L 14 R 348/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 120/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 348/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.
2. Zu den Voraussetzungen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung i.S. d. § 53 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Notwendigkeit eines kausalen Zusammenhangs.

 

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 10.05.2018 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und in diesem Zusammenhang auch das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Der 1965 geborene Kläger hat von 1985 bis 1990 Maschinenbau studiert und war anschließend von 1991 bis Oktober 2011 mit Unterbrechungen u.a. als Verkehrsingenieur bzw. in der Elektronikentwicklung tätig. In der Zeit vom 01.06.1998 bis 10.09.2010 sind von ihm keine Versicherungszeiten zurückgelegt worden. Seit 12.10.2011 war der Kläger nach einer Auseinandersetzung mit seinem letzten Arbeitgeber, seinen Angaben nach gab es dabei auch einen tätlichen Angriff durch diesen, arbeitsunfähig erkrankt. Im Anschluss an die Erkrankung war der Kläger arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld I. Vom 01.08.2012 bis 31.05.2015 stand er im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. In der Zeit von 20.09.2010 bis zum 22.07.2012 sind für ihn 23 Monate Pflichtbeiträge gespeichert.

Vom 11.09.2012 bis 30.10.2012 befand er sich zu einer Maßnahme der stationären Rehabilitation in Bad K. Die Entlassung erfolgte nach dem Entlassungsbericht vom 31.01.2012 mit einem Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden.

Am 16.12.2014 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Er verwies auf den Vorfall vom 12.10.2011, an dessen Folgen er weiterhin leide. Die Beklagte forderte daraufhin Unterlagen der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (im Folgenden BG) an, darunter das für das Sozialgericht Regensburg im Klageverfahren gegen die BG (Az.: S 5 U 108/13) erstellte nervenärztliche Gutachten von D vom 02.08.2013 (Blatt 109) und das im Klageverfahren gegen die AOK Bayern (Az.: S 2 KR 29/12) erstellte neurologische-psychiatrische Gutachten von E vom 04.06.2012. E kam darin nach Untersuchung des Klägers 30.05.2012 zu der Feststellung, dass dieser an einer Persönlichkeitsstörung mit zwanghaft-selbstunsicheren Zügen sowie einer längerdauernden depressiven Anpassungsstörung leide, aber nicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er sei vom 13.10.2011 bis 15.01.2012 nicht in der Lage gewesen, einer vollschichtigen Tätigkeit nachzugehen. Ab dem 16.01.2012 hätten nur noch qualitative Einschränkungen der geistig-psychischen Belastbarkeit bestanden. D stellte zur Frage des Unfallzusammenhangs fest, dass nach dem Ereignis vom 12.10.2011 für die Dauer von maximal einer Woche eine akute Belastungsreaktion eingetreten sei. Eine darüber hinaus andauernde posttraumatische Belastungsstörung bestehe nicht, allerdings eine länger andauernde Anpassungsstörung auf dem Boden der beim Kläger bestehenden ausgeprägten Persönlichkeitsstörung.

Vom 30.06.2014 bis 21.11.2014 befand sich der Kläger zur teilstationären Behandlung im Bezirksklinikum R. Nach dem Entlassungsbericht vom 17.12.2014 wurde der Kläger dort aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer mittelgradigen depressiven Episode und einer kombinierten und anderen Persönlichkeitsstörung behandelt.

Mit sozialärztlicher Stellungnahme vom 25.07.2016 stellte der Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie Z für die Beklagte die fest, dass ungeachtet der Frage einer posttraumatischen Belastungsstörung eine allgemeine psychische Minderbelastbarkeit offensichtlich sei und das klinische Bild mit einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden praktisch deckungsgleich. Dieser Zustand bestehe seit 16.12.2014 bis voraussichtlich 30.06.2019.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 11.08.2016 lehnte die Beklagte den Rentenantrag gleichwohl ab. Zwar sei der Kläger jedenfalls seit 16.12.2014 befristet voll erwerbsgemindert. Allerdings seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, weil im danach maßgeblichen 5-Jahreszeitraum vom 16.07.2007 bis 15.12.2014 lediglich 23 Monate an Pflichtbeiträgen statt der erforderlichen 36 Monate gegeben seien. Die Erwerbsminderung sei auch nicht durch einen Arbeitsunfall oder innerhalb von sechs Jahren nach einer Ausbildung eingetreten.

