L 5 P 31/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 P 67/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 P 31/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 1/22 BH
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.02.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.                      

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung hat.

Der 1963 geborene Kläger beantragte am 10.01.2018 Leistungen der so­zialen Pflegeversicherung bei der Beklagten. Er gab an, seine Selbstständigkeit sei gesundheitlich beeinträchtigt mit Blick auf die gesamte Arbeit im Haushalt, Putzen, Waschen, Kochen, Einkäufe sowie Müll entsorgen.

Die Beklagte ließ den Kläger durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) begutachten. Die Pflegefachkraft R stellte auf der Grundlage einer am 06.02.2018 in häuslicher Um­gebung durchgeführten Untersuchung als pflegebegründende Diagnose eine trau­matische Amputation der unteren Extremität fest.

Hinsichtlich der seit 2018 maßgeblichen einzelnen Module des Begutachtungsverfahrens ermittelte sie folgende Einzelpunkte:

  1.  Mobilität: 0 Punkte,
  2.  und 3. kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen um psychi­sche Problemlagen: 0 Punkte,
  1.  Selbstversorgung: 2 Punkte (Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare: überwiegend unselbstständig),
  2.  Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: 0 Punkte,
  3.  Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 0 Punkte.

Aus dieser Bewertung errechneten sich 0,00 gewichtete Punkte.

Mit Bescheid vom 13.02.2018 lehnte die Beklagte eine Leistungsgewährung ab. Durch die Begutachtung des MDK seien 0,00 Gesamtpunkte festgestellt worden. Danach seien die Voraussetzungen für die Einstufung in den Pflegegrad 1 nicht erfüllt.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er unter anderem aus, für die Haushaltsführung sei keine Bewertung erfolgt. Bei allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen bestünde ein Hilfebedarf. Das Anlegen der Pro­these liegend sei nicht möglich. Hierbei sei er auf Hilfe angewiesen. Auch benötige er Hilfe bei der Haarwäsche und beim Treppensteigen.

Der MDK (Pflegefachkraft N) würdigte das Vorbringen in einem Gutachten nach Aktenlage vom 22.02.2018. Abweichend vom Vorgutachten wurde im Modul 1 eine Einschränkung beim Treppensteigen angenommen (überwiegend selbständig = 1 Einzelpunkt). Es ergaben sich wiederum 0,00 gewichtete Punkte. Hinsichtlich der Haushaltsführung beschrieb das Gutachten das Einkaufen für den täglichen Bedarf, das Zubereiten einfacher Mahlzeiten, das Durchführen einfacher Aufräum- und Reinigungsarbeiten sowie das Durchführen aufwändiger Aufräum- und Reinigungsarbeiten einschließlich Wäschepflege als überwiegend unselbständig durchführbar.

In einer Stellungnahme hierzu verwies der Kläger unter anderem auf seine Schwerbe­hinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 und den Merkzeichen „G“ und „B“.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2018 wies die Beklagte den Widerspruch unter Verweis auf die Feststellungen des MDK als unbegründet zurück. Der Kläger erreiche den für die Feststellung des Pflegegrad 1 und die Gewährung entsprechender Leistungen erforderlichen Wert von 12,5 gewichteten Punkten nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 19.03.2018 Klage bei dem Sozialgericht erhoben.

