L 9 R 479/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 2349/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 479/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1961 geborene Kläger war in seinem Beruf Vermessungstechniker bis 1988 tätig. Bis 1996 betrieb er eine chemische Reinigung, vom 01.01.1998 bis 31.01.1999 war er in der Reinigung, vom 01.09.2008 bis 31.12.2008 und vom 15.08.2011 bis 28.02.2014 als Produktionswerker in Teilzeit bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Im Versicherungsverlauf des Klägers sind für diese Zeit Pflichtbeitragszeiten gespeichert. Ab dem 16.02.2014 und bis 04.10.2016 sind Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen während des Bezuges von Sozialleistungen (ab 06.07.2015 Leistungen der Bundesagentur für Arbeit) und für die sich anschließende Zeit Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug (bis 31.12.2019) vermerkt. Vom 21.08.2008 bis 14.08.2011 war der Kläger arbeitslos ohne Leistungsbezug.

Der Kläger beantragte zuletzt am 13.03.2019 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nachdem ein entsprechender Antrag vom 11.09.2014 von der Beklagten mit Bescheid vom 27.10.2014 und Widerspruchsbescheid vom 07.09.2016 abgelehnt, die Klage hiergegen (Sozialgericht Stuttgart
[SG], Gerichtsbescheid vom 16.03.2018, S 21 R 5212/16) abgewiesen, die Berufung (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 05.12.2018, L 5 R 1384/18) zurückgewiesen und die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG als unzulässig verworfen worden war (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 23.01.2019, B 13 R 357/18 B). Diesen Entscheidungen lagen im Wesentlichen der Entlassungsbericht der Reha-Klinik K, M-M, nach einem stationären Aufenthalt des Klägers vom 18.06.2014 bis 23.07.2014 und das Gutachten des P zugrunde.

Die medizinische Rehabilitation wurde auf Bewilligung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg nach einem Antrag des Klägers vom 02.05.2014 und einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab 05.01.2014 durchgeführt. Im Entlassungsbericht der Reha-Klinik K vom 04.08.2014 sind die Diagnosen mittelgradige depressive Episode bei depressiver Entwicklung und Somatisierungsstörung bei thorakaler Symptomatik angegeben worden mit einer Leistungsbeurteilung von unter drei Stunden auch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten. Es wurde ausgeführt, dass aufgrund der anhaltenden ängstlichen, depressiven Symptomatik deutliche Einschränkungen bezüglich Konzentrationsfähigkeit, Arbeiten mit Zeitdruck sowie Umstellungs- und Anpassungsvermögen bestanden. Bei Schlafstörungen und depressiver Störung sollten keine Tätigkeiten in Nachtschicht ausgeführt werden, um den Bio-Rhythmus zu erhalten. Eine Besserung der Einschränkungen und Leistungsfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate sei möglich. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg teilte dem Kläger hierauf mit Schreiben vom 19.08.2014 mit, dass nach ihren Feststellungen volle Erwerbsminderung seit 05.01.2014 auf Zeit bis 31.07.2015 vorliege, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente ab 01.08.2014 seien geprüft und erfüllt. Der Kläger wurde aufgefordert, einen förmlichen Rentenantrag zu stellen. Nach Eingang dessen gab die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg das Verfahren zuständigkeitshalber (wegen eines Auslandsbezuges des Klägers) an die Beklagte ab, die mit den genannten Bescheiden die Rente wegen nichterfüllter versicherungsrechtlicher Voraussetzungen ablehnte.
P stellte in dem vom SG veranlassten Gutachten vom 12.09.2017 Anpassungsstörungen bei sozialen Ängsten (Versorgungsängsten) und den Verdacht auf Somatisierungsstörungen bei thorakaler Symptomatik fest. Tätigkeiten unter Berücksichtigung von von ihm näher ausgeführten Einschränkungen seien noch mindestens sechs Stunden täglich möglich.

Die Beklagte hat auf den vorliegenden Rentenantrag Berichte der behandelnden Ärzte W (Befundbericht vom 13.06.2019) und W1 (Befundbericht vom 02.07.2019) und Entlassungsberichte des Krankenhauses H beigezogen. S (bei der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten) führte in der von der Beklagten veranlassten gutachterlichen Stellungnahme vom 05.07.2019 aus, dass das Leistungsvermögen seit 2014 als unverändert anzusehen sei, die Ärzte hätten keine Befundänderung bescheinigt. Es ergäben sich keine Hinweise auf das Hinzutreten weiterer Erkrankungen oder eine Verschlechterung. Der Leistungsfall sei seinerzeit gerichtlich geklärt worden.

