftigkeit auszuräumen. Dass die Antragsteller mehr als 16.000 € aus den laufenden SGB II-Leistungen angespart hätten, sei angesichts des existenzsichernden Charakters der SGB II-Vorschriften nicht glaubhaft, sondern lebensfremd. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller zu 1) Geld von seinem Konto iHv 2.500 € abbuchen sollte, damit die Antragstellerin zu 2) dieses Geld auf ihr Konto einbuchen kann. Vielmehr hätte es nahegelegen, einen Kontoausgleich durch schlichte Überweisung zu bewerkstelligen. Für den Leistungszeitraum ab Juni 2022 sei nicht ersichtlich, dass ein erfolgloser Antrag beim Antragsgegner gestellt worden wäre. Insofern fehle für einen etwaigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Rechtsschutzbedürfnis.

Auf den sodann von den Antragstellern gestellten Fortzahlungsantrag der Antragsteller vom 16.05.2022 hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.06.2022 die Gewährung von Leistungen für Juni 2022 bis November 2022 wegen erheblicher Zweifel an der Hilfebedürftigkeit abgelehnt. Hiergegen haben die Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 27.06.2022 Widerspruch eingelegt, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 13.05.2022 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf haben die Antragsteller am 22.05.2022 über ihren Prozessbevollmächtigten Beschwerde eingelegt und ausschließlich beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts vom 12.05.2022 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26.02.2022 gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 anzuordnen. Zur Begründung haben sie auf den bisherigen Sachvortrag Bezug genommen.

Auf Nachfrage des Senats und nach beantragter Fristverlängerung teilten die Antragsteller am 24.06.2022 mit, dass die Bedarfsgemeinschaft über einen zugelassenen Pkw (Ford Focus) verfüge. Das fünfte Kind der Antragsteller zu 1) und 2) sei am 00.00.2022 geboren. Die X GmbH sei seit 2014/2015 nicht mehr existent. Der damalige geschäftsführende Gesellschafter der X GmbH, R sei, ohne sich um die Firma zu kümmern, nach Saudi-Arabien verzogen. Die Antragsteller bezögen Strom von den Stadtwerken M. Es seien keine Stromzahlungsrückstände und Stromsperren gegeben. Der Antragsteller zu 1) verfüge über einen Mobilfunkvertrag und die Antragstellerin zu 2) über eine Mobilfunk-Familienkarte. Den Umzug in die neue Wohnung hätten die Antragsteller mittels Freunden und Verwandten ohne Umzugsunternehmen bewerkstelligt; ein Freund habe einen Kleintransporter für 30 € organisiert. Die Antragsteller hätten ihre alten Möbel und Elektrogeräte aus der früheren Wohnung mitgenommen, die mittels der bereits bekannten Ratenzahlungskredite finanziert worden seien. Der Zeuge E habe dem Antragsteller zu 1) „unter dem 07.01.2022“ 4.000 € darlehensweise zur Verfügung gestellt.

Auf weitere Nachfrage des Senats haben die Antragsteller mitteilen lassen, ihr Darlehensgeber, Herr E habe nach ihrem Kenntnisstand seinen Wohnsitz in Kuwait. Herr E reise nach dem Kenntnisstand der Antragsteller ein- bis maximal zweimal pro Jahr für ca. 10 Tage nach Deutschland und wohne dann bei einem Freund in M (F).

 

II.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist entsprechend dem mit der Beschwerdeschrift formulierten Antrag nur der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen den Aufhebungsbescheid des Antragsgegners vom 25.02.2022 iSv § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob das Sozialgericht zu Recht von einer (prozessual zulässigen) Änderung des ursprünglichen Begehrens zur einstweiligen Durchsetzung bereits bewilligter Leistungen ausgegangen ist, obwohl die anwaltlich vertretenen Antragsteller lediglich mitgeteilt haben, sie hätten Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 erhoben, ohne sich zu prozessualen Konsequenzen für das laufende Eilverfahren zu verhalten.

Leistungen für den nachgehenden Bewilligungszeitraum ab dem 01.06.2022 sind schon nach dem mit der Beschwerdeschrift formulierten Antrag ebenfalls nicht (zulässiger) Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen spricht viel dafür, dass der Senat über einen solchen Antrag auch nicht "erstinstanzlich" entscheiden könnte, weil er nicht Gericht der Hauptsache iSv § 86b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG wäre (vgl. zu alledem: Beschluss des Senats vom 14.02.2022 – L 7 AS 1828/21 B ER).