Zur Begründung hat er ausgeführt, dass für die einzelnen Module höhere Punktwerte als im MDK-Gut­achten festgestellt, zu vergeben seien. Sein Pflegebedarf bestehe im Bereich der kör­perlichen Einschränkungen überwiegend aufgrund der eingeschränkten Nutzbarkeit seiner Prothese. Aufgrund der hohen Amputation seines linken Beines mit sehr kurzem Stumpf benötige er eine speziell angefertigte Vollkontaktprothese, die nur im Stehen mit sehr viel Kraftaufwand über ein kompliziertes System angelegt werden könne. Er müsse dabei gestützt werden, damit er nicht den Halt verliere und, wie bereits geschehen, stürze. Schmerzbedingt trage er die Prothese dreimal wöchentlich, wenn er das Haus ver­lassen müsse, für höchstens fünf Stunden am Stück unter Einnahme von Schmerzmedikamenten. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum die bei ihm bestehenden psychischen Auffälligkeiten durch den MDK nicht erkannt worden seien. Unfallbedingt sei er seit seinem 16. Lebensjahr schwer traumatisiert und hadere mit seinem Schicksal. Seine Impulskontrolle sei eingeschränkt, er werde schnell ungeduldig und fühle sich angegriffen, in gewissen Stresssituationen neige er auch zu Aggressionen. Nachts könne er nicht schlafen, er ha­be einen völlig gestörten Tag- und Nacht-Rhythmus. Eine depressive Grundstimmung liege vor. Kontakt habe er nur zu einem einzigen alten Freund, der sich immer wieder bei ihm melde. Er, der Kläger, rufe seinerseits niemanden an und habe den Familienkontakt fast vollständig abgebrochen. Besuch erhalte er nur selten. Geplante Termine sage er meist kurzfristig ab. Seine Einschränkungen seien ihm nicht bewusst, da seine Le­bensgefährtin viele Tätigkeiten insbesondere im Haushalt und bei der Nahrungszubereitung abnehme. Es müsse berücksichtigt werden, dass es für ihn auch zu Hause nur zwei Möglichkeiten gebe. Entweder trage er die Prothese und leide unter großen Schmerzen oder er trage sie nicht, müsse dann aber zwei Gehstützen nutzen.

Hinsichtlich der Bewertung in den Modulen sei zu berücksichtigen, dass er zwar überwiegend selbstständig sitzen könne, die Stabilität jedoch stark von dem jeweiligen Möbelstück abhänge (Modul 4.1.2). Die Gedächtnisleistung habe inzwischen abgenommen (Modul 4.2.4). Entscheidungen fielen ihm schwer, auch könne er schlecht bereits gefasste Pläne umsetzen (Modul 4.2.6). Er sei öfter nicht in der Lage, übermäßig komple­xe Sachverhalte zu verstehen, was eine Folge der Traumatisierung sein dürfte (Modul 4.2.7). Durch eine eingeschränkte Impulskontrolle setze er sich auch Gefahren aus, wenn er sich provoziert und angegriffen fühle (Modul 4.2.8). Er habe im Lau­fe der Zeit Ängste entwickelt, z.B. eine ausgeprägte Höhenangst und eine verstärkte Angst zu fallen (Modul 4.3.10). Die Lebensqualität sei durch die eigene Kontaktvermeidung stark eingeschränkt. Er finde oft nicht aus dem Bett und sei nicht motiviert, das Haus ohne besonderen Grund zu verlassen (Modul 4.3.11). Er leide durch das fehlende linke Bein unter starken Rückenschmerzen, deswegen schaffe er es nicht allein von der Toi­lette (Modul 4.4.10). Eventuell führe die Fehlbelastung zu Kniegelenksbeschwerden. Beim Einreiben mit einer speziellen Pflegesalbe sei er zweimal wöchentlich auf die Unter­stützung seiner Lebensgefährtin angewiesen (Modul 4.5.5). Dreimal täglich müsse der Blutdruck gemessen werden und eigentlich auch einmal täglich ein Blutzuckertest erfol­gen, der jedoch aus Kostengründen nur wöchentlich durchgeführt würde (Modul 4.5.6). Aufgrund einer ärztlich verordneten Ernährungskontrolle mit reduzierter Kalorienzufuhr müssten alle Lebensmittel auf ihren Kaloriengehalt überprüft und entsprechend ausge­sucht werden (Modul 4.5.16). Er habe Probleme, Termine einzuhalten und sei auch nicht spontan, mit Veränderungen komme er schlecht klar. Ohne Impulse von außen würde er nur noch schlafen und fernsehen (Modul 4.6.1). Er finde nur schwer ins Bett und in den Schlaf. Wegen „kreisender Gedanken“ müsse der Fernseher auch nachts lau­fen und der Schlaf würde jede Nacht mehrfach unterbrochen (Modul 4.6.2). Befänden sich mehrere Personen im Raum, entzöge er sich dem Gespräch und ziehe sich innerlich zu­rück. Eine Kontaktpflege zu anderen Personen finde nicht statt, dabei verhalte er sich de­fensiv und meist auch abwehrend (Modul 4.6.5).

