L 21 AS 738/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 13 AS 747/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 AS 738/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 19.5.2022 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren werden dem Antragsgegner auferlegt.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt N aus F beigeordnet.

 

Gründe:

 

I.

Streitig ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Gewährung von Arbeitslosengeld II in Höhe des Regelbedarfs ab 1.2.2022.

Der am 00.00.1978 geborene Antragsteller war bis 2011 mit Wohnsitz in R gemeldet. Seither hat er nach eigenen Angaben keine Wohnung mehr bezogen. Er ist ordnungsbehördlich nicht gemeldet. Jedenfalls seit 2016 steht er im laufenden Leistungsbezug bei dem Antragsgegner, der ihm bis 31.1.2022 monatlich Arbeitslosengeld II in Höhe des Regelbedarfs gewährte. Als Anschrift, unter der er erreichbar ist, hat der Antragsteller O-Straße 108, R, die Anschrift seines Vaters, angegeben. Die Leistungsbescheide und auch andere Schreiben des Antragsgegners enthielten im Adressfeld stets den Namen des Antragstellers und die Anschrift seines Vaters. Verschickt wurden alle Schriftstücke aber als Anlage eines an den Vater adressierten Schreibens mit dem Hinweis, dass dieser die anliegenden Dokumente in seiner Eigenschaft als „Vertreter“ des Antragstellers erhalte. Der Antragsteller besitzt einen von der Stadt R ausgestellten Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60 und Merkzeichen „G“.

Mit E-Mail vom 27.10.2021 informierte das Sozialamt den Antragsgegner von dem Eingang einer Anzeige gegen den Antragsgegner und dessen Vater. Der Vater erhalte auf sein persönliches Konto bei einer spanischen Bank Gelder von verschiedenen Bürgern. Der Antragsteller, den er als seinen Sohn vorstelle, unterstütze ihn dabei. Mit Schreiben vom 5.11.2021 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, zur Prüfung des Leistungsanspruchs seinen aktuellen Wohnsitz anzugeben, eine Meldebescheinigung vorzulegen, die Anlage VM auszufüllen und zu unterschreiben sowie die Kontoauszüge der letzten sechs Monate lückenlos vorzulegen. Der Antragsteller teilte mit Schreiben vom 19.11.2021 mit, er halte sich ständig unter der bekannten Adresse in R auf. Für die Ausstellung einer aktuellen Meldebescheinigung sei eine Gebühr von 9 € zu entrichten, deren Übernahme er nunmehr beantrage. Die gewünschten Kontoauszüge sowie Unterlagen seien beigefügt.

Am 20.12.2021 beantragte der Antragsteller die Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs für die Zeit ab 1.2.2022. Mit Schreiben vom 8.2.2022 lud der Antragsgegner den Antragsteller für den 17.2.2022 zur persönlichen Vorsprache mit Identitätsprüfung ein. Zudem müsse er seinen gewöhnlichen Aufenthalt unter der Anschrift O-Straße 108 in R nachweisen. Die postalische Erreichbarkeit sei kein Nachweis für den gewöhnlichen Aufenthalt. Es sei zu klären, wo er übernachte, warum er nicht melderechtlich angemeldet sei und wer sonst noch in der Wohnung in der O-Straße 108 lebe. Den Termin zur persönlichen Vorsprache nahm der Antragsteller wahr, legte aber keine weiteren Unterlagen vor. Mit Schreiben vom 22.2.2022 teilte er mit, er erfülle die Voraussetzungen des § 7 SGB II, da er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe. Ein fester Wohnsitz werde vom Gesetz nicht verlangt.

Mit Bescheid vom 9.3.2022 lehnte der Antragsgegner unter der Überschrift „Ablehnungsbescheid“ den Weiterbewilligungsantrag ab. Unter „Begründung“ führte er aus, der Wohnsitz/gewöhnliche Aufenthalt sei eine Anspruchsvoraussetzung. Nachweise dazu seien trotz Aufforderung zur Mitwirkung nicht erbracht worden. Der Wohnsitz / gewöhnliche Aufenthalt sei daher derzeit nicht bekannt. Der Hinweis auf die bisherige Leistungsgewährung und die Übersendung der Bescheide an die Anschrift O-Straße 108 reiche zum Nachweis nicht aus; damit sei nur die postalische Erreichbarkeit belegt. Hilfsweise werde der Anspruch auf Leistungen nach § 66 SGB I ganz versagt, da der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Dagegen legte der Antragsteller am 30.3.2022 Widerspruch ein, der noch nicht beschieden ist.