Die so verstandene Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26.02.2022 gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 anzuordnen, abgelehnt. Insoweit wird zunächst gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen - wie hier gemäß § 39 Nr. 1 SGB II - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an   § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da § 39 Nr. 1 SGB II das Vollzugsrisiko bei Bescheiden, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufheben bzw. zurückzunehmen, grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend ist, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 14.02.2022 - L 7 AS 1828/21 B ER; vom 30.08.2018 - L 7 AS 1097/18 B ER und vom 02.03.2017 - L 7 AS 57/17 B ER; Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn. 12f ff. mwN).

Auch zur Überzeugung des Senats erweist sich der mit Widerspruch angefochtene, in Anbetracht der Vertretungsregelung des § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB II  sämtlichen Antragstellern bekanntgegebene Bescheid vom 25.02.2022 nach summarischer Prüfung als formell und materiell rechtmäßig.

Der Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 ist zunächst nicht aufgrund des Fehlens der gemäß § 24 Abs. 1 SGB X gebotenen Anhörung rechtswidrig, denn der Antragsgegner hat die Antragsteller spätestens mit Schriftsatz vom 21.02.2022 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren angehört. Den Antragstellern wurden die Hintergründe für die (seinerzeit) vorläufige Leistungseinstellung dargelegt, sodass die anwaltlich vertretenen Antragsteller ausreichend Gelegenheit hatten, zu dem konkreten Vorwurf der fehlenden Hilfebedürftigkeit ab Januar 2022 aufgrund der J-Bankgeschäfte des Antragstellers zu 1) sachgerecht Stellung zu nehmen, was bei summarischer Prüfung ausreichend erscheint (vgl. mwN: Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 41 Rn. 15; Urteil des Senats vom 01.07.2021 - L 7 AS 1322/20). Überdies besteht für den Antragsgegner die Gelegenheit die Anhörung im noch laufenden Widerspruchsverfahren iSv § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachzuholen bzw. zu ergänzen.

In Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme des Bescheides vom 25.02.2022 ist § 45 Abs. 1 SGB X. Maßgeblich für die Frage, ob die zurückgenommenen Bescheide rechtswidrig waren, ist, ob den Antragstellern im Bewilligungszeitraum ihre Hilfebedürftigkeit gemäß 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ausschließendes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung stand. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung ist Hilfebedürftigkeit im vorgenannten Sinne nicht nachgewiesen. Nach den Gesamtumständen geht der Senat davon aus, dass die Antragsteller über bisher nicht offenbartes Einkommen und Vermögen verfügen, aus dem sie ihren Lebensunterhalt sichern können. Bei den Antragstellern wurde im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen Bargeld iHv 16.300 € aufgefunden, deren Besitz die Antragsteller zuvor nicht angegeben haben. Eine glaubhafte Erklärung zur Herkunft dieses Betrages sind die Antragsteller schuldig geblieben. Es ist aus Sicht des Senats nicht vorstellbar, dass die Antragsteller dieses Geld aus den laufenden (lediglich existenzsichernden) SGB II-Leitungen angespart haben könnten. Auch der Umstand, dass die Antragsteller diese ungewöhnlich hohe Summe an Bargeld zuhause aufbewahrt haben, anstatt es beispielsweise sicher auf einem (allerdings im Kontenabrufverfahren ermittelbaren) Konto anzulegen, spricht gegen ein Ansparen des Bargelds aus laufenden Sozialleistungen. Vielmehr deckt sich diese hohe Bargeldsumme mit dem strafrechtlichen Vorwurf, der Antragsteller zu 1) erziele im Rahmen von unlizensierten Schattenbankgeschäften Gewinne und deklariere diese weder steuer- noch sozialrechtlich. Für letzteren Umstand sprechen auch ungeklärte Bargeldeingänge in 2021 über rund 3.600 € und Fremdgeldgeschäfte über mindestens 2.600 € in 2021 für die Familie D, denen selbst die Antragsteller Haupttäterschaft im strafrechtlichen Verfahren nachsagen. Auch der Lebensstil der Antragsteller, die im laufenden Leistungsbezug einen Pkw anschafften und unterhielten, zahlreiche Möbel kreditfinanziert und jüngst einen Umzug mit der Notwendigkeit von (so jedenfalls vorgetragen) neuen Einrichtungsgegenständen eigenständig finanzierten, spricht dafür, dass die Antragsteller erhebliche Einkünfte aus den J-Bankgeschäften des Antragstellers zu 1) erzielten bzw. hieraus noch über erhebliche, nicht angezeigte Vermögenswerte verfügen. Bereits in diesem Zusammenhang berücksichtigt der Senat zudem, dass der Antragsteller zu 1) zur Bestreitung seines Lebensunterhalts – angabegemäß – einen Betrag von 4.000,00 € erhielt. Dieser Umstand ist deshalb geeignet Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller zu erhärten, weil nicht nur ein Darlehensvertrag nicht vorgelegt werden kann, sondern eine Anschrift des genannten Darlehensgebers den Antragstellern nicht bekannt ist, vielmehr nur mitgeteilt werden könne, er lebe in Kuwait und reise „ein- bis max. zweimal pro Jahr für ca. 10 Tage nach Deutschland“. Nähere Erläuterungen etwa auch zur Motivation des Darlehensgebers, der weder dem Freundeskreis noch der Verwandtschaft der Antragsteller entstammt, sind den Antragstellern unerklärlicherweise nicht möglich gewesen.

Ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragsteller in den Bestand der zurückgenommenen Bewilligungsbescheide ist unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X nicht zu erkennen, denn die Rücknahme ist nur für die Zukunft erfolgt. Sofern den Antragstellern im Bewilligungszeitraum über die ihre Hilfebedürftigkeit gemäß §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ausschließendes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung stand, läge im Übrigen auch ein vertrauensschutzausschließender Tatbestand iSv § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nahe, der den Antragsgegner zudem gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 iVm 330 Abs. 2 SGB II von einer Ermessensausübung entbinden würde.

Auch die gebotene Interessenabwägung geht bei dieser Sachlage, die in nicht nachvollziehbarer Weise von einem die behauptete Existenzgefährdung nicht abbildenden fehlendem Bemühen um Substantiierung und Glaubhaftmachung geprägt ist, zu Lasten der Antragsteller aus. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte mit sich bringt. Es ist – nach dem bereits Gesagten – nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller sich aktuell in einer existenzbedrohenden Notlage befinden, wobei zu berücksichtigen ist, dass bei der diesbezüglichen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch solche Mittel Berücksichtigung finden, deren Inanspruchnahme im Rahmen der materiellen Prüfung des Anspruchs nicht eingefordert werden kann, die dem Antragsteller aber tatsächlich zur Beseitigung der Notlage zur Verfügung stehen, so etwa iSv § 12 Abs. 2 SGB II geschütztes Vermögen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 18.10.2019 - L 7 AS 1326/19 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 01.12.2017 - L 19 AS 2138/17 B ER, LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 14.03.2019 - L 7 AS 634/19 B ER). Zahlungsrückstände, die eine Energiesperre nach sich ziehen könnten, liegen aktuell nicht vor. Ein Ruhen des Krankenversicherungsschutzes wird nicht behauptet und glaubhaft gemacht. Die Kündigung und anschließende Räumungsklage hinsichtlich ihrer Wohnung haben die Antragsteller belegt. Insoweit spricht jedoch zur Überzeugung des Senats schon viel dafür, dass die Wohnungsnot von den Antragstellern „sehenden Auges“ herbeigeführt wurde. Die Antragsteller waren bis Dezember 2021 noch im laufenden Leistungsbezug, sodass der Lebensunterhalt und die Miete bis dahin sichergestellt waren. Zwar wurden die Leistungen ab Januar 2022 vorläufig eingestellt, jedoch hätten die Antragsteller jedenfalls in der Anfangszeit ihre Miete weiter zahlen können. Denn jedenfalls im Januar und Februar 2022 verfügten die Antragsteller – auch ohne Alg II – über ein monatliches Budget von (913 € Kindergeld, 150 € Elterngeld, 545 € Pflegegeld =) 1.608 €. Daneben haben sie nach eigenen Angaben am 07.01.2022 von Herrn E ein Freundschaftsdarlehen iHv 4.000 € erhalten. Bei einem Gesamtbedarf der sechsköpfigen Bedarfsgemeinschaft von 3.103,16 € (inklusive der Unterkunfts- und Heizbedarfe) hätten die Antragsteller mithin ihren Lebensunterhalt inklusive der Mietaufwendungen für Januar und Februar 2022 problemlos sicherstellen können. Gleichwohl haben sie sich dagegen entschieden und stattdessen u.a. weiterhin ihren Pkw angemeldet, was bei den behaupteten finanziellen Verhältnissen nicht nachvollziehbar erscheint. Deswegen und auch angesichts der familiären und kriminellen Verbindungen, teilweise ins Ausland, die durch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aufgedeckt wurden, geht der Senat derzeit nicht von einer nicht abwendbaren Obdachlosigkeit der Antragsteller aus. Vielmehr ist allein aus dem Umstand, dass der Antragsteller zu 1) nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen selbst als J-Zahlungsstelle fungiert hat, davon auszugehen, dass die Antragsteller weiterhin über erhebliche und bereite Mittel verfügen. Das kurzfristige Auftreiben eines Freundschaftsdarlehens über 4.000 € einer in Z lebenden, in Deutschland nur sporadisch auftauchenden Person, wenige Tage nach der vorläufigen Leistungseinstellung, verdeutlicht zudem, dass die Antragsteller in der Lage sind, schnell auf liquide Mittel zurückzugreifen. Der Senat hat angesichts des weit verzweigten Netzwerks des Antragstellers zu 1) keine Zweifel, dass dies auch in Zukunft möglich ist, was die Antragsteller auch nicht in Abrede gestellt haben.