Im dagegen erhobenen Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, sein früherer Arbeitgeber habe in der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht den Vorwurf der Vorerkrankung nicht mehr aufrechterhalten. Er legte die Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 13.10.2016 vor, in der die Beteiligten sich in der arbeitsgerichtlichen Sache geeinigt haben. Der frühere Arbeitgeber des Klägers hat sich darin auch verpflichtet, gegenüber der BG nicht zu erklären, dass der Kläger eine psychische Erkrankung im Vorfeld des Beschäftigungsverhältnisses gehabt habe bzw. eine solche Äußerung ggf. zu widerrufen. Nun müssten die Entscheidungen der BG, so der Kläger, überprüft werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit seiner Klage zum Sozialgericht Regensburg hat der Kläger auf die im Rechtsstreit gegen die AOK erstellten Gutachten der E und des R hingewiesen. E beschreibe Einschränkungen und R habe erhebliche Auffälligkeiten festgestellt. Das Sozialgericht Regensburg hat daraufhin die Klageakte mit dem Az: S 2 KR 92/12 beigezogen und R1, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. R1 hat den Kläger am 16.01.2018 untersucht und anschließend vom Kläger nach der Begutachtung noch vorgelegte schriftliche Unterlagen ausgewertet, darunter den Befundbericht des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie L vom 12.03.2013. Daneben auch ein Schreiben des Geschäftsführers des früheren Arbeitgebers des Klägers vom 30.11.2016, in dem dieser gegenüber der BG klargestellt hat, dass von ihm eine irgendwie geartete Aussage über den geistigen/psychischen Gesundheitszustand des Klägers zu keinem Zeitpunkt getroffen worden sei oder getroffen werden sollte. Sollten unwissentlich bei einem der Telefongespräche entsprechende Äußerungen getroffen worden sein, würden diese vorsorglich widerrufen, da er wieder Psychologe noch Arzt sei und folglich den psychischen Zustand eines Menschen nicht beurteilen könne.
In seinem Gutachten vom 04.02.2018, das auch eine Untersuchung des Klägers am 16.01.2018 mit einbezieht, hat R1 als wesentliche Gesundheitsstörungen festgestellt:

* Persönlichkeitsstörung, kombiniert.
* Zustand nach depressiver Anpassungsstörung nach Arbeitsplatzkonflikt
* blande Angststörung (Panikstörung), Somatisierungsstörung.

Der Kläger sei im psychopathologischen Befund zwar hinsichtlich seiner Persönlichkeit auffällig gewesen, allerdings ohne erhebliche Alterationen oder erkennbare depressive Verstimmungen. Die im Vordergrund stehende kombinierte Persönlichkeitsstörung würde in einem entsprechend günstigen beruflichen Umfeld keine Leistungsminderung begründen, weswegen dem Kläger sowohl in seinem bisherigen Beruf als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt insbesondere in einem günstigen verständnisvollen beruflichen Umfeld ohne Zweifel noch Tätigkeiten im Umfang von mehr als sechs Stunden arbeitstäglich zugemutet werden könnten.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20.03.2018 erklärt, dass sie ungeachtet der Feststellungen von R1 an ihrer ärztlichen Feststellung vom 25.07.2016 festhalte. Beim Kläger bestehe seit Jahren nicht nur eine psychiatrische Multimorbidität, sondern auch ein manifestes und überdauerndes psychopathologisches Leidensbild mit vornehmlich affektiv-emotionalen Ausprägungen.