Bereits am 11.3.2022 hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG Köln gestellt und beantragt, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm Arbeitslosengeld II in Höhe des Regelbedarfs zu gewähren. Er sei zwar nicht unter der Anschrift O-Straße 108 in R gemeldet, überprüfe aber täglich die Post und sei damit jederzeit erreichbar. Diese Konstellation bestehe so schon seit Jahren und sei dem Antragsgegner bekannt. Der Antragsteller hat Kontoauszüge der Volksbank R eG seit Mai 2021 vorgelegt sowie eine Bestätigung der spanischen K S.A. vom 15.11.2021, dass es auf dem dortigen Konto seit dem 26.05.2021 keine Kontobewegungen gegeben habe sowie eine weitere Auskunft dieser Bank vom 22.3.2022, dass das Konto am 26.05.2021 eröffnet worden sei und der Saldo 0 € betrage. Die Kontoauszüge der Volksbank belegten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Stadtgebiet R. Er sei wohnungslos, lebe nicht mit dem Vater in einer Wohnung, übernachte aber gelegentlich dort, ganz überwiegend jedoch bei Freunden. Daher habe er auch seit 2016 keine Kosten der Unterkunft und Heizung beantragt. Derzeit übernachte er die überwiegende Zeit bei seinem Vater. Er lebe aktuell von Abhebungen aus der Vergangenheit, habe zwischenzeitlich auf der Grundlage eines Darlehensvertrags vom 6.3.2022 ein Darlehen in Höhe von 250 € von einer Freundin aus Prag erhalten, die sich in unregelmäßigen Abständen in R aufhalte, und bekomme gelegentlich Kost bei seinem Vater und bei Freunden. Jedes weitere Zuwarten zwinge ihn, Freunde um weitere finanzielle Zuschüsse anzubetteln. Dies sei im Lichte der Gesetzgebung des SGB II unwürdig. Die Überweisungen seines Vaters auf sein Konto hebe er direkt wieder ab und gebe sie seinem Vater in bar, da die DiBA Bank, bei der der Vater sein Konto unterhalte, keine Geldautomaten in der Nähe habe und die Abhebungen an fremden Automaten kostenpflichtig seien. Unter dem 26.4.2022 hat der Antragsteller an Eides statt versichert, derzeit in der Wohnung seines Vaters, O-Straße 108 in R, zu leben.

Der Antragsgegner ist der Auffassung gewesen, es möge zwar zutreffend sein, dass der  Antragsteller sich nachweislich in R aufhalte und postalisch erreichbar sei. Das alleine begründe aber noch keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen; ebenso wenig genüge, dass der Antragsgegner die unklaren Wohnverhältnisse über Jahre hingenommen habe. Es sei auch nicht nachgewiesen, wie der Antragsteller seinen Lebensunterhalt seit Februar 2022 sicherstelle. Eine Notlage sei nicht ansatzweise erkennbar. Der gewöhnliche Aufenthalt in R sei weder nachgewiesen noch glaubhaft dargelegt. Auf Grund der Umstände des Einzelfalls sei auch nicht glaubhaft, dass diese Übernachtungsplätze ausschließlich im Bereich der Stadt R lägen. Vielmehr lasse die Führung eines Kontos bei einer spanischen Bank und eine Darlehensgeberin aus dem europäischen Ausland sogar an dem gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik zweifeln. Es sei vielmehr wohl nur ein vorübergehendes Verweilen in R beabsichtigt. Der Vortrag zu Aufenthalt und Übernachtungen sei zudem widersprüchlich, da er mal überwiegend beim Vater, mal überwiegend bei Freunden lebe bzw. übernachte. Auch seien aus den Kontoauszügen Lebensmitteleinkäufe in H zu erkennen, das nicht zum Stadtgebiet R gehöre. Da über die Konten des Antragstellers derzeit keine Zahlungsgeschäfte des täglichen Bedarfs mehr abgewickelt würden, dränge sich die Vermutung auf, dass weitere Konten bestehen oder der Lebensbedarf anderweitig gedeckt werde. Es liege zudem keine ladungsfähige Anschrift des Antragstellers vor, so dass der Eilantrag unzulässig sei, weil es an dieser Sachentscheidungsvoraussetzung fehle.