Auffällig ist auch, dass die Antragsteller, die – soweit ersichtlich – voll erwerbsfähig und erwerbsberechtigt sind, keine Anstalten machen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben, um die von ihnen behauptete Not zu lindern. Der Antragsteller zu 1) hat einen Führerschein und ausweislich seiner eigenen Einlassung Erfahrung als Geschäftsmann und Dolmetscher für die arabische Sprache. Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitsmarkt für den Antragsteller zu 1) in einer wirtschaftlich gesunden Metropole wie M verschlossen wäre. Vor diesem Hintergrund spricht auch der Umstand, dass der Antragsteller sich nicht – jedenfalls nicht erkennbar – um eine (geringfügige) Beschäftigung bemüht, gegen das Ausmaß der von ihm behaupteten Hilfebedürftigkeit. Gleiches gilt für die verhältnismäßig junge Antragstellerin zu 2), die ausweislich ihrer Fiktionsbescheinigung über eine Arbeitserlaubnis nach § 2 Abs. 2 AufenthG verfügt.

Unabhängig davon ist zu konstatieren, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller für diese mit Schriftsatz vom 04.04.2022 beim Amtsgericht Düsseldorf (231 C 13/22) in der Räumungsangelegenheit bestellt hat. Damit ist die Räumungsklage den Antragstellern denknotwendig Anfang April 2022 zugestellt worden, weswegen eine nachträgliche Mietübernahme durch den Antragsgegner nach Ablauf der Zweimonatsfrist – unabhängig vom Charakter die Mietkündigung – die Rechtswirkungen des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (Unwirksamkeit der Kündigung) ohnehin nicht mehr herbeiführen könnte. Die Anfrage der Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 02.03.2022 nach einer Mietfortsetzung, haben die Rechtsanwälte der Vermieterin mit Schreiben vom 09.03.2022 als „unbeachtlich“ behandelt und eine entsprechende Einverständniserklärung nicht abgegeben. Mit einer zeitnahen Obdachlosigkeit der Antragteller ist überdies losgelöst von einem möglichen Räumungstitel angesichts der Geburt des jüngsten Kindes der Antragsteller zu 1) und 2) am 00.00.2022 und der Schwerbehinderung und Pflegebedürftigkeit des Antragstellers zu 4) unter entsprechender Anwendung von §§ 570, 765a ZPO in absehbarer Zeit zu rechnen. Auch deswegen erscheint es in der Abwägung der wechselseitigen Interessen zweckmäßig und geboten, zunächst die weiteren strafprozessualen Ermittlungen und Feststellungen im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Zudem haben die Antragsteller Gelegenheit ihre bisherigen Ausführungen zu prüfen, ggf. zu ergänzen und zu belegen.

Aus den dargelegten Gründen fehlt es auch an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Beschwerde, sodass der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen ist (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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