Der Kläger hat in seinem Schreiben vom 20.03.2018 geltend gemacht, dass die Voraussetzungen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung aufgrund des Arbeitsunfalls gegeben seien und beantragt, das Rentenverfahren bis zur Entscheidung im Unfallstreitverfahren (Az.: S 1 U 270/16) auszusetzen.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.05.2018 hat das Sozialgericht Regensburg die Klage dennoch abgewiesen. Es ging von einer mehr als sechsstündigen Leistungsfähigkeit des Klägers aus und bezog sich zur Begründung auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen R1. So bestehe beim Kläger zwar eine persönlichkeitsbedingte erhöhte Vulnerabilität, welche infolge eines akzentuierten Arbeitsplatzkonfliktes eine depressive Anpassungsstörung begünstigt habe. Solche Anpassungsstörungen würden per definitionem bis zu einem Zeitraum von zwei Jahren andauern. Zumindest nach dem Untersuchungseindruck habe sich die depressive Störung tatsächlich gebessert und könnte weitgehend - zumindest auf der psychopathologischen Befundebene - als erscheinungsfrei angesehen werden. Geblieben wären beim Kläger eine blande Angststörung und Somatisierungsstörung, bei welcher sich kein funktionelles Korrelat ergebe. Zwar sei dadurch die psychomentale Belastbarkeit des Klägers leicht bis mittelschwer eingeschränkt, was aber eine zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens aus psychiatrisch gutachterlicher Sicht nicht begründe. Die Leistungseinschätzung von R1 werde durch die Stellungnahme von E im Gutachten vom 04.06.2012 bestätigt. Wieso Z in seiner Stellungnahme vom 25.07.2016 zu der Auffassung komme, dass beim Kläger eine rentenrelevante Leistungseinschränkung zumindest ab Antrag (16.12.2014) vorliege, erschließe sich dem Gericht nicht. Das Gericht sei der Auffassung, dass der Kläger noch sechs Stunden und mehr Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei gewissen Einschränkungen (Tätigkeiten ohne besondere Ansprüche an die nervliche Belastbarkeit, Zeitdruck, regen Publikumsverkehr) ausüben könne. Damit könne der Kläger für die Zukunft weiterhin dafür sorgen, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bezüglich eines evtl. künftigen Rentenantrags erfüllt werden.

Mit seiner gegen den Gerichtsbescheid erhobenen Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, dass er erwerbsgemindert sei und sich der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aus der vorzeitigen Erfüllung der Wartezeit bei Vorliegen eines Arbeitsunfalles ergebe. Er legte den Bescheid der BG vom 08.10.2014 über die Anerkennung des Arbeitsunfalles am 12.10.2011 vor. Dabei wurde der Unfall als folgenlos ausgeheilt bezeichnet.

Der Senat hörte wegen der Vorfrage von Unfallfolgen den Kläger mehrfach zum Ruhen des Verfahrens an. Ein Ruhen des Verfahrens kam jedoch nicht zustande, da der Kläger diesem nicht zustimmte.

Das vom Kläger parallel geführt Verfahren gegen die BG ist mittlerweile abgeschlossen. Streitig war dabei, ob die derzeit bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers durch den Arbeitsunfall verursacht worden sind, oder ob eine Vorschädigung vorgelegen hat. Die beim 3. Senat des BayLSG (Az: L 3 U 367/18) anhängige Berufung war mit Urteil vom 20.01.2020 zurückgewiesen worden. Die vom Kläger erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (Az: B 2 U 43/20 B) wurde vom BSG mit Beschluss vom 27.10.2021 verworfen.

