S 9 SO 2322/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2322/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1183/22
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Sozialhilfeberechtigte in stationären Einrichtungen haben Anspruch auf eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro aus Anlass der COVID-19-Pandemie im Mai 2021. Dies gilt unabhängig davon, ob sie aufgrund der gesetzlich gebotenen Reihenfolge der Einkommensanrechnung ausschließlich Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII oder auch auf Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt gemäß § 27b Abs. 1 SGB XII haben.

2. Bestand im Mai 2021 Anspruch auf den weiteren notwendigen Lebensunterhalt nach § 27b Abs. 2-4 SGB XII, ergibt sich dies aus § 144 SGB XII. Andernfalls ist die stationäre Hilfe zur Pflege nach § 65 SGB XII für Mai 2021 um diesen Betrag zu erhöhen.

 

 

  1. Der Bescheid der Beklagten vom 08.06.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 wird aufgehoben.

 

  1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis 30.06.2021 eine weitere Zahlung von 150,00 €

zu gewähren.

 

  1. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

 

  1. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über eine Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie nach § 144 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII).

 

Der am xxx geborene Kläger lebt vollstationär in einem Pflegeheim. Er hat Einkommen in Form xxx. Der Kläger erhält ferner Leistungen der Pflegeversicherung. Da sein Einkommen die Pflegeheimkosten nicht deckt, bezieht er von der Beklagten Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII in Form der Übernahme der Aufwendungen für das Pflegeheim unter Festsetzung einer Eigenleistung und den Barbetrag sowie die Bekleidungspauschale nach § 27b Abs. 2 bis 4 SGB XII, die auf das Taschengeldkonto des Pflegeheims überwiesen werden. Die Leistungen wurden ursprünglich mit bindendem Bescheid vom 15.12.2014 bewilligt; Eigenleistung, Barbetrag und Bekleidungspauschale wurden vor dem streitgegenständlichen Zeitraum zuletzt mit Änderungsbescheiden vom 14.12.2020 und 26.01.2021 festgesetzt (Barbetrag 120,42 €, Bekleidungspauschale 23,00 € monatlich).

 

Mit Schreiben seines Betreuers vom 08.06.2021 beantragte der Kläger eine COVID-19-Einmalzahlung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.06.2021 ab. Berechtigt seien nur Erwachsene mit eigenem Anspruch auf Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt. Nicht berechtigt seien Personen wie der Kläger mit ausschließlichem Anspruch auf Hilfe zur Pflege. Dagegen erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 14.06.2021 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, die Hilfe zum Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen sei Teil der Hilfe zur Pflege. Daher sei der Zuschlag nach § 144 S. 2 SGB XII mit dem Barbetrag auszuzahlen.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Gemäß § 144 S. 1 SGB XII erhielten Leistungsberechtigte, denen für den Monat Mai 2021 Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII gezahlt würden, und deren Regelsatz sich aus der Regelbedarfsstufe 1, 2 oder 3 der Anlage zu § 28 SGB XII ergebe, für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021 zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen eine Einmalzahlung in Höhe von 150,00 €. Leistungsberechtigten, für die die Regelbedarfsstufe 3 gelte, sei die Leistung zusammen mit dem Barbetrag auszuzahlen (§ 144 S. 2 SGB XII). Die Voraussetzungen des § 144 SGB XII seien kumulativer Art. Der Kläger müsse also sowohl Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII beziehen als auch müsse sein Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1, 2 oder 3 der Anlage zu § 28 SGB XII zu bemessen sein. Beim Kläger sei dies nicht der Fall. Sein Bedarf für Leistungen des 4. Kapitels SGB XII aus § 42 Nr. 1, Nr. 4 b, § 27b Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XII betrage 357,00 € als Regelbedarf (Regelbedarfsstufe 3 der Anlage zu § 28 SGB XII) zuzüglich der pauschalen Unterkunftskosten aus § 27b SGB XII in Höhe von 468,00 €. Es ergebe sich damit ein Bedarf der Grundsicherung in Höhe von 825,00 €. Der Bedarf für Leistungen des 3. Kapitels SGB XII aus § 27b Absätze 2, 3 Nr. 1 SGB XII betrage 23,00 € als Bekleidungsbeihilfe zuzüglich des Barbetrages in Höhe von 120,42 €. Es ergebe sich also ein Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 143,42 €. Der Gesamtbedarf des Klägers für Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII belaufe sich mithin auf 968,42 €. Dem stehe ein einzusetzendes Einkommen des Klägers im Mai 2021 von 1.179,54 € gegenüber (Altersrente 615,46 €, Hinterbliebenenrente 107,88 €, italienische Rente 132,20 €, Wohngeld 324,00 €). Damit decke das einzusetzende Einkommen die Bedarfe nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII vollständig ab. Der Kläger habe folglich keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII, sondern ausschließlich nach dem 7. Kapitel des SGB XII.