Mit Bescheid vom 16.07.2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung „vom 10.04.2019“ ab. Man habe festgestellt, dass der Kläger seit dem 05.01.2014 dauerhaft voll erwerbsgemindert sei. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien aber nicht erfüllt.

Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, ein Leistungsfall im Januar 2014 sei auszuschließen, der Leistungsfall sei im Juli 2014 eingetreten. Damit hätte die Beklagte die Rente zu gewähren.

Die Fachärztin bei der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten G bestätigte ein vollschichtiges Leistungsvermögen unter Berücksichtigung näher ausgeführter qualitativer Leistungseinschränkungen in ihren gutachterlichen Stellungnahmen vom 31.07.2019 und 14.11.2019. Im Rahmen des erneuten Rentenverfahrens habe sich keine relevante Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse gezeigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2020 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.07.2019 zurück. Mit diesem Bescheid habe man dem Kläger fälschlicherweise mitgeteilt, er sei seit dem 05.01.2014 voll erwerbsgemindert. Dies sei nicht der Fall. Es habe sich um eine Fehlinterpretation des Entlassungsberichtes der Reha-Klinik K vom 04.08.2018 gehandelt, bei dem die sozialmedizinischen Begrifflichkeiten der Arbeitsunfähigkeit einerseits und der Erwerbsunfähigkeit andererseits unrichtig angewandt worden seien. Ob zu diesem oder einem späteren Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien, sei daher unerheblich. Richtig sei vielmehr, dass der medizinische Leistungsfall der Erwerbsminderung weder seinerzeit noch bislang eingetreten sei. Insoweit bezog sich die Beklagte auf das Gutachten von P. Nach sozialmedizinischer Würdigung sämtlicher vorliegender Befunde seien aufgrund der festgestellten rezidivierenden depressiven Störung und einer Somatisierungsstörung näher ausgeführte qualitative Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen. Nach einem Sozialgerichtsgutachten 2017 sei der Kläger aber sechs Stunden und mehr täglich leistungsfähig. Im Rahmen der erneuten Rentenantragstellung im Juli 2019 habe sich ergeben, dass sich die gesundheitlichen Verhältnisse seither nicht relevant geändert hätten. Die Beschwerden bestünden weitgehend unverändert seit 2014.

Am 12.06.2020 hat der Kläger Klage beim SG erhoben. Zur Begründung hat er auf seinen Widerspruch vom 05.08.2019 verwiesen und geltend gemacht, dass ihm seit Januar 2014 alle beteiligten Ärzte eine bis mindestens 16.09.2020 andauernde Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hätten. Eine chronische Krankheit sei ärztlich bescheinigt. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid seien deshalb rational und mit gesundem Menschenverstand nicht erklärbar. Offensichtlich stufe die Deutsche Rentenversicherung alle vorgenannten Ärzte, die seine Arbeitsunfähigkeit seit über sechs Jahren bescheinigt hätten, als nicht kompetent und unfähig ein.

Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegengetreten und hat ausgeführt, dass der Kläger entgegen früherer Angaben die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab dem 02.03.2014 erfülle und er - sofern Verlängerungstatbestände nach dem 31.12.2019 vorlägen - die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente voraussichtlich auch weiterhin erfüllen könne.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen von sachverständigen Zeugenaussagen bei der Hausärztin W und W1.

W hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 10.11.2020 angegeben, dass der Kläger unter einer mittelgradigen depressiven Episode leide und bei ihm nach den Feststellungen von W1 seit 2014 eine somatoforme autonome Funktionsstörung des Herz- und Kreislaufsystems, ferner Thoraxschmerzen, Kopfschmerzen und eine Pollinose bestehen. Es habe sich im Laufe der Jahre keine Verbesserung der Situation ergeben. Ihrer Auffassung nach könne der Kläger weiterhin eine leichte körperliche Erwerbstätigkeit nur unter zwei Stunden ausüben. Sie hat den endgültigen Entlassungsbericht der medizinischen Klinik im Krankenhaus H vom 07.01.2014 über einen stationären Aufenthalt vom 05.01.2014 bis 07.01.2014 wegen Thoraxschmerzen, den Bericht der S-W vom 10.03.2014 und den Entlassungsbericht der Reha-Klinik K vom 04.08.2014 vorgelegt.