Mit E-Mail vom 6.4.2022 hat das Sozialamt dem Antragsgegner mitgeteilt, dass keine Möglichkeit bestehe, den Sozialhilfebetrug des Vaters des Antragstellers nachzuweisen und dieser weiterhin Leistungen erhalte.

Mit Beschluss vom 19.5.2022 hat das SG den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig Regelbedarfsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11.3.2022 bis zum 31.7.2022, längsten jedoch bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 9.3.2022, zu gewähren. Ob ein Anordnungsanspruch bestehe, lasse sich wegen der summarischen Prüfung im Eilverfahren vorliegend nicht abschließend klären.  Weitere Ermittlungen seien im laufenden Widerspruchsverfahren nötig. Jedenfalls nach Durchführung einer Folgenabwägung seien die begehrten Leistungen aber wegen ihres existenzsichernden Charakters vorläufig zu gewähren.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 19.5.2022 erhobene Beschwerde des Antragsgegners. Der Antragsteller sei nicht ladungsfähig gemeldet. Er besitze keine Anschrift, an welche ordnungsgemäß zugestellt werden könne. Eine Anmeldung in einer Wohnung werde ohne erkennbaren Grund verweigert. Fehle aber eine ladungsfähige Anschrift, fehle auch eine Sachurteilsvoraussetzung für das Eilverfahren. Der Antrag sei damit als unzulässig zu verwerfen.

 

Der Antragsteller ist der Auffassung, die Wohnsitzmeldung dürfe leistungsrechtlich insbesondere dann nicht durch die Behörde vorausgesetzt werden, wenn aufgrund von Obdachlosigkeit oder Wohnungslosigkeit gar keine Pflicht und noch nicht einmal die Möglichkeit der Wohnsitzanmeldung bestehe. Diese materiell-rechtliche Aussage müsse auch auf die verfahrensrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen entsprechend angewandt werden, da ansonsten der Zugang zum Recht und zu den Gerichten für Personen ohne festen Wohnsitz ausgeschlossen oder erheblich erschwert sei. Zudem sei er anwaltlich vertreten, so dass Zustellungen auch dem Prozessbevollmächtigten gegenüber wirksam erfolgen könnten.

 

II.

Die nach § 172 Abs. 1 Satz 1 SGG vom Antragsgegner eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

 

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind vorliegend erfüllt, da der Antrag zulässig ist und der Antragsteller Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.

1. Der Antrag ist entgegen der Beschwerdebegründung nicht deshalb unzulässig, weil der Antragsteller nicht bei einer Meldebehörde angemeldet ist. Für die Zulässigkeit einer Klage oder eines Antrags im Eilrechtsschutz bedarf es keiner Anmeldung bei einer Meldebehörde, die nach § 17 Abs. 1 Bundesmeldegesetz ohnehin nur möglich ist, wenn eine Wohnung bezogen ist. Vielmehr ist die Benennung einer ladungsfähigen Anschrift ausreichend, unter der der Kläger / Antragsteller tatsächlich erreichbar ist (vgl. LSG NRW vom 14.2.2019 – L 19 AS 1398/18, Rn. 32 ff., juris). Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift dient auch zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit. Vorliegend bestehen keine Zweifel hinsichtlich der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift. Der Antragsteller ist für den Antragsgegner und für das Gericht unter der Anschrift O-Straße 108, R erreichbar, über die Wohnung seines Vaters. Diese Adresse verwendet der Antragsgegner auch seit Jahren auf den Bewilligungsbescheiden, die dem Antragsteller über seinen Vater als „Vertreter“ übersandt werden. Selbst wenn man mit dem Antragsgegner davon ausgeht, dass ohne Meldung die Zulässigkeitsvoraussetzung der ladungsfähigen Anschrift fehlt, ist der Antragsteller für das vorliegende Verfahren von einem Prozessbevollmächtigten vertreten, der auch zustellungsbevollmächtigt ist (vgl. zur Klage: Kühl, in: Fichte u.a., SGG, 2020, § 92 Rn. 9; LSG NRW vom 22.3.2012 - L 19 AS 2033/11 B, Rn. 19, juris; zur Anwendung der allgemeinen Grundsätze auch auf das Eilverfahren Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2020, § 86b Rn. 8b).