Der Senat forderte den neuesten Versicherungsverlauf des Klägers an, der von der Beklagten mit Schreiben vom 19.11.2021 übersandt worden ist. Aus dem Versicherungsverlauf ist ersichtlich, dass zwischen dem 31.05.1997 und dem 20.09.2010 eine Lücke besteht, in der keine Versicherungszeiten enthalten sind. Vom 20.09.2010 bis 22.07.2012 hat der Kläger Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt (23 Kalendermonate). Der Versicherungsverlauf endet am 31.05.2015 mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II. Derzeit lebt der Kläger von einer privaten Berufsunfähigkeitsrente.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 21.12.2021, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.01.2022 zu vertagen, da er gegen den Beschluss des BSG, Az B 2 U 43/20 B, Verfassungsbeschwerde (Az: AR 9486/1) erhoben habe. Das hier anhängige Verfahren sei deshalb nach §114 SGG auszusetzen. Desweitern fordere er folgende Beweismittel an:

"1. Protokoll der Baubegehung durch die Aufsichtsperson des Gewerbeaufsichtsamtes Regensburg, Herrn P auf der Baustelle Erweiterung Kondensatreinigungsanlage A Straße, S des Zweckverbands Müllverwertung S (ZMS). Meine Meldung zur Absturzgefahr des Baugerüsts, war am    Donnerstag 13.10.2011 am späten Nachmittag, und wurde weitergeleitet, es ist zu erwarten, dass am Freitag die Kontrolle, mindestens des Prüfprotokolls Gerüst stattfand, wenn GAA Regensburg kurzfristig auf Gefahrenmeldungen reagiert. Am Freitag 14.10.2011 waren Mitarbeiter der Abteilung Bauwesen im Außendienst.

2. Ergebnis der Kontrolle der Rundtaktmaschine bei dem Nachfolger der T GmbH der H GmbH I Straße, D. Wurden Hinweisschilder zur Brandgefahr angebracht, würden für die Maschine Löschmittel bereitgestellt, Löschdecke, die Mitarbeiter an der Maschine für die Ausnahmesituation geschult, sind Wareneingangsprüfungen zu dem Brandverhalten des Werkstoffes vorgesehen worden? Wegen dieser Forderung wurde Herr H tätlich.

3. Vorlage der Gefährdungsbeurteilung des Arbeitgebers für meinen Arbeitsplatz bzw. meine Tätigkeiten auch auf der Baustelle.

Die Beweismittel sind bis 3.1.2022 vorzulegen, um mich auf die Verhandlung auch vorbereiten zu können."

Der Senat teilte dem Kläger mit Schreiben vom 28.12.2021 mit, dass die Sitzung stattfinden werde, da über das weitere Vorgehen im Verfahren gesprochen werden müsse.