W1 hat unter dem 10.11.2020 ausgeführt, dass der Kläger im gesamten Behandlungszeitraum (13.08.2014 bis 16.09.2020) über ein anhaltendes depressives Zustandsbild mit funktionellen körperlichen Beschwerden berichtet habe. Er diagnostizierte eine Dysthymia, eine mittelgradige depressive Episode und eine somatoforme autonome Funktionsstörung von Herz- und Kreislaufsystem und vertrat die Auffassung, dass aufgrund des Verlaufs der vergangenen sechs Jahre eine berufliche Leistungsfähigkeit in einer Tätigkeit von mehr als sechs Stunden auch für leichte Arbeiten nicht vorstellbar sei.

Nach einem entsprechenden Hinweis hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2021 abgewiesen. Es hat die Klage ausgelegt. Der Kläger begehre die Aufhebung des Bescheides vom 16.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2020 und die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Klage sei unbegründet, weil der Kläger zur Überzeugung der Kammer in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Er sei weder im Juli 2014 erwerbsgemindert gewesen noch sei seitdem ein Leistungsfall eingetreten. Es hat zur Begründung zunächst auf die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (L 5 R 1384/18) verwiesen, die das Eintreten eines Leistungsfalles, insbesondere zu einem Zeitpunkt ab Juli 2014, verneint habe. Diesen Ausführungen habe sich die Kammer angeschlossen. Es bestehe zur Überzeugung der Kammer auch kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles seit Abschluss des vorgerichtlichen Verfahrens. Der gesundheitliche Zustand des Klägers habe sich im Wesentlichen nicht geändert, weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen seien nicht hinzugetreten, was sich aus dem eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen ergebe.

Hiergegen hat der Kläger am 08.02.2021 Berufung eingelegt. Er moniert, dass die rentenrechtlichen Zeiten, insbesondere für die Zeit zwischen 01.01.2009 und 15.08.2011, in der er trotz intensiver Bemühungen, die von der Arbeitsagentur bescheinigt seien, keine Arbeitsstelle gefunden und auch kein Arbeitslosengeld bezogen habe, nicht berücksichtigt worden seien. Für die Erwerbsminderungsrente müsse diese wie eine Pflichtversicherungszeit anerkannt werden. Ferner hat er ausgeführt, seit 05.01.2014 unfähig zu sein, zu arbeiten. Er sei in den letzten sieben Jahren nicht fähig gewesen, drei oder mehr Stunden zu arbeiten. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien vorhanden und von den Ärzten dokumentiert. P habe das Unmögliche geschafft und eine angeblich rückwirkende Arbeitsfähigkeit beurteilt. Hierzu sei kein Mensch und auch kein Arzt imstande. Wie oft er schmerzbedingt, krankheitsbedingt gezwungen gewesen sei, viele Stunden liegend zu verbringen, sei leider nicht bescheinigt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. Januar 2021 sowie den Bescheid vom 16. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 27. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2016 aufzuheben und ihm ausgehend von seinem Antrag vom 11. September 2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Entscheidungsgründe des Urteils der ersten Instanz sowie auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.

Der Senat hat die Akten L 5 R 1384/18 beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zudem auf die beigezogenen Akten der Beklagte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet.

Die Beklagte und das SG haben zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente hat.