Das Sozialgericht hat zunächst einen Befundbericht des behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin K vom 30.04.2018  eingeholt.

Sodann hat es den Kläger durch den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. U begutachten lassen. Dieser hat den Kläger in häuslicher Umgebung am 29.06.2019 untersucht und folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

Zustand nach traumatischer Amputation der linken unteren Extremität (Oberschenkelstumpf), arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus.

Der Sachverständige ist in seinem Gutachten zu der folgenden Bewertung der Ein­zelpunkte gelangt:

  1.  Mobilität: 0 Punkte,
  2.  und 3.: kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychi­sche Problemlagen: jeweils 0 Punkte,
  1.  Selbstversorgung: 2 Punkte (Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare: überwiegend selbstständig, An- und Auskleiden des Unterkörpers überwiegend selbst­ständig),
  2.  Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: 1 Punkte (körpernahe Hilfsmittel: einmal täglich),
  3.  Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 0 Punkte.

 

Aus dieser Bewertung hat der Sachverständige 0,00 gewichtete Punkte errechnet.

Der Kläger ist den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen umfänglich entgegengetreten. Es sei insbesondere unzutreffend, dass er einen erhaltenen Tag-Nacht-Rhythmus besitze. Er habe dem Sachverständigen das Gegenteil berichtet. Er habe entgegen der Darstellung des Sachverständigen auch eine Tremorsymptomatik der Hände, denn seine Sehnen seien durch die ständige Nutzung der Gehstützen ständig entzündet. Er habe auch ständige Rücken- und Knieschmerzen sowie Hüft- und Handgelenksverschleiß und müsse deshalb Schmerzmittel einnehmen. Die Schmerzen würden auch zu psychischen Beeinträchtigungen führen. Aufgrund des Traumas leide er an Schlafschwierigkeiten und sei aggressiv, wenn man ihn „anmache“. Er habe zeitliche Orientierungsprobleme und sei vergesslich. Er könne keine mehrschrittigen Alltagshandlungen vollziehen, vermeide Beteiligung an Gesprächen, sei nächtlich unruhig, verbal aggressiv und leide an leichten Wahnvorstellungen sowie Angstzuständen. Er sei antriebslos, habe keinen Kontakt, könne seinen Tagesablauf nicht gestalten und beschäftige sich jeden Tag mit Fernsehen. Über diese Themen sei nicht gesprochen worden. Deshalb sei nicht nachvollziehbar, wie der Sachverständige diese Themen mit null Punkten habe bewerten können. Er habe auch nicht gesagt, er könne sich mit Unterarmgehstützen so bewegen, wie andere Menschen mit zwei Beinen. Schließlich müssten auch die hauswirtschaftlichen Verrichtungen so berücksichtigt werden, wie sie bereits in dem Gutachten des MDK vom 22.02.2018 erfasst worden seien. Es sei bekannt, dass vom Gericht beauftragte Sachverständige behinderte Menschen „betuppen“ würden, um an weitere Gutachtenaufträge zu kommen. Das Sozialgericht müsse ihn jedenfalls durch einen Psychologen und einen Orthopäden begutachten lassen.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat zusätzlich ausgeführt, das Sachverständigengutachten erweise sich als widersprüchlich. Auf eine bessere Pro­these könne der Kläger nicht zurückgreifen, da es eine solche für ihn nicht gebe. Der Gebrauch von Unterarmstützen befähige ihn nicht, genauso beweglich und flexibel zu sein wie ein gesunder Mensch. Die Leistungen der Lebensgefährtin seien unzulässigerweise in die Bewertung mit eingeflossen. Die Nahrungszubereitung und das Bereitstellen der entsprechenden Utensilien hierfür seien nicht abschließend geklärt. Mit zwei Unterarmstützen, die überwiegend getragen würden, sei es dem Kläger nicht mög­lich, eine Mahlzeit zuzubereiten. Viele seiner Erklärungen seien im Gutachten falsch dargestellt worden. Eine fachärztliche psy­chiatrische Begutachtung sei zu veranlassen.