2. Der Antrag ist auch begründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen - § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG vom 12.5. 2005 – 1 BvR 569/05, Rn. 26, juris).

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind im Hinblick auf den allein streitigen Regelbedarf nach § 20 SGB II glaubhaft gemacht. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet haben und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben,

2. erwerbsfähig sind,

3. hilfebedürftig sind und

4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Alter und Erwerbsfähigkeit sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Hilfebedürftigkeit und den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und dort in R hat der Antragsteller durch seinen Vortrag und die vorgelegten Unterlagen glaubhaft gemacht.

Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern kann, § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II. Als Einkommen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen, die bereits nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. Als Vermögen sind gemäß § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen mit Ausnahme der in § 12 Abs. 3 SGB II genannten Posten. Der Antragsteller hat zwei Girokonten. Das Girokonto bei der spanischen Online-Bank K S.A. hat einen Saldo von 0 €. Das Girokonto bei der Volksbank R eG wies zum Zeitpunkt des Antrags auf Erlass der einstweiligen Anordnung ein Soll aus. Die letzte Regelleistung von 449 € hat der Antragsgegner am 30.12.2021 für Januar 2022 gezahlt. Seitdem sind keine Geldeingänge von Bedeutung mehr zu verzeichnen. Die Überweisungen durch seinen Vater und die zeitnahe Abhebung in gleicher Höhe hat der Antragsteller damit erklärt, dass es keinen der Wohnung des Vaters nahegelegenen Geldautomaten der DiBa Bank, bei der der Vater sein Konto unterhält, gibt, und er daher das überwiesene Geld abhebt und seinem Vater aushändigt. Dieser Vortrag ist anhand der Lage der Geldautomaten der DiBa Bank und der Wohnung des Vaters nachvollziehbar. In der Vergangenheit hat es zwar laut der Kontoauszüge von August bis November 2021 auch einmal monatlich Überweisungen des Vaters des Antragstellers zwischen 200 € und 450 € gegeben, die nicht unmittelbar wieder abgehoben worden sind. Sie betreffen aber nicht den streitigen Leistungszeitraum. Der Antragsteller hat neben der letzten Regelleistung für Januar 2022 noch ein Darlehen über 250 € einer Freundin aus Prag nachgewiesen sowie vorgetragen, Kost von Freunden erhalten zu haben. Anhaltspunkte dafür, dass er darüber hinaus über Einkommen oder Vermögen auf anderen Konten verfügt, sind nicht ersichtlich und vom Antragsgegner auch nicht konkretisiert worden. Allein die im Oktober 2021 gegenüber den Sozialbehörden der Stadt R im Hinblick auf den Vater des Antragstellers erfolgte Anzeige, dass dieser auf ein spanisches Konto Geldbeträge erhalte, die der Stadt nicht bekannt seien, ändert daran nichts. Zum einen waren die Geldeingänge alleine auf dem Konto des Vaters behauptet worden; zum anderen sind die Ermittlungen der Stadt eingestellt worden, weil dort keine Möglichkeit gesehen wurde, den angezeigten Sozialhilfebetrug nachzuweisen. Darüber hinausgehende Hinweise auf Änderungen in der Bedürftigkeit des Antragstellers, die der Antragsgegner seit 2016 durchgehend annimmt, sieht der Senat nicht. Die Ausführungen des Antragstellers zu seiner finanziellen Situation werden im Rahmen des Eilverfahrens als ausreichend erachtet. Für die Glaubhaftmachung genügt es, dass das Gericht das Vorliegen der behaupteten Tatsachen für überwiegend wahrscheinlich hält; bei mehreren in Betracht kommenden Möglichkeiten genügt es, wenn eine davon relativ am Wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Auflage 2020, § 128 Rn. 3d m.w.N.). So liegt der Fall hier. Dass der Antragsteller während des laufenden Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz durch sein soziales Umfeld Hilfe erhalten hat, ist für den streitgegenständlichen Zeitraum wahrscheinlicher, als dass es weitere unbekannte Konten oder anderes Vermögen gibt.