Gegenstand des Rechtsstreits ist zunächst der Bescheid vom 16.07.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2020, welcher den erneuten Antrag des Klägers vom 13.03.2019 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ablehnte. Soweit der Kläger darüber hinaus begehrt, die beantragte Rente ausgehend von einem Leistungsfall am 07.07.2014 und vor der hier maßgeblichen Antragstellung zu gewähren, stellt der Senat zunächst fest, dass zwischen den Beteiligten mit Rechtskraft des Urteils des 5. Senats des LSG Baden-Württemberg (L 5 R 1384/18) vom 05.12.2018 bindend (§ 141 SGG) festgestellt ist, dass der Kläger zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (hier die Beschlussfassung über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG, vgl. Niederschrift vom 05.12.2018, Bl. 31 der Akten L 5 R 1384/18) keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hatte. Der (Formular-)Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 10.04.2019 stellte zwar nicht ausdrücklich auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ausgehend von einem Leistungsfall im Juli 2014 und vor Antragstellung ab. Gleichwohl ist er als Antrag auf Überprüfung auszulegen gewesen. Dies ergibt sich nicht nur aus der Begründung im Widerspruchsverfahren, mit der der Kläger dezidiert auf den Eintritt der Erwerbsminderung „am Ende der Reha am 17.07.2014“ abstellte und geltend machte, dass hierfür auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, sondern auch aus dem Zusammenhang mit der Begründung im Bescheid vom 16.07.2019, worin ausgeführt wurde, der Kläger sei „seit dem 05.01.2014 dauerhaft erwerbsgemindert“, erfülle hierfür aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht. Dies dürfte auch für den Kläger nur dahingehend zu verstehen gewesen sein, dass die Beklagte den Sachverhalt (von Amts wegen) nicht nur bezogen auf den (Neu-)Antrag vom 13.03.2019 (das im Bescheid genannte Datum 10.04.2019 gibt das Druckdatum, nicht aber das tatsächliche Antragsdatum wieder) hin überprüft hat, sondern auch mit Blick auf einen zuvor und rechtskräftig abgelehnten Rentenanspruch (vgl. zum insoweit bestehenden Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes nach dem „Empfängerhorizont“ BSG, Urteil vom 28.06.1990 - 4 RA 57/89 -, BSGE 67, 104-123, SozR 3-1300 § 32 Nr. 2, Rn. 31). Dabei hat sich die Beklagte gerade nicht auf die Bestandskraft des Bescheides vom 27.10.2014 nach rechtskräftigem Abschluss der Gerichtsverfahren bezogen, sondern wiederholt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bezogen auf diesen Leistungsfall nicht erfüllt sind. Daran ändert aus Sicht des Klägers auch die im Widerspruchsbescheid erfolgte „Klarstellung“, man habe fälschlicherweise im Bescheid mitgeteilt, der Kläger sei seit dem 05.01.2014 erwerbsgemindert, nichts. Denn selbst wenn man davon ausgehen wollte, die Beklagte habe lediglich einen „Neuantrag“ geprüft, ist von den Gerichten über einen Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mitzuentscheiden, ohne dass es einer Ergänzung des Bescheides oder einer Untätigkeitsklage bedarf. Nach dem vorliegenden Sachverhalt spricht aufgrund des von den behandelnden Ärzten bescheinigten unveränderten Gesundheitszustandes (hierzu unten) viel dafür, dass das Ziel der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nur über die Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2014 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016) erreicht werden kann (BSG, Urteil vom 29.11.2007 - B 13 R 44/07 R -, juris Rn. 27). Damit ist dem Begehren des Klägers eine Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage zugrunde zu legen, die vom SG im Übrigen - ohne auf § 44 SGB X einzugehen - inzident geprüft wurde, nachdem es den Eintritt eines Leistungsfalls seit 2014 in seine Prüfung miteinbezogen hat.

Rechtsgrundlage für das so verstandene Begehren des Klägers ist damit § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Sozialleistungsträger verpflichtet, einen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28.01.1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG, Urteil vom 22.04.1986 - 1 RA 21/85 -, BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei führt § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwei Alternativen an, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann unrichtig angewandt oder es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden seien, der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kann es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommen.

Bei der ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).

Eine derartige Überprüfung bedeutet jedoch nicht, dass eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts mittels neuer Ermittlung des Sachverhalts und neu einzuholender Gutachten durchzuführen wäre. Vielmehr ist lediglich aus rein rechtlicher Sicht zu würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt rechtlich zutreffend beurteilt und rechtlich in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden ist. Weitergehende Sachermittlungen sind im Rahmen der ersten Alternative nicht geboten. Dies ergibt sich eindeutig aus der Systematik der gesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn mit der Differenzierung zwischen den aufgezeigten zwei Alternativen (unrichtige Rechtsanwendung einerseits und ursprünglich unrichtig zu Grunde gelegter Sachverhalt andererseits) hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass nicht in jedem Fall eine völlige Überprüfung unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Verwaltung nicht durch aussichtslose Überprüfungsanträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.1991 - 9b RAr 7/90 -, juris Rn. 14). Würde hingegen bereits im Rahmen der ersten Alternative eine umfassende Sachprüfung, d.h. mit einer umfassenden Neuermittlung des zugrundeliegenden Sachverhalts, vorausgesetzt, so stünde dies im Widerspruch zu den gesetzlichen Anforderungen für die zweite Alternative, für die die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel vorausgesetzt wird. Im Rahmen der ersten Alternative sind daher die tatsächlichen Feststellungen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid zu Grunde gelegen haben, auch im Überprüfungsverfahren zu beachten und lediglich zu prüfen, ob auf diesen Tatsachen aufbauend, unabhängig von ihrer Richtigkeit, die rechtlichen Schlussfolgerungen zutreffend sind (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 19.11.2014 - L 15 VS 4/13 -, juris).

Rechtsgrundlage für die Gewährung des geltend gemachten Rentenanspruches ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des BSG auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (KassKomm/Gürtner, 118. EL März 2022, § 43 SGB VI, Rn. 58 und 30 ff., beck-online).