Unter dem 19.08.2020 hat das Sozialgericht die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Die damalige Bevollmächtigte des Klägers hat daraufhin um zeitnahe Entscheidung gebeten.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

„Der Kläger wird durch den angegriffenen Bescheid vom 13.02.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2018 nicht in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert, da diese Bescheide nicht rechtswidrig sind. Dem Kläger steht kein An­spruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI zu. Er ist nicht pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Leistung ist § 37 SGB XI. Nach § 36 SGB XI haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 bei häuslicher Pflege Anspruch auf körperbezo­gene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Nach § 37 SGB XI können Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflege­geld beantragen.

Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind Personen dann pflegebedürftig, wenn sie gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheit­lich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind nach § 14 Abs. 2 SGB XI die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich be­gründeten Kriterien:

  1.  Mobilität:

Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fort­bewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;

  1.  kognitive und kommunikative Fähigkeiten:

Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Ent­scheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Auf­forderungen, Beteiligen an einem Gespräch;

  1.  Verhaltensweisen und psychische Problemlagen:

motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Be­schädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Per­sonen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflege­rischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebs­losigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;

  1. Selbstversorgung:

Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harnin­kontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Beste­hen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten;

  1.  Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
  1.  in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
  2.  in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regel­mäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
  3.  in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbe­suche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich aus­gedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Ein­richtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
  4.  in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
  1. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte:

 

Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kon­taktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.

Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den oben ge­nannten Bereichen berücksichtigt (§ 14 Abs. 3 SGB XI).

Nach § 15 Abs. 1 SGB erhalten Pflegebedürftige nach der Schwere der Beeinträchtigun­gen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsin­struments ermittelt, wobei dieses in sechs Module, entsprechend den oben genannten Bereichen, gegliedert ist. Die Kriterien der einzelnen Module sind in Kategorien unterteilt, denen Einzelpunkte entsprechend der Anlage 1 zu § 15 SGB XI zugeordnet werden. Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten dar 15 Abs. 2 S. 3 SGB XI). Die Einzelpunkte in den jeweiligen Modulen werden sodann addiert und ent­sprechend der Anlage 2 zu § 15 SGB XI einem jeweiligen Punktbereich zugeordnet, aus dem sich die gewichteten Punkte ergeben. Insgesamt wird für die Beurteilung des Pflege­grades die Mobilität mit 10 Prozent, die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent, die Selbstversorgung mit 40 Prozent, die Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent und die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent gewichtet (§ 15 Abs. 2 S. 8 SGB XI).

Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen:

1. ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

2. ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

3. ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

4. ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

5. ab 90 bis 100 Gesamtpunkten In den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (§ 15 Abs. 3 S. 4 SGB XI).

Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Vorgaben ist das Gericht nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Kläger keine gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten bestehen, die zu einem Gesamtpunktwert von mindestens 12,5 gewichteten Punkten führen, und damit die Voraussetzungen für die mit der Klage begehrte Einstufung in einen Pflegegrad nicht vorliegen.