In der mündlichen Verhandlung machte der Kläger umfangreiche Ausführungen zu seiner Ansicht, dass bei ihm die medizinischen Voraussetzungen einer Posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD 10 vorliegen würden. Die bisherigen Gutachter, insbesondere D, hätten dies nicht erkannt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 10.05.2018 sowie den Bescheid vom 11.08.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24.01.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung ab Oktober 2011 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Regensburg für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts, der Beklagten und der Akten aus dem Unfallversicherungsverfahren Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung zu.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 10.05.2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 11.08.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24.01.2017 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger ist nach Überzeugung des Senats zumindest in der Zeit vom 16.12.2014 bis 15.01.2018 als erwerbsgemindert anzusehen. Dies ergibt sich für den Senat aus den Feststellungen der Beklagten in Zusammenschau mit dem Gutachten des R1 vom 04.02.2018 und der E vom 04.06.2012 sowie maßgeblich des Rehaentlassungsberichts vom 31.10.2012 aus der stationären Rehabilitation in Bad K.
E entnahm den Angaben des Klägers bei ihrer Untersuchung, dass sich die psychische Befindlichkeit nach dem Arbeitsunfall allmählich besserte. Zusätzliche Traumatisierungen seien nicht mehr aufgetreten. Der Kläger habe im weiteren Verlauf auch keine medikamentöse Behandlung, keine stationäre psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung oder andere intensiviere Maßnahmen benötigt. Obwohl der Kläger auch in der aktuellen Untersuchung die bekannte, zwanghafte Persönlichkeitsstörung mit Selbstunsicherheit gezeigt habe, habe es keine höhergradige Depressivität oder Angst/Panikstörung gegeben, welche zu einer relevanten Beeinträchtigung führen könnte. Es liege weiterhin die vom aktuell behandelnden Psychiater gestellte Diagnose einer Anpassungsstörung vor.
Der Kläger wurde am 30.10.2012 aus der o.g. Reha mit einem positiven Leistungsvermögen für mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entlassen. Gleichwohl war eine mögliche Integrierbarkeit des Klägers, dessen Zusammenarbeit im Team mit Vorgesetzten und Kollegen aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur deutlich erschwert sei, nicht sicher vorhersagbar. Der Kläger benötige einen möglichst eigenverantwortlichen Arbeitsplatz. In diese Richtung gehend, versteht der Senat auch die Einschätzung von R1, der ebenfalls eine mehr als sechsstündige regelmäßige tägliche Arbeitsleistung annahm, dies jedoch nur in einem günstigen, verständnisvollen beruflichen Umfeld.
Aus dem Entlassungsbericht ergibt sich auch, dass der Kläger dort angegeben hat, dass er insbesondere dann unter den Belastungen leide, wenn er sich im örtlichen Umfeld des letzten Arbeitsplatzes aufhalte insbesondere davor, dem ehemaligen Chef wieder zu begegnen. Weiterhin Bestehe ein erheblicher Leidensdruck durch die immer wieder neu einzuleitenden Bewerbungen und beruflichen Versuche sowie nicht abgeschlossene gerichtliche Auseinandersetzung mit dem letzten Arbeitgeber. Zum Rehabilitationsverlauf ist dem Entlassungsbericht ausgeführt, dass ich im bisherigen beruflichen Weg des Klägers eine immer wieder nur kurzzeitig ausgeübte Berufstätigkeit zeige. Auch der zuletzt innegehabte Arbeitsplatz habe nur ca. ein Jahr ausgeübt werden können. Eine wirkliche Integration in ein berufliches Team oder in einem ineinander arbeitenden Tätigkeitsbereich dürfte für den Kläger aufgrund der komplexen und komplizierten Persönlichkeitsstruktur nur schwer möglich sein bzw. vom Gegenüber nicht hingenommen werden. Die Wahrscheinlichkeit, eine längerfristige berufliche Anstellung in Vollzeit zu finden und über längere Zeit, über Jahre zu halten, sei höchst fraglich. Der Kläger wirke gleichzeitig intellektuell intelligent, habe nach eigenen Angaben bereits mehrere Patente, sodass eine Tätigkeit in Einzelarbeit ohne größere Störungen von außen durchaus vorstellbar ist.

Begründet wird die durchgehende Erwerbsfähigkeit des Klägers von R1 auch mit der Einschätzung von E im Gutachten vom 04.06.2012. Hierzu ist anzumerken, dass mit dieser Begutachtung über zwei Jahre vor dem möglichen Eintritt der Erwerbsminderung eine zumindest am 16.12.2014 bestehende Erwerbsminderung nicht verneint werden kann. Die Annahme der Beklagten durch Z, dass der Kläger offensichtlich eine allgemeine psychische Minderbelastbarkeit aufweise, ist für den Senat nachvollziehbar, so dass zumindest von einer Leistungsminderung des Klägers ab dem 16.12.2014 auszugehen ist und diese auf jeden Fall bis zur Begutachtung bei R1 vorgelegen hat.
Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung scheitert jedoch an den fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Da der Kläger zum Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt, Ist § 43 Abs. 5 SGB VI zu prüfen. Nach § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist. Insofern verweist diese Vorschrift auf § 53 SGB VI, wonach die allgemeine Wartezeit aufgrund verschiedener Tatbestände vorzeitig erfüllt sein kann, von denen vorliegend allein § 53 Abs. 1 S. 1 Nr.1 SGB VI in Betracht kommt.
Im vorliegenden Fall kann die allgemeine Wartezeit nur dann vorzeitig erfüllt sein, wenn der Kläger wegen eines Arbeitsunfalls vermindert erwerbsfähig geworden ist. Die in § 53 Abs. 1 S. 2 SGB VI genannten weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Wartezeiterfüllung gelten indessen im Rahmen von § 43 Abs. 5 SGB VI nicht, da dieser nur auf die Verwirklichung eines in § 53 SGB VI genannten Tatbestands, nicht aber auf die weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in dieser Vorschrift verweist (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 2005, B 13 RJ 40/04 R = SozR 4-2600 § 43 Nr. 6).

Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI liegen jedoch nicht vor. Zwar ist erwiesen, dass der Kläger am 12.10.2011 während seiner Tätigkeit einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB VII erlitten hatte. Allerdings führte dieser Arbeitsunfall nicht zur verminderten Erwerbsfähigkeit, was zwingend notwendig ist.

Aus der Formulierung "wegen" in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 SGB VI folgt, dass die verminderte Erwerbsfähigkeit des Versicherten ursächlich auf dem schädigenden Tatbestand beruhen muss. Der insoweit erforderliche Kausalzusammenhang ist auch im Rentenversicherungsrecht nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1974, 5 RKn 38/73 = SozR 2600 § 45 Nr. 6; BSG, Urteil vom 3. Oktober 1979, 1 RA 77/78 = SozR 2200 § 1251 Nr. 69; BSG, Urteil vom 18. Dezember 1986, 4a RJ 9/86 = BSGE 61, 113; BSG, Urteil vom 25. Februar 1992, 5 RJ 34/91 - juris). Danach ist diejenige Bedingung als ursächlich anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Bedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 1982, 5a RKnU 3/82 = BSGE 54, 184). Abzustellen ist dabei auf die wesentliche Ursache im jeweiligen Einzelfall. Es genügt hierbei wie in der Unfallversicherung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich (vgl. KassKomm/Gürtner, 116. EL September 2021, SGB VI § 53 Rdnr. 5).