Nachdem für den vom Kläger geltend gemachten Eintritt eines Leistungsfalles am 05.01.2014 keine neuen, insbesondere medizinischen Sachverhalte vorgebracht wurden, beschränkt sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zunächst darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht (§ 44 SGB X) unrichtig angewandt wurde. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 (KassKomm/Steinwedel, 118. EL März 2022, SGB X § 44 Rn. 49, beck-online).

Zunächst ist festzustellen, dass eine Erwerbsminderung nicht bereits deshalb verbindlich festgestellt (§ 77 SGG) ist, weil die Beklagte in den Bescheiden vom 27.04.2014 und 10.04.2019 in den jeweiligen Begründungen von einem eingetretenen Leistungsfall am 05.01.2014 ausgegangen ist. Die im Verfügungssatz den Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ablehnenden Verwaltungsakte erschöpfen sich in dieser Regelung. Die Begründungselemente - hier die nichterfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - nehmen insoweit nicht an der Bestandskraft des Verwaltungsaktes teil. Auch tragende Gründe sind grundsätzlich nicht von der Bindung erfasst und somit nicht ohne weiteres feststehende Grundlage für (andere) Ansprüche. Ohne gesetzliche Ermächtigung ist die Verwaltung zudem nicht befugt, einzelne Elemente eines Anspruchs - hier das Vorliegen von Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI - verbindlich festzustellen (vgl. MKLS/B. Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG § 77 Rn. 5c, m.w.N.).

Eine von den bestehenden Entscheidungen abweichende Entscheidung käme daher nur dann in Betracht, wenn ein Leistungsfall tatsächlich eingetreten ist. Dies erfordert die positive Feststellung des Tatbestandsmerkmals teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung des § 43 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB VI durch das Gericht. In Übereinstimmung mit dem SG und der Entscheidung des 5. Senats des LSG Baden-Württemberg ist indes auch der erkennende Senat der Überzeugung, dass jedenfalls durch den Bericht der Rehabilitationsklinik K keine zu diesem Zeitpunkt und auf nicht absehbare Zeit bestehende Erwerbsminderung - wie von § 43 SGB VI vorausgesetzt - nachgewiesen ist. Auf nicht absehbare Zeit meint dabei einen Zeitraum, der sich zumindest über sechs Monate hinaus erstreckt (KassKomm/Gürtner, 118. E: März 2022, SGB VI § 43 Rn. 25, beck-online). Im Entlassungsbericht vom 04.08.2014 wird eine mittelgradige depressive Episode bei depressiver Entwicklung und eine Somatisierungsstörung bei thorakaler Symptomatik diagnostiziert und der Kläger für weniger als drei Stunden leistungsfähig angesehen auch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen und Gehen und ständig im Sitzen in Tagesschicht. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass beim Kläger aufgrund der anhaltenden ängstlichen, depressiven Symptomatik deutliche Einschränkungen bezüglich Konzentrationsfähigkeit, Arbeiten mit Zeitdruck sowie Umstellungs- und Anpassungsvermögen bestünden. Bei Schlafstörungen und depressiver Störung sollten keine Tätigkeiten in Nachtschicht ausgeführt werden, um den Bio-Rhythmus zu erhalten. Eine Besserung der Einschränkungen und Leistungsfähigkeit wurde aber innerhalb der nächsten sechs Monate für möglich erachtet. Die zeitnah zu diesem während der Reha-Maßnahme erhobenen Befund vorliegenden Befundberichte belegen den im Reha-Entlassungsbericht erhobenen Befund weder für die Zeit unmittelbar vor Antritt der Maßnahme noch danach, weshalb der Senat diesen als vorübergehend im Sinne der vom Reha-Entlassungsbericht vertretenen Einschätzung einer zum Zeitpunkt der Entlassung noch bestehenden vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit würdigt.