Die Kammer stützt sich dabei auf das eingeholte Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. U. Der Sachverständige hat das Gutachten nach persönlicher Befunderhebung in häuslicher Umgebung des Klägers erstellt. Der Sachverständige hat den Inhalt der Akten umfassend beschrieben. Ebenso ausführlich sind seine Darlegungen zur Beantwortung der Beweisfragen. Insbesondere die Pflegeanamnese wird umfassend wiedergegeben. Der Allgemeinbefund, der motorisch-funktionelle Befund und die Überprüfung der zentral kognitiven Funktionen und der Psyche werden detailliert geschildert. Bei den einzelnen Modulen ist der Sachverständige in Übereinstimmung mit den Begutachtungsrichtlinien (Richtlinien zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit sowie zur Pflege fachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments nach dem SGB XI) und den Anl. 1 und 2 zu § 15 SGB XI zur Einschätzung der Pflegebedürftigkeit des Klägers gelangt. Dabei hat der Sachverständige unter Zugrundelegung der vorgenannten Vorgaben in zutreffender Weise die konkreten Umstände für die Bewertung ausführlich gewürdigt. Die Kammer hat keine Zweifel, dass der erfahrene Sachverständige in der Lage war, die eingeschränkten Fähigkeiten und den daraus resultierenden Hilfebedarf des Klägers zutreffend einzuschätzen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass ein Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Haushaltsführung) für die Einstufung in einen Pflegegrad außer Acht zu lassen ist. Dazu zählt das Einkaufen für den täglichen Bedarf, das Zubereiten einfacher Mahlzeiten, einfache Aufräum- und Reinigungsarbeiten, aufwendigere Aufräum- und Reinigungsarbeiten, einschließlich Wäschepflege, Nutzung von Dienstleistungen, Umgang mit finanziellen Angelegenheiten, Umgang mit Behördenangelegenheiten). Bei Antragstellung hatte der Kläger insbesondere Hilfe bei der Haushaltsführung geltend gemacht.

Weiter ist zu beachten, dass nicht jede Verhaltensweise, die auffällig oder pathologisch ist, eine Bewertung durch Einzelpunkte nach sich zieht. Entscheidend ist stets, ob daraus ein Fremdhilfebedarf resultiert. Dies hat der Sachverständige mit überzeugenden Ausführungen unter Berücksichtigung der von ihm festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten jeweils verneint. Daraus folgt in schlüssiger Weise bei den Modulen 1-5 die Bewertung hinsichtlich der Einzelpunkte. Fehler oder Unvollständigkeiten vermag die Kammer nicht zu erkennen. Der Sachverständige hat insbesondere auch aufgrund einer persönlichen und ausführlichen Begutachtung des Klägers unter der Rubrik „Störungen des Zentralnervensystems wie Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen sowie endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen“ zu den einzelnen Aspekten eingehend und überzeugend dargelegt, welche Auffälligkeiten vorliegen bzw. nicht vorliegen. Bei dem Sachverständigen handelt es sich zudem um einen äußerst erfahrenen Gutachter auf dem Gebiet der sozialen Pflegeversicherung, der in der Lage ist, entsprechende (psychiatrische) Befunde zu erheben und Diagnosen zu stellen, um die jeweiligen Einzelpunkte bei den betreffenden Modulen zu bestimmen.“