Die verminderte Erwerbsfähigkeit des Klägers beruhte im Sinne einer wesentlichen Bedingung nicht auf dem Arbeitsunfall, der sich am 12.10.2011 ereignet hatte. Das ergibt sich für den Senat aus einer Gesamtschau der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten, insbesondere aus dem Reahentlassungsbericht vom 31.10.2012 sowie den im Krankenversicherungsstreit eingeholten Gutachten von E und dem Gutachten von R1, welches in der ersten Instanz der Rentenstreitsache eingeholt worden war. Die von der BG anerkannte akute Belastungsreaktion nach dem Arbeitsunfall führte nicht zu einer überdauernden Leistungsminderung. Hierzu schließt sich der Senat den überzeugenden Ausführungen im Urteil des des BayLSG an und hebt ebenso hervor, dass hinsichtlich der sich im Laufe der Zeit entwickelnden depressiven Anpassungsstörung nicht angenommen werden kann, dass diese im Wesentlichen auf den Unfall zurückzuführen ist. Die nach dem Arbeitsunfall erfolgte Kündigung seitens des Arbeitgebers hat zu arbeitsgerichtlichen und finanzgerichtlichen Verfahren geführt und der Kläger hat weiterhin Sorge, wegen Verstößen gegen Arbeitsschutzvorschriften von der BG in Haftung genommen zu werden, sollte sich jemand verletzen. Zu erwähnen sind weiter die sozialrechtlichen Streitverfahren wegen Krankengeld, Anerkennung einer MdE sowie nicht zuletzt der hier streitige Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Es gab daher in der Zeit nach dem Arbeitsunfall erhebliche Belastungsfaktoren, die von den Gutachtern als den Kläger massiv belastend eingestuft werden. E schildert den beruflichen Misserfolg des Klägers angesichts der früheren beruflichen Misserfolge als entscheidende psychische Belastung. Die Gesamtproblematik habe beim Kläger zu zunehmenden panikartigen Ängsten, Unruhezuständen etc. geführt. Bereits im Entlassungsbericht der Rehmaßnahme vom 31.10.2012 wird auf den erheblichen Leidensdruck des Klägers im Zusammenhang mit der noch nicht abgeschlossenen gerichtlichen Auseinandersetzung mit seinem früheren Arbeitgeber hingewiesen. Dies alles sind krankheitsaufrechterhaltende Faktoren, die in kurzer Zeit gegenüber dem Unfallereignis in den Vordergrund getreten sind und wesentliche Ursache für die Aufrechterhaltung der psychischen Probleme und Entwicklung der Anpassungsstörung bzw. Depression des Klägers waren. Daher hat sich nach dem Unfall, auf dem Boden einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und unsicheren Anteilen, die Leistungsfähigkeit des Klägers durch das Hinzutreten einer mittelgradigen depressiven Episode derart verringert, dass diese unter die Sechsstundengrenze gefallen ist.
Demnach bestand zwischen dem 13.10.2011 und dem 15.01.2012 eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Arbeitsunfalls. Überdauernde Einschränkungen sind aber nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Auch der Kläger selbst stellte erst am 16.12.2014 einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Zeitnah zum Arbeitsunfall und der sich daraus ergebenden Arbeitsunfähigkeit befand er sich vom 11.09.2012 bis 30.10.2012 in einer Rehamaßnahme. Die Entlassung erfolgte laut Entlassungsbericht vom 31.01.2012 mit einem Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden. Auch die Sachverständige E kam in ihrem Gutachten vom 04.06.2012 zu der Einschätzung, dass beim Kläger ab dem 16.01.2012 keine quantitative Leistungseinschränkung mehr vorliege.

Die von der Beklagten angenommene Leistungsminderung ab dem 16.12.2014 ist nach alledem nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen und konnte daher auch nicht zu einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung führen.

Aufgrund der fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und der Tatsache, dass der Kläger nach dem aktuellen Versicherungsverlauf keine weiteren einschlägigen Versicherungszeiten erworben hat, war eine aktuelle Begutachtung des Klägers nicht veranlasst. Daher kommt es im vorliegenden Verfahren auch nicht darauf an, ob wie R1 meint, der Kläger in einem günstigen verständnisvollen beruflichen Umfeld noch mehr als 6 Stunden täglich leistungsfähig ist oder durchgehend eine Erwerbsminderung vorliegt. Bevor der Kläger die allgemeine Wartezeit nicht erneut erfüllt hat, spielt sein aktuelles Leistungsvermögen keine Rolle.

Der Termin war nicht wegen des Antrags des Klägers, auf Beiziehung von weiteren Beweismitteln abzusetzen. Die vom Kläger als Beweismittel angegebenen Unterlagen und Zeugen, haben nichts mit der Frage zu tun, ob der Arbeitsunfall zu überdauernden Gesundheitseinschränkungen des Klägers geführt hat, die ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Die vorliegenden Gutachten, auf die sich der Senat insbesondere stützt, wurden vom Kläger selbst in das Verfahren eingeführt und sind daher verwertbar. Die Frage, ob sich aufgrund der Feststellungen von E eine Erwerbsminderung ergibt oder nicht, kann der Senat in Zusammenschau mit dem Gutachten von R1 sowei des Entlassungsberichts beantworten. Im Grunde bedarf es dazu das Gutachten von D gar nicht. Es wäre sogar möglich, mit R1 ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen anzunehmen, so dass es auf die vorzeitige Wartezeiterfüllung gar nicht mehr ankommt. Deshalb braucht auch der Ausgang der anhängigen Verfassungsbeschwerde nicht abgewartet zu werden.

Die Berufung war daher wie geschehen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht erfolgreich gewesen ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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