 

Dagegen erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 26.07.2021 Klage zum Sozialgericht Freiburg.

 

Der Kläger trägt vor, er erhalte entgegen den Ausführungen des Beklagten neben der Hilfe zur Pflege auch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Soweit er die reinen Pflegeheimkosten nicht selbst bezahlen könne, ergebe sich sein Anspruch aus § 65 SGB XII. Darüber hinaus habe er Anspruch auf den notwendigen Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen nach § 27b Abs. 1 S. 2 und 2 SGB XII. Der Beklagte erbringe den notwendigen Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen nach § 27b Abs. 1 S. 2 SGB XII nicht als Geldleistung, sondern als Sachleistung. Der notwendige Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen umfasse die maßgebende Regelbedarfsstufe, die pauschalierten Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Sozialhilfeträgers und bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen eventuelle Mehrbedarfe. Bei dem sich daraus ergebenden Betrag handele es sich nicht um eine auszuzahlende Leistung, sondern um einen Rechenbetrag zur Bestimmung der Höhe der für den Lebensunterhalt einzusetzenden eigenen Mittel. Hintergrund dafür sei hier das vollständige Einbringen des eigenen Einkommens, also auch der Pflegeversicherungsleistungen. Damit aber dem Leistungsberechtigten trotzdem finanzielle Mittel zur Verfügung stünden, würden bei Aufenthalt in einer stationären Einrichtung für den weiteren notwendigen Lebensunterhalt von der Sozialhilfe Geldleistungen für Bekleidung und ein angemessener Barbetrag gewährt. Der genannte Barbetrag - früher auch als „Taschengeld“ bezeichnet - stehe für persönliche Bedürfnisse zur Verfügung und belaufe sich für volljährige Leistungsberechtigte auf mindestens 27% der Regelbedarfsstufe 1. Als Geldleistung würden dementsprechend immer nur der Barbetrag und die Bekleidungspauschale als weiterer notwendiger Lebensunterhalt an den Kläger über sein Taschengeldkonto ausgezahlt.

 

Insoweit, so der Kläger weiter, seien die Wörter „gezahlt werden“ in § 144 SGB XII missverständlich, da bei Personen in stationären Einrichtung der Regelbedarf nach Stufe 3 nicht gezahlt werde, sondern nur eine Rechenposition bei den Pflegeheimkosten darstelle. Das ändere aber nichts daran, dass dem Kläger die Bedarfe nach § 27b Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 3 erbracht würden und daher der Anspruch auf die Sonderzahlung nach § 144 SGB XII bestehe. Anders als die Beklagte meine, sei Voraussetzung für die Sonderzahlung nicht, dass nur bezogen auf den Bedarf nach § 27b Abs. 1 S. 2 SGB XII ein ungedeckter Bedarf verbleibe. Sondern es sei ausreichend, dass der Bedarf, der in stationären Einrichtungen durch die Einrichtung erbracht werde, als Teil der Bedarfsberechnung berücksichtigt werde und der Gesamtbedarf, der sich aus der Hilfe zur Pflege und der Hilfe zum Lebensunterhalt zusammensetze, nicht ausreichend durch Einkommen gedeckt sei.