Gegen den Gerichtsbescheid vom 10.02.2021 hat der Kläger am 24.02.2021 „Beschwerde“ eingelegt. Zur Begründung hat er zunächst bemängelt, der Richter habe seine Entscheidung nicht unterschrieben. Sodann hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, der Sachverständige, auf dessen Feststellungen das Sozialgericht seine Entscheidung gestützt habe, sei kein Psychologe und könne daher seine Traumatisierung und seine damit verbundenen psychischen Probleme nicht beurteilen. Der Sachverständige habe Dinge vorgetragen, die er, der Kläger, nicht gesagt habe. Er berufe sich auch auf das Gutachten des MDK vom 22.02.2018, welches insgesamt 11 Punkte anerkannt habe. Er habe ständige Angst und wenn man Angst habe, dann sei man ständig aggressiv. Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.02.2021 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.02.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2018 zu verurteilen, ihm Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach einem Pflegegrad von mindestens 1 ab Antragstellung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erbringen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Mit Beschluss vom 31.05.2021 hat der Senat den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 29.06.2021 als unzulässig verworfen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 09.09.2021, dem Kläger zugestellt am 14.09.2021, der Beklagten am 13.09.2021, das Verfahren gemäß § 153 Abs. 5 SGG zur Entscheidung auf den Berichterstatter übertragen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.01.2022 ist keiner der Beteiligten erschienen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat durch den Berichterstatter unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter entschieden, da diesem mit Beschluss vom 09.09.2021, dem Kläger zugestellt am 14.09.2021, der Beklagten am 13.09.2021, das Verfahren gemäß § 153 Abs. 5 SGG zur Entscheidung übertragen wurde.

Der Senat konnte trotz des Nichterscheinens der Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.01.2022 in die mündliche Verhandlung eintreten und entscheiden, da die Beteiligten ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind, §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG. Die Beteiligten haben vor dem Termin mitgeteilt, dass sie nicht erscheinen werden. Das persönliche Erscheinen des Klägers war - auch vor dem Hintergrund der Pandemielage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - im Übrigen nicht angeordnet.

Die als Berufung auszulegende Beschwerde des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2021 als unbegründet abgewiesen.

Nach § 153 Abs. 2 SGG macht sich der Senat die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung zu Eigen und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass das Original des in der Gerichtsakte befindlichen Gerichtsbescheids von dem zuständigen Kammervorsitzenden eigenhändig unterschrieben wurde. Die Beteiligten erhalten hiervon lediglich beglaubigte Abschriften.

Im Übrigen hat auch der Senat keine Zweifel daran, dass die Feststellungen des Sachverständigen Dr. U hinsichtlich der hier streitentscheidenden Fragen richtig und vollständig sind.

Zuzugeben ist dem Kläger, dass der Sachverständige dessen Fähigkeit zu den hauswirtschaftlichen Verrichtungen möglicherweise zu großzügig einschätzt. Dies gilt jedenfalls, wenn der Vortrag des Klägers zutrifft, dass er die Prothese tatsächlich nur wenige Male in der Woche für jeweils für wenige Stunden trägt. Insoweit kann sich der Kläger auf die Feststellungen des MDK im Gutachten vom 22.02.2018 stützen. Die hauswirtschaftliche Versorgung hat aber keine Auswirkung auf die Feststellung des Pflegegrades, da sie nicht in die gewichteten Punkte einfließt.

Hinsichtlich der Feststellungen zur Bestimmung des Pflegegrades vermögen die umfangreichen Einwendungen des Klägers die Feststellungen des Sachverständigen Dr. U hingegen nicht zu erschüttern. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die pflegerelevanten Einschränkungen objektiv feststehen müssen. Bloße Behauptungen des Klägers sind zu einer solchen Feststellung nicht ausreichend. 

Dies betrifft insbesondere die wiederholte Behauptung des Klägers, er leide aufgrund der Verletzung, die zur hohen Amputation seines linken Beines geführt hatte, an einer Traumatisierung und an damit verbundenen erheblichen psychischen Beeinträchtigungen.

Zwar ist für den Senat nachvollziehbar, dass die Verletzungsfolgen für den Kläger psychisch belastend wirken. Psychische Beeinträchtigungen im pflegerelevanten Ausmaß lassen sich jedoch nicht feststellen. Hierbei ist ausschlaggebend, ob und wie oft eine personelle Unterstützung notwendig wird.