Insoweit stellt der Senat fest, dass sich eine im Entlassungsbericht beschriebene mittelgradige depressive Episode bei depressiver Entwicklung in dieser Ausprägung weder im Bericht der damals behandelnden S-W (im März 2014) noch in dem des W1 (13.08.2014) findet. Zwar gab die behandelnde Hausärztin W an, den Kläger seit 07.01.2014 wegen Thoraxschmerzen und auch einer - zunehmenden - depressiven Entwicklung behandelt zu haben. Die S-W, die den Kläger am 13.01. und 06.03.2014 behandelte, berichtete aber unter dem 10.03.2014 über Somatisierungsstörungen (ohne nähere Angaben) und ein depressives Syndrom (vgl. Bericht, der der sachverständigen Zeugenaussage der W [S 21 R 5212/16, S. 29ff., Gutachtenakte Bekl., S. 12f.] beigefügt war). Im Befund gab sie an, dass der Kläger bewusstseinsklar und allseits gut orientiert gewesen sei, mit geordneten und zielgerichteten Angaben, jedoch etwas einfallsarm. Ferner beschrieb sie sein Kontaktverhalten als gewandt, die Grundstimmung (nur) als leicht depressiv und die Antriebslage (lediglich) als leicht gehemmt. Der vom behandelnden W1 unter dem 13.08.2014 erhobene Befund, der der sachverständigen Zeugenaussage der W (S 21 R 5212/16, S. 29ff., Gutachtenakte Bekl., S. 12f.) ebenfalls beigefügt war, bescheinigt lediglich eine Dysthymia, also eine „chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen“ (ICD10: F34.1G), und damit im Vergleich zu dem Befund der S-W einen durchaus vergleichbaren leichten psychischen Befund, der jedenfalls keine gravierenden psychischen Einschränkungen belegt und damit auch für die Annahme einer hierdurch bedingten zeitlichen Leistungseinschränkung nicht ausreicht.

Soweit W1 in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 10.11.2020 in seiner Aufzählung der Diagnosen nach einer Dysthymia eine mittelgradige Depression erwähnt, steht dies nicht im Widerspruch zu den oben gemachten Ausführungen, da diese im Reha-Entlassungsbericht gestellt worden war. W1 hat aber unter Berücksichtigung seiner Behandlung ab 10.08.2014 und damit nach Abschluss des Reha-Verfahrens angegeben, dass sich insoweit keine Veränderung ergeben habe, weshalb von der von ihm festgestellten Diagnose einer Dysthymia auszugehen ist. Inhaltlich berichtet er auch weiterhin von einem wachen, bewusstseinsklaren und voll orientierten Patienten, ohne Anhalt für formale oder inhaltliche Denkstörungen mit bedrückter Stimmung und verminderter affektiver Resonanzfähigkeit bei intaktem Gedächtnis und weiterer kognitiver Funktionen. Dieser Befund vermag jedoch eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens nicht zu begründen. Gleiches gilt für die Erwähnung der Diagnose durch W, die diese fachfremd wiedergibt, und deren insoweit nicht durch Befunde belegten Leistungseinschätzung, der deshalb auch nicht gefolgt werden kann.

Angesichts dessen sind die Ausführungen im vom SG (im Verfahren S 21 R 5212/16) eingeholten Gutachten von P nachvollziehbar und überzeugend. Eine ängstliche, depressive Symptomatik mit deutlichen Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit, wie während der Reha bescheinigt, konnte er nicht feststellen und ließ sich auch unter Berücksichtigung der zeitnahen Angaben der behandelnden Ärzte 2014 nicht feststellen. Die von ihm gestellten Diagnosen Anpassungsstörungen bei sozialen Ängsten (Versorgungsängsten) und Verdacht auf Somatisierungsstörungen bei thorakaler Symptomatik sieht der Senat schlüssig aus der Anamneseerhebung, den Untersuchungsbefunden und der Aktenlage abgeleitet. Insbesondere konnten weder Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentration, noch der Umstellungsfähigkeit festgestellt werden. Einschränkungen, die in der Rehaklinik als Begründung der zeitlichen Leistungseinschränkung vorgebracht wurden (Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit, des Umstellungs- und Anpassungsvermögens), konnten so - wie bereits zuvor in den bereits beschriebenen Berichten der Nervenärzte im zeitlichen Zusammenhang mit der Reha-Maßnahme - nicht abgebildet werden. Mit P lässt sich aus diesen Befunden eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit nicht begründen. Die Einschätzung des Leistungsvermögens durch die sachverständigen Zeugen vermag daher nicht zu überzeugen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich auf somatischem Gebiet ein Grund für die Thoraxschmerzen nicht feststellen ließ (Ausschluss einer kardiologischen Ursache, vgl. Bericht Krankenhaus Herrenberg vom 07.01.2014, Bl. 16 Gutachtenakte der Bekl., Ausschluss Myokardinfarkt und Pneumothorax bei normalen Entzündungswerten, vgl. Bericht Krankenhaus H vom 22.09.2018, Bl. 66 Gutachtenakte der Bekl.). Die deswegen bereits von der Reha-Klinik K diagnostizierte Somatisierungsstörung bei thorakaler Symptomatik war indes ganz offensichtlich keine für die vorgeschlagene Erwerbsminderung relevante Gesundheitsstörung, nachdem insoweit maßgeblich auf Konzentrationsstörungen und auf Einschränkungen des Umstellungs- und Anpassungsvermögens abgestellt wurde, nicht jedoch auch auf Schmerzen im thorakalen Bereich. Die insoweit bestehenden thorakalen Beschwerden wurden vom Kläger dort als leicht krampfartige Schmerzen beschrieben, die in Ruhe wie auch bei Belastung ohne Ausstrahlung bestünden. Treppensteigen mache er etwas langsamer als früher „und es sei soweit ohne Probleme“. Eine Schmerzproblematik, die den Kläger zwingt, sich mehrere Stunden hinzulegen, wie er geltend macht, ist dabei weder in dem Reha-Entlassungsbericht erwähnt worden, noch haben hierüber die als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte berichtet. Eine entsprechende Behandlung auf schmerztherapeutischem oder auf kardiologischem Fachgebiet (weil der Kläger davon überzeugt ist, an einer Angina pectoris zu leiden) findet offensichtlich nicht statt, weshalb der Senat erheblich Zweifel an der Ausprägung der Schmerzen und der hierdurch angeblich verursachten Einschränkungen hat. Weder in den Angaben der Hausärztin noch in den vorliegenden weiteren Berichten lässt sich die gesicherte Diagnose einer Angina pectoris finden. Von der Hausärztin wird sie weder in ihrem Bericht an die Beklagte vom 13.06.2019 noch in ihren sachverständigen Zeugenaussagen erwähnt. Die Diagnose findet sich lediglich als „instabile Angina pectoris“ als DD=Differenzialdiagnose und damit um eine noch abzuklärende Diagnose allein im Bericht des Krankenhauses H vom 07.01.2014. Im Bericht vom 22.09.2018 wird sie nicht, auch nicht als Differenzialdiagnose erwähnt. Die Diagnose setzt im Übrigen den Nachweis einer Arteriosklerose und einer dadurch verursachten Mangeldurchblutung des Herzens mit dadurch verursachter schlechterer Sauerstoffversorgung voraus, die hier nicht belegt ist. Mit P rechtfertigt die somatoforme autonome Funktionsstörung von Herz und Kreislauf (F45.30G) mit wiederkehrenden thorakalen Schmerzen lediglich qualitative Einschränkungen nicht jedoch auch die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung.