 

Dass sich für die Beklagte kein Anspruch des Klägers nach dem 3. Kapitel errechne, liege nur daran, dass sie zunächst den Bedarf nach dem 3. Kapitel des SGB XII und erst danach den Bedarf nach dem 7. Kapitel des SGB XII berechne. Wenn man dagegen erst den Bedarf nach dem 7. Kapitel berechne, verbleibe kein Einkommen, das man noch auf die Leistungen nach dem 3. Kapitel anrechnen könne. Es wäre aber mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz unvereinbar, wenn der Kläger - nur, weil er über eigenes Einkommen über 712,12 € verfüge - den Zuschlag nicht erhalten würde, eine Person, die über kein Einkommen verfüge, den Zuschlag jedoch erhalten könne, obwohl sich beim Bedarf und dem Gesamteinkommen ansonsten überhaupt kein Unterschied ergebe.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Bescheid der Beklagten vom 08.06.2021 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis 30.06.2021 eine Sonderzahlung von 150,00 € zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Dass der Regelbedarf des Klägers nach Regelbedarfsstufe 3 zu bemessen sei, sei unstreitig. Streitig sei lediglich, ob dem Kläger Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII ausgezahlt würden. Soweit die Klägerseite ausführe, der Anspruch auf eine Corona-Sonderzahlung nach § 144 SGB XII ergebe sich aus der Leistung des Barbetrages bzw. der Bekleidungspauschale, verkenne sie, dass — gerade weil aufgrund des einzusetzenden Einkommens kein Anspruch auf Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel bestehe — diese im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII geleistet würden. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/26542, S. 11) gehe hervor, dass der Gesetzgeber einen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII für die Sonderzahlung zwingend voraussetze. Nur ergänzend werde darauf hingewiesen, dass für den Kläger, der in einer vollstationären Einrichtung lebe, keine pandemiebedingten Mehraufwendungen ersichtlich seien.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vom Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte und die Verfahrensakte des Gerichts verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig sowie als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>). Sie ist auch vollumfänglich begründet.

 

Gemäß § 144 S. 1 SGB XII erhalten Leistungsberechtigte, denen für den Monat Mai 2021 Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel gezahlt werden und deren Regelsatz sich nach der Regelbedarfsstufe 1, 2 oder 3 der Anlage zu § 28 ergibt, für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021 zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro. Der Anspruch auf die Einmalzahlung setzt also – kumulativ – voraus, dass erstens für Mai 2021 Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel gezahlt werden und zweitens, dass sich der Regelsatz für den jeweiligen Leistungsberechtigten nach der Regelbedarfsstufe 1, 2 oder 3 „ergibt“.

 

Die erstgenannte Voraussetzung ist nach – soweit ersichtlich – allgemeiner Auffassung abweichend vom Wortlaut („gezahlt werden“) aus historischen (Gesetzesbegründung) und systematischen Erwägungen (Vergleich zur Parallelvorschrift § 70 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches <SGB II>) dahingehend auszulegen, dass für den Monat Mai 2021 ein materieller Anspruch auf Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII bestanden haben muss (vgl. Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 144 SGB XII <Stand: 16.07.2021>, Rn. 16; Meßling, in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 - Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Auflage 2022, § 3 Rn. 43). Demgegenüber ist für die zweite Voraussetzung lediglich entscheidend, dass sich der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts bei der jeweiligen Person nach der Regelbedarfsstufe 1, 2 oder 3 bemisst. Dass der Regelsatz gezahlt wird, ist dagegen nicht Voraussetzung des Anspruchs. Erfasst werden sollen alle erwachsenen Personen in allen denkbaren Wohnformen (Groth, a.a.O., Rn. 19f; Meßling a.a.O. Rn. 44). Dies ergibt sich auch im Umkehrschluss aus § 144 S. 2 SGB XII, wonach die Leistung nach Satz 1 Leistungsberechtigten, für die die Regelbedarfsstufe 3 gilt, zusammen mit dem Barbetrag z.B. nach § 27b Absatz 3 auszuzahlen ist; denn bei diesem Personenkreis wird definitionsgemäß nicht der Regelsatz gezahlt, sondern lediglich die Regelbedarfstufe 3 als Faktor bei der Bedarfsberechnung herangezogen.