So wird zwar die vom Kläger behauptete nächtliche Unruhe auch im Befundbericht des behandelnden Hausarztes K angegeben. Sie ist, wie die vom Kläger behauptete Störung seines Tag-Nacht-Rhythmus, aber für sich genommen nicht pflegerelevant, weil keine personelle Unterstützungsnotwendigkeit hieraus resultiert. Der Kläger wohnt allein. Seine Lebensgefährtin sucht ihn nach anamnestischen Angaben erst morgens auf. Selbst eine gelegentliche Übernachtung der Lebensgefährtin führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieser Umstand ist nicht mit dem Nachweis einer Unterstützungsnotwendigkeit gleichzusetzen.

Ebenso wenig pflegerelevant ist die Angabe des Klägers, dass er schnell ungeduldig sei, sich angegriffen fühle und aggressiv reagiere, wenn er „angemacht“ werde. Dies macht den Umgang mit dem Kläger zwar schwieriger. Ein personeller Unterstützungsbedarf resultiert hieraus aber ebenso wenig wie aus dem behaupteten Umstand, dass er sich aus Gesprächen zurückziehe und sich gegenüber anderen defensiv und meist abwehrend verhalte, dies losgelöst von der Frage, ob sich die beiden Darstellungen sachlich übereinbringen lassen. 

Auch Ängste, leichte Wahnvorstellungen und eine depressive Stimmungslage ließen sich von Dr. U in der Untersuchungssituation nicht objektivieren. Der Kläger befindet sich auch nicht in fachpsychiatrischer und/oder psychotherapeutischer Behandlung. Dies spricht gegen einen entsprechenden Leidensdruck. Auch der behandelnde Hausarzt verneint die vorgenannten Aspekte.

Die Behauptung des Klägers, seine Gedächtnisleistung habe abgenommen, Entscheidungen fielen ihm schwer, er sei öfter nicht mehr in der Lage, übermäßig komplexe Sachverhalte zu verstehen bzw. mehrschrittige Alltagshandlungen zu vollziehen, ist ebenfalls nicht zu objektivieren. Vielmehr beschäftigt sich der Kläger nach eigenen Angaben mit der Lektüre juristischer Bücher. Er führte und führt zudem zahlreiche sozialgerichtliche Verfahren für sich und seine - zwischenzeitlich verstorbenen - Mutter durch alle Instanzen. Dies spricht dafür, dass die vorgenannten Fähigkeiten erhalten sind.

Insgesamt ergibt sich kein Anhalt dafür, dass der Sachverständige Dr. U pflegerelevante psychische Beeinträchtigungen nicht erfasst hat. Für eine entsprechende fachärztliche Begutachtung des Klägers besteht nach den vorstehenden Erwägungen kein Anlass.

Wesentliche pflegerelevante Wirbelsäulen-, Hüft- und Kniebeschwerden des Klägers ließen sich ebenfalls nicht objektivieren. Allein die behauptete regelmäßige Schmerzmitteleinnahme ist hierfür nicht geeignet. Der erfahrene Sachverständige hat, auch gestützt auf seine Verhaltensbeobachtung des Klägers, keine Beeinträchtigungen feststellen könne, die über diejenigen hinausgingen, die allein auf der hohen Amputation des linken Beines beruhen. Der Kläger war insbesondere in der Untersuchungssituation in der Lage, auf dem Bett sitzend seine Position zu halten und zu korrigieren. Auch eine pflegerelevante Tremorsymptomatik der Hände war nicht erkennbar. Eine solche wird auch von dem behandelnden Hausarzt nicht beschrieben. Der Kläger befindet sich zudem nicht in fachärztlicher orthopädischer Behandlung. Anlass zu einer orthopädischen Begutachtung des Klägers besteht damit ebenfalls nicht.

Schließlich gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Kläger nicht in der Lage wäre, bezüglich des Diabetes mellitus selbst auf die Einhaltung seiner Diät und der Blutzuckerkontrolle zu achten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG.

 

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