Gegen eine durch die vorbeschriebenen Erkrankungen festgestellte insbesondere zeitliche Leistungseinschränkung spricht nach Überzeugung des Senats dabei auch, dass der Kläger eine Behandlung nur noch selten in Anspruch nimmt (nach den Angaben des W1 nur viermal im Jahr 2019, nur dreimal bis 10.11.2020, nach den Angaben von W dreimal 2018, zweimal 2019 und nur einmal 2020 bis 02.11.2020). Eine Änderung oder eine Intensivierung der Behandlung hat ganz offensichtlich zu keinem Zeitpunkt stattgefunden, worauf die Fachärztin G in ihrer gutachterlichen Stellungnahme für die Beklagte, die der Senat als qualifizierten Beteiligtenvortrag wertet, zu Recht hingewiesen hat, was dafür spricht, dass eine solche nicht für erforderlich erachtet wurde. Insoweit, so G, wäre an einen stationären oder teilstationären Krankenhausaufenthalt oder auch an eine Psychotherapie zu denken gewesen, welche von W1 auch vorgeschlagen vom Kläger aber abgelehnt wurde. Die Behandlung erfolgt zudem seit Jahren lediglich mit Laif, einem pflanzlichen Arzneimittel, das nach dem Beipackzettel des Herstellers zur Behandlung von leichten bis mittelschweren depressiven Episoden eingesetzt wird. Eine darüberhinausgehende, gerade auch schmerztherapeutische Behandlung findet nicht statt, obwohl der Kläger massive Schmerzsensationen angibt.

Angesichts dessen vermag der
Vortrag des Klägers, seine behandelnden Ärzte stellten seit 2014 und bis zum heutigen Tag Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus, keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Der Senat muss nicht entscheiden, ob diese zu Recht ausgestellt werden. Eine Bindungswirkung kommt diesen nicht zu. Weshalb solche überhaupt ausgestellt werden, erschließt sich dem Senat bei dem nicht erwerbstätigen Kläger, der nach seinen Angaben auch keine Sozialleistungen bezieht, darüber hinaus nicht. Die Beurteilung der hier streitigen Rente wegen Erwerbsminderung hat sich jedenfalls nicht an einer Arbeitsunfähigkeit zu orientieren, sondern an den gesetzlichen Vorgaben des § 43 SGB VI und damit an der Frage, ob der Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Eine solche zeitliche Leistungsminderung war - auch rückblickend - nicht festzustellen.