 

Ausgehend von diesen rechtlichen Grundsätzen ist zunächst festzustellen, dass der Kläger die zweite Anspruchsvoraussetzung erfüllt, weil sich der für ihn maßgebende Regelbedarf nach Regelbedarfsstufe 3 der Anlage zu § 28 SGB XII bemisst, was offenkundig und unstreitig sein dürfte. Näherer Betrachtung bedarf lediglich die erste Anspruchsvoraussetzung, also ob der Kläger im Mai 2021 Anspruch auf Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII hatte.

 

Der Kläger hatte im Mai 2021 aufgrund des Bescheides der Beklagten vom 15.12.2014 in der Fassung der späteren Änderungsbescheide, zuletzt desjenigen vom 14.12.2020, Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII in Form der Übernahme der Aufwendungen für das Pflegeheim unter Festsetzung einer Eigenleistung. Diese Leistung ist nicht anspruchsbegründend im Sinne von § 144 S. 1 SGB XII. Der Kläger hatte aber auch Ansprüche auf den Barbetrag und die Bekleidungspauschale nach § 27b Abs. 2 bis 4 SGB XII. Die Beklagte hatte diese Leistungen mit Bescheid vom 15.12.2014 ausdrücklich gesondert und unter Bezugnahme auf § 27b SGB XII bewilligt. Bei den Ansprüchen auf Barbetrag und Bekleidungspauschale handelt es sich um Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII im Sinne von § 144 S. 1 SGB XII, so dass auch die erste Anspruchsvoraussetzung des § 144 S. 1 SGB XII erfüllt ist.

 

Die besondere Sozialhilfeleistung Hilfe zur Pflege in Form stationärer Pflege umfasst nach der gesetzlichen Konzeption neben den eigentlichen Maßnahmekosten den in der Einrichtung erbrachten notwendigen Lebensunterhalt („inkludierter Lebensunterhalt“) in Höhe normativer Vorgaben sowie daneben als ergänzende Leistungen (§ 27b Abs. 2 SGB XII) den weiteren notwendigen Lebensunterhalt, der insbesondere einen Barbetrag nach Absatz 3 sowie eine Bekleidungspauschale nach Absatz 4 umfasst. Der weitere notwendige Lebensunterhalt wird allerdings als Hilfe zum Lebensunterhalt gezahlt. Barbetrag und Bekleidungspauschale stellen also Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII dar (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2021, Az. B 8 SO 16/19 R, Rn. 18 nach <juris> m.w.N.). Während der inkludierte (notwendige) Lebensunterhalt bloßer Rechenposten für die Beurteilung der Bedürftigkeit ist (a.a.O. Rn. 21), begründet der weitere notwendige Lebensunterhalt im Umkehrschluss einen eigenen Anspruch (vgl. Eicher in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., Anhang zu § 19 SGB XII (Stand: 10.02.2022), Rn. 7.1: „Barbetrag und weiterer notwendiger Lebensunterhalt sind nicht in die besondere Leistung inkludierter Lebensunterhalt, sondern sie sind vielmehr daneben zu zahlen bzw. zu gewähren“).

 

Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht etwa daraus, dass der Kläger nach der rechtlich gebotenen und von der Beklagten zutreffend vorgenommenen Anrechnung seines Einkommens auf die verschiedenen Sozialhilfeleistungen – zunächst beim inkludierten Lebensunterhalt (§§ 43, 27b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SGB XII), dann beim weiteren notwendigen Lebensunterhalt (§ 27b Abs. 1 S. 1 Nr.1 und Abs. 2 bis 4 SGB XII) sowie schließlich erst dann bei der Hilfe zur Pflege (BSG a.a.O. Rn. 20) – objektiv keinen gesetzlichen Anspruch auf Leistungen für den weiteren notwendigen Lebensunterhalt gemäß § 27b Abs. 1 S. 1 Nr.1 und Abs. 2 bis 4 SGB XII hatte, weil sein Einkommen vollständig den Bedarf für den inkludierten und weiteren notwendigen Lebensunterhalt und sogar noch teilweise den Bedarf für die Pflege deckte. Denn der Kläger hatte schon aufgrund der Bindungswirkung des Bewilligungsbescheids (§ 77 SGG) unabhängig von den gesetzlichen Voraussetzungen im Mai 2021 Anspruch (auch) auf diese Leistungen. Zwar hätte die Beklagte dem Kläger aufgrund seiner konkreten Bedarfssituation Barbetrag und Bekleidungspauschale nicht als gesonderte Leistungen gewähren müssen (bzw. in Anbetracht des gesetzlich vorgesehenen „Nettoprinzips“ möglicherweise nicht einmal dürfen; vgl. zum Nettoprinzip Eicher a.a.O. Rn. 23ff.). Die Beklagte hätte den weiteren notwendigen Lebensunterhalt – gleich einem bloßen Rechnungsposten - auch vom einzusetzenden Einkommen absetzen und nicht über das Taschengeldkonto der stationären Einrichtung auszahlen lassen können (so wie in dem der Entscheidung des BSG a.a.O. zugrundeliegenden Sachverhalt). Dies ändert aber zum einen nichts daran, dass die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid dem Kläger tatsächlich Barbetrag und Bekleidungspauschale und damit Leistungen für den weiteren notwendigen Lebensunterhalt als solche bewilligt und auf diese Weise einen Anspruch auf diese Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt begründet hat.

 

Zum anderen würde dem Kläger auch im Falle einer solchen alternativen Gestaltung eine weitere Leistung i.H.v. 150 € zustehen. Denn nach der Entscheidung des BSG a.a.O. ist in derartigen Konstellationen die Leistung der Hilfe zur Pflege um den Betrag zu erhöhen, in dessen Höhe dem Barbetrag zuzuordnende Bedarfe weder durch diesen in pauschalierter Höhe noch im Rahmen des inkludierten Lebensunterhalts tatsächlich gedeckt werden (Rn. 15, 23ff. nach <juris>). Der Gesetzgeber selbst geht, wie sich aus § 144 S. 1 SGB XII und der Gesetzesbegründung zu § 70 SGB II und § 144 SGB XII ergibt (BT-Drs. 19/26542, S. 19f.), von durch die COVID-19-Pandemie verursachten Mehraufwendungen im Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021 in pauschalierter Höhe von 150 € aus. Er hat weiter entschieden, dass dieser Bedarf in identischer Höhe auch für erwachsene Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen bestand. Dies ergibt sich aus § 144 S. 2 SGB XII und ebenfalls ausdrücklich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/26542, S. 20). Schon zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung (vgl. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes <GG>) ist es daher geboten, eine einmalige Leistung in dieser Höhe für alle im Mai 2021 auf Sozialhilfeleistungen angewiesenen Bewohner stationärer Einrichtungen sicherzustellen, und zwar unabhängig davon, ob sie aufgrund der gesetzlich gebotenen Reihenfolge der Einkommensanrechnung ausschließlich Anspruch auf Hilfe zur Pflege oder auch auf Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt gemäß § 27b Abs. 1 SGB XII haben; und auch unabhängig davon, ob der Sozialhilfeträger in den erstgenannten Fällen den weiteren notwendigen Lebensunterhalt durch gesonderte Zahlung nach § 27b Abs. 3 und 4 SGB XII oder durch Berücksichtigung bei der Berechnung des Eigenanteils für die Hilfe zur Pflege sicherstellt. Denn in Anbetracht der ansonsten identischen Bedarfssituation kann weder das eine noch das andere den völligen Wegfall des Anspruchs auf die Einmalzahlung für den pandemiebedingten Sonderbedarf sachlich rechtfertigen. Insbesondere hat aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung die Überlegung der Beklagten außer Betracht zu bleiben, ob bzw. inwieweit Bewohnern vollstationärer Einrichtungen tatsächlich Mehraufwendungen entstanden sind.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Zulassung der Berufung auf § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Rechtskraft
Aus
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