Auch der gewöhnliche Aufenthalt in der Stadt R ist glaubhaft gemacht. Für die Auslegung des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthalts“ in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB II ist auf § 30 SGB I zurückzugreifen (Leopold, in: jurisPK-SGB II, § 7 (Stand: 29.11.2021) Rn. 74). Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Der Antragsteller war bis 2011 in R gemeldet. Danach hat er als Adresse, unter der er erreichbar ist, die Wohnung seines Vaters, O-Straße 108, R, angegeben, an die der Antragsgegner seitdem die Post adressiert. Hinweise auf Probleme bei der Erreichbarkeit des Antragstellers unter dieser Adresse ergeben sich aus der Verwaltungsakte, die dem Senat für die Zeit ab 2018 vorliegt, nicht.  Es gibt auch vor dem Hintergrund der laufenden Kontobewegungen im Gebiet der Stadt R, die hier jedenfalls seit Mai 2021 nachgewiesen sind, keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller sich in R nur vorübergehend aufhalten würde. Weder eine Freundin aus Prag noch ein Konto bei einer spanischen Online-Bank, das ohne Kontobewegungen jedenfalls von Mai bis November 2021 keine Kontobewegungen aufwies und im März 2022 einen Saldo von 0 € hatte, geben einen Hinweis auf einen anderen Aufenthalt des Antragstellers, der im Übrigen neben einem Grad der Behinderung von 60 auch das Merkzeichen G innehat, das nur bei einer erheblichen Beeinträchtigung des schwerbehinderten Menschen im Straßenverkehr vergeben wird. Auch die Tatsache, dass Einkäufe in den der Wohnung des Vaters nahegelegenen Supermärkten Lidl und Netto erfolgt sind, die auf dem Stadtgebiet von H liegen, reicht alleine nicht aus, um einen gewöhnlichen Aufenthalt in R anzuzweifeln. Der Antragsteller hat zwar zum einen im Schriftsatz vom 11.3.2022 angegeben, wohnungslos zu sein, mit dem Vater nicht in einer Wohnung zu leben, auch nur gelegentlich dort zu übernachten und überwiegend bei Freunden im  Stadtgebiet R zu schlafen, und zum anderen unter dem 26.4.2022 an Eides statt versichert, derzeit in der Wohnung seines Vaters zu leben. Aber auch aus diesem (scheinbaren) Widerspruch – er kann seine Übernachtungsgewohnheiten im Laufe des Verfahrens und vor dem Hintergrund der Argumentation des Antragsgegners geändert haben -, ergeben sich keine Hinweise auf einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt als den in der Stadt R. Vielmehr lässt sich auch anhand der Verwaltungsakte nur auf einen gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers in R schließen. So hat dessen Vater dem Sozialamt der Stadt R gegenüber bspw. in 2018 angegeben, der Antragssteller halte sich regelmäßig bei Freunden in der S-Straße 54, R auf. Auch der Schwerbehindertenausweis ist von der Stadt R ausgestellt worden.

Soweit der Antragsgegner den Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen mit Bescheid vom 9.3.2022 abgelehnt hat, in der Begründung aber hilfsweise eine Versagung wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers ausspricht, erfordert dies keine weitere oder andere Prüfung des Senats. Die Leistungen sind abgelehnt worden, weil die Anspruchsvoraussetzungen aus Sicht des Antragsgegners nicht nachgewiesen waren; der Verfügungssatz und die Begründung lassen keine andere Auslegung zu. Auf die hilfsweise Begründung kommt es insoweit nicht an, da sie sich nicht in einem gesonderten Verfügungssatz niederschlägt.

Angesichts des glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs waren an das Bestehen eines Anordnungsgrundes keine allzu hohen Anforderungen mehr zu stellen, zumal vorliegend existenzsichernde Leistungen im Streit stehen.

Mithin war die Beschwerde zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).

5. Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114ff. ZPO.

 

Rechtskraft
Aus
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