Soweit die vorliegenden Einschränkungen unter Berücksichtigung der festgestellten Einschränkungen zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken können, begründen sie aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden.

Für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten muss weder eine konkrete Tätigkeit benannt, noch die Frage geprüft werden, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 u.a. -, juris). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Einschränkungen bezogen auf die Vermeidung von Akkord- und Fließbandarbeit, von Tätigkeiten mit Nachtschicht und von Tätigkeiten mit besonderer psychischer oder Stressbelastung liegt auch keine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung liegen nicht vor. Der Kläger erfüllte damit nicht die Anspruchsvoraussetzungen einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung und zwar unabhängig davon, ob die für ihn zuständige Arbeitsagentur einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten kann. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG, Urteil vom 25.06.1986 - 4a RJ 55/84 -, juris).

Auf die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen kommt es damit vorliegend nicht an, da ein Leistungsfall weder für den 05.01.2014 noch den 27.07.2014 oder für einen anderen Zeitpunkt festgestellt werden konnte. Damit ist der Bescheid vom 27.10.2014 nicht rechtswidrig und damit auch nicht aufzuheben.

Aufgrund der nachgewiesenen Befunde in den sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte sowie der vorliegenden Befundberichte und des Gutachtens von P, die nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 eine Beurteilung erlauben, und des nach Angaben der behandelnden Ärzte unveränderten Beschwerdebildes ist auch für die Zeit danach und insbesondere im Zusammenhang mit dem Antrag vom 13.03.2019 bis heute kein Leistungsfall eingetreten, sodass die Berufung auch insoweit keinen Erfolg hat.

Schließlich stellt der Senat fest, dass unabhängig von den Auswirkungen der Erkrankungen die Entscheidung nicht schon deswegen rechtswidrig gewesen ist, weil sich der Kläger auf eine Zusicherung im Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg vom 19.08.2014 berufen kann. Die Zusicherung stellt eine Selbstverpflichtung der Behörde zu einem späteren Tun oder Unterlassen in Form eines Verwaltungsaktes dar. Nach § 34 SGB X bedarf eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Insoweit braucht nicht entschieden zu werden, ob im Schreiben vom 19.08.2014 bereits eine solche Zusage enthalten war. Die deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg hatte dem Kläger mit Schreiben vom 19.08.2014 und damit nach Beendigung einer von ihr geförderten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik K mitgeteilt, dass nach ihren Feststellungen volle Erwerbsminderung seit 05.01.2014 auf Zeit bis 31.07.2015 vorliegt, der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe als Antrag auf Rente gelte und darauf hingewiesen, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab 01.08.2014 geprüft und als erfüllt angesehen werden. Der Kläger wurde ferner aufgefordert, „bis 22.09.2014“ einen formellen Rentenantrag zu stellen. Mit Schreiben vom 19.08.2014 gab die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg das Verfahren wegen der Angaben des Klägers im Rentenantrag zu Beschäftigungszeiten in Kanada/USA von Februar 1999 bis Mai 1999 und September 1999 bis Mai 2001 (vgl. insoweit Anlage zum Rentenantrag zur Feststellung der Erwerbsminderung vom 25.09.2014 „Gutachtenakte“ Bl. 1 Rückseite) an die Beklagte, die Deutsche Rentenversicherung Nord, ab, die mit dem Bescheid vom 27.10.2014 und Widerspruchsbescheid vom 07.09.2016 den Antrag aber wegen nicht erfüllter versicherungsrechtlicher Voraussetzungen bezogen auf einen von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg genannten Leistungsfall 05.01.2014 ablehnte. Wollte man insoweit von einer Zusicherung, einen bestimmten Verwaltungsakt tatsächlich zu erlassen (etwa eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis 31.07.2015 zu gewähren), ausgehen, ist diese bereits deswegen unwirksam, weil die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg aufgrund der Zeiten mit Auslandsbezug des Klägers zu Kanada und den USA der hierfür unzuständige Träger war (vgl. §§ 125, 128 Abs. 3 SGB VI). Die Zusicherung ist indes nur wirksam, wenn die Behörde zum Zeitpunkt ihrer Erteilung sachlich, örtlich und funktionell zuständig ist (KassKomm/Mutschler, 118. EL März 2022, SGB X § 34 Rn. 17, beck-online). Die vorliegende - unterstellte - Zusicherung ist damit bereits deshalb unwirksam, weil die erlassende Behörde nicht für den zu erlassenden Verwaltungsakt zuständig war (siehe auch Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 34 Rn. 24; Kopp/Ramsauer, VwVfG § 38 Rn. 18).

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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